Читать книгу Tarzan – Band 1 – Tarzan und die weiße Frau - Edgar Rice Burroughs - Страница 10

Der weiße Affe

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Kala pfleg­te ih­ren klei­nen Find­ling zärt­lich, wun­der­te sich in­des­sen im Stil­len, warum er nicht so kräf­tig und so ge­wandt wur­de, wie die klei­nen Af­fen der an­de­ren Müt­ter. Es war nun bei­na­he ein Jahr, das der klei­ne Schelm in ih­ren Be­sitz ge­lang­te, und doch konn­te er kaum al­lein ge­hen, und was gar das Klet­tern be­traf, — o du mei­ne Güte! wie dumm war er da­bei!

Manch­mal un­ter­hielt sich Kala mit den an­de­ren Weib­chen über ihr hoff­nungs­vol­les Kind, aber sie konn­ten nicht ver­ste­hen, dass ein Kind so lang­sam für sich selbst sor­gen lern­te. Schon mehr als zwölf Mo­na­te wa­ren ver­gan­gen, seit Kala das Jun­ge mit­ge­bracht hat­te, und es konn­te noch nicht ein­mal al­lein Fut­ter su­chen.

Hät­ten sie gar ge­wusst, dass das Kind schon drei­zehn Mo­na­te alt war, als es in Kalas Be­sitz kam, so hät­ten sie den Fall als völ­lig hoff­nungs­los an­ge­se­hen, denn die klei­nen Af­fen ih­res Stam­mes wa­ren in zwei bis drei Mo­na­ten der­art fort­ge­schrit­ten, wie die­ser Find­ling in fünf­und­zwan­zig Mo­na­ten. Tu­blat, Kalas Ehe­mann, war sehr är­ger­lich, und wenn das Weib­chen nicht so wach­sam und be­sorgt ge­we­sen wäre, hät­te er das Jun­ge bei­sei­te ge­schafft.

Er wird nie­mals ein großer Affe wer­den, sag­te er. Im­mer wirst du ihn zu tra­gen und zu be­schüt­zen ha­ben. Was kann er dem Stam­me nüt­zen? Nichts! Er wird nur eine Last sein! Wir wol­len ihn in das hohe Gras le­gen und ihn dort ru­hig ein­schla­fen las­sen. Dann kannst du Mut­ter an­de­rer, stär­ke­rer, jun­ger Af­fen wer­den, die uns in un­sern al­ten Ta­gen pfle­gen kön­nen.

Nie­mals, ge­bro­che­ne Nase, ant­wor­te­te Kala, ich be­hal­te ihn, und wenn ich ihn mein gan­zes Le­ben lang tra­gen müss­te.

Und dann ging Tu­blat zu Ker­schak und dräng­te ihn, sei­ne Au­to­ri­tät bei Kala gel­tend zu ma­chen, dass sie Tar­zan auf­ge­ben soll­te; so nann­ten sie näm­lich den klei­nen Lord Grey­sto­ke: Tar­zan, das heißt Weiß­haut.

Als aber Ker­schak mit Kala dar­über sprach, droh­te sie, vom Stam­me weg­zu­lau­fen, wenn man sie mit dem Kin­de nicht in Ruhe lie­ße. Da das Fort­lau­fen ei­nes der un­ver­äu­ßer­li­chen Rech­te des Dschun­gel­volks ist, so­bald ein Mit­glied mit den An­ge­hö­ri­gen un­zu­frie­den ist, so plag­te man Kala wei­ter nicht mehr da­mit, denn sie war ein wohl­ge­bau­tes, jun­ges Weib und man moch­te sie nicht ver­lie­ren.

