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1. Freiheit auf Bewährung

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Um den 22. Juli 1955 fuhr Charles Manson zusammen mit seiner siebzehnjährigen schwangeren Frau Rosalie in einem gestohlenen Mercury 1951 von Bridgeport, Ohio nach Los Angeles. Das war alles.

Im September wurde er verhaftet, und am 17. Oktober 1955 bekannte er sich schuldig. In dem nach seiner Verhaftung angefertigten psychiatrischen Gutachten wurde festgestellt, es sei »ein ziemliches Risiko, ihn auf Bewährung freizulassen«, doch meinte man andererseits, das, was allenthalben jugendliche Straffällige zur Ruhe brachte, nämlich das Eheleben und dazu die bevorstehende Vaterschaft, würde ihn vielleicht auf den geraden Pfad des American Way of Life bringen. So wurde Manson am 7. November 1955 zu fünf Jahren mit Bewährung verurteilt. Manson stand bereits seit dem 18. Mai 1954 unter Bewährungsaufsicht. Er war 21 Jahre alt. Seit er sechzehn war, hatte er im Gefängnis gesessen, und schon seit seinem dreizehnten Lebensjahr war er in verschiedenen Besserungsanstalten gewesen.

Nach seiner Verhaftung machte Manson den Fehler, bei einem Verhör durch Bundesbeamte zuzugeben, dass er 1954, also ein Jahr zuvor, mit einem geknackten Auto aus dem Bergbaugebiet in West Virginia nach Florida hinuntergefahren war. Folge dieser »Selbstverpfeifung« war, dass Manson am 11. Januar 1956 auf Grund einer in Miami erhobenen Anklage in Los Angeles vor dem Federal Commissioner erscheinen musste. Er verpflichtete sich, am 15. Februar wieder vor Gericht zu erscheinen, und wurde daraufhin freigelassen. Wenig später floh er aus Los Angeles, augenscheinlich in Begleitung seiner hochschwangeren Frau Rosalie, und fuhr mit ihr zurück in die Appalachen.

Am 29. Februar ersuchte der oberste Beamte für Bewährungsfälle in Los Angeles das Gericht, einen Haftbefehl zu erlassen, da Manson sich nicht bei seinem Bewährungshelfer gemeldet hatte. Am 14. März 1956 wurde Manson in Indianapolis verhaftet und zur Gerichtsverhandlung nach Los Angeles zurückgebracht.

Im März 1956 wurde sein Sohn Charles geboren.

Am 23. April 1956 widerrief Richter Harry C. Westover die Bewährung und verurteilte ihn zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe, die er im Gefängnis Terminal-Island in San Pedro, Kalifornien verbüßen sollte. Fast ein ganzes Jahr hielt seine aus West Virginia stammende Frau Rosalie zu ihm – sie lebte mittlerweile mit Charles, dem Sohn, und Mansons Mutter Kathleen in Los Angeles.

Anfang 1957 gab Rosalie ihre Besuche auf und lebte von nun an – laut einem Bericht der Behörde für Bewährungsfälle – mit einem anderen Mann zusammen, was Manson völlig aus der Fassung brachte. Am 24. April 1957 versuchte Manson aus dem Gefängnis auszubrechen und wurde nach Artikel 18, §751 des amerikanischen Strafgesetzbuches wegen Flucht nach Verurteilung aus einer Bundesstrafanstalt angeklagt. Er bekannte sich am 27. Mai 1957 schuldig, und am 10. Juni 1957 erließ Bundesrichter William Mathes eine Verwarnung mit Strafvorbehalt und setzte eine Bewährungsfrist von fünf Jahren fest.

Kurz darauf beantragte Mansons Frau die Scheidung. Das Scheidungsurteil wurde am 30. August 1957 rechtskräftig. Adios Ehefrau.

