Читать книгу Tarzan – Band 1 – Tarzan und die weiße Frau - Edgar Rice Burroughs - Страница 11
Dschungelkämpfe
ОглавлениеAuf seinen Wanderungen kam der Stamm oft in die Nähe der stillen, verschlossenen Hütte an der kleinen Bucht. Tarzan hätte gar zu gerne gewusst, welches Geheimnis darin verborgen war.
Er versuchte zwar, durch die Fenster zu schauen, aber sie waren verhängt. Dann dachte er daran, auf das Dach zu klettern, um durch den Kamin hinunterzukommen, vielleicht könnte er auf diese Weise erfahren, welche Wunder innerhalb dieser Wände verborgen waren.
In seiner kindlichen Einbildung stellte er sich allerlei merkwürdige Dinge vor, die darin enthalten sein müssten, und je mehr er einsah, dass er nicht ohne weiteres hineingelangen könne, desto lebhafter wurde sein Wunsch, das Rätsel zu lösen.
Er kletterte stundenlang um das Dach und die Fenster herum, um ein Mittel zu entdecken, sich Eingang zu verschaffen, aber auf die Tür achtete er nur wenig, denn sie schien ihm ebenso fest zu sein, wie die Wände der Hütte.
Kurz nachdem er das Abenteuer mit Sabor erlebt hatte, kam er wieder in die Nähe der Hütte. Da schien es ihm, als ob die Tür ein unabhängiger Teil der Wand sei, in die sie eingesetzt war, und zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, dass dies der Weg sei, ins Innere zu gelangen, nach dem er so lange vergeblich gesucht hatte.
Er war allein, wie schon so oft, wenn er die Hütte aufsuchte, denn die Affen hatten eine Abneigung dagegen. Die Geschichte von dem Donnerstock hatte in diesen zehn Jahren nichts an Schrecken verloren, und sie umgab noch immer die verlassene Wohnung des weißen Mannes mit einer für die Affen unheimlichen Atmosphäre.
Niemand hatte Tarzan erzählt, in welcher Beziehung er selbst zu der Hütte stand. Die Sprache der Affen ist so wortarm, dass sie nur wenig darüber berichten konnten, was sie in der Hütte gesehen. Sie hatten auch keine Worte, um die seltsamen Leute und ihre Sachen zu beschreiben, und so kam es, dass, als Tarzan alt genug war, um zu verstehen, die Sache längst vom Stamm vergessen war.
Nur in einer ganz unklaren und unbestimmten Weise hatte Kala ihm erklärt, dass sein Vater ein seltsamer, weißer Affe gewesen sei, aber er wusste nicht, dass Kala nicht seine Mutter war.
An diesem Tage nun ging er sofort auf die Tür zu, untersuchte sie stundenlang und machte sich an den Scharnieren, am Knopf und an der Klinke zu schaffen. Schließlich fand er den richtigen Griff, und vor seinen erstaunten Augen sprang die Tür knarrend auf.
Zuerst wagte er sich nicht hinein, aber als seine Augen sich allmählich an das Halbdunkel im Innern gewöhnt hatten, betrat er langsam und vorsichtig den Raum.
In der Mitte lag ein Skelett auf dem Boden. Das Fleisch war von den Knochen vollständig verschwunden; nur die vermoderten Überreste der Kleider hingen noch daran. Auf dem Bette lag ein ähnliches, grauenhaftes, schmäleres Gerippe, während daneben in einer Wiege ein drittes, winziges Skelett lag.
Tarzan warf nur einen flüchtigen Blick auf diese Zeugen einer furchtbaren Tragödie. Sein wildes Dschungelleben hatte ihn an den Anblick toter und sterbender Tiere gewöhnt. Auch wenn er gewusst hätte, dass er auf die Überreste seiner Eltern blickte, so wäre er nicht gerührter gewesen.
Die Möbel und der übrige Inhalt des Raumes fesselten seine Aufmerksamkeit mehr. Er besichtigte manche Dinge minutenlang, das fremdartige Handwerkszeug, die Waffen, die Bücher, Papier und Kleider, die den Verheerungen der Zeit in der feuchten Luft der Dschungelhütte nur wenig widerstanden hatten.
