Читать книгу Sternenfrau Eve - Edda-Virginia Hiecke - Страница 5
New York Hot Dogs
ОглавлениеNew York Hot Dogs
Um acht Uhr abends herum klingelte es plötzlich an ihrer Tür. So spät hatte sie eigentlich nie Besuch und sie erwartete auch niemanden. Vorsichtig schaute sie durch den Türspion. Da stand er mit einem großen Blumenstrauß in der Hand. Genau vor ihrer Tür. Jetzt!
„Bitte schicken Sie mich nicht wieder fort!“, hörte sie ihn durch die Tür.
„Sie sind spät!“, entgegnete sie wütend.
„Ich weiß und es tut mir auch furchtbar leid.“
„Woher wissen Sie, wo ich wohne?“, fragte sie argwöhnisch, „ich kenne sie ja noch nicht einmal!“, blaffte sie hinterher.
„Ich habe den Bäcker gefragt“, antwortete er fröhlich, „Sie sind hier aber wirklich gut bekannt!“
Also echt mal, woher weiß denn dieser Bäcker, wo ich wohne? Warum gibt der einfach so meine Adresse heraus? Mit dem werde ich mal ein Wörtchen reden!
„Seien Sie dem Bäcker bitte nicht böse. Ich habe ihn förmlich angefleht, weil ich Sie unbedingt wiedersehen musste!"
Ach du Schreck, sehe ich für den Bäcker aus, als würde ich jeden flehentlich dreinblickenden Mann in meine Wohnung lassen? Kann der Kerl etwa meine Gedanken lesen? Es machte keinen Sinn, weiter darüber nachzudenken, Annie musste sich nun entscheiden, ob sie dem Mann die Tür öffnen oder ihn lieber wegschicken sollte.
„Bitte nicht wegschicken. Geben sie mir die Chance, zu erklären, warum ich am Nachmittag nicht kommen konnte!“, war nun flehentlich bittend durch die Tür zu hören.
„Ja, lass den Kerl endlich rein, wir wollen unsere Ruhe haben!“, klang es nun aus der Nachbarwohnung.
Annie öffnete noch etwas widerwillig die Tür und bat den Fremden herein. In diesem Moment schoss es ihr durch den Kopf, dass es überhaupt nicht richtig war, einen völlig fremden Mann in ihre Wohnung zu lassen. Zu spät, er war drinnen und sah sie mit einem um Entschuldigung bittenden Blick an. Sie bemerkte, dass seine Lippen leicht zuckten. Ehe Annie sich versah, musste sie lächeln und sah, wie das Gesicht ihres Gegenübers ihr Lächeln spiegelte.
„Ich finde schon“, meinte sie völlig entwaffnet von diesem Lächeln, „dass es an der Zeit wäre, mir Ihren Namen zu nennen!“
Er hielt ihr die Blumen hin. „Ja Sie haben Recht, verzeihen Sie. Mein Name ist David Bentin und ich bitte Sie um Entschuldigung für die nicht eingehaltene Verabredung. Als ich Sie heute morgen sah, hatte ich einen wichtigen Termin am Nachmittag völlig vergessen. Es tut mir leid!“
Dabei machte er ein so zerknirschtes Gesicht, dass es Annie schwerfiel, ihm noch weiter böse zu sein. Immerhin hatte er sich viel Mühe gegeben, sie ausfindig zu machen und wenn er kein Wüstling war, der gleich über sie herfiel, musste sie ihm das hoch anrechnen. So bat sie ihn in ihr kleines Reich und entschuldigte sich für die Unordnung.
„Nein,“ sagte er und schaute sich gründlich um, „keine Unordnung, gemütlich ist es hier.“
Er betrachtete aufmerksam ihre Büchersammlung. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Sie in ihrem Beruf genug Zeit haben, so viel zu lesen. Sie haben ja eine riesige Sammlung, schön!“
„Viel Zeit habe ich tatsächlich nicht, ich versuche aber immer wieder, mir Zeit zu nehmen, um meinen Lesehunger zu stillen.“
„Ja, das ist wichtig, in dieser schnelllebigen Zeit ist jede Sekunde, die man für sich hat, ein Geschenk.“
Sie hatte nun, während er sich weiter umschaute und sie seine gelegentlichen Fragen nach der einen oder anderen Sache beantwortete, genug Zeit, sich diesen Mann genauer anzuschauen. Er musste wohl so Anfang vierzig sein, wie sie. Er war ein klein wenig größer als sie selbst und hatte eine gute Figur. Sie bemerkte, dass seine Schlaksigkeit eher eine lockere Haltung war, die ihr sehr gut gefiel. Das rotblonde, leicht gelockte Haar fiel ihm in die hohe Stirn. Die Nase hatte diese Krümmung, als sei sie schon einmal gebrochen gewesen und sein Mund passte wohlgeformt zu einem energischen Kinn. Er war ein Mann, der wusste, was er wollte. Sie konnte immer noch nicht glauben, dass er hier bei ihr war und hatte doch schon das Gefühl, dass er genau der richtige war. So schnell? Wunschdenken?