Manson saß vom 23. April 1956 bis zum 30. September 1958 in Haft: zwei Jahre, fünf Monate, fünf Tage sogenannter Rehabilitierung. Im Gefängnis spielte der 125 Pfund schwere junge Mann in verschiedenen Basketballmannschaften, und anscheinend boxte er auch ein wenig. Sein Sexualleben setzte er auf die im Gefängnis einzig mögliche Weise fort – mit Hilfe von Hand, Mund und Hintern.

Zweieinhalb Jahre lang war Manson den endlosen Diskussionen über geplante und begangene Verbrechen und den psychopathischen Reden älterer sogenannter Gewohnheitsverbrecher ausgesetzt. Außerdem hörte er viel, was man als »Zuhältergeschwätz« bezeichnen könnte – Tricks, wie man eine Horde Prostituierte beherrschte. Laut späteren Aussagen von Mithäftlingen hörte Charlie solchen Gesprächen begierig zu. Einer, der ihn damals näher kannte, schreibt: »Wir haben viel über Huren gequatscht, besonders wie man sie unter der Knute behält. Wir redeten über die ›Hauptnutten‹ – also das jeweilige Mädchen Nummer eins eines Zuhälters, das alle anderen unter der Knute hat, – über ›Ställe‹ – das sind mehrere Mädchen, die für einen arbeiten, – aber meistens redeten wir darüber, wie man Mädchen dazu kriegt, auf den Strich zu gehen.«

So verging für den jungen Charlie Manson die Zeit. »Proband wurde am 30. September1958 aus Terminal-Island entlassen«, vermerkte der zuständige Bewährungshelfer in seinen Aufzeichnungen.

Manson gab an, er würde zu seiner Mutter in die Harkins Avenue in Los Angeles ziehen. Das war die Erste von zwanzig Adressen, unter denen er in den folgenden zwanzig Monaten, die er in Freiheit verbrachte, leben sollte.

Das Amt für Bewährungshilfe gab ihm einige Tips für die Arbeitssuche. Die Liste seiner Jobs in den folgenden Monaten erinnert an die ersten Kämpfe eines Schriftstellers, aber bei Manson führten sie zu nichts. Er arbeitete als Aushilfskellner, als Barmixer, als Vertreter für Tiefkühlkost sowie für Tiefkühltruhen, als Tankwart, als Fernsehregieassistent und als Zuhälter.

Am 16. Januar 1959 beschwerte sich ein aufgebrachter Vater bei der Polizei in Los Angeles, dass Manson versuche, seine Tochter Judy auf den Strich zu schicken. Manson war auch mit Judys Zimmergenossin zu sehen, einer reichen Studentin von der UCLA (University of California Los Angeles) namens Fio, die aus Baker, Kalifornien kam und einen weißen Triumph fuhr.

Am 1. Mai 1959 wurde Manson dabei erwischt, wie er in Los Angeles fluchtartig einen Ralph's Market verlassen wollte, nachdem er versucht hatte, einen gestohlenen Scheck über 34,50 Dollar zu fälschen und einzulösen. Am gleichen Tag hatte er bereits einen anderen gestohlenen Scheck bei einer Richfield-Tankstelle eingelöst. Das sollte ihn teuer zu stehen kommen. Am Tatort wurde ein blaues 1953er Cadillac-Kabriolett, das offenbar Mansons Mutter gehörte, beschlagnahmt.

Nachdem die Polizei von Los Angeles Manson der Bundespolizei überstellt hatte, begingen die Feds (Bundesbeamte) den Fehler, dass sie, während sie Manson verhörten, den gefälschten Scheck in einem offenen Ordner liegen ließen. Als die Beamten Manson einen Augenblick den Rücken zukehrten, scheint er den Scheck genommen und heruntergeschluckt zu haben. Der Scheck war jedenfalls verschwunden, und wenig später bat Manson, auf die Toilette gehen zu dürfen, um seinen von dem heruntergeschluckten Scheck sich umdrehenden Magen zu erleichtern.

