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8. Die Hexen von Mendocino [Juni – August 1968]
ОглавлениеManche erinnern sich, dass vor allem Sadie scharf darauf war, alle Leute, die sie kennenlernte, nach Los Angeles zu schicken und »Charlie kennenzulernen«. Die Zeit ging ins Land. Irgendwann, wahrscheinlich Ende Mai 1968, entschloss sich Charlie, mit dem schwarzen Bus einen Erkundungstrupp nordwärts ins Mendocino-County zu schicken, um dort einem geeigneten Lagerlatz für einen Daueraufenthalt zu finden. Susan Atkins alias Sadie Mae Glutz war die Anführerin dieses Trupps und fuhr den Bus. Charlie schickte regelmäßig kleine Gruppen seiner Anhänger hierhin und dorthin.
Charlie selbst blieb, umgeben von einem Kern auserwählter Jünger, um des Spaßes und des Spieles willen in Wilsons Haus zurück. Malibu Brenda, Sandy Good,
Ouisch, Squeaky Fromme und Snake/Lake waren die Mädchen, die Charlie auserwählt hatte, ihm in diesen leichtlebigen Monaten am Sunset-Boulevard zur Verfügung zu stehen.
Bevor es in den Norden nach Mendocino ging, hielt sich Susan Atkins Gruppe noch ein Weilchen bei einer Kommune in der Clayton Street Nr. 532 auf, ein paar Häuser hügelaufwärts oberhalb der Haight-Ashbury Free Medical Clinic. Mary Brunners sieben oder acht Wochen altes Baby, Pooh Bear, hatte eine Pilzinfektion und wurde in der Free Clinic behandelt.
Der Bus mit der Family – ohne Manson – erregte einiges Mitgefühl. Ständige wurden sie von der Polizei schikaniert, und dann waren da diese bescheuerten Festnahmen wegen Marihuana. Und die Mädchen waren, wie Beobachter berichteten, eifrige Werber neuer Anhänger. Sie waren begeistert, diese Mädchen, und während ihres Aufenthalts in Mendocino-County taufte man sie die »Hexen von Mendocino«. Die Mitarbeiter der Haight-Ashbury Clinic hatten wohl bereits von ihnen gehört, denn Mansons ehemaliger Bewährungshelfer, Roger Smith, hatte die Bewährungshilfe an den Nagel gehängt und im Januar 1968 in Zusammenarbeit mit der Haight-Ashbury Clinic ein Programm zur Beratung und Behandlung von Drogensüchtigen gegründet.
Die Klinik befand sich in einem mehrstöckigen Haus, gleich hinter dem Panhandle Park in der Clayton Street. Mehrere Mitarbeiter der Klinik begannen, sich mit der Gruppe zu befassen. Al Rose, der Verwaltungsdirektor der Klinik, sammelte Material über die Mädchen, als diese in einem Gefängnis in Mendocino-County saßen, und besuchte sie anschließend auf der Spahn-Ranch. Er und Dr. David Smith, der ärztliche Direktor der Klinik, verfassten später eine gemeinsame Arbeit über die Family von 1968, unter dem Titel »The Group Marriage Commune: A Case Study«. Diese in wissenschaftlicher Terminologie gehaltene und mit Fußnoten angereicherte Studie erschien 1970 in der Novemberausgabe des Journal of Psychedelic Drugs, einer gut gemachten und lesenswerten Publikation zur Analyse der sogenannten Drogenkultur.
Die Haight-Ashbury Free Clinic war Ende 1966, kurz vor Beginn der Flower-Power-Bewegung, eröffnet worden. 1967 hindurch behandelte man die zahllosen Blumenkinder und die Klinik kämpfte tapfer um ihr Weiterbestehen. Einmal musste sie in diesem Jahr vorübergehend schließen, weil es an Geldern fehlte, doch bald schon konnte sie ihre Tore wieder öffnen. Um zu überleben, war sie auf enge Kontakte zu Stiftungen angewiesen, denn nur so konnte sie die notwendigen Subventionen erhalten. Zusätzlich hatten in den vorherigen Jahren die Rockbands von San Francisco gelegentlich Benefizkonzerte zugunsten der Free Clinic veranstaltet.
