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15. Death Valley [Herbst 1968]
ОглавлениеZwei Tage nach den Morden in Ukiah verließ die Family die Spahn-Ranch. Manson hatte plötzlich beschlossen, zu »Grandma's Place« im Death Valley in Kalifornien aufzubrechen.
Mit den üblichen Seidenstoffen, Kissen und arabischen Wandteppichen schmückten sie den neuen Bus im maurischen Stil à la Manson.
Von dem weit abgelegenen Ort in der Wildnis des Death Valley hatte die Family durch eine gewisse Cathy Meyers alias Cathy Gillies alias Patty Sue Jardin erfahren. Cathy Gillies war auf einem Besitz, der zum Schürfgebiet erklärt worden war, hoch oben in den Randgebieten des Death Valley aufgewachsen. Die Ranch hieß nach Cathys Großeltern, denen der Besitz noch heute gehört, Meyers-Ranch. Die Meyers-Ranch befand sich ungefähr eine Viertelmeile östlich von der Barker-Ranch im Goler-Wash. Der Goler-Wash, einst ein Goldschürfgebiet, inzwischen ungenutztes Ödland, ist eine enge gefährliche Schlucht in den Panamint-Mountains, die das Panamint-Valley im Westen mit dem hügeligen Wüstenhochland in der Nähe der Meyers-Ranch im Nordosten verbindet. Cathy hatte Manson auf einer Ranch im Topanga-Canyon kennengelernt. Sie hing voll drin in der Los-Angeles-Musikszene, wo man sie als feuriges Buffalo Springfield-Groupie kannte.
Der grüne Bus kurvte einige Tage in der Gegend herum und fuhr dann zu »Großmuttern« ins Death Valley, wo er um Allerheiligen eintraf. Anschließend fuhr man mehrere hundert Meilen nach Norden weiter, nach Trona, einer kleinen Wüstenstadt, die von den Niederschlägen einer Pottasche-Fabrik geplagt wurde. Trona liegt nur wenige Meilen südlich vom Naturschutzgebiet des Death Valley. Von Trona aus fuhr die Family auf dem Highway 28 ungefähr zwanzig Meilen nordwärts zu einem langen, schmalen Salzsee; dort wandten sie sich nach rechts, setzten über den See und fuhren in die Geisterstadt Ballarat, wo sich der Ballarat General Store befindet, das einzige Lebensmittelgeschäft weit und breit.
Die Geisterstadt Ballarat – eine Minenarbeitersiedlung aus dem späten 19. Jahrhundert – dient den Grubenarbeitern in der Umgebung, die dort immer noch eifrig nach Gold suchen, als Versorgungszentrum. Sie liegt am Rande des 25 Meilen langen Salzsees, an der Kreuzung der Ballarat-Road und Wingate-Road, zwei Landstraßen von der Holterdiepolter-Sorte. Nachdem sie an der Westseite des Sees entlanggefahren waren, fuhr der Bus südwärts an der Ostseite entlang, wo das Ufer aus weichem Selenit besteht, eine hervorragende Salzquelle, die staatlich geschützt ist.
Auf der Wingate-Road sind es vierzehn Meilen von Ballarat bis zu dem engen Zugang des berühmten Goler-Wash. Der Bus fuhr vorbei an einer alten spanischen Pochmühle, einer einst mit Eseln betriebenen Erzzerkleinerungsanlage, von der nur noch ein verrosteter, von dem kahlen Hügel in den Himmel ragender Eisenschaft übriggeblieben war.
Während der Bus südwärts fuhr, sah man zur Linken, in einiger Entfernung, hoch oben in den Panamint-Mountains, die Cecil-R.-Mine liegen, eine kleine, von Menschen geschaffene Grube der Goldgier am Hang. Der Bus holperte am South-Park-Canyon vorbei, dann passierte er den Redlands-Canyon und darauf das Redlands Camp, wo die Harry-Briggs'-Schultag-Mine liegt.
Der Salzsee endet ungefähr zehn Meilen südlich vom Ballarat General Store, und einige Meilen weiter stößt man auf einen weißen Pfahl, der am rechten Straßenrand aus dem Dreck ragt und die fast versteckte Zufahrt zum Goler-Wash markiert.
Dort hielt sich der Bus links und begann den holprigen Aufstieg in Richtung Osten, der schmalen Mündung des Goler-Wash und den ausgetrockneten Wasserfällen entgegen, die den Weg zur Meyers-Ranch und zur Barker-Ranch bezeichnen.
