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1.2.2.2 Geodätische Entzerrung

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Die rechnerische, geodätische Analyse der Koordinatenangaben im Ortskatalog der ”Geographie“ hat zum Ziel:

 Ortsgruppen gleicher Verzerrungssystematik (Transformationseinheiten) zu lokalisieren und die Art und Größe der Verzerrungen (Verzerrungsparameter) zu bestimmen,

 inkonsistente Orte aufzudecken, d. h. Fehlidentifizierungen und grobe antike Koordinatenfehler bzw. Schreibfehler in den Manuskripten,

 für ptolemäische Orte durch eine entzerrende Transformation moderne Koordinaten zu ermitteln und sie dadurch zu identifizieren,

 Genauigkeitsaussagen über die ptolemäischen Daten zu treffen.

Teilweise sind für einen Ort verschiedene antike Koordinaten überliefert (siehe Abschnitt 1.2.1.1). Ebenso können für einen antiken Ort mehrere unsichere moderne Identifizierungen vorliegen. Beides wird durch das Auswerteverfahren berücksichtigt, d. h. es werden die wahrscheinlich richtigen Werte bzw. Identifizierungen ermittelt.

Bei der Suche nach Ortsgruppen gleicher Verzerrungssystematik findet die Ausgleichungsrechnung Anwendung (Methode der kleinsten Quadrate). Sie wird üblicherweise verwendet, wenn mehr Beobachtungen als nötig zur Bestimmung der Parameter eines funktionalen Zusammenhanges zur Verfügung stehen. Durch die Überbestimmung ergibt sich der Vorteil, dass sich Aussagen u. a. über die Genauigkeit der Beobachtungen ableiten und Hypothesentests durchführen lassen. Solche statistischen Tests wiederum ermöglichen hier die Suche nach Ortsgruppen, für die jeweils ein bestimmtes Verzerrungsmodell einschließlich dessen Parameter gültig ist.

Im hier verwendeten Gauß-Markov-Modell stellen die ptolemäischen Koordinaten die beobachteten, fehlerbehafteten Größen dar. Da die modernen Koordinaten gegenüber den ptolemäischen wesentlich kleinere Unsicherheiten besitzen, können diese hier als fehlerfrei angesehen werden. Die gesuchten, unbekannten Größen sind die Transformationsparameter. Der Transformationsansatz für die Überführung der modernen in die ptolemäischen Koordinaten lautet


mit der modernen geographischen Länge und Breite λi und φi, der ptolemäischen Länge und Breite Λ i und Φi , den Maßstabsparametern und , den Translationen Λ0 und Φ0 und den zufälligen Restfehlern (Verbesserungen) vΛi und vΦi. Mit den Maßstabsparametern und Translationen werden die systematischen Verzerrungen der ptolemäischen Ortsangaben modelliert. Bei der praktischen Anwendung erweist sich das Modell als genau genug, d. h. die sich ergebenden Restfehler besitzen i. d. R. keine Restsystematiken und ihre Beträge stehen im Einklang mit der Auflösung bzw. der Größe der Unsicherheit der ptolemäischen Koordinaten.

Die Verfahrensschritte der geodätischen Analyse der ptolemäischen Koordinaten sind nun folgende:

1. Da bei der vorliegenden Aufgabenstellung nur kombinatorische Verfahren erfolgversprechend sind, die Praktikabilität derartiger Verfahren jedoch stark abhängig von der Datenmenge ist, wird ein Untersuchungsgebiet im Vorhinein in Ortsgruppen unterteilt, in denen die Suche nach Transformationseinheiten zunächst getrennt durchgeführt wird. Eine solche Start-Einteilung kann anhand des Residuenbildes erzeugt werden, das sich nach einer ersten Transformation mit Näherungswerten für die Verzerrungsparameter ergibt. Im Residuenbild werden Gebiete homogener Verzerrung an ähnlichen Residuenvektoren (vΛ vΦ) deutlich (bestimmt mittels (1.1)).

Da durch die Start-Einteilung evtl. zusammengehörige Orte voneinander getrennt werden, sind nach der Suche von Transformationseinheiten in den Startgebieten weitere Nachuntersuchungen erforderlich (3. und 4.).