„Ich habe noch eine Flasche Rotwein, möchten Sie etwas trinken?“ fragte sie, als sie in der Küche angekommen waren.
„Ja, sehr gerne!“, antwortete er und schaute ihr dabei tief in die Augen. Nun umspielte ein sanftes Lächeln seine Lippen und Annie fragte sich plötzlich, wie es wäre, diese zu küssen. Verlegen drehte sie sich zum Küchenschrank um und holte die angesagte Flasche Wein heraus.
„Darf ich sie öffnen?“
Sie reichte ihm einen Korkenzieher und stellte gewandt zwei Gläser auf den Tisch, versorgte die Blumen in der hübschen Vase mit frischem Wasser und setzte sich. Als wäre es das normalste der Welt, nahm er Platz und schenkte ein. Nach ihrem ersten gemeinsamen Schluck Wein erkundigte Annie sich neugierig nach seiner beruflichen Tätigkeit.
„Ich habe einen Cateringservice und versorge hauptsächlich im Showgeschäft Menschen bei Filmsets und im Theater. Das war auch der Grund für mein Nichterscheinen. Ich hatte einen Termin mit einem Regisseur und seinem Stab, der hier in NYC einen Film dreht, einen wichtigen sogar. Es geht um einen umfangreichen Auftrag.“
„Oh, das hört sich nach Stress pur an!“
„Ja, das ist es. Aber es macht auch viel Spaß und ich komme viel herum. Da viele Filme auch im Ausland gedreht werden, kann ich viel reisen und sehe etwas von der Welt.“
Annie stellte sich David gerade in einer Kochschürze vor und musste schmunzeln.
„Was finden Sie denn daran so lustig?“, fragte er prompt.
„Ach, nichts.“, gab sie unschuldig blickend zurück.
„Doch doch, ich habs genau gesehen, da unten rechts hat es eindeutig in ihrem Mundwinkel gezuckt!“
Oh nein, ich merke es ganz genau, dachte Annie, jetzt erröte ich doch tatsächlich wieder, wie peinlich.
„Ja, ich bin definitiv der Meinung, dass Ihnen diese Farbe besonders gut steht. Dieses leichte Rot sollten Sie öfters haben!“ grinste er sie frech an.
Mit einem brennenden Gefühl auf den Wangen funkelte sie ihn wütend an.
„Wissen Sie, dass Ihre Augen jetzt aussehen wie das tiefblaue Meer? Das ist mir heute morgen schon aufgefallen. Wenn Sie lachen, strahlen sie in alle Richtungen!“
Annie schaute ungläubig in sein Gesicht und konnte diesem entwaffnenden Lächeln nicht widerstehen. Sie lachte.
„Ich ergebe mich! Ich habe Sie mir gerade in einer Kochschürze vorgestellt, wie Sie die Kochlöffel schwingen!“
Jetzt musste auch er lachen und mit scherzhaft empörtem Gesicht rief er: „Meine Kochschürze ist mir heilig! Ich habe sie von meiner Großmutter geschenkt bekommen! Sie ist taubengrau und hat einen riesigen Kochtopf vorne drauf. Nicht zu vergessen die feine Spitze am Rand!“
„Also, die muss ich sehen!“ Annie konnte nicht mehr vor lachen.
„Das werden Sie bestimmt. Ich werde Sie beim nächsten Treffen in meiner Schürze bekochen. Worauf Sie sich verlassen können!“
Hatte er gerade beim nächsten Treffen gesagt? Annie spürte ihr Herz hüpfen. Ein nächstes Treffen. Ja das wollte sie. Sie kam sich jetzt schon wie ein Backfisch vor, der sich nach dem nächsten Rendezvous sehnt und hatte das Gefühl, sie könne die ganze Welt umarmen.
