Читать книгу Togt - Edeltraud-Inga Karrer - Страница 9

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5. Kapitel

Der Alte hebt den Kopf hoch, den er schwer in seine Hände gestützt hatte. Das Gesicht voller Runzeln, die aussehen, als habe jede Gefühlsregung und jedes Ereignis seine Narben hinterlassen. Er greift in seinen weißen Bart und lässt ihn langsam durch die Finger gleiten. Eine Geste, die er sich vor einigen Jahren angewöhnt hat und die wohl so etwas wie Bedenken und Unruhe ausdrückt.

Theo ist besorgt. Er weiß ja, sie kann nicht anders, doch er hat Angst um sie. Er kennt ihre impulsive Art, die sie schon manches Mal in Situationen gebracht hat, aus denen sie nur mit seiner Hilfe wieder einigermaßen unbeschadet herausfand.

»Du darfst nicht zu ihm gehen. Er ist brandgefährlich. Er wird dich auch ins Gefängnis werfen, wie Lukas, oder dich umbringen lassen!« Theo kann es nicht fassen, dass Lea versuchen will, bei Togt um die Freilassung ihres Bruders zu bitten. Ausgerechnet bei Togt! Niemand kann ihm trauen, schon gar nicht die Noturos.

»Bitte Lea, versprich mir, dass du noch einen Tag wartest! Wir werden beten und den König fragen, ob du gehen sollst. WennER nein sagt, musst du dich daran halten!«

Er lehnt sich in den verschlissenen aber von ihm so geliebten alten Armsessel zurück. Er möchte sie die Bedrohung, in die sie sich zu stürzen beabsichtigt, empfinden lassen, damit sie davor zurückschreckt und ihren Plan aufgibt, in die Höhle des Löwen zu gehen. Er will sie nicht auch noch verlieren.

Das achtzehnjährige Mädchen nickt und verlässt mit hängendem Kopf das Zimmer. Tränen laufen ihr über das Gesicht. Was soll sie nur machen? ›Ach, wenn Mama doch hier wäre! Sie würde mich verstehen. Wer soll sich denn um Lukas kümmern? Er hat doch nur noch mich.‹ Er ist bestimmt traurig und sehnt sich nach ihr.

Theo sieht ihr wehmütig lächelnd nach. Der alte Mann kann sich gut vorstellen, was jetzt in ihr vorgeht. Sie will ihren Bruder retten. Dieses Kind!

Wie es sein Leben bereichert hat! Er war ein verknöcherter Mann, ein Einsiedler. Nichts erwartete er mehr vom Leben. Er wollte nur in Ruhe gelassen werden. Und das passierte dann auch. Irgendwann klopfte niemand mehr an seine Tür und er hatte auch kein Verlangen danach. Seine einzigen Kontakte zur Außenwelt bestanden darin, seine spärlichen Einkäufe zu erledigen und den regelmäßigen wöchentlichen Gang zur Versammlung.

Theo sinnt vor sich hin. Wie wäre sein Leben verlaufen, wenn Betha sich für ihn entschieden hätte und nicht mit dem Hallodri Hinz auf und davon gegangen wäre? Wie es ihr wohl geht? Ist sie glücklich? Er hat nie mehr etwas von ihr gehört. Es wurde ja auch bald nach ihrer Trennung die Mauer gebaut und Theo hatte kein Verlangen danach, sich noch einmal einen Korb bei ihr zu holen.

Als er sich nach vielen Jahren in seinem Leben endlich irgendwie eingerichtet hatte und sicher war, nichts mehr ändern zu können aber auch nicht mehr zu wollen, griff das Schicksal ein und stellte seine Planung für sein weiteres Leben auf den Kopf.

Er kann sich sehr gut an den Tag erinnern, als seine Cousine vor seiner Tür stand, die heute nicht mehr lebt und damals schon eine alte Frau war, zehn Jahre älter als Theo und doch viel gebrechlicher, als es ihren Lebensjahren entsprach. An ihrer linken Hand hielt sie Lukas, an der rechten trippelte Lea daher. Sie brachte ihm die Kinder ihrer Schwester, die zusammen mit ihrem Mann bei einem Bootsunglück ums Leben gekommen war.

Die Cousine wollte ihre Schwester besuchen, als sie die beiden Kleinen in dem Haus allein vorfand. Sie weinten und riefen nach der Mutter. Sie sah das vertrocknete Brot auf dem Tisch. An einer Scheibe kaute Lukas herum und brach immer wieder ein Stück ab, weil es so hart war und er es kaum herunterschlucken konnte.