Die Straße ist dort für normale Verkehrsmittel, vor allem für einen Bus voller Hippie-Vagabunden, so gut wie unbefahrbar. Die Straße durch Goler-Wash war Anfang des 20. Jahrhunderts in der Blütezeit der Goler-Wash-Goldfunde die Hauptverbindungsstraße zwischen Las Vegas und dem Panamint-Valley gewesen. Doch im Winter 1941 hatten verheerende Überschwemmungen die Straße weggespült, und alles, was von ihr übriggeblieben war, war eine Reihe steiler Wasserfälle. Einheimische Grubenarbeiter berichten, Cathy Meyers' Großvater habe diese Wasserfallstufen mit Dynamit gesprengt, damit Transportfahrzeuge zumindest notdürftig auf der Straße durch den Goler-Wash verkehren konnten.
Der Bus kam an dem verrosteten Wrack eines Fords, Modell T, und seinem in der Nähe im Staub liegenden Heckfenster vorbei und erreichte dann die erste Wasserfallstufe, wo eine seiner Bremsen blockierte; man sicherte die Hinterräder und ließ den Bus stehen.
Die Family legte die siebeneinhalb Meilen von der ersten Wasserfallstufe bis zur Meyers-Ranch zu Fuß zurück. Der Weg führt hier durch einen engen, steilen, aufklaffenden Bergeinschnitt, aus dessen Felswänden Säulenkakteen wie große grüne Finger herausragen.
Bald stießen die Family-Tippler auf den ersten ausgetrockneten Wasserfall. Nachdem sie ihn emporgeklettert waren, erreichten sie den zweiten Wasserfall, und dann, nach einer großen Rechtskurve, lag der dritte Wasserfall vor ihnen. Nach einer Linkskurve in Bumerangform, kamen sie zu dem gefährlichen Goler-Wash-Wasserfall, dann zum fünften, sechsten und siebten. Nun mussten sie sich an einem steilen Kliff entlang arbeiten. Von dort ging es nur noch zwei oder drei Meilen auf und ab durch das Bett des Creeks, dann hatten sie das Gelände der Barker-Ranch und der Meyers-Ranch erreicht.
Beim Aufstieg im Goler-Wash stößt man auf verschiedene Blockhütten, in denen Reisende übernachten können. Diese Blockhütten stehen immer offen. Die erste Hütte, auf die man trifft, ist die Newman-Hütte. Dann gibt es dort noch ein Gelände, das die Lotus-Mine genannt wird und ausgerechnet den Warner Brothers gehört; auf diesem Gelände befinden sich zwei Häuser und ein Grubenschacht am Berghang.
Nach ungefähr fünf Meilen gabelt sich der Weg bei den Sourdough-Quellen. Der linke Weg führt nach Norden, über den Mengel-Pass, zum Death Valley, der rechte direkt zur Barker-Ranch und dann zur Meyers-Ranch. Die Barker-Ranch besteht aus zwei kleinen Blockhütten und einem dritten größeren Hauptgebäude. Die Barker-Mine liegt ein Stück weiter im Goler-Wash, hoch oben an einem Steilhang, und ist nur über einen gefährlichen Fußpfad erreichbar. Altmetallsammler haben schon vor langem das Drahtseil und die Metallteile des Fülltrichters und des Transportwagens, mit dem man das Erz den Goler-Wash hinunterschaffte, fortgeschleppt.
Nachdem sie im Goler-Wash weiter in Richtung Osten zogen, stießen sie auf die Meyers-Ranch, einen gut erhaltenen Gebäudekomplex, zu dem ein Ranchhaus, ein Trailer und mehrere einzeln stehende Nebengebäude gehörten. Der wasserreiche Boden bringt verschiedene wilde Früchte, Wein und Wildgemüse hervor. Die Pflanzen bekommen ihr Wasser von einer Quelle, die aus einer Vertiefung im Berghang hervorsprudelt. Sie verbrachten einige Tage auf der Meyers-Ranch, doch erlaubte ihnen Cathy Meyers' Großmutter nicht zu bleiben, und so schlug die Family ihr Hauptquartier unten im Goler-Wash, in der verfallenen Barker-Ranch, auf, eine viertel Meile westlich von der Meyers-Ranch.
Ein Mann namens Ballarat Bob, ein einheimischer Goldgräber, hatte seit ungefähr dreieinhalb Jahren von der Barker-Ranch aus geschürft und war auch mehr oder weniger verantwortlich dafür, dass die Ranch in Ordnung gehalten wurde. Ballarat Bob hatte einige wilde Esel für seine Schürfexpeditionen abgerichtet. Kurz nachdem die Family um Allerheiligen auf der Barker-Ranch angelangt war, tauchte Ballarat Bob mit einem Freund auf und fand nackte Hippies vor, die sich in seiner Bude breitgemacht hatten. Doch was hätte er tun sollen, wo es weit und breit in der Gegend keine Polizeistreifen gab?
