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21. Das Weiße Album und die Schlüssel zur Wahrheit

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Mitte Januar 1969 hatte das neue weiße Doppelalbum der Beatles allein in den USA bereits an die 22 Millionen Dollar eingebracht. Dieses Doppelalbum war nach der Magical Mystery Tour vom Jahr zuvor ein weiterer »erzieherischer Lehrgang« für die Family. Schon die ganz in Weiß gehaltene Plattenhülle war für die Family symbolisch – ganz in Weiß. Kapiert?

Irgend etwas versetzte Manson Anfang 1969 einen so irren Schrecken, dass er sich auf das Ende der westlichen Zivilisation vorbereitete. Er hatte schon früher von einem unmittelbar bevorstehenden Armageddon geredet, doch hatte er stets gepredigt: »Unterwerfung ist eine Gabe, gib sie deinem Bruder.« Das heißt, ergib dich demütig der Gewalt.

Helter-Skelter nahte heran.

Manson lebte in dem Wahn, dass sich die Schwarzen bewaffneten, und er behauptete, er habe im Gefängnis mit Schwarzen gesprochen und habe von riesigen Waffenverstecken erfahren.

Er hatte eine geradezu legendäre Fähigkeit, Paranoia zu erzeugen. Man bekam eine Gänsehaut bei seinen geflüsterten, abergläubischen Vorlesungen über Karma und das drohende Jüngste Gericht. Mit brechender Stimme wie ein Präsident, der die Invasion eines südasiatischen Landes bekanntgibt, verkündete er, dass die Schwarzen sich erheben, mehrere Millionen Weiße töten und die Regierung übernehmen würden. Dann aber, nach vierzig oder fünfzig Jahren, so geht die Geschichte weiter, würden die Schwarzen Manson die Regierung übergeben, weil sie dann nämlich erkannt hätten, wie ungeeignet sie seien, die Welt zu regieren.

Die christlich-amerikanischen und wohlhabenden Pigs aber würde man schlachten. Er, Christus selbst, er, der Teufel in Person, würde die eigene Wiederkunft herbeiführen. »Jetzt sind die Pigs an der Reihe, ans Kreuz geschlagen zu werden«, sagte er oft.

Auf einer metaphysischen Ebene verband Manson das bevorstehende Helter-Skelter mit seiner Vorstellung vom »Loch«. Denn in jenem mystischen Loch im Death Valley würde Manson mit seiner Family leben, solange die Schwarzen und Weißen in den Städten einen blutigen Kampf führten, bis am Ende die Schwarzen die Macht an sich reißen würden.

Von der Stadt im Loch aus würde Manson Streifzüge unternehmen, um mit seinen haarigen Heuschrecken aus dem Abgrund Städte zu plündern. Und die Schwarzen würden dank ihrer »Superbewusstheit« – so drückte es die Family aus – genau wissen, dass Charlie der Mann war, und würden ihn schließlich an die Macht berufen.

Auf einer höheren Ebene, wenn höher hier das richtige Wort ist, lehrte Manson, dass die Mitglieder der Family, wenn sie die sieben Löcher auf den sieben Ebenen in eine gerade Linie brächten, auf der anderen Seite des Universums hervorschießen würden. Das »Loch« aber würde das magische Paradies sein – magisch, denn wie sonst findet man unterirdische Schokoladenbrunnen?

Manson verdrehte sogar die einzelnen Kapitel und Verse des Buches der Offenbarung, um seine Behauptungen zu untermauern.

Die Strandbuggies waren die »Pferde« von Helter-Skelter und trugen jene »Brustplatten aus Feuer«, wie sie im 9. Kapitel der Offenbarungen des Johannes beschrieben werden. Und die Beatles waren, ohne es selbst zu wissen, die »vier Engel«, die einem Drittel der Menschheit den Tod bringen würden. Und auch für die Ankündigung, dass zu den Beatles ein fünftes Mitglied oder ein fünfter »Engel« stoßen werde – der Engel des bodenlosen Schlundes (wer mochte das wohl sein?) –, auch dafür fand Manson eine biblische Bestätigung.