2. Die Suche nach Transformationseinheiten erfolgt kombinatorisch. Dabei werden die Orte eines Startgebietes so lange miteinander kombiniert, bis eine maximale konsistente Ortsgruppe gefunden wird. Die Konsistenzprüfung erfolgt mittels statistischer Tests. Eine somit ermittelte Transformationseinheit wird aus den Daten entfernt und unter den übrigen Orten wird die Suche wiederholt, bis keine konsistente Gruppe mehr gefunden wird.

Da für nicht wenige Orte mehrere unsichere Identifizierungsvorschläge vorliegen, wurde das Verfahren darauf ausgerichtet, solche Alternativen mit in die kombinatorische Suche einfließen zu lassen, um so die mögliche bzw. unter den möglichen die wahrscheinlichste Identifizierung zu ermitteln.

3. Nach der Ermittlung von Transformationseinheiten in den Startgebieten werden in der Regel noch Orte vorliegen, die keiner Transformationseinheit zugeordnet sind. Als mögliche Ursachen kommen in Frage:

 systematische Fehler (Orte sind in einer anderen Transformationseinheit konsistent),

 Fehler in den ptolemäischen Koordinaten (z. B. verwendete Koordinatenvariante falsch, Schreibfehler)

 Fehler in den modernen Koordinaten (durch falsche Identifizierung),

 Fehler im stochastischen Modell (Unsicherheit der ptolemäischen Koordinate größer als angenommen).

Die ersten beiden Ursachen werden überprüft, d. h. es wird für die bisher unzugeordneten Orte ermittelt, ob sie in einer Transformationseinheit in ihrer Nachbarschaft mit einer ihrer Identifizierungen und antiken Koordinatenvarianten konsistent sind. Dazu werden die für jeden Ort möglichen Kombinationen aus moderner Identifizierung und antiker Punktvariante einzeln in die in Frage kommenden Transformationseinheiten eingeschaltet und eine Ausgleichung durchgeführt. Bleiben dadurch die Punktgruppen konsistent, wird die beste Zuordnung durchgeführt (Maß ist die Größe der verwendeten Teststatistik) und das Verfahren für die übrigen unzugeordneten Punkte fortgeführt.

4. Sind die Unterschiede zwischen den Transformationsparametern lagemäßig benachbarter Transformationseinheiten statistisch nicht signifikant (statistischer Test), können sie zusammengefasst werden. Auch die Suche nach maximalen zusammenfassbaren Gruppen erfolgt kombinatorisch. Es wird diejenige mögliche Zusammenfassung vollzogen, welche die größte Anzahl an Orten zusammenfasst, und unter den übrigen Transformationseinheiten die Suche nach weiteren Zusammenfassungen fortgesetzt.

5. Die Ergebnisse werden auf Plausibilität hin überprüft. Dies betrifft vor allem die Lage und Form der Transformationseinheiten. Bei starken lagemäßigen Überschneidungen wird für die verursachenden Orte mittels Neuausgleichung und statistischer Tests geprüft, ob die Zuordnung zu einer anderen Transformationseinheit möglich ist.

Bleiben nach Durchführung des Verfahrens Orte ohne eine mögliche Zuordnung zu einer Transformationseinheit übrig, ist zunächst zu entscheiden, ob für sie Änderungen im stochastischen Modell möglich sind (größere Standardabweichungen). Sind derartige Änderungen nicht mehr zu rechtfertigen, muss die moderne Identifizierung überdacht werden. Mittels Transformation lassen sich aus den ptolemäischen Koordinaten (Λ, Φ) moderne Koordinaten (λ, φ) bestimmen:


Hierbei sind mΛ und mΦ die Maßstabsparameter und λ0 und φ0 die Translationsparameter der entzerrenden Funktion. Die Entzerrungsparameter gehen durch Invertierung aus den ermittelten Verzerrungsparametern hervor:


Können mittels Transformation neue Identifizierungen gefunden werden, ist eine Wiederholung des Auswerteverfahrens (Schritte 2–5) erforderlich. Ergibt sich durch Transformation keine plausible Identifizierung, muss ein grober Fehler in den ptolemäischen Koordinaten vermutet werden.

Annahmen über Schreibfehler können durch eine entsprechende Veränderung der betreffenden Koordinate überprüft werden, indem für die betreffende Transformationseinheit eine erneute Ausgleichung inkl. statistischer Konsistenztests durchzuführen ist.

Germania und die Insel Thule

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