Am 19. Juni 1959 wurde Mansons Bewährungshelfer von einer – seiner Aussage zufolge – attraktiven blonden Neunzehnjährigen namens Candy Stevens aufgesucht, die erklärte, dass sie von Manson schwanger sei und dass sie und Manson heiraten würden, wenn die miesen Bundesbehörden ihn nicht wieder einpökeln würden. In Wirklichkeit war sie nicht schwanger; vielmehr war sie ein Flittchen, das für Manson arbeitete. Vielleicht war Manson sogar der Erste, der sie auf den Strich geschickt hatte.

Am 4. September 1959 wurde Manson von demselben Arzt, der ihn vier Jahre zuvor untersucht hatte, einer weiteren psychiatrischen Untersuchung unterzogen. Der Bericht schloss:

»Er macht nicht den Eindruck eines niederträchtigen Charakters. Allerdings ist er emotional sehr ungefestigt und sehr unsicher. Er erzählt über sein Leben in den Anstalten so, als wolle er andeuten, dass er die meisten seiner Befriedigungen in Anstalten gefunden hätte. Er sagte, er sei Kapitän verschiedener Sportmannschaften gewesen und habe sich große Mühe gegeben, anderen Anstaltsinsassen Unterhaltung zu verschaffen. Meiner Meinung nach ist er vermutlich eine soziopathische Persönlichkeit ohne Psychose. Unglücklicherweise entwickelt er sich rasch zu einer Anstaltsperson. Trotzdem kann ich ihn nicht zur Bewährung empfehlen.«

Charlie Manson war 24 Jahre alt.

Am 28. September 1959 wurde Manson in Anwesenheit der jungen Dame namens Candy vernommen, die sich beim Richter flehend und weinend für Manson einsetzte. Der Richter ließ sich erweichen, verwarnte Manson und behielt sich ein Strafurteil von zehn Jahren vor, bei einer Bewährungsfrist von fünf Jahren.

Im November 1959 lernte Manson ein achtzehnjähriges Mädchen aus Detroit namens Mary Jo kennen, die sich durch eine Zeitschriftenanzeige für eine Stewardessenschule nach Los Angeles hatte locken lassen. Als sie nach Los Angeles kam, erwies sich die Schule als Betrug, und es gelang ihr nicht, ihr Geld zurückzubekommen. Sie überredete ihre Eltern, ihr zu erlauben, in Los Angeles zu bleiben, und zog zusammen mit einer Freundin namens Rita in ein Apartment.

Ende 1959 tat sich Manson mit einem gewissen Tony Cassino zusammen und gründete mit ihm eine »3-Star-Enterprises« genannte Firma für Nachtclub-, Radio- und Fernsehwerbung, die ihren Geschäftssitz in der Suite 306, 6871 Franklin Avenue, Hollywood hatte. (Nur ein paar Türen weiter befand sich das Apartment, wo Manson zehn Jahre später den schwarzen Rauschgifthändler Bernard Crowe niederschießen sollte.) Manson war Direktor und Tony Vizedirektor. Angeblich bekam Manson für drei seiner sogenannten Werbesendungen etwas Geld von Mary Jo. In Wirklichkeit scheint Manson über die 3-Star-Enterprises vom Hotel Roosevelt in Hollywood aus weibliche Sexualobjekte vermittelt zu haben.

Im Oktober kehrte Charlies Mutter nach West Virginia zurück und erklärte, dass sie dort bleiben wolle.

Am 4. Dezember 1959 wurde Candy Stevens, das Mädchen, das vor Gericht geheult hatte, in Beverly Hills wegen Prostitution verhaftet. Manson verschaffte sich Geld und stellte die Kaution für sie, doch wurde Candy wenig später zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. In der Zwischenzeit wurde Mary Jo, das Mädchen aus Detroit, von Manson schwanger.