Eine der Lieblingsstellen Mansons im 9. Kapitel der Offenbarung war: »Und taten auch nicht Buße für ihre Morde, Zauberei, Unzucht und Dieberei« – diese Worte zitierte er wieder und wieder und bereitete so seine Anhänger aufs Töten vor. Und hatten seine Anhänger nicht »Haare wie das Haar von Frauen und Zähne wie die Zähne von Löwen«?

Und war nicht Manson der König des Abgrunds?

»Und hatten über sich einen König, den Engel des Abgrunds, des Name heißt auf hebräisch Abaddon, und auf griechisch hat er den Namen Apollyon.« Als man die Bibel aus dem Lateinischen ins Englische übertrug, ließen die Übersetzer in dem Text einen dritten Namen – neben Abaddon und Apollyon – für den Engel des Abgrunds aus. Dieser Name lautet im Lateinischen »Exterminans«.

Exterminans – was für ein Wort, um Charles Manson zu charakterisieren!

Beispiele für die Entsprechungen, die Manson zwischen dem Buch der Offenbarung, den Beatles und seinen eigenen (Wahn-)Vorstellungen fand, gibt es in Hülle und Fülle, doch soll der Leser davon verschont bleiben.

Manson hörte sich den Song »Helter Skelter« aus dem neuen Beatles-Album mit Kopfhörern an, und irgendwie, wie durch ein Wunder, hörte er, wie die Beatles ihn flüsternd drängten, er solle sie in London anrufen. Unglücklicherweise wusste Manson offenbar nicht, dass mit »Helter Skelter« eine Rutschbahn in einem englischen Vergnügungspark gemeint ist.

Die Mädchen behaupten, Manson hätte einmal ein Ferngespräch nach London angemeldet, um mit den Beatles zu sprechen. Zweifellos ist der Song »Helter Skelter« auf dem weißen Beatles-Doppelalbum eine meisterhafte, eindringliche Rock 'n' Roll-Nummer, und es ist ein ziemlich unheimlich klingendes Stück, besonders der lange Schluss, der gegen Ende hin zweimal ausgeblendet wird und wie ein universaler Marsch abgewrackter Irrer klingt.

»Charlie, Charlie, schick uns ein Telegramm« – diese Worte unterlagen seiner Ansicht nach dem Geräuschgeflecht der Komposition »Revolution 9«. Die Mitglieder der Family meinten, dass man mit Kopfhörern nur genau hinzuhören brauche, um die Beatles diese Worte flüstern zu hören. Man hört, was man hören will.

»Rise! Rise! Rise!« (Erhebe dich) pflegte Charlie beim Abspielen von »Revolution 9« zu schreien; er brachte diesen Song mit der Offenbarung – »Revelation, chapter 9« – in Verbindung. Später malten er und seine Anhänger das Wort »Rise« mit Blut an die Wand im LaBianca-Haus.

Man muss sich das weiße Doppelalbum der Beatles anhören, um eine Vorstellung davon zu bekommen, was Manson hörte oder hineinzuhören versuchte. Als Ganzes gesehen ist das Album von unterschiedlicher Qualität. Zwar weist es einige der üblichen brillanten Einfälle der Beatles auf, doch haben die Beatles dieses Album zu einer Zeit gemacht, als sie heftigen Streit miteinander hatten, und das ist dem Album anzumerken.

Dieses Album enthält natürlich auch den Song »Piggies« und, gruseliger noch, einen Song namens »Happiness is a Warm Gun«. Andere Songs wie »Blackbird« und »Rocky Raccoon« wurden in der Family ausnahmslos als rassistische Weltuntergangssongs gedeutet.

Der Song »Sexy Sadie« muss Susan Atkins alias Sadie Mae Glutz in verzückte Zuckungen versetzt haben. »Sexy Sadie, you came along to turn everybody on«, heißt es darin, und »Sexy Sadie, you broke the rules, you laid it down for all to see«.