„Gut, ich lasse mich gerne bekochen und diese Schürze darf ich mir auf keinen Fall entgehen lassen!“ Sie strahlte, als sie sah, wie er sich darüber freute.
„Ich muss nun leider gehen, seien Sie bitte so freundlich und geben mir Ihre Telefonnummer, damit meine Schürze und ich Sie erreichen können!“
Sie tat es und bekam an der Tür einen leichten Kuss auf ihre Wange.
„Gute Nacht Annie, ich seh' Sie bald wieder. Versprochen!“ Weg war er.
David lief die Treppe hinunter und freute sich, diese Frau getroffen zu haben. Irgendetwas sagte ihm, dass sie DIE EINE war. Nicht, dass sie die erste gewesen wäre. Bei seinem Geld und seinem Aussehen konnte er die schönsten Frauen haben und er hatte viele, doch immer hatte er nach einer Weile das Gefühl, dass etwas fehlte. Jetzt wußte er, was es war. Annie war eine Frau, die ihn so sah, wie er wirklich war, ihr musste er nichts beweisen. Er konnte nicht sagen, warum er das wußte, aber es war so. Sein Beruf brachte es mit sich, dass er oft Wochen, sogar Monate nicht zu Hause war. Doch das störte ihn nicht, denn die Arbeit erfüllte ihn und machte ihm Spaß. Er sah mehr von der Welt als seine eigenen vier Wände und konnte gleichzeitig ein finanziell sehr komfortables Leben führen. Als Kind hatte er morgens vor der Schule seinem Vater geholfen, den Hotdog-Stand des Familienbetriebes an eine gut besuchte Stelle zu fahren. Sein Vater hatte sich kaputt geackert, nur um am Ende jedes Monats festzustellen, dass es mal wieder knapp für die Miete und die Standgebühren reichte und der Rest für einen mageren Lebensunterhalt der Familie. Tag für Tag stand Vater an seiner Ecke und verkaufte Hotdogs, ob es regnete, schneite, oder die Sonne so stark schien, dass er schon am Vormittag durchgeschwitzt und schweißverklebt seine Kunden bediente, die meist wie aus dem Ei gepellt vor ihm standen. David musste die abgetragenen Hosen und Hemden seines zwei Jahre älteren Bruders tragen, denn neue Kleidung gab es nur selten. Bei aller Arbeit fand sein Vater abends immer Zeit, mit seinen Söhnen zu lernen und sie in der Schule voranzutreiben.
„Ihr lernt, damit aus euch einmal etwas besseres wird als ein alter Mann wie ich, der nur Würstchen in ein Brötchen stopfen kann!“, mahnte er sie oft.
Doch David war stolz auf seinen Vater und auch sein älterer Bruder Jonas versäumte keine Gelegenheit, zu erzählen, dass sein Vater die besten Hotdogs der Stadt machte. Jonas war klug, er bekam ein Stipendium und konnte studieren. Schließlich wurde er Rechtsanwalt. Dann war da noch Karen, das Nesthäkchen. Wann immer sie Zeit hatte, lief sie zum Stand und half, Hotdogs zu verkaufen. „Hooootdooogs, leckere Hooootdoooogs!“ rief sie laut und lachte.
„Die besten Hotdogs der Stadt. Senf, Käse, Zwiebeln, Gurken, Ketchup, wie er nirgends besser schmeckt, kommen Sie, die müssen Sie essen!“
Die Leute kamen und standen Schlange, vielleicht auch ein bisschen, um dem hübschen Mädchen eine Freude zu machen. Manchmal tanzte sie auch und summte ein Liedchen vor sich hin. Dieses fröhliche Kind war unwiderstehlich. Wenn sie einmal nicht da war, fragten die Leute nach ihr und ihr Vater musste beteuern, dass sie bald wiederkäme. Karen erlernte später die Kunst des Marketing und heute hat sie zwanzig eigene Hotdogstände in der ganzen Stadt und ein kleines Lokal, wo es immer noch die Hotdogs nach dem Geheimrezept ihres Vaters gibt.
