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Der Uaso Nyiro, den die Weißen Brauner Fluss nennen, gleicht einer trägen Riesenschlange, die das Land der Samburu in zahlreichen Schleifen und Bögen durchquert, der Weg gesäumt von Dumpalmen und roten Sandbänken, ursprünglich und wild, schroff und schön zugleich. Die Ufer Heimat der großen Grevyzebras, deren enge Streifenzeichnung sie von ihren südlicheren Artgenossen unterscheidet.

Die kleine Herde war auf dem Weg zum Fluss hinunter und trabte zielstrebig über die Akaziensavanne am Farmhaus der Shamba Kifaru vorbei. Die gestreiften Wildpferde mit der aufgestellten Nackenmähne und ihren großen Fledermausohren hatten den heißen Tag im Schatten des Buschlands verbracht, das sich in sanften Hügeln ansteigend bis zum Horizont erstreckt, wo es in den mächtigen Felsbrocken der Sambururange seine Grenzen findet.

Drüben, am jenseitigen Ufer des Uaso Nyiro, waren die Hälse der Netzgiraffen zu entdecken, deren feine Zeichnung sie anmutiger erscheinen lässt als die größeren Massaigiraffen, die in der Serengeti und am Mara leben. Drei Dutzend der prähistorisch anmutenden Langhälse zogen in zwei Linien am Fluss entlang, die einen unten im trockenen Randbereich des Betts, die anderen eine Etage höher in der Böschung, wo grüne Feigen reichlich Nahrung boten. Einige der Tiere näherten sich vorsichtig dem Ufer, spreizten umständlich die Beine und reckten ihre Hälse zum Wasser, um zu trinken. Verzerrt spiegelte sich ihr Bild an der Oberfläche, und der graugrüne Baumstamm, dessen gezackte Rinde aus der braunen Flut ragte, trieb fast regungslos auf die Giraffen zu. Plötzlich war er verschwunden, untergetaucht im trüben Sud. Die Schnauzen der Giraffen erhoben sich, Wasser triefte von ihren Lefzen, da verriet ein leichter Strudel die Gefahr. Mit einem Ruck fuhren die Hälse nach oben, die Beine streckten sich durch und mit zwei raschen Sprüngen, die man den behäbigen Tieren nie zugetraut hätte, begaben sie sich aus der Gefahrenzone.

Das Krokodil schoss aus dem Wasser, schäumende Gischt peitschte ans Ufer und überschwemmte die Stelle, wo die Hufe der Giraffen kleine Löcher im Schlamm hinterlassen hatten. Eine Schar Gelbkehlfrankolins flatterte erschrocken auf, doch der gepanzerte Räuber war zu schnell. Gewaltig packten die zahnbewehrten Kiefer zu, schlossen sich um einen der hühnergroßen Vögel und zogen die Beute, die jetzt nicht mehr war als ein Knäuel aus Federn, Knochen, Fleisch und Blut, in das braune Wasser. Sekunden später war nichts mehr von dem Angreifer zu erkennen, kein Strudel, keine Bewegung auf dem ruhig dahingleitenden Strom. Zögernd kehrten die Frankolins zurück, um erneut ihren Durst zu löschen, nur die Giraffen trauten sich nicht mehr heran.

Ein paar Meter stromabwärts ragte jetzt die gezackte Rinde des graugrünen Baumstamms aus dem Fluss, wie von Zauberhand in der Strömung festgehalten. Das Licht der langsam über den Dumpalmen sinkenden Sonne zauberte Farbenspiele auf Land und Wasser, bronzen leuchteten die kurzhaarigen Felle der Impalas und fast schwarz glänzte die borstige Haut des kapitalen Warzenschweinkeilers, der mit eingeknickten Vorderläufen im morastigen Uferschlamm nach Nahrung suchte.

Die Frau, die auf der Terrasse der Shamba Kifaru die letzten Sonnenstrahlen genoss, setzte das Fernglas ab und blickte zu der Dunstsäule, die das näher kommende Fahrzeug schon von Weitem ankündigte. Ein Besucher um diese Zeit?, dachte sie und sah auf ihre Armbanduhr. Von den Fahrern war keiner mehr mit Touristen auf der Farm unterwegs, die nächsten Neuankömmlinge wurden erst in zwei Tagen erwartet, und Freunde und Nachbarn kamen nur aus ganz besonderen Gründen noch so spät auf die abgelegene Shamba, da es auch in ruhigen Zeiten riskant war, sich hier im Gebiet somalischer Shiftas nachts allein auf den Straßen herumzutreiben.