Zu der Zeit, als die Family noch in dem Haus in Canoga-Park lebte, ermunterte Manson Angehörige verschiedener Motorradbanden, sich der Family anzuschließen. Die beiden Gangs, die der Family am nächsten standen, waren die Satan Slaves und die Straight Satans, die sich beide mit den Initialen S.S. schmückten. Manson wollte die Bikers in seine Gruppe aufnehmen; sie sollten den notwendigen militärischen Flügel darstellen.

Die Family verbündete sich auch mit den Jokers Out of Hell, einer Gang, die sich mit Okkultismus befasste. Einer dieser Jokers hatte einen Plattenladen in Santa Monica. Interviews haben ergeben, dass die Jokers Häuser im San-Fernando-Valley, in der Nähe des Hauptquartiers der Family, besaßen.

Manson veranlasste seine Mädchen, die Bikers zu verführen, damit sie mit der Family in Kontakt blieben. Es kam vor, dass er einem der Mädchen befahl, sich auszuziehen und ihnen einen zu blasen. Reißverschlüsse wurden aufgerissen, Miniröcke fielen zu Boden, und die Bikers waren begeistert. Manson veranlasste seine Anhängerinnen auch, die Bikers, was persönlichen Besitz betraf, zu bearbeiten. Sie streiften ihnen die Armbanduhren von den Handgelenken ab, und eines der Mädchen gurrte ihnen dazu ins Ohr: »Du brauchst keine Zeit. Was ist das schon, Zeit?« Und wenn gelegentlich ein Biker eine Braut mit auf die Ranch bringen wollte, sagten die Mädchen: »Wozu brauchst du denn eine Braut?«

Manson arbeitete ein regelrechtes Public-Relations-Programm aus, um die Bikers anzulocken. Er lieh ihnen Geld. Er ließ sie ihre Motorräder bei der Family parken und reparieren, und als die Family wieder auf der Spahn-Ranch wohnte, gab es dort eine Menge Reitpferde, eine Menge Mädchen, und zu essen war auch immer etwas da. Räuberbanden haben sich seit jeher gern am Wüstenrand angesiedelt. Die Wüstengebiete, die Los Angeles umgeben, haben diese Tradition würdig fortgeführt – da gab es Überfälle, Rauschgifthandel, Handel mit Teilen von gestohlenen Autos und schaurige, magische Zeremonien im Überfluss.

In mancherlei Hinsicht glich die Family allmählich einem Biker-Club: derselbe unglaubliche männliche Chauvinismus, dieselbe Outlaw-Attitüde, dieselben »Todes-Trips«, derselbe Satanismus, dieselben Rituale. Die neuen Mädchen der Family trugen sogar, wie einige der Bike-Club-Mamas, an den Fußgelenken Kettchen, die zeigten, wer ihr »Besitzer« war.

Die Bikers sind berühmt für ihre vollendeten Begräbnisse, bei denen sich die Motorradfahrer zu langen Einzelreihen formieren, die den Leichenzug bilden. Die »Farben« der Frau – ihre Club-Kluft – werden oft mit den Sachen ihres »Alten« begraben. Manchmal gibt es für die Frau Trauerzeiten mit regelmäßigen Ritualen am Grab, zu denen unter anderem das Begießen der Erde mit Wein gehört.

Ein Straight Satan, der eine Zeitlang mit der Family zusammenlebte, war ein großer, hübscher Kerl namens Joe. Joe lernte die Family in der Gresham Street kennen, als er sich nach dem Weg zu einem Haus erkundigte, das er mieten wollte. Er war so hingerissen von der Family, insbesondere von Sexy Sadie, dass er gleich dort blieb. Er hatte eine Freundin, die damals schlaftablettenabhängig war.

Joe, der Straight Satan, übernahm bei den Helter-Skelter-Vorbereitungen eine wichtige Aufgabe: Er war der »Architekt« des geheimen Fluchtwegs ins Death Valley.