Die Barker-Ranch ist von einem Zaun umgeben. Auf dem umzäunten Gelände lagern die Spuren von vierzig oder fünfzig Jahren Leben in der Wüste. Man sieht dort mehrere kaputte Laster, einen Hühnerstall und auf dem hinteren Hügel befindet sich ein alter, birnenförmiger Beton-Swimmingpool.
Dann waren da noch die Überreste eines Erzmahlwerks, der Rumpf eines Flugzeugs aus dem Zweiten Weltkrieg, Flügeltanks und ausgebaute Cockpitteile. Dort lag auch der riesige Reifen, mit dem Ballarat Bob den Goler-Wash zu planieren pflegte, um den Zufahrtsweg wenigstens einigermaßen befahrbar zu machen. Die ständige Benutzung des Goler-Wash, vor allem mit Strandbuggies, bewirkte, dass das Trockenbett selbst mit Wagen mit Vierradantrieb nicht mehr zu bewältigen war, weil die durchdrehenden Räder den ganzen Kies fortgefegt und so die glatten Felsblöcke bloßgelegt hatten.
Das Haupthaus der Barker-Ranch ist ein L-förmiges Gebäude, dessen Küche mit einem Herd und einem Eisschrank ausgestattet ist. Die Stromversorgung funktionierte zu jener Zeit nicht; man benötigte dafür einen Generator, da die Ranch fünfzig Meilen von der nächsten Überlandleitung entfernt liegt. Es gab eine ausbetonierte Badewanne, eine Dusche und über dem Waschbecken eine kleine Hausapotheke. Daneben befand sich jene kleine Truhe, in der man Manson ein Jahr später aufspüren sollte. Ballarat Bobs Schlafraum befand sich ebenfalls im Hauptgebäude sowie ein Lager von Matratzen, ein Refugium, in dem es sich die Family bequem machte.
Die einzigen Transportmittel, die sie besaßen, waren Juanitas Dodge-Caravan und Gregg Jakobsons Jeep, den sie von Dennis Wilson bekommen hatten.
Für Manson war es das Paradies. In dieser Wildnis, wo nur ganz selten Polizeistreifen auftauchten, konnte er tun und lassen, was er wollte. Der Ort war so abgelegen wie Xtul in Mexiko.
Manson freundete sich mit den Goldschürfern an, die, auf der Suche nach der Mommie-Mine, unermüdlich das Bergland des Death Valley durchkämmten. Manson brachte oft Steine von den verschiedensten Quarzadern mit und zeigte sie den Goldsuchern. Im Death Valley leben auch viele jüngere Goldschürfer, von denen manche Pot rauchen oder lange Haare haben. Es kommt einem merkwürdig vor, wenn man hört, wie sich in einer Sommernacht in einem Goldschürfercamp die Männer über Rockmusik, Goldsuche, Mineralien und die Grateful Dead unterhielten. Auch einige von den älteren Bergleuten lernten Manson kennen, und sie fragten ihn nach den Plätzen, wo er die vielversprechenden Steine gefunden hatte. Manson erzählte später, er habe einigen Goldsuchern mögliche Fundstellen gezeigt und sie hätten ihm dafür eine prozentuale Beteiligung an eventuellen Gewinnen versprochen.
Die Mythologie der Hopi-Indianer kennt den Mythos vom »Auftauchen aus der Dritten Welt«. In diesem Mythos ist die Rede von einer großen, unterirdischen Welt, aus der das Hopi-Volk in diese Welt gelangt sein soll. Manson war davon überzeugt, dass die Existenz des »Lochs« geologisch denkbar sei.
Irgendwann im Herbst 1968 ließ das »Loch« Manson keine Ruhe mehr. Er glaubte, das »Loch« sei eine große, unterirdische Stadt, wo er mit seiner Family leben und der Verworfenheit der Mutterkultur entfliehen könnte. »Ich fand in der Wüste ein Loch, das zu einem Fluss hinabführt, und dieser Fluss fließt unter der Erde nordwärts, und ich nenne dieses Loch den bodenlosen Schlund, denn wo könnte ein Fluss schon unter der Erde nordwärts fließen? Man könnte mit einem Boot darauf fahren. Ich habe dieses Loch zugedeckt, und ich habe den Zugang zu ihm versteckt. Ich nannte es ... das ›Loch des Teufels‹ [Devil's-Hole].«
Man weiß nicht, wer oder was ihn zu dem Glauben inspiriert hat, dass ihn und seine Anhänger ein unterirdisches Paradies erwarte. Vielleicht war es eine Vision auf einem LSD-Trip. Wer weiß? In früheren Zeiten war des Öfteren behauptet worden, dass es unter dem Death Valley eine riesige Höhle, so groß wie eine ganze Stadt, gäbe, durch die der unterirdische Amargosa fließe.