Auch sie hatten nach Sonnenuntergang Patrouillen laufen, junge Samburus, die sich lieber auf diese Weise ihr Geld verdienten als bei traditionellen Stammestänzen für die Touristen der Lodges im Reservat. Doch sie waren nicht etwa zur Sicherheit der Gäste angeheuert worden, sondern wegen der vierbeinigen dickhäutigen Bewohner der Shamba Kifaru, die hier besonderen Schutz genossen, denn die Farm im Norden war eines der letzten Refugien für Schwarze und Weiße Nashörner in Kenya.

Jede Bewegung der Tiere wurde mittels im Horn versteckter Mikrochips per GPS überwacht und von einem Computer aufgezeichnet. Die Chips wurden, von außen nicht sichtbar, in die Hörner eingepflanzt, und so war es nicht nur möglich, lebende Tiere ständig zu beobachten, sondern auch die Auftraggeber und Hintermänner des internationalen Handels mit gewildertem Nashorn aufzudecken. Jedes Tier, das auf der Farm von Georgia Marsh mit einem Minisender ausgestattet und anschließend ausgewildert wurde, barg ein Risiko für die Wilderer in sich, denn um den Sender zu entfernen und unbrauchbar zu machen, musste das Horn aufgebrochen werden und zerstörtes Horn war für den Handel wertlos.

Auf die stattliche Zahl von 15 Schwarzen und fast 30 Weißen Nashörnern war die Anzahl der Schützlinge von Georgia Marsh inzwischen angewachsen, die in den letzten Jahren erfolgreich ausgewilderten Tiere nicht mitgezählt.

Auf der Nashornfarm waren die Tiere sicher, die wenigen Mitarbeiter Georgias waren zuverlässig und kontrollierten täglich das Gelände. Touristen, die sie auf die Safaris mitnahmen, sorgten für eine sichere Einnahmequelle. Das über 250 Quadratkilometer umfassende Gebiet der Farm war durch einen 5000-Volt-Zaun geschützt und hier im Norden bildete der Uaso Nyiro die natürliche Grenze.

Shamba Kifaru – Moses Kyalo Nderi las die großen weißen Buchstaben, die über der Zufahrt zur Farm auf ein morsches graues Brett gemalt worden waren. Die holprige Fahrt im Nissan hatte über eine Stunde gedauert, die Shamba der weißen Frau lag weitab der üblichen Verbindungsstraßen und war nur über waschbrettartige Holperpisten, meist ehemalige Wanderwege der Samburu, zu erreichen. Vereinzelt grasten die halbwilden Dromedare der Nomaden am Rand der Piste, sonst gab es wenig Abwechslung in der staubigen Steppe.

Inmitten einer akazienbestandenen Buschlandschaft fand er am späten Nachmittag das Farmhaus und stieg die breite Treppe hinauf, die über drei Stufen zu der schmalen, schattigen Veranda führte. Die Frau stand auf und trat ihm entgegen. Sie hatte eine feine, leicht gebogene Nase und große blaugrüne Augen. Unter dem Schlapphut quirlten braune Haare hervor, in denen sich erste graue Strähnen zeigten. Der Mund war blass und schmal, die Haut im Gesicht wettergegerbt und von feinen Fältchen durchsetzt. Sie hatte eine zierliche Figur, doch er sah ihren schwieligen Händen an, dass sie harte Arbeit gewohnt war.

Er nahm Haltung an, stellte sich als Constabler der Isiolo Police Station vor und fragte nach Rob Roloff.

»Mister Roloff ist in Mombasa«, sagte sie und fragte: »Darf ich wissen, was Sie von ihm wollen?«

»Sie sind Georgia Marsh, die Mama Kifaru?«, fragte er statt einer Antwort. Die Frau lächelte und nickte. Mutter des Nashorns, so hatten sie die Samburu genannt, als sie vor vielen Jahren, von ihrem Mann verlassen, allein mit zwei Kindern, diese Farm am Uaso Nyiro übernommen und aufgebaut hatte. Inzwischen standen Sohn und Tochter auf eigenen Beinen, Mike arbeitete im Serenahotel in Nairobi, Dianne promovierte gerade in Deutschland und würde als Ärztin nach Kenya zurückkehren. Sie hatte ihr Leben selbst in die Hand genommen, damals – und es nie bereut. Moses Kyalo Nderi riss sie aus ihren Gedanken:

