Читать книгу Geliebte Nanny - Eileen Schlüter - Страница 7

»Also ehrlich, vermutet sie etwa eine selbst gebastelte Bombe unter meinem Rock, oder was?«

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Am nächsten Morgen wähle ich Claudia von Degenhausens Nummer. Wieder diese gebieterische Stimme! Für einen kurzen Moment habe ich ein flaues Gefühl im Magen. Ich hoffe, ich tue das Richtige.

»Hallo, hier ist Melissa Bogner. Ich habe mich entschieden und nehme die Stelle an«, sage ich souverän.

»Das ist ja großartig«, freut Klodia sich. »Konnten Sie sich also mit meinen gestellten Bedingungen arrangieren?«

»Ja, das ist schon okay. Ich habe mich gründlich auf die Rolle und natürlich auf meine Aufgaben als Nanny vorbereitet«, bekunde ich. »Wann kann ich anfangen?«

»Morgen früh, um acht«, schießt ihre prompte Antwort durch den Hörer. »Bringen Sie am besten gleich Ihre ganzen Sachen mit. Das Gästezimmer ist hergerichtet. Sie können direkt bleiben.«

»Oh, ich habe gar nicht damit gerechnet, dass es so schnell geht…«, lenke ich ein.

»Hör’n Sie zu«, stöhnt sie genervt. »Ich habe viel zu tun. Mein Terminkalender ist vollgestopft. Ich komme kaum zur Ruhe und dazu noch diese schwierige Phase, in der die Kinder gerade stecken!«

Was wohl im Klartext bedeutet, dass sie ihr tierisch auf die Nerven gehen.

»Also Frau Bogner, wollen Sie nun den Job oder nicht?« Ihre Gereiztheit lässt auf einen ungesunden Lebenswandel schließen, möglicherweise auch auf eine vorzeitige Menopause. Oder hat sie schlicht und einfach ihre Tage?

»Ja, natürlich will ich den Job…«, bringe ich eilig hervor.

»Dann schwingen Sie morgen früh um acht ihren Hintern hierher, Frau Bogner. Und vergessen Sie das Kopftuch nicht!«

»Alles klar, gnädige Frau. Acht Uhr. Mit Kopftuch.«

Schwups. Schon hat sie wieder aufgelegt. Mannomann, das kann ja heiter werden.

Kurz darauf rufe ich meine Mutter an und informiere sie über die neusten Umstände, lasse aber mit Bedacht die Angelegenheit mit der ungewöhnlichen Verkleidung aus.

»Und du bist auch wirklich ganz sicher, dass es sich um die Familie von Degenhausen handelt? Die mit der berühmten Schmuckfirma!«

»Ja Mama!« Ich verdrehe die Augen.

»Ja, dann ist es kein Wunder, dass die so gut bezahlen«, konstatiert sie. »Dann kann ich jetzt endlich wieder beruhigt schlafen und muss mir keine Sorgen mehr machen, dass du eines Tages in der Hartz IV Schlange stehst.«

Also gleich leg ich auf! Meine Mutter ist jemand, der gemeinhin frei heraus sagt, was er denkt. Egal, ob man es hören will oder nicht.

Sie seufzt erleichtert ins Telefon: » Da wird der Hund in der Pfanne verrückt. Meine Tochter – Nanny bei den Superreichen. So was hätt’ ich dir gar nicht zugetraut. Wenn dein Vater von der Arbeit kommt, köpfen wir erstmal eine Flasche Schampus und trinken auf dich Kind.« Sie ist so euphorisch, hinsichtlich der positiven Entwicklung meiner beruflichen Laufbahn, dass ich ihr glatt eine öffentliche Bekanntgabe durch die 20 Uhr Nachrichten zutraue.

»Dieser Job ist ja fast wie ein Sechser im Lotto. Da musst du unbedingt am Ball bleiben, Melissa. Verkehrt man erst einmal in solchen gehobenen Kreisen, ist es nicht unwahrscheinlich, dort eine gute Partie zu machen. Bei deinem Aussehen kann das ja nicht so schwer werden.«

»Mama!«, rufe ich leicht entsetzt. Ich bin von Natur aus das uneingeschränkte Gegenteil meiner Mutter, die eine eher unkritische Haltung im Hinblick auf die Partnerwahl vertritt. Und zum Glück habe ich auch ihren Hang zu penetrantem Übereifer nur bedingt von ihr geerbt.