Das Death Valley sei, so sagt man, ein geologischer Graben, der sich zwischen Gebirgsformationen entwickelt habe, die durchaus einen großen, unterirdischen Hohlraum beherbergen könnten. Doch ganz gewiss ist das kein Ort mit Schokoladenbrunnen und Schlaraffenlandbäumen, der bereits von einer eigenen Menschenrasse bewohnt wird, wie die Family es sich schließlich einbildete.
Die Family behauptete sogar noch 1970, es gäbe am Rand des Death Valley Zugänge zum Amargosa. Sie unternahm Streifzüge, um verborgene Zugänge zum »Loch« zu finden, denn sie glaubte, es gäbe irgendeine okkulte Verschwörung, die den Zugang zum Paradies geheim hielt. Manson hat anscheinend behauptet, er selber habe Zugang zu dem »Loch« gehabt und auch hinabsteigen dürfen – zumindest hat er es seinen Anhängern eingeredet.
Man war der Ansicht, einer der Zugänge zu dem »Loch« sei das sogenannte Devil's-Hole in der Nordwestecke des Death Valley-Naturschutzgebietes, dort, wo dieses Gebiet ein Stück nach Nevada hineinragt. Das Devil's-Hole, durch einen Zaun vor neugierigen Besuchern geschützt, ist ein unheimliches Wasserloch, in dem es, wie die Family berichtete, blinde Fische geben soll. Zwei Sporttaucher, die versuchten, bis auf den Grund dieses Wasserlochs zu gelangen, sind dort vor einigen Jahren ertrunken.
Wer das Devil's-Hole besuchen will, fährt am besten auf der Route 127 zum Death Valley. Von dort geht's weiter zu einer Stadt namens Death Valley Junction. Hier muss man sich rechts halten und bis nach Ash-Meadows-Rancho fahren. Dann nimmt man eine ungefähr in nördlicher Richtung verlaufende Landstraße, die die Grenze von Kalifornien nach Nevada kreuzt und zum Devil's-Hole führt. Manson meinte, dieses Devil's-Hole sei der Schlüssel zu dem »Loch«.
Drei Tage lang meditierte Manson niedergeschlagen und demütig am Rande des »Lochs« über den Sinn dieses bodenlosen Schlundes. Dann dämmerte es ihm: Das Wasser im Devil's-Hole musste die Pforte beziehungsweise der Sperrmechanismus sein, der den Zutritt zur Unterwelt verhinderte; gelänge es ihm, das Wasser abzusaugen, so müsste sich das »Goldene Loch«, der Schokoladenbrunnen, öffnen.
Er verhandelte mit einer Pumpenfirma, die ihm für das Leerpumpen des Devil's-Hole einen Kostenvoranschlag über 33.000 Dollar gemacht haben soll.
Manson fand – auf metaphysischer Basis – weitere Bestätigungen für die Existenz eines solchen »Lochs« in den Schlüsselpassagen der Offenbarung. War es nicht schick, auf Heuschrecken zu verweisen, die aus der bodenlosen Grube, dem puteum abyssum, hervorkommen – wie im 9. Kapitel der Offenbarungen des Johannes prophezeit?
Für Charlie nahm ein neues Wesen Gestalt an: der Teufel aus dem bodenlosen Schlund unter dem Death Valley. Huhuu!
In diesem Herbst in der Wüste unterzog sich Manson bei starker Kälte nackt einer langen Meditationssitzung, bei der er den Tod entdeckte. Tatsächlich kursierte unter Mansons Anhängern eine Legende, nach der er seinen »endgültigen Tod« erfahren haben soll, als er im Death Valley-Naturschutzgebiet eine lebende Klapperschlange aufhob. Und Paul Watkins erzählt, wie er und Charlie eines Tages einer Klapperschlange begegnet seien und wie Charlie ihn überredet hätte, sich direkt vor sie hinzuhocken und es Aug' in Aug' mit ihr »auszumachen«. Bei seiner Offenbarung in der Wildnis scheint Manson eine Erfahrung gemacht zu haben, die, zum Beispiel unter Psilocybin, schon Tausende vor ihm gehabt haben – die Erfahrung der Todesergebenheit.