Sein Aufenthalt bei der Family kostete ihn an die 2.600 Dollar. Er steuerte seine Armbanduhr, einen Revolver, einen Kleinbus und sogar sein Motorrad zum Gemeingut bei. Zuerst lebte er mit der Family ungefähr einen Monat lang in der Gresham Street, danach ein paar Wochen auf der Hollowberry-Hill-Ranch-of-Satan und dann, bis zum Muttertag 1969, auf der Spahn-Ranch.

Von allen Bikern hatte Danny De Carlo, ein kleiner, schwarzhaariger Straight Satan mit Schnurrbart, die längste und engste Beziehung zu Manson.

Danny De Carlo war im März gekommen, um ein Motorrad zu reparieren. Charlie lud ihn ein zu bleiben und bot ihm jede Menge Mädchen an. Seiner gewaltigen Potenz wegen wurde De Carlo von den Mädchen bald in Donkey Dick Dan umgetauft.

Eine Menge Straight Satans hielten sich vorübergehend in den verschiedenen Häusern auf, in denen die Mansonisten lebten. Die Straight Satans legten sich so farbenprächtige Namen zu wie Droopy, Dirty Old Man, 86 George, Stickman, Philadelphia John und andere.

De Carlo stammte aus Kanada und lebte seit Anfang der fünfziger Jahre in den USA. Er hatte in der Küstenwache gedient. Sein Vater besaß eine Maschinenwerkstatt in Inglewood. Im August 1965 waren Danny, sein Bruder Laurence und einige andere eingebuchtet worden, weil sie von Tijuana aus Stoff über die mexikanische Grenze geschmuggelt hatten. Dafür wurde er zu fünf Jahren verurteilt; als er sich der Family anschloss, lief immer noch das Berufungsverfahren gegen dieses Urteil.

De Carlo hatte einen Sohn, Dennis, der etwas über ein Jahr alt war, also im gleichen Alter wie Pooh Bear. Auch Dennis wurde auf die Spahn-Ranch gebracht und dort der grausig-gruseligen Kinderstube der Family überantwortet.

De Carlo war einer der ersten »Waffenfans«, die sich Manson anschlossen. Er betete Waffen an. Er war Experte für alle möglichen Gewehre und Handfeuerwaffen. Nachdem es der Family gelungen war, sich wieder auf der Spahn-Ranch einzunisten, richtete er im »Salon des Bestattungsunternehmers« auf dem Western-Filmgelände im Handumdrehen eine kleine Munitionsfabrik ein. Der »Salon« wurde in »Waffenkammer« umgetauft. Und von dieser Waffenkammer zogen sie aus, um zu morden.

Die Waffenkammer enthielt technisches Gerät zur Herstellung von vier oder fünf verschiedenen Arten von Kugeln. Außerdem gab es dort alle möglichen Messer und Bajonette. De Carlo schlief in der Waffenkammer und stellte dort sein Motorrad ab. Unter seinen Waffen war eine 303 British Enfield, ein 22-Kaliber-Gewehr, eine 20-Kaliber-Schrotflinte, ein 30-Kaliber-Karabiner, ein kurzläufiges 12-Kaliber-Gewehr für Straßenkämpfe, ein M-1-Karabiner und eine Maschinenpistole vom Typ Spizer MP 40 SH. Von einem Waffensammler, der einer Rock 'n' Roll-Gruppe in Hollywood angehörte, bekam De Carlo ein Maschinengewehr.

De Carlo und einige andere Straight Satans fuhren häufig zu dem von der Rockgruppe okkupierten Haus. Der Waffensammler unter den Bandmitgliedern war auf einem LSD-Trip »im Geist der Gewaltlosigkeit« und hatte beschlossen, sein Maschinengewehr wegzugeben. Also gab er es Donkey Dick Dan.