Die Stimme meiner Mutter wird immer psychedelischer. »Also, stell dich nicht dumm an, Kind. Du wirst dir in den Hintern beißen, wenn dir so ein charmanter Multimillionär durch die Lappen geht!«

Nur gut, dass ich ihr nichts von Melek Yildiz erzählt habe. Sonst würde sie sich auf der Stelle in den Hintern beißen.

Wie, um alles in der Welt soll ich es anstellen, mir mit meiner auferlegten Maskerade einen Millionär zu angeln? Es sei denn, in besagten Kreisen verkehrten zufällig auch ein paar arabische Ölscheichs.

Nach einer sehr unruhigen Nacht, bin ich am nächsten morgen, schon lange bevor mein Handyalarm losgeht, hellwach. Zum Frühstück reicht mir heute ein Kaffee. Wenn ich aufgeregt bin, vergeht mir stets der Appetit. Auf dem Sofa stapelt sich noch immer die Altkleidersammlung von Yasis Cousine.

Gestern, nach dem Telefongespräch mit meiner Mutter, habe ich versucht, einige der kunterbunten Teile möglichst zumutbar miteinander zu kombinieren. Leider ohne Erfolg.

Letzen Endes habe ich mich wieder für die orangefarbene Tunika und den blassblauen Rock, in Kombination mit dem farbenfroh gemusterten Stickerei-Kopftuch entschieden.

Ich steige in meine schwarzen Ballerinas. Wenigstens sind meine Füße noch sie selbst. Um ehrlich zu sein, ich sehe fürchterlich aus. So fremd. Diese Umstandskleidung verleiht mir glatt einen Viermonatsbauch.

Wie jeden Morgen tusche ich meine Wimpern mit Mascara. Das lässt meine Augen noch viel dunkler erscheinen. So als hätte ich zwei Stücke Kohle an Stelle meiner Augen.

Die restlichen Sachen packe ich in meine Reisetasche, in der ich die Dinge, die ich für den Umzug in die Villa benötige, verstaut habe. Schnell noch den spannenden Bestseller rein, den ich vorgestern begonnen habe zu lesen und mein Lieblingsparfüm.

Ich muss gestehen, ich habe doch geringfügig mehr eingepackt, als ich zunächst vorhatte. Auf einen Umzugskarton habe ich letztendlich verzichtet, aber ich musste mir zusätzlich einen Rucksack nehmen, um alles zu verstauen. Und auf Yasemins nachdrückliches Anraten, trage ich, der Vollständigkeit halber, noch eine Plastiktüte vom Aldi mit mir herum. Damit ich auf alle Fälle authentisch wirke, meinte sie.

Es kann losgehen. Mit dem monströsen Rucksack, der wuchtigen Reisetasche und dem Aldi-Koffer in den Händen mache ich mich auf den Weg zur Bushaltestelle. Unter diesen erschwerenden Voraussetzungen, ist der lächerliche halbe Kilometer Fußweg die reinste Folter, zumal ich unentwegt auf den Saum meines bodenlangen Rocks trample. Ich komme gerade noch rechtzeitig. Der Linienbus hält. Er ist wieder mal brechend voll. Ich stelle mich, mit meinem Gepäck, an einen freien Platz. Noch bevor ich die Haltestange erreiche, setzt der Bus sich in Bewegung und ich verliere mein Gleichgewicht. Unabsichtlich remple ich dabei einen männlichen Fahrgast an, dessen Gesicht nun zwischen meinem Rucksack und der Buswand eingequetscht ist. Der Mann holt sofort zum Gegenschlag aus. Wieder verliere ich die Balance und knalle unsanft mit dem Kopf gegen die Haltestange.

»Geht’s noch?«, brüllt der behaarte Haudegen mich an. »Pass gefälligst besser auf mit deinem Scheißding.«

Erschrocken, über seinen Aufstand, starre ich den Mann an.

»Was gaffst du denn so blöd?«, schnauzt er. »Du verstehen kein deutsch, oder was?« Jetzt hat der Typ es tatsächlich geschafft, mich so dermaßen einzuschüchtern, dass mir die Entschuldigung buchstäblich im Hals stecken bleibt. Ich spüre die neugierigen Blicke der übrigen Fahrgäste. Ein Teenager filmt die Szene mit seinem Smartphone. Wenn ich Pech habe, kann ich sie mir später sicher bei Youtube ansehen.