Charlie erwähnte in diesem Zusammenhang stets eine endgültige Erleuchtung, die ihm während dieser Meditation in der Wüste gekommen sei: »Einmal ging ich durch die Wüste, und ich hatte eine Offenbarung. Ich war ungefähr 45 Meilen gegangen, und das ist für einen Wüstenmarsch eine ganze Menge. Die Sonne brannte auf mich nieder, und ich hatte Angst, weil ich den Tod nicht akzeptieren wollte. Meine Zunge schwoll an, und ich konnte kaum atmen. Ich brach im Sand zusammen. Ich schaute auf den Boden, und aus dem Augenwinkel sah ich diesen Felsen. Und ich erinnerte mich, wie ich da, als ich ihn so anschaute, völlig verrückt dachte: Hier müsste es sich doch genauso gut sterben lassen wie anderswo auch.«
Dann begann er zu lachen. »Ich lachte wie ein Irrer, so glücklich war ich.« Danach sprang er »mit Leichtigkeit« auf und ging schnurstracks zehn Meilen weit, bis er in Sicherheit war.
Manson entwickelte im Death Valley eine starke Vorliebe für den Kojoten, den Räuber aller Räuber. Kein Tier ist bei seiner Nahrungssuche heimtückischer und arroganter als der Kojote.
Von da an pries er einen Geisteszustand, den er »Kojotenoia« nannte. Die grundlegende Äußerung Mansons zur Kojotenoia lautete folgendermaßen: »Christus am Kreuz, der Kojote in der Wüste – das ist ein und dasselbe. Der Kojote ist schön. Er bewegt sich graziös durch die Wüste, er ist kaum wahrnehmbar, er ist sich aller Dinge bewusst, schaut um sich. Er hört jedes Geräusch, wittert jeden Geruch, sieht alles, was sich bewegt. Er befindet sich immer in einem Zustand völliger Paranoia, völlige Paranoia aber ist totale Bewusstheit. Du kannst vom Kojoten lernen, genauso wie du von einem Kind lernst. Ein Baby kommt zur Welt in einem Zustand der Angst. Völlige Paranoia und totale Bewusstheit ...«
Gregg Jakobson wollte seinen Jeep, den Wilson an Manson gegeben hatte, zurückhaben. So fuhren Jakobson und Dennis Wilson am 24. November 1968 ins Death Valley, um den Jeep zu holen. Der Jeep war inzwischen irgendwo im Goler-Wash mit einem Motorschaden liegengeblieben, so dass sie ihn aus dem Tal hinaus nach Trona abschleppen mussten, um ihn dort reparieren zu lassen. Manson fuhr mit. Im Goler-Wash überfuhr Jakobson eine Spinne, was Manson sehr verärgerte. Lieber einen Menschen, meinte er, als eine Spinne.
Jakobson und Wilson nahmen Manson aus dem Death Valley mit nach Los Angeles; vielleicht war der Grund, dass man die bevorstehende Veröffentlichung des von Manson stammenden Songs feiern wollte.
Zwei Wochen später kehrte Jakobson per Motorrad zum Goler-Wash zurück, doch hatte er in dem tückischen Gelände eine Panne. Er ging zu Fuß zurück nach Trona, holte dort seinen Jeep, der eben repariert worden war, verstaute das Motorrad auf dem Rücksitz und fuhr zurück nach Los Angeles.
Am 8. Dezember 1968 brachten Capitol Records die Beach Boys-Single mit dem Titel »Bluebirds Over The Mountain« und »Never Learn Not To Love (Cease To Exist)« auf der B-Seite heraus. Zum ersten und einzigen Mal war Charlie Manson in den Charts, wenn auch nur auf Platz 61 und ohne Nennung seines Namens.
Doch am 7. Dezember 1968 trug sich ein noch wichtigeres Ereignis zu. Capitol Records veröffentlichten ein weißes Doppelalbum mit 30 Beatles-Songs, unter denen sich solche Dope-Juwelen wie »Sexy Sadie«, »Rocky Raccoon«, »Blackbird«, »Revolution« und »Helter Skelter« befanden – und alle verkündeten sie, so glaubte Manson, seine Eroberung der Welt.
Manson legte Text und Musik dieser Beatles-Songs wie heiliges Schrifttum aus. Nachdem Wilson und Jakobson ihn Ende November aus dem Death Valley mit nach Los Angeles genommen hatten, scheint sich Manson an der Topanga-Lane, an der Mündung des Topanga-Canyon, beim zerstörten Wendeltreppenhaus aufgehalten zu haben.