Am Weihnachtsabend 1959 wurde Manson verhaftet und angeklagt, er habe einen Mann namens Harold zusammen mit Candy und einem Mädchen namens Elizabeth, in einem gestohlenen Wagen nach Needles, Kalifornien geschickt, um die Mädchen dort anzupreisen. Doch mangels Beweisen wurde er bald wieder auf freien Fuß gesetzt. Am Silvesterabend wurde Manson wieder verhaftet, weil man ihn verdächtigte, Kreditkarten gestohlen zu haben, doch am 4. Januar 1960 ließ man ihn wieder frei.

Am 5. Januar 1960 wurde Manson als Zeuge vor Gericht geladen; es ging um den Diebstahl von Kreditkarten der American Express und der Bank of America. Ein Gewitter braute sich über dem jungen Manson zusammen, »diesem charakterschwachen, gerissenen Burschen«, wie ihn sein Bewährungshelfer nannte. Auch das FBI stellte im Fall Manson bereits intensive Nachforschungen an. Am 15. Februar 1960 meldete sich Manson zum letzten Mal bei seinem Bewährungshelfer.

Am 20. Februar 1960 musste die schwangere Mary Jo wegen starker Blutungen – die von einer Extrauterinschwangerschaft herrührten – in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Manson telefonierte mit dem Vater des Mädchens, einem leitenden Versicherungsangestellten in Detroit. Der Vater nahm sofort eine Maschine nach Los Angeles, wo er am International Airport von Manson und Mary Jos Zimmergefährtin Rita erwartet wurde. Auf der Fahrt in die Stadt verkündete Manson, er habe keinen Führerschein und er stehe unter Bewährungsaufsicht. Mary Jos Vater war, wie es später in einem Bewährungsbericht hieß, schockiert, als ihm aufging, dass seine Tochter von einem Exhäftling angebumst worden war.

Mary Jo schleppte sich recht und schlecht durch ihre Krise, dann ging es ihr bald wieder besser. Ihr Vater brachte sie eiligst fort in ein privates Erholungsheim. Irgendwie fand Manson ihre Telefonnummer heraus und rief sie wiederholt an. Mary Jo erzählte ihrem Vater, dass sie sehr verliebt sei in Manson. Darauf schnüffelte der Vater in Hollywood herum und stieß auf einige Leute, die behaupteten, Manson hätte sich auch als Zuhälter betätigt. In dem Bericht des Bewährungshelfers über jene Zeit heißt es, dem Vater sei »elend gewesen bei dem Gedanken, dass dieser Kerl vorhatte, seine Tochter und Rita für sich arbeiten zu lassen«. Zu seinem Entsetzen erfuhr er, dass Manson, den seine Tochter liebte, in derselben Nacht, als er die in Lebensgefahr schwebende Mary Jo ins Krankenhaus brachte, ihre Zimmergefährtin Rita verführt hatte.

Am 29. Februar 1960 suchte der Vater Mansons Bewährungshelfer auf, um sich bei ihm zu beschweren. Der Vater, ein erfahrener Versicherungsdetektiv, hatte sich bereits die Füße wund gelaufen, um Angaben über Manson zu bekommen. Er war wütend darüber, dass Manson sich weigerte, Mary Jos Sachen herauszugeben. Er hatte sogar versucht, die Polizei von Pasadena dazu zu bewegen, Manson zu verhaften, allerdings ohne Erfolg.

Am gleichen Nachmittag, nachdem er bei dem Bewährungshelfer gewesen war, fuhr der zornige Vater zu Mansons Pension in Pasadena, wo er entdecken musste, dass Manson seine Bude aufgegeben, aber Mary Jos Gepäck mitgenommen hatte. Der Vater war entsetzt über die Fotos von halbnackten kleinen Mädchen, die Charlie zurückgelassen hatte. Ein Polizeibeamter, der in der gleichen Pension wohnte, charakterisierte Manson als einen »Sexomanen« und deutete an, dass Manson möglicherweise Pornofotos aufgenommen habe, um sie außerhalb Kaliforniens zu verkaufen.