»Mister Roloff hat eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Ein gewisser Alan Scott. Kennen Sie ihn?«

»Alan Scott? Natürlich kenne ich ihn. Er ist einer der besten Freunde, die wir hier auf der Farm haben. Hat uns erst vor wenigen Jahren geholfen, eine Wildererbande zu überführen. Er wollte eigentlich zu einer Freundin nach Deutschland fliegen, ist dort aber nicht angekommen. Wir haben seither nichts von ihm gehört und daher hat ihn Mister Roloff vermisst gemeldet.« Georgia schluckte trocken. Wenn sich ein Constabler der Isiolo Police Station wegen eines vermisst gemeldeten Mannes extra auf den Weg zur Shamba Kifaru machte, konnte das nichts Gutes bedeuten.

»Haben Sie ihn gefunden?«, fragte sie und ihre Stimme zitterte.

»Nun …« – der Constabler zögerte – »wir haben einen Toten, auf den die Beschreibung passt, die uns Mister Roloff von Mister Scott gegeben hat. Außerdem wurde ein Schlüsselbund mit den Buchstaben AS gefunden.« Georgia Marsh schrie auf und hielt sich die Hand vor den Mund. »Nein! Das kann nicht sein!«

Der Polizist schwieg und sah die Frau bekümmert an. Er hatte nur seinen Auftrag zu erfüllen und konnte mit dieser Situation nicht umgehen.

»Haben Sie vielleicht ein Bild dieses Toten?«, fragte Georgia Marsh, nachdem sie sich wieder gefasst hatte.

»Leider nein«, der Constabler schüttelte den Kopf. »Es würde aber auch nichts nützen. Der Leopard hat nicht viel vom Gesicht des Mannes übrig gelassen.«

»Ein Leopard?«, fragte Georgia nach.

Der Polizist nickte. »Offensichtlich ein Menschenfresser. Im Tsavo. Wie vor 100 Jahren die Löwen. Sie wissen …« – seine Stimme klang geheimnisvoll – »man nannte sie den Geist und die Dunkelheit.« Er schien nicht zu spüren, was ihr im Augenblick wirklich Sorgen bereitete. Alan Scott tot. Von einem Leoparden gerissen? Das konnte, das durfte nicht sein!

»Sie wollen, dass Rob ihn identifiziert?«, fragte sie noch einmal nach. Ein stummes Nicken war die Antwort.

»Mein Gott, es kann noch Tage dauern, bis Rob aus Mombasa zurückkommt. Wo befindet sich die Leiche jetzt?«

»In Nairobi«.

»Ich könnte«, überlegte sie laut, »versuchen, Rob unterwegs zu erreichen. Aber das ist mir zu unsicher. Besser ich mach das selbst. Mit zwei Fahrzeugen sollten wir auch in der Nacht sicher sein.«

Diese Äußerung war an den Constabler gerichtet. Er sah sie mit großen Augen an. Natürlich hatte er damit gerechnet, über Nacht auf der Farm bleiben zu können und erst am nächsten Morgen mit dem Zeugen nach Nairobi aufzubrechen. Jetzt sah er sich damit konfrontiert, den langen Weg noch in der Finsternis fahren zu müssen, als Begleiter für eine Frau, die verrückt genug war, ein solches Wagnis einzugehen.

»Es reicht noch, wenn wir morgen fahren«, wandte er daher ein, doch sie überhörte ihn einfach.

»Ruhen Sie sich noch etwas aus, dann fahren wir los. Ich muss am Mittag wieder hier sein«, sagte sie und verschwand im Innern des Hauses.

In der Nacht verließen zwei Fahrzeuge die Shamba Kifaru. Georgia hatte vergeblich versucht, Rob Roloff in Mombasa zu erreichen. Er schien keine Handyverbindung zu haben, und so hinterließ sie ihm eine Notiz in der Küche.

Wie ein Schatten folgte sie dem Nissan des Constablers, achtete darauf, die roten Rücklichter in keiner Kurve aus den Augen zu verlieren. Sie bogen südlich von Buffalo Springs auf die A2 ein, die sie über Isiolo und Nanyuki, am Mount Kenya vorbei nach Karatina und Thika und schließlich nach Nairobi führte.

Leopardenjagd

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