Und David? David liebte es schon als Kind, hinter der Mutter zu stehen und ihr beim Kochen zuzuschauen. Dabei löcherte er sie mit Fragen. Wie lange braucht der Braten? Welche Soße gibt man an Rucola? Wie verdickt man die Suppe? Fragen über Fragen. Seine Mutter war eine begnadete Köchin. So war es dann auch nicht verwunderlich, dass David Koch lernte und schon früh erfolgreich war. Die kleine Küche, in der er lernte, bekam hin und wieder Cateringaufträge, die der Küchenchef an David abgab. Bald schon waren seine Kanapees gefragt und weil es ihm Spaß machte, leckere Kleinigkeiten für den kurzweiligen Genuss zuzubereiten, dauerte es nicht allzu lange, bis er sich mit einem eigenem Cateringservice selbständig machen konnte. So schafften es die drei Kinder, ihren Eltern einen schönen Lebensabend zu ermöglichen. Sie kauften ihnen eine schöne Wohnung in der Nähe des Central Park und besuchten sie, so oft es ihre Arbeit ermöglichte. Karen und Jonas waren beide verheiratet und neckten David wegen seiner oft viel jüngeren Freundinnen. Wenn er so darüber nachdachte, musste er ihnen recht geben.
„Irgendwie finde ich nicht die richtige für mich“, gab er dann meist zurück, „wer will schon jemanden haben, der ständig unterwegs ist?“
„Ich glaube, du suchst nicht einmal richtig“, sagte Jonas einmal zu ihm, „es sieht aus, als ob du vor etwas davonläufst, nur weiß ich nicht, was das sein sollte?“
David wusste es auch nicht. Dann traf er Annie, rannte förmlich in sie hinein und fühlte sich wie von einem großen Laternenpfahl geschlagen. Der berühmte Wink mit dem Zaunpfahl war eine Frau? Das musste er ergründen. Spontan beschloss er, sie wiederzusehen. Er ärgerte sich, weil er ihre Verabredung vergessen hatte, wollte er doch so schnell wie möglich wissen, was es mit dieser Frau auf sich hatte. Als er dann am Abend bei ihr war, konnte er nur über sie staunen. Sie war so unbeholfen und stark zugleich. Nach Verlassen der Wohnung hatte er noch den Geruch ihres Parfüms in der Nase und er spürte den Hauch ihrer Haare, die seine Wangen streiften, als er sie küsste.
Am nächsten Tag bestieg er den Flieger nach San Francisco. Eine kleine Independent Production drehte eine Dokumentation über die San Francisco Giants, ihre Geschichte und ihre Spieler und er sollte sie im Stadion verköstigen, da die Interviews längere Zeit in Anspruch nehmen würden. Er machte seine Arbeit sorgfältig, aber er hatte das Gefühl, dass die Zeit viel zu langsam verging. Seine Gedanken waren ständig bei Annie und ein Ende der Arbeit nicht in Sicht.
„Sag mal George, ist hier irgend ein Ende in Sicht?“ maulte David, als schon wieder die Klappe für die Aufnahme einer Filmszene fiel. Immer wieder musste er mit ansehen, wie ein und dieselbe Szene wiederholt wurde. Sicher war er kein Experte in Regie, aber ihm kam es so vor, als würde heute jede Szene genauso aussehen wie die vorherige. Doch der Regisseur fand ständig etwas neues, das ihm nicht gefiel. Das Licht, der Winkel, die Schatten, irgendeine blöde Falte an einer Hose und so standen sie in der brütenden Hitze und sahen ihr Essen langsam aber sicher zu unansehnlichen Klumpen zerschmelzen, die jeden Appetit im Keime erstickten. George zuckte mit den Schultern und verkniff sich lieber jeden Kommentar. Er hatte schon längst bemerkt, dass David noch ganz andere Sachen störten, als hier herumzustehen und ganz sicherlich hatten diese wenig mit ihrer Arbeit zu tun. David war schon oft genug auf Filmsets gewesen um genau zu wissen, dass es manchmal seltsame Gründe gab, warum ein Dreh noch einmal wiederholt werden musste. Da es dem Geschäft aber nicht schadete, im Gegenteil, je mehr Zeit sie am Set verbrachten, desto länger wurden sie ja bezahlt, hatte David bisher noch nie gemault. Schon als sie in San Francisco ankamen, bemerkte George, dass David sich anders verhielt als sonst und es wurde immer schlimmer je länger die ganze Sache dauerte. Er machte einen unkonzentrierten Eindruck und wurde sowohl mit sich selbst als auch mit anderen immer ungeduldiger. George arbeitete nun schon sehr lange mit David zusammen und in all den Jahren hatte George seinen Chef noch nie so erlebt. Da sie auch noch Freunde waren, nahm sich George vor, nach dem heutigen Arbeitsende David bei einem gemeinsamen Drink zu befragen.