Für Manson war alles aus. Die Justizmaschinerie begann sich in Bewegung zu setzen.

Im April 1960 sang Candy Stevens vor der Grand Jury eines Bundesgerichts, und am 27. April wurde gegen Manson wegen Verstoßes gegen §18, Absatz 2421 – »Beförderung von Frauen im zwischenstaatlichen Handel zum Zwecke der Prostitution« – Anklage erhoben. Anscheinend hatte er selbst die jungen Damen Candy und Elizabeth am 12. Dezember 1959 von Kalifornien in einem gestohlenen Triumph-Kabrio nach New Mexico gebracht.

Auf Antrag der Bundesbewährungsstelle hob Richter William Mathes die bedingte Strafaussetzung im Zusammenhang mit dem Scheckbetrugsverfahren auf. Am 25. Mai 1960 wurde die Kaution auf zehntausend Dollar festgesetzt. Am 1. Juni 1960, eine Woche nach Erlass des Haftbefehls, wurde Charlie im texanischen Laredo festgenommen, man beschuldigte ihn, gegen den sogenannten Mann Act verstoßen zu haben, indem er Frauen zum Zwecke der Prostitution über Staatsgrenzen transportiert habe. Einige Tage später, am 16. Juni, wurde Manson den Behörden in Los Angeles überstellt.

Am 23. Juni 1960 verurteilte Richter Mathes Manson zu zehn Jahren Freiheitsentzug, zu verbüßen im Bundesgefängnis McNeil-Island im Staate Washington. Am 10. Juli 1960 wurden die Anklagen wegen Kuppelei fallengelassen, doch war Manson bereits wegen Verstoßes gegen die Bewährungsbestimmungen verurteilt worden.

Manson war ein Jahr, acht Monate und zwei Tage frei gewesen. Er legte Berufung gegen das auf zehn Jahre lautende Urteil ein und blieb ungefähr ein Jahr lang im Bezirksgefängnis von Los Angeles, das sich in den oberen Stockwerken der Hall of Justice befindet, wo er zehn Jahre später wegen Mordes vor Gericht gestellt werden sollte.

Im Juni 1961 gab er, nachdem seine Berufung abgewiesen worden war, auf und ließ sich ins Gefängnis McNeil-Island überführen.

Im Dezember 1963 schrieb Mansons Mutter, die inzwischen offenbar wieder verheiratet war und jetzt in Spokane, Washington wohnte, einen Brief an Richter Mathes und bot ihr Haus als Sicherheit für Mansons Freilassung an. Der Richter ließ ihr zurückschreiben, nach neunzig Tagen habe er nicht mehr die rechtliche Möglichkeit, ein verhängtes Urteil abzuändern.

Den größten Teil der Sechziger Jahre saß Manson im Gefängnis, in der unruhigen Zeit der verschiedenen Befreiungsbewegungen innerhalb und außerhalb der USA, der Aufstände, der Attentate, des Beginns von Vietnam, der Friedensmärsche, der sexuellen Befreiung, des Rock 'n' Roll, der Beatles, der Beach Boys, des Napalms, des Hare Krishna und der wachsenden Auflehnung der Frauen gegen ihre Unterdrückung (eine Bewegung, von der Manson kaum eine Ahnung hatte). Während all dies geschah, saß Charlie seine Strafe ab und erfuhr von der Wirklichkeit nur durch Zeitschriften und Hörensagen.

Und während er seine Gefängnistage zählte, begann er sich intensiv mit Magie, Zauberei, Hypnotismus, Astralprojektion, Freimaurerei, Scientology, Ego-Spielen, unterschwelliger Beeinflussung, Musik und möglicherweise auch mit dem Rosenkreuzertum zu beschäftigen – vor allem aber mit Hypnotismus und unterschwelliger Beeinflussung. Er schien entschlossen, sich beider zur Beherrschung anderer zu bedienen.