Manson und die Family waren gegen jeden Alkohol; dadurch kam es zu einem Konflikt mit mehreren Bikers, die alle, und De Carlo ganz besonders, starke Trinker waren. Außerdem wurden die Mädchen immer wieder sauer, wenn Danny schwarzen Jazz im Radio hörte. Sie waren entsetzt von den Afrosheen-Werbesendungen. »Sie glaubten, FM 105 [auf der Radioskala] zu hören, Jazz hören sei ... äh ... das wäre Plastikdreck«, erzählte er. Es beleidigte die rassische Reinheit der Hillbilly-Arier.

Obgleich Manson sich eifrig um die Bikers bemühte, bestanden nicht alle von ihnen den »Rassentest«. So brachte zum Beispiel Joe von den Straight Satans einmal einen Jungen mit auf die Ranch, einen »Halbindianer« namens Sammy. Charlie duldete es nicht, dass er es mit den Mädchen machte. Einem gewissen Mark, der nur »Viertelindianer« war, wurde der Geschlechtsverkehr mit den Arierinnen auf der Spahn-Ranch ebenfalls untersagt.

Im Zusammenhang mit den Helter-Skelter-Plänen arbeitete Manson einen Fluchtweg ins Death Valley aus. Ihm schwebte ein Geheimpfad über die Santa-Susanna-Mountains und durch die Mojave-Wüste vor, der es ihm und seinen Auserwählten, sobald die Schwarzen in Los Angeles zuschlügen, ermöglichen sollte, sofort ins Death Valley aufzubrechen, ohne mit einem größeren Highway in Berührung zu kommen.

Er beschloss, eine Flotte von Helter-Skelter-Strandbuggies zu schaffen, mit denen die Family von der Spahn-Ranch zum Death Valley (und wieder zurück) transportiert werden sollte, durch den Devil-Canyon und die Mojave-Wüste hinauf in die Santa-Susanna-Mountains.

Die Erfahrungen in dem üblen Gelände des Death Valley bestärkten ihn in seinem Entschluss, dass Strandbuggies die besten Fahrzeuge für seine mobile Todestruppe wären. Sie waren ausgezeichnet dazu geeignet, sich vor der Polizei aus dem Staube zu machen und unterzutauchen. Sie waren so leicht, dass zwei oder drei Grusel-Groupies sie mühelos über Felsen und Klippen hinwegheben konnten. Motorräder dagegen wurden verschmäht. Sie waren für die Wildnis ungeeignet.

Aber Strandbuggies, oh, heilige Strandbuggies – die waren wie Schlachtschiffe. Später ließ er Strandbuggies mit gewaltigen Benzintanks ausrüsten, mit denen sie 1000 Meilen weit fahren konnten. Die Buggies wurden mit Maschinengewehrgestellen versehen, und Mansons Kommandanten-Strandbuggy wurde so eingerichtet, dass man darin schlafen konnte. Einzelne Strandbuggies konnten jederzeit umgebaut und für den Transport von Lebensmitteln, Munition und Drogen verwendet werden.

Manson lernte einen jungen Burschen kennen, dessen Eltern die Steele-Ranch besaßen, die auf der anderen Seite der Santa-Susanna-Pass-Straße, gegenüber der Spahn-Ranch, lag. Es gab dort mehrere fast unpassierbare Feuerschneisen, die die Steele-Ranch mit dem Devil-Canyon verbanden. Und so geschah es, dass die Steele-Ranch – es kommt, wie es kommen muss – zum Ausgangspunkt des Armageddon-Fluchtwegs erwählt wurde.

Manson brach an den jeweiligen Zugängen immer wieder die Schlösser auf und ersetzte sie durch eigene, bis ihm der Verwalter schließlich Zweitschlüssel gab. Auf der Steele-Ranch standen ein Waffentransporter aus dem Zweiten Weltkrieg und ein Wasserlastwagen herum; auf beide war Manson für sein Helter-Skelter-Arsenal scharf. Zum ersten Mal kümmerte sich die Family um materielle Besitztümer.