David dachte an Annie. Ich will sie so schnell wie möglich wiedersehen. Ich will in ihre Augen schauen und herausfinden, was mich so an ihr fasziniert. Annie! Er konnte nicht verhindern, dass ein kleiner Seufzer seinem Mund entfloh. Ah, dachte George, das klingt eindeutig nach verliebt sein und grinste still vor sich hin. Das ist des Rätsels Lösung. Dieses Seufzen klingt nach: den hat's erwischt! Wer die schöne Unbekannte wohl ist? Für George war klar, dass es eine schöne Frau sein musste. Etwas anderes konnte er sich für seinen Freund nicht vorstellen.
Verflucht, ich will hier weg! Können die nicht endlich Schluss machen? Die werden es doch wohl heute noch schaffen, diese letzte blöde Einstellung hinzubekommen! David grollte mittlerweile innerlich. Er bemerkte weder das Grinsen seines Freundes noch die Hitze im Stadion. Bestimmt denkt sie, ich habe sie vergessen. Ich Idiot habe sie nicht mal angerufen. Sie hat so einen Trottel wie mich gar nicht verdient. Ich darf mich nicht wundern, wenn sie mich nie wiedersehen will. All diese Gedanken liefen zur gleichen Zeit in seinem Kopf herum. Diese neue Erfahrung verwirrte ihn ziemlich.
Endlich fiel auch die letzte Klappe und die Dreharbeiten waren beendet. Sechs Wochen hatten sie nun gedauert. Soviel zu einem schnellem Dreh. Vereinbart waren vier Wochen, doch Regen und der Ausfall zweier Spieler, die sich unbedingt die Köpfe wegen einer Frau einschlagen mussten, verlängerten die Drehzeit. David trieb seine Mitarbeiter an, alles zusammen zu packen. Er wollte so schnell wie möglich weg von hier. Normalerweise hätte er mit George nach Beendigung eines solchen Auftrages noch einen Drink genommen, aber er wusste, wenn er das täte, würde George ihm im Moment noch unangenehme Fragen stellen und er wollte seine Gedanken und Gefühle noch nicht anderen zeigen. Er hatte nur einen Gedanken: ab nach Hause!
„George, bitte kümmere dich um den Rest hier, ich weiß, du kannst das auch ohne mich erledigen. Ich kann einfach nicht mehr“, gab er resignierend zu.
„Kein Problem Boss, ich mach' das schon.“
David hörte nicht mehr zu. Er war schon auf dem Weg zum nächsten Taxi, um in sein Hotel zu fahren. Eine Stunde später saß er im Flieger nach New York. Mitten in der Nacht landete der Flieger auf dem Kennedy Airport und zwanzig Minuten später warf er die Reisetasche auf sein Bett. Er griff zum Telefon und wählte Annies Nummer. Als er ihre Stimme am anderen Ende hörte und die ungehörig späte Zeit bemerkte, verließ ihn der Mut. Schnell legte er auf, ohne ein Wort zu sagen. Müde legte er sich neben seine Reisetasche und schlief unruhig ein.
Für Annie vergingen die Tage nach dem ersten Treffen in ihrer Wohnung wie im Flug, doch je länger sein Anruf auf sich warten ließ, desto sicherer erschien es ihr, dass das ganze nur ein schöner Traum war. Sechs Wochen hatte sie nun nichts mehr von David gehört, sechs unglaublich lange Wochen. Sie glaubte nicht mehr daran, dass er je wieder von sich hören lassen würde und versuchte, ihren Alltagsrhythmus wieder zu finden, doch David hatte einen großen Eindruck hinterlassen. In ihren Träumen nahm er einen nicht unerheblichen Platz ein. Nicht selten schämte sie sich am nächsten Morgen für ihre erotischen Vorstellungen, in denen immer wieder David die Hauptrolle spielte. Doch je mehr Zeit verging, desto mehr verblassten diese Träume und es fiel Annie immer schwerer, das Bild dieses Mannes aufrecht zu erhalten. Mitten in der Nacht klingelt plötzlich das Telefon. Schlaftrunken hebt Annie den Hörer ab.