»Na, das war ja klar, dass die kein Wort versteht«, wettert der Kerl weiter. Wie versteinert klammere ich mich an mein Gepäck und wage es kaum zu atmen. Die Fahrt kommt mir vor wie eine halbe Ewigkeit.

Was war das denn eben, da drin? So was habe ich ja noch nie erlebt. Der Bursche muss heute Morgen mit dem falschen Fuß aufgestanden sein. Bestimmt war heute Nacht Vollmond. Dermaßen schlechte Laune, gepaart mit Aggressivität, hatte Sören nicht mal zu seinen miesesten Zeiten. Nicht mal, als der FC Bayern den DFB-Pokal gewonnen hat, und das soll schon was heißen, denn es gibt nichts, was Sören mehr hasst als die Bayern. Ich bin gespannt, was mich wohl noch erwartet. Sich einen türkischen Namen auszudenken und vor dem Spiegel ein Kopftuch aufzusetzen, ist eine Sache. In dieser Aufmachung die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen, eine völlig andere, wie ich leider gerade festgestellt habe.

Ich besteige das nächstbeste Taxi. Kaum, dass ich dem betagten Fahrer die Adresse meines neuen Arbeitgebers mitgeteilt habe, dreht dieser seinen Kopf zu mir nach hinten (ich sitze auf der Rückbank) und fragt mit erheblicher Skepsis: »Sind Sie sicher?«

»Ja«, erwidere ich, ohne weiter darauf einzugehen. Allmählich steigt meine Nervosität und ich versuche mich mental auf den Moment zu konzentrieren, in dem ich meine neue Stelle als Nanny antrete.

»Sie wissen schon, in welcher Gegend das liegt?«, will der Alte in ungehobeltem Ton wissen und startet den Motor. »Was woll’n Sie denn da?«

Bin ich im Quiztaxi? Seine penetrante Fragerei geht mir langsam auf den Keks. Stattdessen sollte er lieber losfahren. Es ist schon kurz vor acht. Ist ja wohl gemeinverständlich, dass ich am ersten Arbeitstag gerne pünktlich erscheinen würde. Außerdem wüsste ich nicht, was ihn das alles angeht. Gleichwohl gebe ich ihm anstandshalber eine knappe Antwort: »Arbeiten.«

»Hab ich mir gedacht«, nuschelt er in seinen Bart. »Pff…Diese reichen Snobs. Haben Kohle ohne Ende, aber nehmen sich die billigste Putzfrau, die sie kriegen können. Womöglich noch illegal.«

Endlich stehe ich vor dem Personaltor der Villa von Degenhausen. Diese Idylle. Alles kommt mir vertraut vor, als ich den riesigen Vorgarten durchquere und am Springbrunnen vorbei, zur großen Eingangstür laufe.

Mein Gepäck bringt mich um.

Die Tür wird geöffnet und ich erkenne sofort das formelle Gesicht des Butlers. Doch allem Anschein nach erkennt er mich nicht wieder. Umso besser.

»Guten Morgen. Ich heiße Melek Yildiz. Ich bin die neue Nanny«, begrüße ich ihn. Jetzt regt sich etwas in seiner sonst so steifen Mimik. Ein Anflug von Bestürzung? Doch blitzartig gewinnt er die Kontrolle über seine Gesichtsmuskeln zurück und sagt mit verstopfter Nase: »Man erwartet Sie schon.«

Ich trete ein. Er mustert mich außergewöhnlich lange, kommt aber weder auf die Idee, mir bei meinem Gepäck behilflich zu sein noch bietet er mir an, es irgendwo abzustellen. Für jemanden seines Metiers ist das wirklich mehr als unhöflich.

»Kommen Sie mit«, sagt er unpoetisch und schlägt die gleiche Richtung ein, wie beim letzten Mal. Übrigens finde ich es mindestens genau so unhöflich, dass er sich mir nicht mal vorgestellt hat. Immerhin haben wir den gleichen Arbeitgeber, sind quasi so was wie Kollegen. Wenn auch auf verschieden Einsatzgebieten. Ich muss unweigerlich an die Fernsehserie Die Nanny denken. Da gab es auch einen Butler. Einen fiesen Butler, der es sich nicht nehmen ließ, das Kindermädchen bei jeder Gelegenheit zu schikanieren. So was fehlte mir gerade noch. Ich bin ein harmoniebedürftiger Mensch. Sonst wäre ich wahrscheinlich immer noch mit Sören zusammen.