Als Tar­zan her­an­wuchs, mach­te er schnel­le­re Fort­schrit­te, so­dass er mit zehn Jah­ren ein vor­züg­li­cher Klet­te­rer war, und auf der Erde konn­te er so wun­der­vol­le Din­ge aus­füh­ren, wie sie sei­ne klei­nen Brü­der und Schwes­tern nicht fer­tig be­ka­men. In man­chen Din­gen un­ter­schied er sich von ih­nen, und sie staun­ten oft über sei­ne über­ra­gen­de Ge­schick­lich­keit, aber in Be­zug auf Kräf­te und Wachs­tum war er sehr zu­rück­ge­blie­ben, denn mit zehn Jah­ren wa­ren die großen Men­schen­af­fen voll er­wach­sen; man­che von ih­nen wa­ren über sechs Fuß hoch, wäh­rend der klei­ne Tar­zan erst ein halb­er­wach­se­ner Kna­be war.

Und doch — was für ein Jun­ge war er!

Von frü­he­s­ter Ju­gend an hat­te er sei­ne Hän­de dar­in ge­übt, sich nach dem Bei­spiel sei­ner Rie­sen­mut­ter von Ast zu Ast zu schwin­gen, und als er grö­ßer wur­de, ver­brach­te er gan­ze Stun­den da­mit, mit sei­nen Brü­dern und Schwes­tern von ei­ner Baum­kro­ne zur an­de­ren zu klet­tern.

Er konn­te in der schwin­deln­den Höhe der Baum­kro­nen zwan­zig Fuß weit sprin­gen und mit un­fehl­ba­rer Ge­nau­ig­keit einen vom Wir­bel­sturm be­weg­ten Ast er­grei­fen.

Er konn­te sich zwan­zig Fuß tief in ra­schem Ab­stieg von Ast zu Ast her­un­ter­fal­len las­sen, und er konn­te den höchs­ten Gip­fel des stol­zes­ten tro­pi­schen Rie­sen mit der Schnel­lig­keit ei­nes Eich­hörn­chens er­klet­tern. Ob­schon er erst zehn Jah­re zähl­te, war er kräf­tig wie ein Durch­schnitts­mensch von drei­ßig Jah­ren und be­hän­der als die meis­ten ge­üb­ten Ath­le­ten es je wer­den. Und sei­ne Kräf­te wuch­sen von Tag zu Tag.

Sein Le­ben un­ter die­sen wil­den Af­fen war glück­lich, denn in sei­ner Erin­ne­rung gab es kein an­de­res Le­ben; auch wuss­te er nicht, dass es im Wel­tall au­ßer die­sem Wald und den Dschun­gel­tie­ren, mit de­nen er ver­traut war, noch et­was an­de­res gab.

Er war schon fast zehn Jah­re alt, als er an­fing, zu er­ken­nen, dass ein Un­ter­schied zwi­schen ihm und sei­nen Ka­me­ra­den be­stand. Sein klei­ner, von der Son­ne ge­bräun­ter Kör­per ver­ur­sach­te ihm plötz­lich ein tie­fes Scham­ge­fühl, denn er er­kann­te, dass er voll­stän­dig un­be­haart war, wie eine Schne­cke oder ein Rep­til.

Er ver­such­te die­sem Übel­stand ab­zu­hel­fen, in­dem er sich von Kopf bis zu den Fü­ßen mit Lehm be­klei­de­te, aber die­ser trock­ne­te und fiel ab. Au­ßer­dem fühl­te er sich so un­be­hag­lich da­bei, dass er sich lie­ber schäm­te, als die Un­be­quem­lich­keit wei­ter auf sich zu neh­men.

In dem hö­her ge­le­ge­nen Land­strich, in dem sich sein Stamm auf­hielt, war ein klei­ner See und in des­sen kla­ren stil­len Was­ser sah Tar­zan zu­erst sein Spie­gel­bild.

An ei­nem schwü­len Tag der tro­ckenen Jah­res­zeit ging er mit ei­nem sei­ner Vet­tern an das Ufer, um zu trin­ken. Als sie sich hin­über­beug­ten, spie­gel­te die ru­hi­ge Flä­che bei­der Ge­sich­ter wie­der: die wil­den, schreck­li­chen Ge­sichts­zü­ge des Af­fen, ne­ben de­nen des ari­sto­kra­ti­schen Spröss­lings ei­nes al­ten eng­li­schen Hau­ses.