Ein Zellengenosse Mansons erinnert sich lebhaft an den großen Charlie-Manson-Kopfhörer-Schwindel. Mit Hilfe des Gefängnisrundfunksenders manipulierte Manson alle Insassen des McNeil-Island-Gefängnisses durch »posthypnotische Suggestion«, wie es sein Zellengenosse nannte. Jeder Häftling konnte mit Kopfhörern, die an den Pritschen in den Zellen hingen, den Sender hören. Manson schmiedete einen »Geheimplan«, wonach der Sender um drei Uhr nachts über die Kopfhörer Botschaften ausstrahlen sollte. Die Botschaft oder Anweisung wurde ständig wiederholt. Die Gefangenen wurden aufgefordert, ihre Kopfhörer nachts so an ihr Bettgestell zu hängen, dass die Botschaften von den Schlafenden aufgenommen wurden, aber nicht die Aufmerksamkeit der Wachen erregten.

Die Geschichte geht noch weiter. Das Gefängnis hatte eine Basketballmannschaft, die nur selten ein Spiel gewann. Manson strahlte Botschaften an die schlafenden Insassen aus, in denen er sie drängte, dem nächsten Spiel beizuwohnen und die McNeil-Island-Mannschaft anzufeuern. Dann wettete Charlie mit den eifrigen neuen Fans darauf, dass die gegnerischen Mannschaften gewinnen würden, und hatte sich rasch zweihundert Packungen Zigaretten (in US-Gefängnissen die übliche Währung) erwettet.

Dann war da noch der Applaus-Schwindel: Über die Kopfhörer suggerierte Manson seinen Mithäftlingen, sie sollten ihm, wenn er bei einem Talentwettbewerb im Gefängnis als Sänger auftrat, lange applaudieren. Manson gewann den Wettbewerb mit seinem Kopfhörertrick, jedenfalls bekam er offenbar begeisterten Applaus von einiger Dauer.

Es entbehrt nicht der Ironie, dass Manson im Gefängnis anscheinend zu einem Schützling des Prohibitions-Gangsters Alvin Karpis wurde, eines Mitglieds der berüchtigten Barker-Karpis-Gang, die vierzehn Todesopfer auf dem Gewissen hatte. Alvin »Old Creepy« Karpis brachte Manson bei, Steel-Gitarre zu spielen, und scheint dem jungen Mann auch sonst ein Ratgeber gewesen zu sein, obgleich er in einem Interview nach Mansons Verhaftung erklärte, von Manson hätte er zuallerletzt erwartet, dass er sich ins »Massenmordgeschäft einlassen würde«.

»Charlie hatte sich an diese neue Sache, die man ›Scientology‹ nennt, gehängt«, sagte Karpis. »Er meinte, damit könnte er alles erreichen oder alles werden. Vielleicht hatte er recht. Der Junge hat versucht, 'ne Menge andere Typen mit seiner Scientology zu lenken, aber landen konnte er bei keinem.«

Bei Scientology handelt es sich um eine an die Seelenwanderung glaubende Sekte. Ihre Anhänger behaupten, man könne Dinge über sein vergangenes Leben erfahren und lernen, den Körper zu verlassen – sich zu »veräußerlichen« – und große Macht und Unsterblichkeit zu erlangen. Manson hörte von Scientology durch einen gewissen Lanier Ramer, ferner durch einen Gene Deaton und durch Jerry Milman, der Mansons Zellengenosse im Gefängnis McNeil-Island war.

Laut Mansons Anhängern war Lanier Ramer ein eifriger Scientologe gewesen und sogar Doktor der Scientology geworden, eine frühe Würde, die von der Bewegung heute nicht mehr verliehen wird.