Anfangs kaufte Manson die Strandbuggies zur Vergrößerung seiner Angriffsflottille. Später stahl man Porsches, takelte sie ab und baute sie zu Buggies um. Am 6. März 1969 tauchten Charlie, Bill Vance und Little Paul im Butler Buggy Shop am Topanga-Canyon-Boulevard in der Nähe der Spahn-Ranch auf. Charlie hatte ein dickes Bündel Hundert-Dollar-Noten in der Tasche und kaufte für 1.300 Dollar zwei Strandbuggy-Renner.

Der Butler Buggy Shop gehörte zwei Brüdern, von denen einer Polizeibeamter in Los Angeles war. In der folgenden Zeit unterhielt die Family ganz interessante Beziehungen zu diesem Buggy-Shop, ebenso wie die Satan Slaves, die laut Polizeiberichten behaupteten, sie hätten von dem Laden kostenlos VW-Teile bekommen. Der Sheriff von Los Angeles veranstaltete eine Razzia auf der Spahn-Ranch und beschlagnahmte mehrere Strandbuggies, die mit von Linda Kasabian gestohlenem Geld bezahlt worden waren.

Fest steht, dass Charlie die ersten beiden Strandbuggies mit einem Siebenhundert-Dollar-Scheck bezahlte, der von einer Versicherungsgesellschaft auf Juanita ausgestellt worden war. Er hatte die Unterschrift gefälscht und ihn selber eingelöst. Die restlichen 600 Dollar stammten aus dem Erlös von Aktien, die die schmächtige blonde Sandy Good verkauft hatte.

Eines Tages, Ende März, tauchte ein Mitglied der Satan Slaves namens Joey C. auf der Suche nach einer Bleibe im Haus an der Gresham Street auf. Manson fragte ihn, wo er bisher gehaust habe, und Joey erzählte ihm von einem großen Haus, westlich von Mulholland, in den abgelegenen Malibu-Hills bei Agoura. Es gab dort etwa zehn Schlafzimmer und einen Swimmingpool. Wo der Besitzer war, wusste man nicht. Bemerkenswert war an dem Haus ferner, dass in der Nachbarschaft ein Nachkomme des Outlaws Jesse James wohnte.

Da der Besitzer nicht da war, zeichneten sich neue Möglichkeiten ab, und so brach Manson seine Zelte ab und fuhr mit der Family zu der Malibu-Villa, wo man sich für ungefähr zwei Wochen breitmachte.

Hier, in dem Zehnzimmerhaus in Malibu, planten sie eine Helter- Skelter-Fluchtroute, die über Feuerschneisen bis zum Meer führte. Joey von den Straight Satans kannte die Feuerschneisen in der Gegend, da er als Häftling mit Arbeitstrupps hier herausgekommen war. Im Bezirk von Los Angeles gibt es mehrere Arbeitscamps, in denen die Gefangenen leben, die zur Arbeit an Feuerschneisen und zur Brandverhütung eingesetzt werden; Brände sind in den Bergen um die Stadt sehr häufig.

Irgendwie gelang es der Family, sich die Schlüssel oder einen Hauptschlüssel zu den Feuerschneisen zu beschaffen.

Während sich die Family in dem Haus bei Agoura aufhielt, skizzierte Joey einen Helter-Skelter-Gruselweg, der von dem Haus hinunter zum Meer führte. Man brauchte nur ungefähr hundert Fuß Buschwerk zu roden, und der Weg war fertig.

Patricia Krenwinkel kaufte für über 100 Dollar topographische Karten von der Gebirgsgegend zwischen der Spahn-Ranch und dem Death Valley – mit ihrer Hilfe sollte der unfehlbare Helter-Skelter-Fluchtweg ausgeknobelt werden. Sie planten, entlang des Weges geheime Waffen- und Proviantlager einzurichten. Eines Tages breiteten sie die topographischen Karten in der Wagenauffahrt aus und klebten sie aneinander, so dass sie nun ganz Südkalifornien vom heiligen Goler-Wash bis zum Malibu-Beach vor sich hatten. Diese Helter-Skelter-Karten wurden später gefunden: sie waren im Death Valley vergraben.

