Читать книгу Germania und die Insel Thule - Eberhard Knobloch - Страница 8
1.2.1.1 Die Textüberlieferung
ОглавлениеDas ”Originalexemplar“ der ”Geographie“ aus der Zeit des Ptolemaios existiert nicht mehr. Der heute vorliegende Text ist durch 53 (bisher bekannte) griechische Handschriften ganz oder teilweise überliefert, von denen die ältesten um 1300 entstanden sind (BURRI, S. 10– 20). Für mehr als ein Jahrtausend entzieht sich also die Textüberlieferung unserer direkten Kenntnis. (Eine Ausnahme bildet der Papyrus Rylands Nr. 522 vom Anfang des 3. Jhs., vgl. STÜCKELBERGER/MITTENHUBER/KOCH, S. 142–144.)
Die erhaltenen griechischen Handschriften lassen sich nun in zwei Textvarianten einteilen, in die sog. Ω-Rezension und die sog. Ξ-Rezension. Die erste spaltet sich in zwei Untergruppen auf, die letzte ist nur durch eine Handschrift vertreten (STÜCKELBERGER/MITTENHUBER, S. 21–25). In diesen beiden Rezensionen weichen die Koordinatenangaben in weit über tausend Fällen voneinander ab, so dass sich bei der Lokalisierung eines antiken Ortes bisweilen nicht unerhebliche Differenzen ergeben können; beispielsweise weist der Ort Bicurgium in Germania Magna nach der Ω-Rezension eine Breite von 51°15′ auf, nach der Ξ-Rezension beträgt der Wert 49°. Diese Abweichungen können ihre Ursache in Schreibfehlern haben oder auch in Modifizierungen der Koordinaten, die möglicherweise schon von Ptolemaios oder von späteren Bearbeitern vorgenommen worden sind. Nicht zuletzt hat Ptolemaios selbst bei der Anlage seines Ortskataloges die Möglichkeit späterer Korrekturen berücksichtigt, indem er in seinen Tabellen dazu entsprechend Platz ließ (GH II, 1, 3). In der Regel konnten jedoch in den Fällen abweichender Koordinaten durch die in Abschnitt 1.2.2 beschriebenen mathematisch-geodätischen Analysemethoden die vermutlich richtigen Werte ermittelt werden.
In anderen Fällen zeigte es sich, dass Orte nach den antiken Koordinaten grob fehlerhaft lokalisiert sind und keine der überlieferten Lesarten einen passenden Wert bietet. Zu diesen Orten kann einerseits Ptolemaios bereits falsche Angaben vorgefunden haben, andererseits ist es möglich, dass ihm selbst bei deren Verortung Fehler unterlaufen sind. Natürlich lassen sich auch hier zahlreiche Möglichkeiten von Schreibfehlern seitens der Kopisten annehmen, wie Fehler bei der Transkription von der Majuskel- in die Minuskelschrift, falsche Deutung unleserlich geschriebener Zahlen, Verrutschen in der Zeile, Verwechselungen von ganzen Zahlen und Bruchzahlen, das Vergessen von Bruchzahlen, Hörfehler beim Diktat u. a. Im Gegensatz zu lexikalischen, orthographischen oder grammatikalischen Fehlern in einem zusammenhängenden Text sind Schreibfehler bei Koordinatenangaben jedoch schwerer zu erkennen, zumal die Kopisten in der Regel nicht über eine entsprechende Sachkenntnis verfügt haben dürften, um die Richtigkeit der Koordinaten zu überprüfen. Ergab sich nun die Vermutung, dass die Koordinaten eines Ortes durch einen Schreibfehler verderbt sein könnten, wurden anhand der Verzerrungsanalyse der antiken Daten rechnerisch Sollwerte ermittelt, mittels derer Konjekturen vorgeschlagen werden konnten.
Ähnlich wie bei den Koordinatenangaben können auch bei den antiken Ortsnamen Abweichungen unter den Handschriften bzw. Handschriftengruppen auftreten oder Schreibfehler vorliegen. Hinzu kommt eine schwankende Orthographie, z. B. aufgrund des Itazismus. Handelt es sich hierbei um Namen, die auch durch andere Quellen belegt sind, ist eine Korrektur in der Regel möglich; z. B. lassen sich für die offensichtlich falsch überlieferten Namen Beltikē oder Iuliobona die korrekten Formen Belgikē und Vindobona leicht ermitteln. Dies trifft vor allem für die Ortsangaben innerhalb des Römischen Reiches zu. Bei den Ortsnamen, die zu den Gebieten außerhalb des Römischen Reiches gehören, ist die Entscheidung über die richtige Lesart häufig nicht möglich (zu den Ortsnamen s. Abschnitt 1.2.4). Hier sind Schreibfehler umso eher zu erwarten, als es sich beispielsweise bei den germanischen Ortsnamen um Wörter einer Sprache handelt, die den Kopisten in Alexandria und später in Byzanz fremd war.