Er öffnete Kasten und Schränke, die ihm völlig neu waren, und in diesen fand er den Inhalt viel bester erhalten. Unter anderem entdeckte er ein scharfes Jagdmesser, mit dem er sich schon gleich in den Finger schnitt. Das hinderte ihn aber nicht, weitere Versuche damit anzustellen, und er fand, dass er mit seinem neuen Spielzeug Holzsplitter vom Tisch und von den Stühlen abschneiden konnte. Das amüsierte ihn eine ganze Weile, aber schließlich wurde er dessen überdrüssig, und er setzte seine Nachforschungen fort.
In einem mit Büchern gefüllten Schrank fand er eine Kinderfibel mit schönen farbigen Bildern, die seine Neugier aufs höchste erregten.
Da gab es mancherlei Affen, die ein ähnliches Gesicht hatten, wie er, und gleich beim ersten Buchstaben A fand er auch kleine Affen, wie er sie täglich im Urwalde auf den Bäumen umherklettern sah. Aber nirgends fand er im Buch ein Bild von seinem eigenen Volk, kein Bild von Kerschak, Tublat oder Kala.
Zuerst versuchte er, die kleinen Figuren von den Blättern wegzunehmen, aber bald sah er, dass sie nicht lebend waren, obschon er nicht wusste, was sie eigentlich seien und er auch keine Worte hatte, sie zu beschreiben.
Die Schiffe und Eisenbahnzüge, die Kühe und Pferde, die er im Buch sah, waren ganz sinnlos für ihn, da er sich nicht vorstellen konnte, was das sein mochte, aber noch viel weniger konnte er begreifen, was die Buchstaben sein sollten, diese kleinen Dinger, die sich unter und zwischen den farbigen Bildern befanden. Er dachte, es könnte eine seltene Art Käfer sein, denn viele von ihnen hatten Beine, obgleich nirgends Augen oder ein Mund zu sehen war.
Das war also Tarzans erste Bekanntschaft mit den Buchstaben des Alphabets, und dabei war er schon über zehn Jahre alt! Natürlich hatte er nie etwas Gedrucktes gesehen, hatte auch nie mit einem lebenden Wesen gesprochen, das etwas von dem Vorhandensein einer geschriebenen Sprache wusste. Auch hatte er noch nie jemand lesen gesehen.
Es war also kein Wunder, dass der Junge den Sinn der seltsamen Figuren nicht erraten konnte.
Gegen die Mitte des Buches fand er seine alte Feindin, die Löwin Sabor, und weiter sah er Histah, die Schlange, sich winden.
O, das war sehr interessant! Niemals in all diesen Jahren hatte er sich über etwas so gefreut. Er war so vertieft in die Betrachtung der Bilder, dass er nicht bemerkte, wie die Dunkelheit hereinbrach, bis er die Figuren nicht mehr deutlich unterscheiden konnte.
Er legte das Buch in den Schrank zurück und schloss die Tür, denn er wollte nicht, dass sonst jemand seine Schätze finden und zerstören sollte. Als er in die Abenddämmerung hinausging, schloss er die Tür der Hütte so hinter sich zu, wie sie war, ehe er das Geheimnis der Hütte entdeckt hatte. Zuvor aber hatte er noch das Jagdmesser vom Boden aufgehoben, um es seinen Kameraden zu zeigen.
Er war noch kaum zwölf Schritte gegangen, als sich aus dem Schatten eines Gebüsches vor ihm eine große Gestalt erhob. Zuerst dachte er, es sei einer von seinem eigenen Volke, aber dann erkannte er plötzlich Volgani, den Riesen-Gorilla.
Er war so nahe, dass sich ihm keine Aussicht zur Flucht bot. Der kleine Tarzan wusste, dass er für sein Leben zu kämpfen hatte, denn die großen Tiere waren die Todfeinde seines Stammes.