Das Wendeltreppenhaus, wo Manson und seine Crew ein Jahr zuvor herumgegammelt hatten, war inzwischen abgerissen worden. Manson hauste in einem blauen Bus, der bei dem Haus geparkt war.
Anfang Dezember 1968 schickte Manson das Acid-As Bruce Davis nach England, wo sich dieser ungefähr fünf Monate lang aufhielt.
Little Paul beschrieb den Anlass als einen Geh-nach-Rio-und-besorg-mir-eine-Kokosnuss-Vorfall; Manson habe Davis aufgefordert, eine Weltreise zu machen und sich dann wieder zurückzumelden. Wie auch immer. Bruce Davis reiste zusammen mit zwei Gefährten über Nordafrika nach England.
In diesem Zusammenhang ist auch behauptet worden, dass Davis 500 Silberdollar nach England mitgenommen habe, um sie dort zu verkaufen. Intime Kenner des Tate-LaBianca-Falles werden darin einen aufschlussreichen Hinweis sehen, falls Davis die Silberdollars tatsächlich nach England geschafft hat.
In London nahm Davis Kontakt mit der Church of Scientology auf, um dort an Seminaren teilzunehmen. Die Church of Scientology beschäftigte ihn für kurze Zeit in ihrer Postabteilung Doch heißt es dort, dass Davis nach wenigen Wochen gefeuert wurde, weil er es nicht lassen konnte, Drogen zu nehmen.
Davis hielt sich einige Monate in London auf, wo er – laut einem prominenten Kriminalbeamten aus Los Angeles – Verbindung mit einem sehr brutalen Flügel der Fraternity of Lucifer aufnahm. Mitglieder dieser Londoner Satanisten-Kirche hatten sich zu der Zeit in San Francisco und Los Angeles aufgehalten, als Manson seine eigene Final Church gründete.
Die Führer dieser okkulten Vereinigung hatten seit Jahren die Welt auf der Suche nach bereits bestehenden Gruppen durchstreift, mit denen sie sich zusammentun konnten. So hatten sie zum Beispiel in Toronto mit einer Sekte Verbindung aufgenommen und zusammengelebt, die im Jahre 1967 in einen Fall von Teufelsaustreibung verwickelt war, bei dem ein Mädchen zu Tode geprügelt worden war.
Manson und seine Crew fielen diesem emsigen satanischen Wirken zum Opfer, weil sie, und das gilt für Manson ganz besonders, keine humanistischen Wertvorstellungen hatten, auf die sie hätten zurückgreifen können. Als Manson noch ein Kind war, hatte man seine Mutter wegen eines bewaffneten Raubüberfalls ins Gefängnis gesperrt. Sein Vater hatte sich abgesetzt. Später forderte die Mutter ihren Sohn zurück, doch übergab sie den Halbwüchsigen noch vor seinem dreizehnten Lebensjahr den Jugendbehörden. Er hatte nichts, woran er sich halten konnte. Er wuchs in ein Verbrecherleben hinein, so als wäre er im Indien des 19. Jahrhunderts in einer Familie der Thugs groß geworden und von Anfang an für das brutale Mörderleben der Thugs bestimmt gewesen.
Und der Fluch wirkte fort: Mansons Sohn Mark, unter diesem Namen kennt man ihn in seiner Heimatstadt im östlichen Ohio, kam durch einen Schrotschuss bei einer Messerstecherei ums Leben, und zwar kurz bevor Manson selbst wegen der Tate-LaBianca-Morde zum Tode verurteilt wurde.
Wenn Organisationen mit solchen abscheulichen Zielen neue Opfer rekrutieren wollen, müssen sie sich mit einer Fassade ausstatten, die ihre wahren Ziele verheimlicht und neue Anhänger nicht abschreckt. So lässt sich beispielsweise denken, dass eine geheime Teufelssekte eine »Strohmanngruppe« gründet, sie »Humaninstitut für okkultes Gruppenblödeln« nennt und in ihrem Namen in der Overground- und Underground-Presse Anzeigen für esoterische Kurse in psychologischer Therapie aufgibt. Nun braucht sie die Angeschmierten nur noch einzuweihen. Mansons Rockgruppe The Milky Way scheint im Hauptquartier einer solchen »Strohmannorganisation« in Los Angeles aufgetreten zu sein.