Tar­zan war ent­setzt. Es war schon schlimm ge­nug, un­be­haart zu sein, aber wie konn­te er nur eine sol­che Ge­sichts­bil­dung ha­ben! Er wun­der­te sich, dass die an­de­ren Af­fen ihn über­haupt noch an­sa­hen.

Die­ser klei­ne Schlitz von ei­nem Mund und die­se win­zi­gen, klei­nen Zäh­ne! Wie küm­mer­lich sa­hen die­se aus ne­ben den mäch­ti­gen Lip­pen und den ge­wal­ti­gen Fän­gen sei­ner glück­li­che­ren Brü­der! Und die­se klei­ne, schma­le Nase, so dünn, dass sie halb ver­küm­mert aus­sah. Er er­rö­te­te, als er sie mit den schö­nen, brei­ten Nüs­tern sei­nes Ge­fähr­ten ver­glich. Wel­che groß­ar­ti­ge Nase! Sie be­deck­te ja das hal­be Ge­sicht. Es muss doch ge­wiss schön sein, so statt­lich aus­zu­se­hen, dach­te der arme klei­ne Tar­zan.

Aber als er in sei­ne ei­ge­nen Au­gen sah, da war er noch mehr ent­setzt: ein brau­ner Fleck, ein grau­er Kreis, und dann rei­nes Weiß! Fürch­ter­lich! Die Schlan­gen hat­ten nicht ein­mal so häss­li­che Au­gen wie er.

Er war so sehr in die Be­trach­tung sei­ner Ge­sichts­zü­ge ver­tieft, dass er nicht hör­te, wie das hohe Gras sich hin­ter ihm teil­te und ein großer Kör­per sich ver­stoh­len durch den Dschun­gel schlich. Auch sein Ka­me­rad, der Affe, hör­te nichts, denn er trank, und das Geräusch sei­ner sau­gen­den Lip­pen und das Gur­geln über­tön­ten die lei­sen Schrit­te des Ein­dring­lings.

Kei­ne drei­ßig Schrit­te hin­ter den bei­den duck­te sich Sa­bor, die Rie­sen-Lö­win, in­dem sie den Schwanz hin und her warf. Vor­sich­tig be­weg­te sie ihre große Tat­ze vor­wärts, und sie setz­te sie ge­räusch­los nie­der, ehe sie die an­de­re hob. So schlich sie nä­her. Ihr Bauch be­rühr­te fast den Bo­den. Sie glich ganz ei­ner großen Kat­ze, die den Sprung auf ihre Beu­te vor­be­rei­tet.

Jetzt war sie bis auf etwa zehn Fuß an die zwei klei­nen, ah­nungs­lo­sen Spiel­ka­me­ra­den her­an­ge­kom­men. Sorg­fäl­tig zog sie ihre Hin­ter­fü­ße un­ter ih­ren Kör­per, wäh­rend die star­ken Mus­keln sich sicht­lich un­ter dem herr­li­chen Fell be­weg­ten.

Sie lag fast flach auf der Erde. Nur die obe­re Krüm­mung des glän­zen­den Rückens war sicht­bar, als sie sich zum Sprun­ge an­schick­te.

Nun we­del­te sie nicht mehr mit dem Schwei­fe; ru­hig und ge­ra­de lag er hin­ter ihr.

Ei­nen Au­gen­blick hielt sie inne, als ob sie in Stein ver­wan­delt wäre, und dann sprang sie mit ei­nem schreck­li­chen Schrei auf. Nun hät­te man den­ken kön­nen, das wäre von ihr un­klug ge­han­delt, denn ohne die­sen Schrei hät­te sie si­che­rer über ihre Op­fer her­fal­len kön­nen. Aber Sa­bor, die Lö­win, war eine klu­ge Jä­ge­rin. Sie kann­te das un­glaub­lich fei­ne Ge­hör und die er­staun­li­che Schnel­lig­keit des jun­gen Dschun­gel­vol­kes, und sie wuss­te, dass sie den mäch­ti­gen Sprung nicht ohne Geräusch aus­füh­ren konn­te. Der wil­de Schrei aber soll­te nicht eine War­nung sein, son­dern die ar­men Op­fer vor Schre­cken läh­men, wenn auch nur für eine Se­kun­de, die ihr ge­nüg­te, um ihre ge­wal­ti­gen Kral­len in das wei­che Fleisch zu schla­gen und sie am Ent­flie­hen zu ver­hin­dern.

