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Khalil Gibran und „die Frau“

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Beirut, das „Paris des Ostens“ lockte mich zweimal in den Nahen Osten, bevor Flüchtlingslager zwischen den Ruinen das heitere Bild der Stadt zerstörten.

Dort entdeckte ich Khalil Gibran, den großen Dichter und Philosophen, dessen Werk „The Prophet“, in 20 Sprachen übersetzt, ihn weltberühmt machte.

Als man ihn fragte, wie er es denn habe schreiben können, antwortete er: „It wrote me.“

Ich kaufte mir das kleine Buch und las es staunend, wie ein Wanderer, der auf seinem staubigen Weg kostbare Steine findet und sie aufhebt, jedes Wort ein Diamant, jeder Gedanke eine Kette aus Perlen.

Da spricht der Weise Almustafa vor seinem Abschied noch einmal zu den Bewohnern der Stadt, in deren Mauern er als Fremdling gewohnt und mit denen er sein Glück und seine Einsamkeit geteilt hat.

Er spricht zu ihnen über die Liebe, die Ehe, die Kinder, das Geben und Nehmen, das Essen und Trinken … den Schmerz … die Schönheit und den Tod:

„Wenn die Liebe euch ruft, folgt ihr,

Wenngleich ihre Wege steinig und steil sind.

Und wenn sie euch umfängt, ergebt euch,

Auch wenn das Schwert, das ihre Umarmung birgt, euch verwundet.

Glaubt ihr, wenn sie zu euch spricht. …

Doch ebenso, wie die Liebe euch krönt,

So wird sie euch kreuzigen.

Sie fördert euer Wachstum,

Aber sie stutzt euch auch zurecht …

Die Liebe kennt keine andere Sehnsucht, als sich selbst zu erfüllen.

(Gibran, Der Prophet, S. 19ff.)

***

Khalil Gibran wurde 1883 als 4. Kind in der 3. Ehe seiner sehr emanzipierten Mutter geboren. Sie erkannte die Malbegabung ihres Sohnes sehr früh und machte ihn mit dem Werk Leonardo da Vincis bekannt.

Als sich die wirtschaftliche Lage der Familie verschlechterte – der Vater kam aus undurchsichtigen Gründen ins Gefängnis –, wanderte sie mit ihren Kindern nach Amerika aus. Armut und Hunger führten dazu, dass Gibran, 19-jährig, seine Lieblingsschwester, seinen Halbbruder und seine über alles geliebte Mutter verlor.

„Mein Leben ist jetzt mit ihr begraben.“ (Liebesbriefe, S. 8)

Wenig später führt ein glücklicher Zufall dazu, dass er während einer Ausstellung seiner Werke Mary Haskell kennenlernt, die – wesentlich älter als er – seine Förderung als mütterliche Freundin übernimmt. Sie finanziert in ihrer Großzügigkeit sogar seinen zweijährigen Studienaufenthalt in Paris. Den Heiratsantrag, den Gibran ihr nach seiner Rückkehr macht, lehnt sie ab.

Nach der Veröffentlichung seines Romans „The Broken Wings“ (1912), der auch im Orient gelesen wird, schreibt ihm die libanesische Dichterin May Ziadek einen begeisterten Brief. Dies ist der Anfang einer 20-jährigen Brieffreundschaft, die erst mit dem Tode Gibrans 1931 endet.

May Ziadek entspricht seinem Frauenbild. Er bewundert die orientalische Frau in ihr, die sich von den Fesseln der Unterdrückung befreit hat. Sie beherrscht 8 Sprachen, darunter auch das Deutsche, unterhält in Kairo einen literarischen Salon und arbeitet als Journalistin.

Der Briefwechsel ist nur zum Teil erhalten, denn die Briefe der jungen Frau wurden von ihrer Familie nicht freigegeben.

Dennoch entsteht beim Lesen dieser Briefe der Eindruck, dass es sich hier um eine tiefe und innige Liebesbeziehung handelt.

„Ich denke jeden Tag und jede Nacht an Dich. Ich denke immer an Dich, und jeder dieser Gedanken enthält etwas Süßes und etwas Bitteres. Es ist merkwürdig, Miriam, immer wenn ich an Dich denke, flüstere ich Dir ins Ohr: 'Wirf alle Sorgen weg und gieße sie in mein Herz!'

Ich küsse Deine rechte Hand und Deine linke, und ich bitte Gott, dass er dich bewahre und segne, dass er dein Herz mit seinem Licht fülle und dass er dich erhalte als den Menschen, den ich am meisten liebe.“ (Liebesbriefe, S. 105)

Diese Liebe, die sich über die Welt der Sinne erhebt, begleitet diese beiden jungen Menschen, die sich nie sehen werden, bis zum Ende ihres Lebens.

In seinen Bildern versucht er, diese zarte ätherische Liebe darzustellen. Die nackten Körper von Mann und Frau scheinen zu schweben, sie gleiten umeinander, da ist Raum zwischen ihnen. Da ist kein Besitzergreifen, kein Überfall, keine Umklammerung, sondern verzauberte Seelen, die der Schönheit des anderen huldigen.

Immer wieder betont er in anschaulichen Bilder, wie wichtig es sei, in der Gemeinsamkeit einen „Zwischenraum“ zu erhalten:

„Steht zusammen, aber nicht zu nah.

Denn die Säulen der Tempel lassen Raum zwischen sich,

Und die Eiche und die Zypresse wachsen nicht im Schatten des anderen …“ (Der Prophet, S. 24).

„Eure Kinder sind nicht eure Kinder:

Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst.

Sie kommen durch euch, aber nicht von euch.

Und obwohl sie bei euch sind, gehören sie nicht euch.“ (Der Prophet, S. 25)

Im Rückblick auf sein Leben schreibt Khalil Gibran zwei Wochen vor seinem Tod:

„Ich selbst verdanke alles, was mein Ich ausmacht und zwar von der frühen Kindheit bis jetzt – der Frau.

Es war die Frau, die mir die Fenster meiner Blicke und die Tore meines Geistes öffnete. Ohne die Frau als Mutter, Schwester oder Freundin schliefe ich noch mit den Schlafenden …“

(Gibran, Liebesbriefe, S. 7)

Die Reise nach Beirut hat mir die Schönheit des Landes gezeigt, die sechs schlanken makellosen Säulen in Baalbek vor dem Hintergrund der Berge werde ich nie vergessen, aber die Worte von Khalil Gibran haben mir die Seele des orientalischen Menschen offenbart.

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