Wieder kündigt der Butler mich Klodia an, bevor ich ihr Büro betrete. Heute sitzt sie in einem todschicken Prada-Ensemble an ihrem Schreibtisch und nippt an einem Glas Wasser. Oder Wodka?

Erschrocken nimmt sie mich in Augenschein.

»Du meine Güte…«, staunt sie und verschluckt sich fast an ihrem Getränk. »Sind Sie’s wirklich?«

Ich nicke.

»Sie sehen ja fürchterlich aus…äh ich meine…so echt. Wirklich täuschend echt«, stellt sie fest.

Ihre Miene nimmt einen zufriedenen Ausdruck an.

Ich trete an den Schreibtisch und reiche ihr den ausgefüllten Arbeitsvertrag. Sie schaut hinein.

»So, so. Melek Yildiz«, liest sie und mustert mich auf’s Neue. »Das bleibt natürlich unser kleines Geheimnis.« Dabei sieht sie mich so unmissverständlich an, dass ich beinahe meinen wirklichen Namen vergesse.

»Pauline muss gleich in den Kindergarten. Den können Sie zu Fuß erreichen. Und danach gehen Sie bitte mit Gerald in den Krabbelclub«, sagt sie in dem üblichen Befehlston, mit dem ich bereits Bekanntschaft gemacht habe.

Sie hält mir einen Packen broschierter Zettel vor die Nase, bei genauerem Hinsehen, erkenne ich, dass es sich um eine Art Wochenplan handelt, auf dem sie mir sämtliche Aktivitäten und Verantwortlichkeiten als Kindermädchen aufgelistet hat.

Sie erhascht einen kurzen Blick auf mein Gepäck und dann auf ihre Uhr. »Sie müssen sich beeilen. Pauline kommt sonst zu spät. Erziehen Sie die Kleinen zu Disziplin und Pünktlichkeit, Melek. Das kann heutzutage nie schaden.« Sie erhebt sich graziös von ihrem Stuhl und komplementiert mich ohne Umweg zur Tür.

Der Butler steht schon in den Startlöchern. Ob der eigentlich auch freundlich gucken kann? Schnurstracks führt er mich durch einen verwirrenden Flur zu meinem neuen Zimmer. Im Übrigen heißt er Horst, aber Howard passt irgendwie besser zu ihm und klingt auch gleich viel edler. Und mal ehrlich, einem Howard würde man wohl eher den rechtschaffenen Butler abkaufen als einem stinknormalen Horst, oder?

Ich werfe nur einen eiligen Blick ins Zimmer und stelle meine Sachen in der Mitte ab. Was ich bis jetzt gesehen habe, übertrifft bereits all das, was ich mir vorgestellt habe. Dieses sogenannte Gästezimmer könnte ja beinahe mit einer Executive Suite des InterContinental konkurrieren; was nicht heißt, dass ich jemals in einer gewesen wäre. Aber ich habe mir erst kürzlich einen Fernsehbericht über Lifestyle-Hotels angesehen. Howard führt mich zurück zur Eingangshalle. Dort steht schon ein überdimensionaler gelb-schwarz karierter Buggy zur Ausfahrt bereit. Burberry Sonderausstattung, nehme ich an. Also, einen Schal in diesen unmöglichen Farben lasse ich mir ja noch gefallen, aber muss es gleich ein kompletter Kinderwagen sein? Noch dazu werde ich – als Melek – in Kombination mit diesem Kinderwagen, mit Sicherheit das lächerlichste Bild abgeben, was man in diesem Viertel je gesehen hat.

Ein blonder Lockenkopf glubscht mir, mit großen blauen Augen, aus dem Buggy entgegen. Er nuckelt wie besessen an seinem Schnuller. Aha, das ist also Gerald – scheußlicher Name für so einen süßen Fratz. Klodia schiebt mir den Buggy entgegen. Dicht gefolgt von einem ebenfalls blond gelockten Vorschulkind, das seiner Mutter in Sachen Modegeschmack der gehobenen Klasse in nichts nachsteht.

»Pauline, das ist Melek, eure neue Nanny«, klärt Klodia ihre Tochter auf. »Sie bringt dich jetzt in den Kindergarten. Also sei brav.«

Ich werde von skeptisch wirkenden blauen Augen beäugt. Die Kleine zieht eine trotzige Grimasse und wendet sich augenblicklich wieder ihrer Mutter zu.

»Die will ich aber nicht Mama! Die sieht komisch aus«, mault sie.