Ramer löste sich von Scientology und gründete eine eigene Gruppe. Er wurde wegen eines bewaffneten Raubüberfalls verhaftet und später nach McNeil-Island geschickt.

Manson erzählte einem Gefängnisbesucher, er hätte im Gefängnis hundertfünfzig »Schulungssitzungen« mitgemacht – offenbar unter Lanier Ramer. Er behauptete, er hätte sich die scientologische Methode sehr rasch angeeignet, weil sein »Geist nicht programmiert war«. Aber Manson war in keiner Weise ein »Produkt« von Scientology; er entlehnte von ihr lediglich einige Ideen. Die Scientologen nennen das Squirreling – das heißt, jemand übernimmt und modifiziert Praktiken oder Methoden der Scientology.

Manson eignete sich eine Menge scientologischer Phrasen, Neologismen und Praktiken an, die er für seine eigenen Zwecke nutzbar machte, als er später den Geist seiner Jünger neu zu gestalten begann. Ausdrücke wie »Hör auf zu sein« und »Komm ins Jetzt« und die Vorstellung vom »Bilder-Heraufbeschwören« scheinen ihren Ursprung in seinen Sitzungen mit Lanier Ramer zu haben.

Manson befasste sich außerdem mit Freimaurerei und erwarb einige Kenntnisse über freimaurerische Handzeichen (die er später bei Gerichtsverhandlungen den Richtern signalisieren sollte). Offenbar erfuhr er auch einiges über die Erkennungszeichen der Scientology. Später, in der Ära des Grusel-Grauens, sollte Manson unter seinen Anhängern ein eigenes komplexes System von Hand- und Körperzeichen, eine regelrechte Sprache aus Bewegungen und Zuckungen, entwickeln.

Für jemanden, der im Lesen und Schreiben so ungeübt war, zeigte Manson ein hohes Interesse an bestimmten Büchern über Hypnotismus und Psychiatrie. Einem Freund zufolge interessierte er sich ganz besonders für ein Buch mit dem Titel Die Transaktionsanalyse in der Psychotherapie von Dr. Eric Berne, dem Autor von Spiele der Erwachsenen. Charlie, der ewige Ereiferer, drängte seine Freunde, die von ihm entdeckten Bücher ebenfalls zu lesen. Vielleicht war es das Studium der Transaktionsanalye, das Manson auf seine perverse Doktrin vom Kind-Geist brachte. Sicher dürfte sein, dass er aus den ersten Werken der Gruppentherapie eine Menge Ideen entlehnt hat.

Er hatte einen Freund, einen gewissen Marvin White, der anscheinend aus dem Gefängnis McNeil-Island entlassen wurde und dann dafür sorgte, dass Manson Bücher über Schwarze Magie und verwandte Gebiete geschickt bekam.

Ein weiteres Buch, das Manson eine theoretische Basis für seine Family lieferte, war Robert Heinleins Stranger in a Strange Land_1, die Geschichte eines machthungrigen, telepathisch veranlagten Marsmenschen, der mit seinem Harem und einem unstillbaren Sexualhunger die Erde durchstreift und Anhänger für eine neue religiöse Bewegung wirbt. Am Anfang übernahm Manson viele Begriffe und Ideen aus diesem Buch – darunter hoffentlich nicht den darin beschriebenen rituellen Kannibalismus.

Mit dem Helden des Buches, einem gewissen Valentine Michael Smith, sollte sich Manson später identifizieren (sein erstes Kind von einer Anhängerin erhielt den Namen Valentine Michael Manson). Dieser Smith, der eine religiöse Bewegung gründete, tötet oder »entleibt« seine Feinde. Er wird schließlich von einer aufgebrachten Menge zu Tode geprügelt und fährt zum Himmel auf.