Befassen wir uns kurz mit der Free Clinic – in der lokalen Presse hatte sich im Frühjahr 1968 ein gewisser Unwille breit gemacht, denn am Ostersonntag wollte die Free Clinic im ehrwürdigen Palace of Fine Arts ein Rock 'n' Roll-Wohltätigkeitskonzert veranstalten und erhoffte dadurch zu jenen 12.000 oder 13.000 Dollar zu kommen, die sie dringend brauchte.
Big Brother and the Holding Company mit Janis Joplin und Quicksilver Messenger Service sollten spielen. Doch gewisse Bürger von San Francisco protestierten: der vornehme Palace of Fine Arts dürfe nicht für ein Rock-Konzert missbraucht werden, um damit ausgerechnet den Tripper-verseuchten Hippie-Abschaum zu unterstützen. Damit setzen sie sich durch und das Konzert musste in letzter Minute in den Carousel Ballroom verlegt werden.
Irgendwann im Frühjahr oder Sommer 1968 begann Inez Folger, die Mutter von Abigail Folger, die Haight-Ashbury Free Medical Clinic zu unterstützen und als freiwillige Hilfskraft an dem von Roger Smith geleiteten Programm zur Behandlung Drogensüchtiger mitzuarbeiten. Einem leitenden Mitarbeiter der Klinik zufolge half Mrs. Folger dabei, dass die Free Clinic von der Bothin Foundation eine Subvention und vom Merrill Trust 25.000 Dollar erhielt. In dem Jahr ihrer Tätigkeit an der Klinik veranstaltete sie in ihrem Haus mehrere Wohltätigkeitspartys. An einer dieser Partys nahmen auch Abigail Folger sowie Colonel Paul Tate und seine Frau teil, und anscheinend waren auch Mitglieder der Manson Family, ja vielleicht sogar Manson selbst bei dieser Cocktailparty anwesend.
Roger Smith, der vormalige Bewährungshelfer von Charlie Manson, erinnert sich, wie schlecht ihm wurde, als er eines Tages Ende 1969 in der Haight-Ashbury Clinic die Schlagzeilen über die Verhaftung der Family wegen Mordes las und ihm die Benefizparty bei Inez Folger einfiel.
Irgendwann in der ersten Junihälfte also fuhren die Mädchen von San Francisco nordwärts nach Mendocino-County, um sich dort nach einer Bleibe für die Family umzusehen. Eine Zeitlang hielten sie sich bei einer Art Kommune auf, die ein Haus etwas abseits von der Route 128 bewohnte, in der Nähe von Philo, nordwestlich von Ukiah, im Dope-Land.
Am 21. Juni 1968 rief kurz nach Mitternacht eine gewisse Mrs. Rosenthal aus Booneville, Kalifornien beim diensthabenden Hilfssheriff von Mendocino-County an und bat, er möge einen Beamten zu ihr schicken, weil jemand ihrem siebzehnjährigen Sohn Rauschmittel gegeben habe. Als die Polizei eintraf, redete der junge Allen gerade von seinen Beinen, so als wären sie Schlangen, und hatte Farbhalluzinationen. Er erzählte der Polizei, die »Hexen von Mendocino« aus dem Hippiehaus bei Philo hätten ihm eine kleine blaue Tablette verpasst.
Noch in derselben Nacht veranstaltete die Polizei in besagtem Hippielager eine Razzia. Sie stieß dort auf fünf Mädchen (die Hexen von Mendocino), drei Männer und ein Kind, Pooh Bear. Die Polizisten durchsuchten das Haus und die Umgebung. In einem Holzschuppen neben dem Haus fanden sie eine Filmdose, die Marihuana und einen kleinen Plastikbeutel mit blauen LSD-Körnern enthielt. Sie hatten die Kommies mit Dope erwischt! Festgenommen wurden Ella Beth Sinder alias Yeller, Mary Brunner, Patricia Krenwinkel, Sadie Mae Glutz, ein Mädchen namens Mary Ann Scott, Robert Bomse, Peter Kornbuth und Eugene Nagle, dazu der elf Wochen alte Valentine Michael Manson alias Pooh Bear.