Klodia belächelt die ungalante Reklamation ihrer Tochter und schiebt sie in meine Richtung. Pauline stemmt sich jedoch dagegen.

»Aber Mama. Sophies Nanny ist viel schöner, die sieht nämlich fast so aus wie Barbie. So eine will ich auch!« Sie stampft auf den Fußboden. Auffällig temperamentvoll, das Kind. Von wem sie das wohl hat?

»Jetzt red’ keinen Unsinn, Pauline«, zischt Klodia.

Sie drückt mir eine gedruckte Wegbeschreibung zum Kindergarten in die Hand, dann schaut sie zum wiederholten Mal auf ihre Uhr. Ihr anschließender Gesichtsausdruck lässt durchblicken, dass sie es furchtbar eilig hat. Das Letzte was sie jetzt gebrauchen kann, sind sicherlich infantile Diskussionen am frühen Morgen, wo vermutlich wichtige Termine auf sie warten.

»Ich muss los«, meint sie schließlich und rauscht davon.

»Na dann, Kinder, auf geht’s«, sage ich tatkräftig und ergreife Paulines kleine Hand. Doch die zeigt sich schätzungsweise so unkooperativ wie ein arbeitsloser Ex-Bankmanager, dem man versucht, einen 1-Euro-Job als Spargelstecher anzudrehen.

Ich schiebe also zuerst den Kinderwagen nach draußen und stelle ihn dort ab. Gerald schlummert mittlerweile im Land der Träume. Dann gehe ich zurück in die Eingangshalle, um Pauline abzuholen.

»Kommst du Pauline?«, frage ich freundlich und strecke ihr meine Hand entgegen.

»Nein!«, protestiert sie. Ihr eigenwilliger Klang, erinnert mich ganz und gar an Klodia.

»Du musst aber in den Kindergarten«, rede ich eifrig auf sie ein.

»Nicht ohne George, Gina und Lucy«, bekomme ich stattdessen zur Antwort.

»Wer bitte?« Ich bin mir ziemlich sicher, Klodia hat es mit keinem Wort erwähnt, unterwegs noch ein paar von Paulines Freunden abzuholen.

Ich überlege einen Moment.

»Sind das deine Puppen?«, frage ich schließlich.

Pauline blickt mich überheblich an.

»Du bist ja dumm«, spottet sie.

So langsam reizt mich dieser aufmüpfige kleine Giftzwerg. Es wird Zeit, eine kräftigere Tonlage aus den Tiefen meiner umfassenden Stimmbandbreite an den Tag zu legen. Nicht mit mir, kleines Fräulein!

»Also was ist nun, gehen wir?«

»Erst wenn du sie holst.«

»Weeen denn um Himmels Willen?« Ich muss mich beherrschen. In diesem aus Marmor und Stein bestehenden Foyer, ist der Hall ja geradezu enorm. Einschüchtern will ich das Kind ja nun nicht.

»Na meine George, Gina und Lucy Tasche. Ohne die gehe ich nirgendwo hin.« Mit verschränkten Armen steht sie vor mir und funkelt mich trotzig an.

Das ist nicht ihr Ernst!?

Diese verzogene kleine Göre macht hier so einen Aufstand, wegen einer dämlichen Handtasche? Im Nachhinein fällt mir auch wieder ein, dass es sich bei »George, Gina und Lucy« um ein geschätztes Designerlabel handelt. Nur habe ich, als Normalsterbliche, bisher weder das luxuriöse Vergnügen mit Lucy noch mit Gina und schon gar nicht mit George gehabt. Wirklich Schade!

Pauline sprintet die Treppe hinauf. Nach wenigen Augenblicken taucht sie wieder auf – die knallvioletten Henkel einer extraordinären Nylontasche in Kaugummi-Blau umklammernd. Ich muss schon sagen, für eine Sechsjährige hat sie einen ziemlich exzentrischen Geschmack.

Endlich gehen wir los. Der Weg führt uns einmal quer durch die Villensiedlung. Nach einer viertel Stunde stehen wir vor einem imposanten, pastellgelben Neubau mit blankgeputzter Glasfassade, inmitten einer gepflegten Grünfläche, der einiges gekostet haben muss.

Dies ist also der Kindergarten Goldlöckchen. Genau der richtige Name für eine Einrichtung, die ausschließlich von den Sprösslingen der High Society besucht wird.