Die Hauptplanungsarbeit geschah anhand der Karten, einige Wege erkundeten sie auch mit den Buggies. Doch laut Aussagen der Person, die den Helter-Skelter-Killerweg ausgearbeitet hat, ist die Family nie die ganze Route bis zum Death Valley gefahren.

In ihrer ganzen Pracht verlief die Helter-Skelter-Fluchtstrecke vom Malibu-Beach den Castro-Fire-Trail hinauf bis zur Hollowberry-Hill-Ranch in Agoura. Von Agoura führte sie eine Feuerschneise und ein Flussbett entlang zur Steele-Ranch, nördlich der Spahn-Ranch. Von dort ging's durch den Devil-Canyon, dann quer durch die Mojave-Wüste und hinauf zum geheiligten Goler-Wash; auf der ganzen Strecke waren nur zwei größere Autostraßen (der Highway 99 und der Antelope-Freeway) zu überqueren.

Es geht das Gerücht, Manson oder jemand anderes von der Family habe bei einem Autoabschleppdienst in Chatsworth in der Nähe der Spahn-Ranch ein Raupenfahrzeug gestohlen; damit sei ein Stück des Helter-Skelter-Fluchtwegs in den Santa Susanna Mountains planiert worden, und das Fahrzeug sei dabei möglicherweise ausgebrannt.

Das Projekt Helter-Skelter stieß auf ein schwerwiegendes Problem. Seit Anfang 1969 verfügte die West-Valley-Station der Polizei von Los Angeles über Zwei-Mann-Helikopter vom Typ Bell-65, die mit starken Scheinwerfern ausgerüstet waren und damit aus dreihundert Meter Höhe einen ganzen Häuserblock taghell beleuchten konnten.

Manson hatte sich Verschiedenes einfallen lassen, um mit diesen Hubschraubern fertig zu werden. Unter anderem hatte er den Plan, die Helikopter mit Hilfe von Magie zu attackieren. Eine andere Methode, den Hubschraubern einen Strich durch die Rechnung zu machen, bestand darin, die Scheinwerfer des Strandbuggy-Bataillons mit schwarzem Klebeband zu verkleben und jeweils nur einen schmalen Schlitz freizulassen, der genügend Licht gab, um den Fluchtweg zu beleuchten, andererseits aber von oben aus, so hoffte man, nicht auszumachen war.

Manson würzte den Helter-Skelter-Plan auf mörderische Weise: er glaubte, ein blutiges Gemetzel werde alles in Gang bringen. Irgendwie war er zu der Überzeugung gekommen, der große Rassenkrieg werde damit beginnen, dass die Schwarzen weiße Familien in ihren Häusern ermordeten. »Das Karma ist in Bewegung«, sagte er und meinte damit, dass »zur Vollendung des Karmas der Welt« ein solcher Zusammenstoß unvermeidlich sei.

Helter-Skelter war ein Traumprojekt für frei herumlaufende Schizophrene. Da war für jeden etwas drin. Diejenigen, die eine grausige Kindheit gehabt hatten, erblickten in Helter-Skelter eine Möglichkeit, »die Kinder zu retten«. Andere hatten einen mehr rassistisch geprägten Standpunkt: Charlie erweckte in ihnen die Vorstellung von einer weißen Elite, die am Ende über eine schwarze Bevölkerung herrschen würde.

Gewalttätige sahen in Helter-Skelter eine Chance, einen regelrechten Krieg in Szene zu setzen. Und wer für Raub und Diebstahl etwas übrig hatte, sah darin eine Gelegenheit zum Plündern. Und für Weltuntergangsfanatiker war Helter-Skelter der Hochgenuss.