Was den Af­fen be­traf, so war ihr Kunst­griff rich­tig. Der klei­ne Kerl duck­te sich einen Au­gen­blick zit­ternd, und die­ser Au­gen­blick wur­de zu sei­nem Ver­der­ben.

An­ders war es mit Tar­zan, dem Men­schen­kind. Sein Le­ben in­mit­ten der Ge­fah­ren des Dschun­gels hat­te ihn ge­lehrt, un­er­war­te­ten Vor­fäl­len mit Selbst­ver­trau­en zu be­geg­nen, und die Fol­ge sei­ner hö­he­ren Geis­tes­kräf­te war ein schnel­les Den­ken, das weit über den Fä­hig­kei­ten der Af­fen stand.

So reg­te der Schrei der Lö­win das Hirn und die Mus­keln des klei­nen Tar­zan zum au­gen­blick­li­chen Han­deln an.

Vor ihm lag das tie­fe Was­ser des Sees, hin­ter ihm der si­che­re Tod, ein grau­sa­mer Tod un­ter den Klau­en und zwi­schen den Fän­gen der Lö­win.

Tar­zan hat­te einen Ab­scheu vor dem Was­ser, so­weit es nicht dazu diente, sei­nen Durst zu stil­len. Sei­ne wil­de Mut­ter hat­te ihn auch ge­lehrt, das tie­fe Was­ser des Sees zu mei­den, und hat­te er nicht erst vor ei­ni­gen Wo­chen die klei­ne Ree­ta un­ter der glat­ten Flä­che ver­sin­ken se­hen, so­dass sie nie wie­der zu ih­rem Stamm zu­rück­kehr­te?

Aber von zwei Übeln wähl­te Tar­zan rasch ent­schlos­sen das klei­ne­re, und noch ehe Sa­bors Schrei an das Ende des stil­len Dschun­gels ge­drun­gen war und noch be­vor das Tier sei­nen Sprung halb aus­ge­führt hat­te, war Tar­zan in das kal­te Was­ser ge­sprun­gen, das über sei­nem Kop­fe zu­sam­menschlug. Er konn­te nicht schwim­men, und das Was­ser war sehr tief, aber er ver­lor auch nicht einen Au­gen­blick das Selbst­ver­trau­en und sei­ne Fin­dig­keit, die Kenn­zei­chen ei­nes hö­he­ren We­sens wa­ren.

Bei dem Ver­such, auf die Ober­flä­che zu ge­lan­gen, be­weg­te er schnell Hän­de und Bei­ne, und wahr­schein­lich mehr durch Zu­fall als durch Ab­sicht ahm­te er die Stö­ße ei­nes schwim­men­den Hun­des nach, so­dass er in ein paar Se­kun­den die Nase über Was­ser hat­te. So fand er, dass, wenn er sich wei­ter so be­weg­te, er wei­ter im Was­ser fort­kam.

Er war freu­dig über­rascht über die­se neue Fä­hig­keit, die er sich so schnell an­ge­eig­net hat­te, wenn er auch kei­ne Zeit hat­te, wei­ter dar­über nach­zu­den­ken.

Jetzt schwamm er am Ufer ent­lang, und dort sah er das wil­de Tier, das ihm nach­stell­te, über den leb­lo­sen Kör­per sei­nes klei­nen Spiel­ge­nos­sen ge­duckt.

Die Lö­win be­ob­ach­te­te Tar­zan ge­spannt; sie er­war­te­te of­fen­bar, dass er ans Land zu­rück­kehr­te.

Der Kna­be hü­te­te sich aber wohl da­vor. Er er­hob viel­mehr sei­ne Stim­me zu dem Hil­fe- und Warn­ruf, der bei den Af­fen üb­lich war.

