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Liebe Juden,

der seit tausenden von Jahren von euch gegen den Rest der zivilisierten Menschheit geführte Krieg, ruft immer mehr Widerstand hervor. In euren seit Jahrtausenden immer wieder mit höchster Akkuratesse abgepinselten Schriften aus geistig archaischen Zeiten wird der Mord, die Vernichtung und Versklavung anderer Ethnien mit oberster Priorität bedacht. Bei Bedarf werden natürlich Änderungen aufgenommen. So, als nach tausenden Jahren eurer ersten Religionsschriften die ersten Christen mit ihrer ethisch überlegenen Spiritualität auftauchten. Da kam dann schnell euer Gott gelaufen und flüsterte euch, dass ihr die abschlachten sollt. Die Christen. Und später dann noch die Amalekiter, die Deutschen. Wäre ihm doch 'ne große Freude für ihn. Und so steht's jetzt in eurem Talmud. Wie von Gott befohlen. Nicht von euch erdacht – nein nein – von Gott befohlen. Tausende Jahre nach den ersten Dienstanweisungen eures Gottes, bzw. eurer Stammesführer, als ihr faulen Viehhirten euch mit fleißigen Ackerbauern anlegtet. Und wer will dagegen etwas sagen? Gegen die Anweisung eines Gottes? Muß jeder Respekt vor haben. Is ja 'ne Religion. Und schließlich wollen wir doch die religiösen Gefühle anderer Menschen nicht verletzen. Auch wenn es sich um Mordanweisungen gegen uns selber handelt.

Euer Amalek

Das Schreiben ging an die Jüdische Gemeinde. Da antisemitische Mitteilungen immer wieder und in letzter Zeit häufiger hier eintraffen, wurde dieses Schriftstück nicht weiter beachtet und es landete in einem extra für solcherart Dokumente angelegten Ordner.

Der vierte Fall verlief dramatischer. Am zweiten Sonnabend im August wurden mehrere Personen in das hiesige Städtische Krankenhaushaus eingeliefert das inzwischen längst von der bundesweit tätigen Aktiengesellschaft Sanora übernommen worden und jetzt ein rein kommerzieller Betrieb ist. Alle betroffenen Personen waren Mitglieder der Jüdischen Gemeinde und hatten am vorhergehenden Schabbat an einem Kiddusch in der Synagoge teilgenommen. Sie zeigten Symptome einer leichten bis mittelschweren Lebensmittelvergiftung, obwohl die Symptome bei allen betroffenen Personen unterschiedlich stark ausgeprägt waren. Zwei Kranke konnten nach ein oder zwei Tagen entlassen werden, der dritte musste bis Mitte der folgenden Woche bleiben. Eine vierte Person konnte das Krankenhaus nicht mehr lebend verlassen. Es handelte sich hierbei um einen gewissen Gabriel Kamenetzky, der schon wegen hohen Blutdrucks und einer vorgeschädigten Niere eine schlechte Prognose hatte und nach nur zwei Tagen verstarb. Die Untersuchung der anderen Opfer und eine Obduktion des verstorbenen Herrn Kamenetzky förderte bereits am Sonntag eine eindeutige Krankheits- und Todesursache zutage: akute Arsenik-Vergiftung. Damit war der Anfangsverdacht einer vorsätzlichen Straftat erfüllt so landete der Fall am Montagmorgen um acht Uhr zu Dienstbeginn auf dem Schreibtisch von meines alten bekannten Hansjürgen Parnas, einem Kriminaloberkommissar bei der Mordkommission. Genau genommen natürlich nicht auf dem Schreibtisch, sondern auf dem Desktop seines Computers im Ordner Neue Fälle. Parnas war froh, am Freitag endlich seinen Stapel mit laufenden Fällen abgearbeitet zu haben und hatte die Hoffnung, sich jetzt einem ungeklärten Altfall widmen zu können, bei dem eine Frau durch das Gift einer grünen Mamba getötet worden war. Der Fall war insofern skurril, als nach diesem Ereignis sowohl die grüne Mamba als auch der Ehemann des Opfers spurlos verschwunden waren und der Verdacht bestand, dass entweder der Ehemann der Täter oder das weitere Opfer eines Schlangenbisses war. Jedenfalls laufen in Deutschland grüne Mambas nicht frei in der Gegend herum und bisher gab es keine heiße Spur. Nun blieb die grüne Mamba erst mal dort, wohin auch immer sie sich verkrochen haben mochte und Parnas musste sich des neuen Falls annehmen, einer bemerkenswerten Häufung von Vergiftungen und einem damit zusammenhängenden Todesfall. Das gerichtsmedizinisches Gutachten war eindeutig. An Arsen vergiftet man sich ja nun nicht aus Versehen und außerdem ist Arsen ziemlich aus der Mode gekommen und höchsten in alten Kriminalromanen zu finden. Und dann auch noch in der Jüdischen Gemeinde. Mit gemischten Gefühlen dachte Parnas an den Mordfall in der Mikwe zurück, der seine Aufklärungsbilanz so nachteilig beschädigt hatte. Nun, es half ja nichts. Wäre auch gleich eine gute Gelegenheit den neuen Kollegen Wilfried Kleinschmidt einzuarbeiten, mit dem er sich nun auch noch abgeben musste seit die Kollegin Schulz sich zu den EDV-Leuten hatte versetzen lassen. Dabei war die Zusammenarbeit mit ihr gar nicht so schlecht gewesen, denn sie hatte mit ihren Internetkenntnissen doch einiges Licht in verzwickte Fälle gebracht.