Manson hat Methoden der Gruppenbewegung benutzt – nur dass er die positiven Absichten dieses Verfahrens ummünzte, um eine Christus-Teufel-Schizophrenie zu fördern. Ein Verkünder der Teufelsverehrung kann unter geistig Kranken als der starke Mann auftreten. Was für Blutsauger sind doch diese Satanisten, die ihre wahren Neigungen verheimlichen. In gespenstischen Nächten in entlegenen Canyons, beschützt von scharfen Hunden, können die verderbten Ausbeuter der Verlierer in aller Ruhe ihre Verbrechen begehen.
In Kalifornien herrscht in den verschiedenen Kreisen, die der sogenannten weißen Magie anhängen, eine schreckliche Furcht vor diesen blutzapfenden Satanisten. Da war zum Beispiel eine Gruppe von Satanoiden, deren »Mitgliedsnadel« man im Topanga-Canyon in der Nähe der Grabstelle einer enthaupteten Ziege fand – der Kopf dieser Ziege war bei einer Zeremonie verwendet worden. Der bloße Anblick dieser Nadel – eine kleine Darstellung der Satansziege auf goldenem Grund – genügte bereits, um bei einigen Mitgliedern nicht ganz so fanatischer Religionsgemeinschaften, die vom Autor dieses Buches interviewt wurden, sichtbare Bestürzung und Unruhe auszulösen.
Die Teufelsgesellschaft, der sich Manson anschloss, betrachtete die ganze Schöpfung und das Wirken des menschlichen Geistes als ein Werk des Teufels. »Das Denken ist die Erfindung des Teufels«, so erklärte Manson später einem berühmten Sänger. Es war eine rassistische Horde, die Schwarze hasste. Ihre Mitglieder beteten Hitler an und speziell das Hakenkreuz. Manson hatte eine große Vorliebe für das Hakenkreuz, er schmückte Briefe damit, und manchmal malte er es auf die Stirn oder die Herzgegend von Teufelsbildern.
Der Teufelsanbeter, den man nach dem Verspeisen eines Herzens festnahm und unter Mordanklage stellte, hatte auf der einen Hand eine Hakenkreuztätowierung und am Körper verschiedene andere okkulte Tätowierungen, deren Bedeutung er nicht verraten wollte. Die Freundin dieses Mannes hatte eine Hakenkreuztätowierung auf der Brust. Er behauptete, es mache ihm Spaß, Hakenkreuze in die Brust seiner Opfer zu schneiden.
Dieser Oberteufel bediente sich seiner jungen Adepten als Helfershelfer und ergötzte sich daran, wenn sie als seine Stellvertreter ausschwärmten, um sich ans Werk zu machen. Einer seiner Anhänger – er war wegen Mordes angeklagt – wurde im Gefängnis offenbar vom Grand Chingon von Santa Cruz besucht, der ihn zu der hervorragenden Arbeit beglückwünschte, die er geleistet hatte, als er ein Opfer ins Jenseits beförderte. Der Angeklagte behauptete, auf Befehl hin gehandelt zu haben: »Man hat mir gesagt, ich muss Kriegspillen, also Speed, schlucken und dass die Frau geopfert werden müsse.« Bei den Opferritualen im Freien, so erklärte er, stellte die Gruppe einen Holzaltar mit »tausend Drachen« auf – offenbar meinte er damit einen holzgeschnitzten Schrein mit Tiermotiven. Außerdem hatte die Gruppe einen tragbaren »hölzernen, mit einer Mulde versehenen Autopsietisch«, auf den man das Opfer legte und festschnallte.
Das Hinrichtungswerkzeug bestand aus einem Set von sechs Messern, die an einer footballförmigen Halterung angebracht waren. Die Messer waren verschieden lang: wenn der Todesball sich auf den Altar herabsenkte, drangen zuerst die längeren Messer auf der einen Seite des Werkzeugs in die Magengrube ein und dann die beiden kürzeren Messer auf der anderen Seite des Instruments in das Herz – so verrichteten die Verehrer des Bösen das Böse. Anschließend wurde das Herz von ihnen verzehrt.
Weiter erklärte er, dass die Sekte ein transportables Krematorium besaß, in dem die »Beute« verbrannt wurde – offenbar um die Überreste zu beseitigen.
Der Zeuge berichtete, er habe Opferungen beigewohnt, bei denen zwei Gruppen zugegen gewesen seien: eine Gruppe von ungefähr vierzig jüngeren Leuten und eine andere Gruppe von etwa fünfzehn älteren Leuten.
