Читать книгу Togt - Edeltraud-Inga Karrer - Страница 6
Оглавление2. Kapitel
Er lebt schon seit Jahrtausenden hier. Er, Togt, der sich für den Imperator und rechtmäßigen Herrscher hält. Von hier aus organisiert er seit langer Zeit das große Verbrechen, das er in der Vergangenheit ausgeführt hat, in der Gegenwart fortsetzt und mit fester Zuversicht in der Zukunft letztendlich zum gewünschten Abschluss bringen wird.
Mit ihm existieren in dieser Parallelwelt, in Terra Secunda, zwei Gestalten, die nichts Menschliches haben. Es sind Avtix und Paméu, seine Untertanen, die er für die Umsetzung seines teuflischen Planes unbedingt braucht.
Über die Balustrade gebeugt, die die große Terrasse des Schlosses umfasst, in dem sie wohnen, stehen er und sein Helfershelfer Avtix und beobachten das Gewimmel auf der Erde.
Wie Ameisen rennen die Menschen umher – getrieben durch ständigen Zeitmangel – und verrichten irgendwelche Aufgaben, ohne dabei so etwas wie Erfüllung in ihrem Tun zu empfinden.
Sie sehen von ihrem erhöhten Blickpunkt aus, dass in immer mehr Orten die Lichter verlöschen, die Häuser grau werden und kaum mehr Menschen die Straßen bevölkern. Zwischen diesen Orten und denen, die noch über Elektrizität verfügen, ziehen sich schnell entstehende hohe Mauern. So werden die grauen Städte isoliert.
Ein zufriedenes Lächeln huscht über die faltige Gesichtshaut von Togt.
»Langsam kommen wir dem Ziel näher und näher«, murmelt er, eigentlich mit sich selbst sprechend. Er sieht sich, in seiner Kutsche sitzend, Angst und Schrecken verbreiten. Es macht ihm große Freude, sie zittern zu sehen.
Das seltsame Wesen neben ihm, das einem überdimensionalen Panther gleicht, mit den Füßen eines Bären und über mehrere Köpfe verfügt, vernimmt seine Worte. Schmeichelnd nickt es und bestätigt: »Du bist großartig, unübertroffen. Viel hast du erreicht. Du bist der Meister!«
Das Ergebnis der Planung, die Jahrhunderte in Anspruch genommen hat, ist unübersehbar: Die Resignation und Depression der Menschen, ihre Ängste und Sorgen, ihre Unruhe und ihren körperlichen und seelischen Verfall, alles das nimmt Avtix zufrieden wahr.
Gerade wendet er Togt den Kopf mit dem Aussehen eines Adlers zu. Damit übernimmt er augenblicklich auch das Wesen dieses alles beobachtenden Vogels. »Mir ist bewusst, wie viel Energie und Intelligenz du in dein brillantes Werk investiert hast. Ich habe dich beobachtet, wie du deinen Plan immer wieder überarbeitet und verfeinert hast. Auch mir bleibt nicht viel verborgen, wie du weißt. Und ich bin beeindruckt!«
Sein Führer schüttelt den Kopf und schaut ihn missbilligend an: »Du verstehst es einfach nicht! Du kennst das Buch nicht! Ich habe dir schon tausendmal gesagt, du sollst darin lesen, dich informieren. Wenn du das getan hättest, würdest du anders sprechen. Die Zeit läuft mir davon! Wir kommen nicht schnell genug voran!«
Er ist wütend und sein Zorn bringt ihn dazu, seine Worte mit einem heißen Atemstoß zu begleiten, der fast schon in Feuer übergeht und dem sein Gehilfe gerade noch ausweichen kann.
Unbeeindruckt weist dieser noch einmal auf das hin, was sie dort unten wahrnehmen können, diese gestressten, genervten und ausgebrannten Kreaturen. Die meiste Energie verwenden sie dazu, einander misstrauisch zu beäugen und sich ihrer vermeintlichen oder tatsächlichen Übergriffe zu erwehren.
Die Menschlein dort unten waren ein leichtes Opfer. Es gibt kaum noch jemanden, der über eine eigene Meinung verfügt und sich traut, diese auch zu äußern und dafür Verantwortung zu übernehmen. Abgelenkt durch die vielen Aktivitäten, die sie glauben, erledigen zu müssen, kennen sie keine echte Ruhe und Entspannung mehr. Sie haben vergessen, was es heißt, Zeit für einander zu haben, tiefschürfende und intensive Gespräche zu führen, Gedanken auszutauschen, Mitleid und Empathie zu empfinden. Jeder versucht, den anderen zu übertrumpfen, besser zu sein, mächtiger, schöner, umworbener als der Nachbar. Selbst der Fortpflanzungstrieb fiel diesem Egoismus zum Opfer. Kinder bedeuten ihnen inzwischen ein Hindernis auf dem Weg zur Karriere. Sie sind nur noch ein Kostenfaktor, der oft dem Wunsch nach einem großen Auto, einem schönen Haus, Urlaub in allen möglichen Ländern, untergeordnet wird.
Das ist das eine Bild, das sich ihnen zeigt. Und doch hier ist noch Leben. Ein anderes rückt in ihr Blickfeld – die immer dunkler werdenden Regionen auf der Erde. Sie werden mehr und mehr.
Avtix möchte wissen: »Was ist das? Da gibt es ja kein Licht mehr! Was passiert dort?«
»Das sind die Orte, in denen die Menschen sich aufgegeben haben. Ab und zu mache ich dort meine Besuche. Sie empfinden Panik vor mir, weil ich manchmal jemanden mitnehme, der nie wieder zurückkehrt. Sie sind inzwischen so gepolt, dass sie sich gegenseitig nicht mehr trauen. Ihre Jugendlichen sind verschwunden. An diesen Kreaturen habe ich eigentlich kein wirkliches Interesse mehr.