Gleich dar­auf kam eine Ant­wort aus der Fer­ne, und in we­ni­gen Mi­nu­ten schwan­gen sich vier­zig bis fünf­zig große Af­fen schnell und ma­je­stä­tisch durch die Bäu­me, dem tra­gi­schen Schau­platz ent­ge­gen.

Al­len vor­an war Kala, denn sie hat­te die Stim­me ih­res lie­ben Kin­des er­kannt, und bei ihr war die Mut­ter des klei­nen Af­fen, der jetzt tot un­ter der schreck­li­chen Sa­bor lag.

Ob­schon die Lö­win mäch­ti­ger und bes­ser zum Kamp­fe aus­ge­rüs­tet war als die Af­fen, so hat­te sie doch kei­ne Lust, es mit ei­ner gan­zen Schar die­ser wü­ten­den großen Tie­re auf­zu­neh­men, und mit ei­nem är­ger­li­chen Knur­ren sprang sie schnell in das Ge­büsch und ver­schwand.

Tar­zan schwamm jetzt ans Ufer und klet­ter­te schnell aufs Land. Er fühl­te sich so er­frischt und so be­hag­lich zu Mute, dass er fort­an kei­ne Ge­le­gen­heit ver­säum­te, täg­lich im See, im Fluss oder im Meer zu ba­den.

Lan­ge konn­te Kala sich nicht an die­sen An­blick ge­wöh­nen, denn ob­schon ihr Volk schwim­men konn­te, wenn es dazu ge­zwun­gen war, so ging ein Affe doch nur un­gern und nie frei­wil­lig ins Was­ser.

Das Er­leb­nis mit der Lö­win hat­te üb­ri­gens eine Ab­wechs­lung in Tar­zans ein­tö­ni­ges Da­sein ge­bracht, das nur in der stumpf­sin­ni­gen Wie­der­ho­lung des Fut­ter­su­chens, Es­sens und Schla­fens be­stand.

Der Stamm, zu dem er ge­hör­te, durch­streif­te eine Stre­cke von an­nä­hernd fünf­und­zwan­zig Mei­len längs der Küs­te und etwa fünf­zig Mei­len ins Bin­nen­land hin­ein. In die­ser Ge­gend zo­gen die Af­fen fast ohne grö­ße­re Un­ter­bre­chung hin und her; doch blie­ben sie ge­le­gent­lich auch mo­na­te­lang an ei­nem Ort. So­bald sie aber die schnel­le Wan­de­rung von Baum­kro­ne zu Baum­kro­ne auf­nah­men, durch­ma­ßen sie das gan­ze Ge­biet in we­ni­gen Ta­gen.

Viel hing von der Fut­ter­ver­sor­gung, der Wit­te­rung und der Be­dro­hung durch Raub­tie­re ab. Ker­schak führ­te sei­nen Stamm oft auf wei­te Mär­sche, bloß weil es ihn lang­weil­te, an ein und der­sel­ben Stel­le aus­zu­hal­ten.

Nachts schlie­fen die Af­fen auf der Erde, wo die Dun­kel­heit sie ge­ra­de über­fiel. Manch­mal be­deck­ten sie den Kopf, sel­ten den üb­ri­gen Kör­per, mit den großen Blät­tern des Ele­fan­te­nohrs. Wenn die Näch­te kalt wa­ren, la­gen sie zu zweit oder dritt an­ein­an­der­ge­schmiegt, um sich ge­gen­sei­tig zu wär­men, und so schlief Tar­zan alle die­se Jah­re hin­durch in Kalas Ar­men. Dass das rie­si­ge wil­de Tier die­ses Kind ei­ner an­de­ren Ras­se lieb­te, ist nicht zu be­zwei­feln, und auch er lieb­te die­ses große, haa­ri­ge Tier, wie er sei­ne jun­ge Mut­ter ge­liebt hät­te, wenn sie am Le­ben ge­blie­ben wäre.

War er un­folg­sam, so knuff­te sie ihn al­ler­dings, aber sie war nie grau­sam ge­gen ihn, und sie lieb­kos­te ihn häu­fi­ger als sie ihn straf­te.