Erstaunlicherweise soll bei diesen vom Oberteufel/Chingon in den Bergen von Santa Cruz geleiteten Todesritualen zumindest eines der Opfer aus freiem Willen seine Rolle eingenommen haben, eine junge Frau, die in der ersten Novemberwoche 1968 in der Nähe des Boulder Creek, im Süden der Stadt, umgebracht wurde.
Der Zeuge erklärte, die Rituale seien später in der Gegend des O'Neil-Park, in den Santa-Ana-Mountains, abgehalten worden. Eines der Opfer habe dort einen schrecklichen Kampf gekämpft, bevor es vom Oberteufel ins Jenseits befördert wurde.
Zu den Ritualen des Grand-Chingon-Kults gehörte auch das Töten von Hunden, eine Aktivität, die laut Susan Atkins auch von den programmierten Anhängern jenes anderen »Chingon« , Charlie Manson vollzogen wurde.
Vom Juni 1968 an fanden Beamte in der Gegend von San Jose, Santa Cruz und Los Gatos immer wieder Überreste von ausgebluteten und oftmals enthäuteten Hunden. Der Leiter des Tierheims von Santa Gruz erklärte: »Wer immer das getan hat, muss ein Meister im Umgang mit dem Messer sein. Die Haut wurde abgelöst, ohne dem Fleisch auch nur einen Kratzer zuzufügen. Das Sonderbare aber ist, dass man diese Hunde völlig hat ausbluten lassen.«
Als später Sheriffbeamte aus Los Angeles auf einem abgelegenen, von der Family benutzten Zeltplatz auf dem Gelände der Spahn-Ranch nach der Leiche des Stuntmans Shorty Shea gruben, stießen sie auf Berge von Tierknochen, darunter viele Hühnerknochen – ein ziemlich sonderbarer Fund, wenn man bedenkt, dass die Mitglieder der Family Vegetarier waren.
Ein anderes Mitglied einer dieser Satanistengruppen, der von der Polizei in der Nähe von Big Sur aufgegriffen wurde, tat vor dem Untersuchungsrichter folgenden klassischen Ausspruch: »Ich hab ein Problem, ich bin Kannibale.« Er war von der Sekte in der Nähe eines Campus' in Wyoming angeworben worden; dort hatte er an einem zeremoniellen Blutgelage teilgenommen, die ersten Unterweisungen erhalten und war dann in die kalifornischen Aktivitäten dieser Horde eingeweiht worden.
Nach der Festnahme zog er aus seinem Lederbeutel einen Menschenfingerknochen und sagte dem Polizeibeamten, wo die dazugehörige Leiche zu finden sei; es handelte sich um sein letztes Opfer, das erst vor drei Tagen getötet worden war. Das Herz war entfernt und verzehrt worden.
In der Zeit des späteren Tate-LaBianca-Prozesses ereignete sich eine schrecklicher Mehrfachmord in Kalifornien, von dem ein Augenzeuge berichtete, er habe gesehen, wie sich mit Umhängen und Kapuzen bekleidete Menschen in einer Prozession singend einen Strandhügel hinunter auf die Opfer zu bewegt hätten. In der Prozesspause hörte man ein Mädchen der Manson-Family aufgeregt über diesen Fall sprechen; sie sagte, das sei das Werk von »Maxwell's Silver Hammer«. Umpf.
Wie kann so etwas geschehen und warum werden solche Leute nicht festgenommen, fragte ich mich während der Recherchen zu diesem Buch. Die Polizeibehörden, denen aus juristischen Gründen und infolge strenger Verfahrensvorschriften die Hände gebunden sind, hatten Schwierigkeiten, präzise Informationen über die Kult-Killer einzuholen. Ein echter Satanist, verschlagen, erfahren und ohne moralische oder ethische Skrupel – ist nicht so leicht dingfest zu machen.
Im 19. Jahrhundert brauchte Sir William Sleeman, der Leiter einer Kommission zur Untersuchung des Bandenwesens der Kali-verehrenden Thugs in Indien, viele Jahre, um diese Organisation zu zerschlagen. In der Öffentlichkeit herrschte damals große Apathie. Die Geheimhaltungsschwüre der Thugs, ihre geheimen Raubmorde, ihre religiösen Zeremonien für die blutdürstige Göttin Kali – das alles überforderte die Menschen damals.
Das Volk, niedergedrückt von Katastrophen, in Abhängigkeit gehalten von gewinnsüchtigen Herrschern, wollte einfach nicht glauben, dass eine Gruppe einzelner auf Grund seltsamer Rituale und als Teil eines religiösen Kults, der in diesem Fall der Göttin Kali geweiht war, gewissenlos töten, rauben und foltern konnte.