„Ja, wer da?“, doch am anderen Ende der Leitung bleibt es still. Ehe sie sich versieht, legt der unbekannte Anrufer wieder auf. Fragend betrachtet sie den Hörer. War das David ? Schlaftrunken verblasst der Gedanke schnell und sie schläft wieder ein. Schemenhaft durchstreift er ihre Träume.
Berdik vom Volk der Sondriken ist alt. Er durchstreift den Raum auf der Suche nach alten Dingen, die er in der einen oder anderen großen Station verkaufen kann. Seine langen, viergliedrigen Finger streichen über das Armaturenbrett seines kleinen Raumgleiters, als er in einiger Entfernung ein noch unbekanntes Objekt ortet. Mit einem Teleportstrahl saugt er das Objekt in seinen Laderaum. Mühsam steht er auf, um sich anzusehen, was er eben aufgefischt hat. Seine knochigen Beine sehen im Gegensatz zu seinem massigen Körper aus, als würden sie gleich zerbrechen. Doch die einzelnen Muskelstränge die zwischen den acht Beinen wie Netze wirken, verstärken die Tragfähigkeit. Der Körper ähnelt einem stumpfen, morastigen Wurzelstück. Aus allen Seiten stechen knorrige Äste wie Schläuche in verschiedenen Längen hervor, von denen die meisten schon lange keinen Nutzen mehr haben. Aus den anderen quillt stellenweise eine zähe Flüssigkeit, die dazu dient, den Körper feucht zu halten. Zwei kleinere Arme und zwei etwas größere Arme mit viergliedrigen am Ende leicht verdickten Fingern, sind die einzige Möglichkeit, zu erkennen, wo in etwa der Kopf mit den großen runden Augen sitzt, der übergangslos am Körper anliegt. Die leicht grün-grau verwaschene Farbe der Haut ist typisch für einen Sondriken der Mittelschicht. Sondriken der unteren Schicht haben nur eine Farbe, schlichtes Grau. Sondriken der gehobenen Schicht sind an verschiedenen Blautönen zu erkennen. Nicht, dass dies heute noch besonders wichtig wäre, denn Sondriken gibt es nur noch wenige in der Galaxie. Berdik gehört zu einer aussterbenden Art.
Langsam geht er in den Laderaum, um seine Beute genauer zu betrachten. Ein alter, recht großer Informationswürfel der Perloser steht vor ihm. Da die Perloser schon seit langer Zeit ausgestorben sind und er die Technologie des Würfels für zu alt hält, um damit noch Gewinn zu machen, schiebt er den Würfel zur Ladeluke, um ihn gleich wieder ins All zu befördern. Doch plötzlich beginnt der Würfel leise zu summen. Neugierig drückt Berdik eine kleine Taste, die er in einer Vertiefung im unteren Drittel der ihm zugewandten Seite entdeckt hat. Wie aus dem Nichts erscheint der Kopf eines schwarzen Drachen in einem sehr realistisch anmutendem holografischen Bild neben einer Anzahl von Koordinaten. Als Berdik das System erkennt, wechselt seine Hautfarbe vor Aufregung an einigen Stellen zu einem dunklen Grün.
Noch ein Blick zur Sicherheit, ja, das System ist ohne Zweifel das Kalorkasystem. Dieses ist das ursprüngliche Herkunftssystem der Perloser, die sich nach einer mysteriösen Katastrophe in alle Richtungen zerstreut hatten, um dann endgültig zu verschwinden. Nie hatte ein Perloser erzählt, was denn nun die eigentliche Katastrophe gewesen war und noch nach Tausenden von Jahren rätselte man in der Galaxie, was die Katastrophe verursacht haben könnte. Berdik hatte nun die Lösung dieser Fragen vor sich und er fürchtete die nächsten Fragen, die unvermeidlich auftauchen würden. Er musste seinen Fund unbedingt weitergeben. Gespannt blickte er auf das Hologramm und entdeckte an einer Stelle, dass sich das dargestellte System scheinbar wiederholte. Er konnte damit allerdings nichts anfangen und beschloss, so schnell wie möglich die große Harfenstation anzufliegen. Dort gab es vielleicht jemanden, der wusste, welches Geheimnis sich in dem rätselhaften Hologramm verbarg. Die Zeit drängte.