Kennst du die Geschichte von dem Jäger, der an einem See steht und Enten schießt? Er trifft nicht jede. Er schickt seinen Diener fort, um die Enten einzusammeln. Als der beginnt, die toten aus dem Wasser zu fischen, ruft ihm der Jäger zu: ›Doch nicht die Toten zuerst, du Idiot, die haben wir doch sicher, erst die angeschossenen.‹
Ich will, dass alle, die sich noch überlegen, ob sie mir nachfolgen wollen, so vor sich hinvegetieren. Seelisch sind sie schon tot und es wird nicht mehr lange dauern, bis sie es auch physisch sind.«
»Einfach genial«, kann Avtix seine Anerkennung nicht verhehlen. Dann fällt ihm der andere Gehilfe ein.
»Wie weit ist denn Paméo mit seinen Aufgaben?«
»Bei ihm hakt es auch, irgendwie hat sich alles gegen uns verschworen!«
»Soll ich jetzt mal lachen? Gegen dich sollte jemand gewagt haben, sich zu verschwören? Das glaubst du doch selber nicht! Du bist der gewaltige Herrscher! Wer will dir diese Position streitig machen? Ich hätte den Mut jedenfalls nicht.«
Paméu, der wie gerufen die Terrasse betritt, enthebt den Herrn einer Antwort.
Auch er wirkt wie eine Erscheinung aus einem Science-Fiction-Film. Eine wabernde durchsichtige Gestalt, die ständig ihre Form verändert und dennoch eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Schaf hat. Grünlich schimmernder Gelatine nicht unähnlich, wälzt er sich mehr, als dass er ›betritt‹.
Sein Kopf befindet sich halslos direkt auf dem unförmigen gallertartigen Leib, der den Anschein erweckt, als wenn er gleich auseinanderfließen würde.
Seine Schafaugen täuschen ein demütiges Wesen vor. Das ist er ganz und gar nicht. Er ist berechnend! Im Moment allerdings erweckt er mehr den Eindruck von verletztem Stolz, fast schon von Resignation.
Kein siegreiches Lächeln umspielt, wie an anderen Tagen, sein unförmiges Maul, bei dem er die gelben langen Zähne bleckt. Er hat schlechte Nachrichten.
»Was ist jetzt wieder schiefgegangen?« Sein Herr nimmt sofort wahr, dass dieser Gesichtsausdruck nichts Gutes verheißt.
»Ich habe getan, was ich konnte, glaub es mir! Aber immer wieder muss ich feststellen, dass die Widerspenstigen, die sich Noturos nennen, plötzlich sogar aus den Gefängnissen verschwinden.
Sie werden Tag und Nacht ununterbrochen bewacht und doch gelingt es ihnen, zu entweichen. Da muss irgendjemand die Hände im Spiel haben, der sie hinter unserem Rücken befreit.
Meine Leute sind seit Tagen auf der Suche nach diesem Jemand. Sie glauben, seine Fährte entdeckt zu haben, nach ihrer Schilderung berührt ihr Atem schon fast seinen Nacken. Dann taucht er ab, als wenn ihn der Erdboden verschlucken würde, oder er sich unsichtbar machen könnte. Im Moment bin ich am Ende mit meiner Weisheit!«
Er öffnet seine niedergeschlagenen Augen. Zerknirscht gesteht er seine Niederlage ein. »Aber es ist ja noch nicht aller Tage Abend!«, setzt er beschwichtigend hinzu und kann den schnellen, Vorsicht signalisierenden Löwenblick von Avtix nicht deuten.
Und prompt bricht es aus seinem Herrn heraus: »Ich fasse es nicht! Wie oft soll ich euch noch erzählen, dass, wenn wir alles haben, Zeit auf keinen Fall dazu gehört! Sie läuft uns davon! Natürlich hast du auch bislang keine Sekunde in das Buch geschaut, sonst kämst du nicht mit der Bemerkung: ›Es ist nicht aller Tage Abend.‹
Verdammt noch mal, es ist aller Tage Abend, ob es euch gefällt oder nicht! Und wenn wir jetzt nicht ganz schnell ein paar richtig gute Ideen bekommen, verlieren wir diesen Kampf! Ich hoffe, das ist endlich bei euch angekommen!«
Kurz holt er Atem, um hinzuzufügen: »Leider bin ich auf euch angewiesen. Wenn es ohne euch ginge, würden wir uns sofort trennen!« Dann fällt ihm ein, dass das jetzt nicht so besonders klug war. Wenn sie ihm ihre Mitarbeit versagen, kann er gleich einpacken. Darum versucht er, seinen Ausbruch von eben ein wenig herunterzuspielen: »Nichts für ungut. Bislang ist uns wirklich schon viel gelungen, mir und euch, was uns dem Ziel näherbringt. Und ich weiß auch nicht wirklich, wieviel Zeit uns noch bleibt. Wir sollten jetzt überlegen, wie wir die Schwierigkeiten aus dem Weg räumen.«
Avtix und Paméu ist selbstverständlich auch klar, dass sie ihn brauchen. Schließlich sind sie voneinander abhängig – ohne Wenn und Aber. Sie benötigen ihn zum Beispiel dafür, ihr Aussehen zu verändern. Das kann nur er. Mit ihrem jetzigen Erscheinungsbild können sie nicht auf der Erde erscheinen. Sie würden die Menschen zu Tode erschrecken und genau das ist nicht gewollt.
Sie beginnen Pläne zu schmieden, wie sie und insbesondere Paméu, weiter vorgehen könnten.