Nach der Verhaftung rief eines der Mädchen in Dennis Wilsons Haus in Los Angeles an, um Charlie zu informieren.
Am nächsten Tag, den 22. Juni 1968, wurden Sadie Mae Glutz und andere wegen erwiesenen Besitzes einer gefährlichen Droge (Verstoß gegen §11910 des kalifornischen Health & Safety), wegen vorsätzlicher Verabreichung einer Droge an einen Minderjährigen (Verstoß gegen §11913) und wegen Besitzes von Marihuana (Verstoß gegen § 11530) unter Anklage gestellt.
Patricia lief unter dem Namen Katherine Smith. Offenbar hatte Mary Brunner Angst, man werde sie für schuldig erklären; in der Annahme, Katie habe die besten Chancen davonzukommen, erzählten die Mädchen der Polizei, der kleine Sunstone Hawk alias Pooh Bear sei ihr Baby. Die Mädchen befürchteten, man könnte ihnen Pooh Bear wegnehmen, wenn herauskäme, dass Mary Brunner erst vor kurzem in Oxnard, Kalifornien wegen unzüchtigen Stillens ihres Kindes in der Öffentlichkeit verhaftet worden war.
Natürlich konnten die Mädchen keine Kaution stellen. Pooh Bear wurde seiner Mutter weggenommen und kam in ein Kinderheim. Als Pflegeeltern des Kindes wurden Roger Smith von der Free Clinic und seine Frau eingesetzt. Wie Roger Smith später erzählte, hatte er zeitweilig bei der Bewährungsabteilung im Mendocino-County gearbeitet und auf diese Weise kamen er und seine Frau wohl irgendwie als Pflegeeltern ins Spiel. Es stellte sich – Schrecken über Schrecken – heraus, dass das Baby nicht nur keine Geburtsurkunde hatte, sondern auch noch unbeschnitten war. Beides wurde schnellstens nachgeholt.
So schmachteten die Mädchen im Gefängnis. Zwar wurden einige der Anklagepunkte während einer Anhörung am 2. Juli fallengelassen, aber aufgrund einer sogenannten Ergänzungsklage wurden sie noch im Gerichtssaal wieder verhaftet und weiter im Gefängnis festgehalten.
Während die Hexen von Mendocino im Norden eingesperrt blieben, hielt sich Manson fast den ganzen Juni und Juli 1968 in Los Angeles auf: Der kleine Frauenhasser war vollauf damit beschäftigt, Frauen zu kontrollieren und neue Kontakte zu knüpfen.
Einer seiner größten Tricks bestand darin, seine Anhänger zu Bewunderern des »kindlichen Bewusstseins« zu machen. Das Kind war irgendwie das Ideal. Auf Kindern lag nicht der Fluch der Kultur, sie handelten spontan, aus der Seele heraus. Man darf hier nicht vergessen, dass die Family an die Reinkarnation glaubte und an die Möglichkeit der Wiederbegegnung mit vergangenem Leben. Das Kind war dabei der vorläufige Kulminationspunkt einer evolutionären Kette des Lebens und der Wiedergeburten.
Charlie plädierte für Fortpflanzung. Präservative, Pillen, intrauterine Verhütungsmittel oder – Gott behüte – Vasektomie waren untersagt. Frauen besaßen der Manson-Doktrin zufolge keine Seelen, sondern sie waren über-bewusste Sklavinnen, deren Pflicht es war, Kinder zu kriegen und den Männern zu dienen. Ironischerweise kam es in der Family zu sehr wenigen Schwangerschaften, eine Tatsache, die, so erzählte Sandy Good, bei Charlie großen Unmut auslöste.