Die Satan Slaves – dieser geheimnistuerische, sich abkapselnde Biker-Club mit seinen okkulten Neigungen, der im Gebiet von Malibu und im Topanga-Canyon operierte – scheinen der Family einen weiteren Impuls zur Gewalttätigkeit gegeben zu haben. Ein Jahr vorher waren Mitglieder der Satan Slaves bei einem Ku-Klux-Klan-Treffen im Valley gesehen worden; sie hatten sich dort beklagt, dass Schwarze Wohlfahrtsgelder einsackten, die doch eigentlich so prächtigen weißen Kerlen wie den Slaves zustünden. So berichtete ein Reporter, der an diesem Treffen teilnahm.

Manchmal lungerten sie in Hollywood herum. Die Satan Slaves waren Stammkunden im Compleat Enchanter, einem Laden in Los Palmas, wo sie Medaillons kauften.

Manson beschäftigte sich intensiv mit der Frage, wie sich ein Gruppen-Freakout herbeiführen ließe. Um diese Zeit tauchte auf der Spahn-Ranch ein Biker auf, der Charlie eine Pflanze mit dem Namen Telache zeigte, von der man annahm, es handle sich um Belladonna (Tollkirsche). Charlie probierte das Zeug und lag drei Tage lang im Koma. Man sammelte Blätter der Pflanze, kochte sie und füllte das kaffeebraune Gebräu in Wasserkrüge ab. Sie wollten es in Wasserreservoirs schütten. Wer bei dem Beatnik-Belladonna-Boom Anfang der Sechziger Jahre so dumm war, Belladonna zu nehmen, weiß, wie rabiat dieses Telache ist.

Danny De Carlo erinnerte sich lebhaft daran: »Das macht dich irre, das Zeug, und du siehst kleine Leute und komische Sachen, einfach so, und du ballerst deinen Kopf gegen die Wand. Das macht dich wahnsinnig. Sie hatten ganze Krüge von dem Zeug, weil die Mädchen alle Blätter nahmen und ins Wasser taten und kochten, und heraus kommt dabei eine kaffeebraune Soße – ein braunes und unheimlich scharf schmeckendes Zeug.«

Manson hatte sogar vor, Raubüberfälle mit Hilfe von Telache zu unternehmen. Seine Idee war, sich bei einer Party in ein Haus einzuschleichen und den Leuten Belladonna in die Wassertanks zu tun.

De Carlo: »Alle sollten mit ihren Drinks Belladonna zu sich nehmen – und auf der Stelle wahnsinnig werden. Und wenn sie dann dalagen und sich krümmten und wanden und keine Ahnung hatten, was überhaupt mit ihnen los war, dann würden sie [die Mitglieder der Family] in aller Ruhe hineinspazieren und sich nehmen, was sie nehmen wollten, und tun, was sie tun wollten, und dann in aller Ruhe wieder hinausspazieren.«

Manson erwähnte häufig, er wolle in das Trinkwassersystem von Los Angeles LSD kippen. Die Family war überzeugt, ein solcher Massenkonsum von LSD würde die ganze Stadt in Gewalttätigkeit stürzen.

Um diese Zeit drehten Charlie und die Mädchen am Swimmingpool ihres Domizils an der Nicholas Canyon Road Nr. 2600 in den Hügeln oberhalb von Malibu einen Pornofilm. Die Grundstückseigentümerin, Mrs. Gibson, erhielt von ihren Nachbarn zahlreiche Beschwerden; in Begleitung ihres Rechtsanwalts inspizierte sie ihr Haus und entdeckte eine blutverschmierte Machete, von der die Polizei behauptete, Manson habe damit bei den Dreharbeiten irgend jemandes Arm aufgeschlitzt.

Nachdem sie zwei Wochen in der Villa in Mulholland, in der Nähe von Kannan, verbracht hatten, überredete die Family den 82jährigen George Spahn, sie auf die Spahn-Ranch zurückkehren zu lassen.

Aus dem protzigen Kannan-Ranchhaus klauten sie eine Wechselsprechanlage und einige andere Sachen, die sie hinter dem Müllhaufen auf der Spahn-Ranch versteckten, dort, wo später das Strandbuggy-»Montageband« entstehen sollte.

The Family (Deutsche Edition)

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