Bis zum heutigen Tag halten Mansons Anhänger Zeremonien der Wasser-Kommunion ab, bei denen ein Kreis sitzender Adepten auf ein Glas Wasser starrt, und an denen Manson im Gefängnis auf magische Weise aus der Ferne teilnimmt.

Am besten scheint er sich jedoch in der Bibel ausgekannt zu haben, aus der er lange Stellen zitieren konnte. Außerdem fing er an, seine Zeit auch mit Singen und dem Schreiben von Songs auszufüllen. Der Gedanke, Künstler zu werden, schien ihn zu verlocken. Um diese Zeit hat er offenbar die Erlaubnis bekommen, sich eine Gitarre schicken zu lassen. »Ein Mexikaner hat mir Gitarrespielen beigebracht«, schrieb er. Eine junge Dame, die in der Silverlake-Gegend von Los Angeles eine Boutique hatte, erinnerte sich an Charlie, wie er nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis mit seiner Gitarre in ihrem Laden erschien und ihr »wunderschöne Liebeslieder auf spanisch« vorsang – Lieder, die er wahrscheinlich im Gefängnis gelernt hatte.

Die Beatles erregten schon sehr früh seine Aufmerksamkeit – schon während der Wanna-Hold-Your-Hand-Manie von 1963/64. Alvin Karpis von der Barker-Karpis-Bande erinnert sich daran: »Ständig redete er davon, dass er wie die Beatles rauskommen könnte, wenn er die Chance hätte. Immer wieder bat er mich, ihn mit großen Leuten wie Frankie Carbo und Dave Beck zusammenzubringen; mit irgendwem, der ihm zu einem großen Start verhelfen konnte, wenn er raus war.«

Nach fünf Jahren in McNeil-Island klügelten mehrere Freunde von Manson, sogenannte Gefängnisanwälte – Häftlinge mit Rechtskenntnissen –, ein juristisches Manöver aus, durch das Manson am 29. Juni 1966 von McNeil-Island, Washington nach Terminal-Island in San Pedro in die Nähe von Los Angeles verlegt wurde. Wahrscheinlich glaubte man, die Chancen, früher entlassen zu werden, stünden für ihn dort besser.

Auf Terminal-Island begann Manson wirklich, sich auf die Operation Superstar vorzubereiten. Er verbrachte knapp ein Jahr dort.

Freunde erinnern sich, wie er sich fanatisch der Musik und dem Singen widmete.

Ein gewisser Phil Kaufman, der wegen einer Marihuana-Sache im Gefängnis saß, war beeindruckt von Mansons musikalischen Fähigkeiten und machte ihm das Angebot, ihm mit gewissen Verbindungen, die er draußen hatte, weiterzuhelfen, sobald Manson entlassen werde. Anscheinend hat Kaufman ihm den Namen eines Bekannten bei den Universal Studios in Hollywood gegeben, wo Manson Ende 1967 seine Songs aufnehmen lassen sollte.

Manson schloss viele Freundschaften im Laufe dieser sieben Jahre im Gefängnis. Einige Zellengenossen sagen, er hätte die ganze Zeit geplant, eine Armee von Outcasts um sich zu scharen, mit denen er »unter dem Bewusstsein« der Mutterkultur operieren wollte. Andere sagen, er sei ein Widerling gewesen, aber viele erinnern sich seiner mit Zuneigung und sind anscheinend ganz verstört darüber, dass er später zum Anführer einer Killerhorde werden konnte.

Dennoch kann man bestimmt sagen, dass er nach seiner Entlassung durchaus eine Chance hatte. Eine verwickelte, langwierige Tragödie hatte Charles Manson sein ganzes Leben lang herumgeboxt. Doch nun, 1967, hatte die Liebe die Aufmerksamkeit des kriegstollen Amerika gefesselt, und die Straßen waren gepflastert mit Anerkennung für einen Troubadour und umherziehenden Sammler von wehmütigen, verwundeten Kindern des Krieges.

The Family (Deutsche Edition)

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