Dort, wo zwanzig Frauen ein und denselben Mann lieben, wird es für den Mann zu einem Problem, jeder die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Manson hatte das schnell verstanden und unterhielt mit jeder seiner Anhängerinnen eine intime, entwaffnende Beziehung – und irgendwie befriedigte er sie alle.
Das Problem der Eifersucht löste Manson mit einem richtigen Coup – er drehte den Spieß einfach um. So redete er den Mädchen ein, dass, wenn sie ihn wirklich liebten, sie ihm Mädchen bringen müssten, die noch hübscher und jünger wären als sie – und er kam damit durch. Er schien regelrecht versessen auf kleine, magere, masochistische und abergläubische Rothaarige. Und er liebte es, Halbwüchsige von der Straße aufzulesen, die von ihren Eltern schlecht behandelt worden waren.
Sie kamen und gingen. »Wenn du dich einfügst, kannst du bleiben«, hieß es jedes Mal, und manche taten ihr Äußerstes, um sich »einzufügen«.
Zumindest war dies das Bild, das seine Anhänger der Welt präsentierten.
Aber Manson war nicht bloß darauf aus, sich einen Harem aufzubauen und Star-Ruhm zu erlangen.
Es gab noch einen anderen Manson, einen Manson mit jahrelangen Beziehungen zur Halbwelt von Los Angeles. Er scheint über Jahre hin mit Kriminellen in Kontakt gestanden zu haben. Man darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass er bereits 1955 nach Los Angeles gekommen war und sich in den vierzehn Jahren seiner »kalifornischen Karriere« in Los Angeles zunächst als Häftling, Zuhälter, Barmixer, Fälscher und Räuber und erst später als Prediger und Guru betätigt hat.
Manson war von der Sorte, die behaupteten, Tausende von Freunden zu haben. Da gab es zum Beispiel einen gewissen Pete, der in Sacramento lebte und den die Family Ende 1967 auf einer ihrer Touren für mehrere Tage besuchte. Pete und er hatten offensichtlich 1958 in einer Bar in Malibu zusammengearbeitet. Charlie pflegte seine Freundschaften.
Oft trieb er sich unter dem Namen Chuck Summers am Sunset Strip herum, wo es eine Reihe zweifelhafter Bars und Cafés mit Namen wie Galaxy Club, Omnibus und The Melody Room gab, die von Motorradfahrern, Prostituierten, Kleinkriminellen und Pornodarstellern frequentiert wurden.
Der Galaxy Club war 1968 eine Lieblingsbar von Chuck Summers. Er pflegte – so erzählt es der Clubmanager von damals – morgens aufzutauchen. Der Manager war ein Bühnenhypnotiseur, der später ein Etablissement eröffnete, das Hollywood Hypnotism Center oder so ähnlich hieß. Manson aka Summers und er unterhielten sich häufig über Hypnotismus. Der Galaxy Club lag etwas oberhalb in der Straße vom Whiskey A Go-Go. Dort lernte Charlie wahrscheinlich auch die Leute von Motorradclub The Jokers Out of Hell kennen. Einige seiner weniger bekannten Freundinnen, mit Namen wie Mouse oder Venus, waren ebenfalls Stammgäste dieser Clubs.
Hier am Sunset Strip scheint Manson erste Kontakte zum satanischen Flügel der Biker-Kultur geknüpft zu haben, wie zum Beispiel The Satan Slaves, The Jokers Out of Hell, The Straight Satans, The Coffin Makers und andere Gruppen junger Leute auf dem Drogentrip. Es steht außer Zweifel, dass der zunehmende Kontakt zu einigen dieser Gruppen mit den höllischen Namen in Manson gewalttätige »Reflexionen« ausgelöst haben muss; zu manchen, wie den Straight Satans und vor allem den Satan Slaves, unterhielt er im folgenden Jahr der Gewalt enge Beziehungen.