Herr Kleinschmidt? eröffnete Parnas das Telefonat.

Am Apparat, Herr Oberkommissar.

Herr Kleinschmidt, ich habe zwei Bitten an Sie. Erstens hören Sie bitte damit auf, mich den ganzen Tag mit Herr Oberkommissar anzusprechen. Mein Name ist Parnas. So wie Montparnasse in Paris. Und zweitens, kommen Sie doch bitte mal in mein Büro.

Sofort, natürlich, Herr Oberkommissar, äh, Herr Montparnasse. Ich komme sofort.

Kleinschmidt ist eigentlich ein ganz patenter Junge. Seine große Liebe gilt eigenartigerweise seinen Schlangen die er wöchentlich mit einer Portion weißer Mäuse fütterte. Im Grunde ein lustiger Geselle nur noch etwas verklemmt und wahrscheinlich schwul. Na, das würde Parnas ihm in der nächsten Zeit noch zurechtbiegen müssen, natürlich nicht das Schwule, sondern das Verklemmte.

Gabriel Kamenetzky war sein Leben lang nie recht froh geworden. In Ungarn war er geboren, seine Eltern hatten in Budapest ein Pelzgeschäft und Gabriel besuchte eine Mittelschule. Zu Hause sprach man deutsch, im Geschäft ungarisch und in der Synagoge jiddisch. Gabriels Eltern waren mit einem der letzten Transporte nach Auschwitz in den Tod geschickt worden und Gabriel blieb dieses Schicksal nur erspart, weil er auf den Wink eines wohl meinenden Nachbarn hin das Weite gesucht und sich in einem Heuschober auf dem Lande verborgen gehalten hatte. Dort schlug er sich mehr schlecht als recht durch, bis der Krieg aus war. Zurück in Budapest, fand er die elterliche Wohnung von ehemaligen Pfeilkreuzlern belegt und das Geschäft geplündert. Seine wenigen Verwandten waren verschollen. Gabriel versuchte sich in einem Land zu arrangieren das, dem faschistischen Terror kaum entronnen, sich nun dem kommunistischen Terror ausgesetzt sah. Also schlug er sich eines Tages über die Grenze nach Österreich durch und stellte zu seiner Verwunderung fest, dass es in Wien keinen einzigen Nazi, sondern nur Opfer des Faschismus gab. Da dachte er sich, er könne auch gleich weiter ziehen und begab sich nach dem Osten Deutschlands. Hier lebten jedoch nur Kämpfer gegen den Faschismus, und die politische Kaste sich den Sowjets an die Brust geworfen. Das kannte er schon aus Ungarn und dachte sich, schlechter könne er es weiter westlich auch nicht treffen. Zu seinem größten Erstaunen gab es auch im Westen keine Nazis sondern nur Demokraten, die ließen ihn aber wenigsten in Ruhe. Mit seinem charmanten ungarischen K.u.K-Dialekt erweckte er auch weniger Misstrauen, als hätte er deutsch mit sächsischem Einschlag gesprochen. Damals war er gerade neunzehn Jahre alt. Die Bundesrepublik Deutschland war noch nicht gegründet, die neue Währung gab es aber schon. So fand sich