Wäre Tarzan ein voll erwachsener Affe gewesen, da hätte er den Kampf mit dem Gorilla schon ausgenommen, aber er war nur ein kleiner englischer Junge, wenn auch sehr muskulös für sein Alter. Wenn er auch seinem grausamen Feind nicht gewachsen war, so floss in seinen Adern doch das Blut einer mächtigen Kämpferrasse, und dazu kam, dass er sich während seiner kurzen Lebenszeit unter diesem wilden Dschungelvolke ordentlich trainiert hatte.
Er kannte keine Furcht, obgleich sein Herz schneller schlug, wenn er ein Abenteuer erlebte. Wohl hätte er versucht, zu entkommen, weil er sich sagte, dass er dem großen Gorilla nicht gewachsen war, aber da er einsah, dass die Flucht unmöglich war, trat er ihm tapfer entgegen, ohne auch nur mit einem Muskel zu zucken.
Er kam dem wilden Tier sogar bei seinem Angriff halbwegs entgegen. Mit den Fäusten schlug er auf das Ungetüm ein, und wenn das auch an und für sich so unnütz gewesen wäre wie der Kampf einer Fliege gegen einen Elefanten, so hielt er doch noch in der einen Hand das Messer, das er in der Hütte gefunden hatte, und als das Tier sich ihm schlagend und beißend näherte, richtete er die Spitze des Messers zufällig gegen dessen haarige Brust. Als es sich nun tief in den Körper hineinbohrte, schrie der Gorilla vor Schmerz und Wut auf.
In dieser kurzen Sekunde lernte der Knabe sein scharfes glänzendes Spielzeug als Waffe gebrauchen, und als das Tier ihn zu Boden schlug, um ihn zu zerreißen, stieß er ihm die Klinge wiederholt bis ans Heft in die Brust.
Der Gorilla, der auf seine Art kämpfte, versetzte dem Knaben schreckliche Schläge mit seiner Hand und riss ihm mit seinen gewaltigen Händen das Fleisch von Hals und Brust.
Einen Augenblick lang wälzten sich die beiden in wildem Kampf auf dem Boden. Die Stöße, die der Junge mit seinem blutigen, zerfleischten Arme ausführte, wurden immer schwächer, und endlich erstarben die Bewegungen mit einem krampfhaften Ruck: Tarzan, der junge Lord Greystoke, rollte wie leblos auf die abgestorbene Pflanzendecke des Dschungelbodens.
Eine Meile weit im Walde hatte der Stamm den wilden Angriffsschrei des Gorillas gehört. Kerschak hatte die Gewohnheit, seine Angehörigen zusammenzurufen, wenn Gefahr drohte, teils um sich gegenseitig gegen einen gemeinsamen Feind zu schützen, teils um sich zu überzeugen, ob auch noch alle Mitglieder seines Stammes vorhanden waren.
Das tat er denn auch diesmal, zumal man nicht wissen konnte, ob jener Gorilla vielleicht nur einer von mehreren war. So merkte man, dass Tarzan fehlte. Tublat wehrte sich aber heftig dagegen, ihm zu Hilfe zu eilen. Kerschak selbst mochte den kleinen fremden Findling auch nicht ordentlich leiden, und so ließ er sich von Tublat überreden, mit einem Achselzucken kehrte er zu der Stelle zurück, wo er sich auf einem Haufen Blätter sein Lager bereitet hatte.
Kala dachte aber anders. Kaum hatte sie bemerkt, dass Tarzan fehlte, als sie schleunigst durch die Äste hindurchbrach und zwar in der Richtung, von wo die Schreie des Gorillas noch immer deutlich herkamen.
Die Dunkelheit war nun völlig hereingebrochen, und der früh aufsteigende Mond warf mit seinem schwachen Lichte seltsame Schatten in das dichte Laubwerk des Waldes.
Hier und dort drangen die silberhellen Strahlen auf die Erde, aber sie trugen nur dazu bei, die Dunkelheit der Dschungelwildnis noch stärker hervortreten zu lassen.