Tu­blat, ihr Gat­te, hass­te ihn, und mehr als ein­mal war er nahe dar­an, sei­nem jun­gen Le­ben ein Ende zu be­rei­ten. Tar­zan ließ sei­ner­seits nie eine Ge­le­gen­heit vor­über­ge­hen, sei­nem Pfle­ge­va­ter zu zei­gen, dass er sei­ne Ge­füh­le voll er­wi­der­te. Und wenn er, ge­bor­gen in sei­ner Mut­ter Arme oder von den schlan­ken Äs­ten ho­her Bäu­me, ihn är­gern, ihm Ge­sich­ter schnei­den oder Schimpf­wor­te zu­ru­fen konn­te, so tat er es.

Dank sei­ner hö­he­ren In­tel­li­genz und sei­ner Ge­schick­lich­keit konn­te er tau­send lose Strei­che er­sin­nen, die Tu­blat das Le­ben sau­er mach­ten.

Früh in sei­ner Kind­heit hat­te er ge­lernt, aus lan­gen Grä­sern, die er dreh­te und an­ein­an­der knüpf­te, Stri­cke zu for­men, und die­se brach­te er so an, dass Tu­blat dar­über stol­per­te, wenn er nicht gar von ei­nem über­hän­gen­den Aste aus ver­such­te, ihm den Strick um den Hals zu le­gen.

Beim Spie­len und durch al­ler­lei Ver­su­che lern­te er kräf­ti­ge Kno­ten und Fang­sch­lin­gen knüp­fen, und mit die­sen spiel­ten er und die jün­ge­ren Af­fen. Auch die­se ver­such­ten sei­ne Kunst nach­zuah­men, aber kei­ner von ih­nen war so er­fin­de­risch wie er. Ei­nes Ta­ges hat­te Tar­zan beim Spie­len ei­nem flie­hen­den Ka­me­ra­den sei­nen Strick nach­ge­wor­fen, in­dem er das Ende in der Hand be­hielt. Durch Zu­fall fiel die Sch­lin­ge um den Hals des lau­fen­den Af­fen, so­dass die­ser ge­zwun­gen war, ste­hen zu blei­ben.

Tar­zan war über die­se Wir­kung ver­wun­dert. Das ist ein neu­es, schö­nes Spiel, dach­te er, und er ver­such­te das Kunst­stück noch ein­mal. So lern­te er durch fort­ge­setz­te Übung die Kunst des Sch­lin­gen­wer­fens.

Von nun an war das Le­ben Tu­blats ein ste­tes Alp­drücken. Im Schlaf, auf dem Mar­sche, bei Tag und bei Nacht, im­mer muss­te er da­mit rech­nen, dass der bos­haf­te Jun­ge ihm heim­lich eine Sch­lin­ge um den Hals zu le­gen und ihn da­mit zu er­wür­gen ver­such­te.

Kala straf­te Tar­zan zwar, und Tu­blat schwor ihm schreck­li­che Ra­che. Auch der alte Ker­schak nahm sich der Sa­che an, warn­te und droh­te, aber al­les war ver­ge­bens.

Tar­zan trotz­te ih­nen al­len, und die dün­ne, star­ke Sch­lin­ge leg­te sich auch fer­ner um Tu­blats Hals, wenn er es am we­nigs­ten ver­mu­te­te.

Die an­de­ren Af­fen hat­ten ihre Freu­de dar­an, denn Tu­blat war ein un­an­ge­neh­mer, al­ter Pa­tron, den nie­mand lei­den moch­te. In Tar­zans klu­gen, klei­nen Geist dreh­ten sich man­che Ge­dan­ken, und hin­ter die­sen war die gött­li­che Macht des Ver­stan­des.

Tar­zan sag­te sich, wenn er mit ei­ner sol­chen Sch­lin­ge einen Af­fen fan­gen konn­te, wes­halb nicht auch Sa­bor, die Lö­win? Es war der Keim ei­nes Ge­dan­kens, der vor­läu­fig nur in sei­nem Un­ter­be­wusst­sein leb­te, bis er in spä­te­ren Jah­ren zur Vollen­dung ge­dieh.

Tarzan – Band 1 – Tarzan und die weiße Frau

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