Die kleine Lea erzählte der Tante, dass Mama und Papa schon ganz lange nicht nach Hause gekommen sind. Sie war noch zu klein, um sagen zu können, wie lange sie schon allein waren. Kurz entschlossen packte sie ein paar Kleider und Spielsachen zusammen und beruhigte die beiden, die immer wieder nach ihrer Mama riefen, damit, dass sie morgen wiederkommen würden und nachsehen, ob Mama und Papa da wären. Damit ließen sich die beiden erst einmal vertrösten.

Die Eltern kamen nicht wieder und ihre Tante musste viele Tränen abwischen, sich viele Ablenkungen einfallen lassen, um ihnen zu helfen, über den immer wieder aufflammenden Schmerz und die Sehnsucht hinwegzukommen.

Die Pflegemutter der Geschwister kam irgendwann an ihre Grenzen. Der Doktor hatte ihr gesagt, sie habe noch ein halbes Jahr zu leben und solle möglichst bald die Kinder woanders unterbringen. Sie spürte auch, dass ihre Kraft immer mehr schwand und sie unendlich müde wurde. Da fiel ihr Theo ein, der alte Griesgram, aber der einzige Verwandte, der Platz und Zeit hatte, sich um die Kinder zu kümmern.

Theo weiß noch sehr genau, dass sich in ihm alles gegen die Idee gewehrt hat, von nun an seine Ruhe und Zurückgezogenheit für die Kinder zu opfern. Außerdem hatte er auch keine Ahnung, was er mit ihnen anfangen sollte.

Dann schaute er in die Augen von Lea. Niemals zuvor hatte er soviel Schmerz und Hoffnungslosigkeit in dem Blick eines Menschen gesehen. Unter dieser grünen, in nicht geweinten Tränen schwimmenden Traurigkeit schmolz sein, von echter Zuneigung schon lange nicht mehr weichgeliebtes Herz.

Er konnte nicht anders, als diesen beiden Waisen seine Tür zu öffnen, immer noch mit vielen Vorbehalten, aber ohne Gegenwehr.

Heute weiß er, dass er damals ein Gottesgeschenk erhalten hat. Lukas, der stille, in sich gekehrte Junge, war immer bereit, seinem Onkel zu helfen. Er war ein ordnungsliebender Knabe, stets darauf bedacht, sich nicht schmutzig zu machen. Seine dunklen Haare trug er sorgfältig gescheitelt und niemals vergaß er, seine Hausaufgaben zu erledigen. Seine Heftführung und sein Verhalten in der Schule waren genauso vorbildlich, wie sein Benehmen zu Hause. Er lernte gut und schnell und war so demütig, dass es dem Älteren schon fast weh tat.

Wie oft hatte er den Kindern gesagt, dass sie ihm nichts schuldig sind? Sie brachten ihm Sonnenschein ins trübe Leben und er hätte eigentlich ihnen zu Dankbarkeit verpflichtet sein müssen. Aber diese Worte erreichten sie nicht. War es die Angst, wieder weggeschickt zu werden? Theo hoffte, dass es nicht so sei.

Die kleine Lea! Ihr flog sein Herz zu, wie sie da so vor ihm stand, voller Zweifel und tiefer Traurigkeit. Die zarte, hübsche, kleine Lea. Ihre blonden Zöpfe flogen ihr um den Kopf, wenn sie durch den Garten direkt in seine Arme stürmte. Es dauerte fast zwei Jahre, bis er dies zum ersten Mal erlebte. Ihre Wangen waren fröhlich gerötet, wenn sie mit dem Nachbarshund um die Wette lief. Er sah sie in Erinnerung immer in Bewegung. Ihre Leistungen in der Schule waren in Sport und Sprachen sehr gut, die naturwissenschaftlichen Fächer lagen ihr nicht so sehr, obwohl sie sich für alles interessierte.

Die beiden Kinder verband eine besonders innige Beziehung. Einer konnte ohne den anderen nicht glücklich sein.

Und nun hatte man Lukas inhaftiert. Niemand wusste, weshalb er im Gefängnis war.

Das kann Lea nicht unberührt lassen. Sie ist bereit, für ihn zu kämpfen. Theo hat es gesehen, als sie ihn vorhin mit ihren grün-grauen Augen anfunkelte und ihm mitteilte, dass sie gehen würde, um Lukas zu retten und wieder freizubekommen.

Togt

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