Gabriel Kamenetzky inmitten des deutschen Wiederaufbaus, an dem auch er einen bescheidenen Anteil hatte. Zwar war seine Schulausbildung unvollständig, einen Beruf hatte er nicht erlernt aber da der bei seinem Vater allerlei über Pelze und deren Verarbeitung mitbekommen hatte, fand er gegen mäßige Bezahlung ein Unterkommen bei einem Kürschner in Frankfurt, der alsbald gute Geschäfte mit den amerikanischen Besatzungssoldaten machte. Ohne eine reguläre Berufsausbildung etablierte sich Kamenetzky später selbstständig im Pelzhandel und so zog sich die Zeit hin bis 1956, als es zum blutigen ungarischen Aufstand kam. In dessen Folge gelang es Gabriel, sich als kommunistisch Verfolgter in Deutschland einen gesicherten Aufenthaltstitel zu erwerben, der wenige Jahre später in der Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft seine Vollendung fand. Mit siebenundzwanzig Jahren heirate Kamenetzky eine Jüdin, die ebenfalls aus Ungarn stammte und beide hatten ein gemeinsames Kind. Dieses erkrankte schon mit drei Jahren an einer Meningitis und starb bald darauf. Dieser Schicksalsschlag hinterließ tiefe Spuren in Gabriels Frau und die noch junge Ehe scheiterte. Der Pelzhandel warf bis in die siebziger Jahre ganz ordentliche Gewinne ab, mit denen es später jedoch langsam aber stetig bergab ging. Aktivisten besprühten Pelzträgerinnen mit Farbe um auf diese Weise gegen Missstände in der Pelztierzucht zu demonstrieren. So verlor der Pelz mehr und mehr von dem Glanz, den es Statussymbols des deutschen Wirtschaftswunders einmal hatte.

Gabriel hatte nicht die Kraft, sich umzustellen und beim Besuch der Synagoge fand er sich immer häufiger in der Gesellschaft persischer Teppichhändler, von denen viele früher gute Geschäfte gemacht hatten, die ihre Ware aber nun nicht mehr an den Mann bringen konnten. Pelze und echte Teppiche waren einfach out. Irgendwann in den neunziger Jahren verkaufte Kamenetzky seine letzten Pelze zu einem Schleuderpreis an einen Händler, der noch irgendwie durch hielt und gab sein Geschäft auf. Seinen schmalen Verdienst hatte er wenigstens in einer Lebensversicherungen und einem Pensionsfond gut angelegt, so dass sein Lebensabend halbwegs gesichert war. Sollte er jedoch einmal ein Pflegefall werden, was Gott verhüten möge, würde er in die Armut abrutschen und das Schicksal manches Altersgenossen teilen. So verlief das Leben des Gabriel Kamenetzky eigentlich glücklos. Hin und wieder nahm er an den Veranstaltungen der Gemeinde teil und freute sich auch jedes Mal, wenn es am Schabbat einen Kiddusch gab. Das sollte ihm nun zum Verhängnis werden.

Kaschrut

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