Wie ein riesiges Gespenst schwang Kala sich geräuschlos von einem Baum zum anderen; bald glitt sie flink an einem großen Ast entlang, bald schwang sie sich von einem Ast auf einen weiteren Baum, um möglichst schnell an den Ort der Katastrophe zu kommen, denn ihre Kenntnis des Dschungellebens ließ sie erraten, was vorgefallen sein mochte.
Die Schreie des Gorillas verkündeten, dass er sich im Kampf auf Leben und Tod mit einem anderen Bewohner des wilden Waldes befand. Plötzlich hörte das Geschrei auf und eine Todesstille herrschte im Dschungel.
Das konnte Kala nicht verstehen, denn sie hatte zuletzt Volganis Stimme voll Schmerz und Todesangst vernommen, aber sie hatte keinen Ton gehört, aus dem sie auf die Natur seines Gegners hätte schließen können.
Dass ihr kleiner Tarzan einen großen Gorilla töten könnte, schien ihr unwahrscheinlich. Als sie sich der Stelle näherte, von wo die Laute des Kampfes hergekommen waren, bewegte sie sich behutsamer, und zuletzt drang sie langsam und mit äußerster Vorsicht zwischen den niedrigen Ästen hindurch vor, indem sie überall, wo der Mondschein hinkam, nach den Kämpfenden forschte.
Auf einmal stieß sie darauf. Sie lagen auf einer freien, vom Mond beschienenen Stelle: der zerfleischte, blutige Körper des kleinen Tarzan und daneben ein großer Gorilla — mausetot.
Mit einem lauten Schrei stürzte sie auf Tarzan zu, und den armen, blutbedeckten Körper an ihre Brust legend, horchte sie auf ein Lebenszeichen. Kaum hörte sie noch den schwachen Laut seines kleinen Herzens.
Zärtlich trug sie ihn durch den dunklen Dschungel zurück an die Stelle, wo der Stamm lag.
Nun wachte sie viele Tage und Nächte an seiner Seite, brachte ihm Nahrung und Wasser und jagte die Fliegen und andere Insekten von seinen schmerzenden Wunden.
Von Arznei und Wundheilkunde wusste das arme Wesen natürlich nichts. Es konnte nur die Wunden lecken, und auf diese Weise hielt es sie rein, sodass die heilende Natur ihr Werk rascher vollenden konnte.
Anfangs wollte Tarzan nichts essen, und wälzte sich im wilden Fieberdelirium ruhelos auf seinem Lager. Alles, was er verlangte, war Wasser, und dieses brachte Kala ihm auf dem einzigen möglichen Wege, nämlich in ihrem eigenen Maule. Keine menschliche Mutter hätte sich selbstloser aufopfern können als dieses arme wilde Tier für den kleinen verwaisten Findling, den das Schicksal ihrer Obhut anvertraut hatte. Endlich ließ das Fieber nach, und der Junge war auf dem Wege der Besserung. Keine Klage kam über seine Lippen, obschon die Wunden ihn sehr schmerzten.
Ein Teil des Brustkastens war bis auf die Rippen bloßgelegt, von denen drei durch die wuchtigen Schläge des Gorillas gebrochen waren. Ein Arm war durch die riesigen Fänge fast abgetrennt, und ein großes Stück war ihm vom Halse gerissen, und nur durch ein Wunder war die Schlagader verschont geblieben.
Mit der Ergebenheit der wilden Tiere, die ihn aufgezogen halten, ertrug Tarzan die Leiden geduldig, und schlich sich lieber von den anderen hinweg, um sich irgendwo in das hohe Gras niederzukauern, als ihnen sein Elend vor Augen zu führen.
Nur mit Kala war er gerne zusammen. Jetzt aber, da er auf dem Wege der Besserung war, blieb sie etwas länger aus, um Futter zu suchen, denn so lange Tarzan schwer krank war, hatte das treue Tier kaum so viel gefressen, um sein Leben zu erhalten, und es war infolgedessen kaum noch ein Schatten seines früheren Selbst.