Ich steuere mit dem Buggy auf den Eingang zu. Plötzlich rauscht ein silberner Sportflitzer, mit atemberaubender Geschwindigkeit auf uns zu. Durch meinen Instinkt geleitet, schwinge ich mich deckend vor den Kinderwagen. In letzter Sekunde kommt das Fahrzeug, keinen halben Meter von meinen Füßen entfernt, zum Halten. Leichenstarr vor Schreck, umschließe ich fest die Hand der kleinen Pauline. Erst durch ihren vehementen Protest komme ich wieder zu Sinnen.

»Aua, du tust mir weh! Lass meine Hand los«, faucht sie mich an. Sofort lässt mein Druck nach und ich gebe ihre Hand frei.

»Was stehen Sie hier so doof im Weg rum?«, ertönt eine furiose Frauenstimme. Die Tür der Nobelkarosse – übrigens ein Aston Martin – öffnet sich und Victoria Beckham höchstpersönlich steigt aus. Zumindest sieht diese megadürre, topgestylte, brünette Luxuslady genau so aus. Vielleicht handelt es sich ja um ihre Schwester.

Sie mustert mich geringschätzig und öffnet die Beifahrertür. Eine ebenso hochmodern gekleidete Victoria-Miniausgabe steigt aus dem Auto aus. Genau wie Pauline schleppt sie eine überdimensionale George, Gina & Lucy Tasche mit sich herum. In limettengrün mit hellgrauen Absetzungen.

»Hi Pauline. Wer ist die komische Frau?«, fragt Mini-Victoria forsch.

»Hi Hilda. Die da ist meine neue Nanny«, erwidert Pauline geradezu respektlos. Ich setze meinen Weg zum Eingang fort.

»Ist ja nicht zu fassen«, empört sich die große Victoria und richtet ihr Wort an Pauline: »Müssen deine Eltern neuerdings sparen, dass sie sich jetzt verlauste Arbeitskräfte aus dem Ausland kommenlassen, oder was?«

Pauline zuckt mit den Schultern. Und ich spüre, wie zentimeterweise Wut in mir aufsteigt. Was bildet diese aufgetakelte Ziege sich überhaupt ein?

Ich verschwinde im Inneren des Kindergartens. Gerald schläft noch immer im Buggy und Pauline zieht eine Schnute. Entlang des Korridors bietet sich mir die Sicht auf bunte Garderobenhaken, behängt mit Designerjacken in Miniaturformat.

Der Kindergarten besteht aus drei Gruppen. Zuerst ist da die Froschkönig-Gruppe. An der zweiten Tür lese ich auf einem Schild in Form eines Fisches: Glitzerfisch-Gruppe. Pauline und Hilda gehören der dritten Gruppe an, die sich passenderweise Goldmarie-Gruppe nennt.

Ich bücke mich, um Pauline beim Anziehen der Pantoffeln zu helfen, dabei blickt Victoria, im wahrsten Sinne des Wortes, von oben auf mich herab.

»Wie wär’s wenn du heute lieber mit Ella spielst, anstatt mit Pauline«, raunt sie ihrer Tochter zu.

Also jetzt reicht’s aber.

»Wieso soll sie nicht mit Pauline spielen Gnädigste?«, frage ich unverfroren. »Haben Sie vor irgendwas Angst? Befürchten Sie, dass Ihre Tochter womöglich auch ein Kopftuch trägt, wenn sie heute Nachmittag nach Hause kommt?«

Victoria gafft mich ganz perplex an. Höchstwahrscheinlich hat sie nicht erwartet, dass ich der deutschen Sprache mächtig bin. Ich funkele sie mit meinen Kohleaugen an und habe beinahe den Eindruck, dass sie wirklich ein bisschen Angst vor mir hat. Also ehrlich, vermutet sie etwa eine selbst gebastelte Bombe unter meinem Rock, oder was?

Erhobenen Hauptes wendet sie sich von mir ab und betritt den Goldmarie-Gruppenraum. Sekunden später tuschelt sie mit einer Brünetten, die ihrem Kind gerade die Nase putzt. Deren verstohlene Blicke huschen postwendend zu mir herüber. Ich lasse mir nichts anmerken und trete in den Gruppenraum ein.

Die Erzieherin blickt erst erstaunt auf Pauline, dann mustert sie mich mit indigniertem Gesichtsausdruck.

Hat Klodia eigentlich niemanden über ihre neue Nanny informiert?

»Guten Morgen, ich heiße Melek Yildiz. Ich bin Paulines neue Nanny«, stelle ich mich souverän vor.

»Oh…ach so…na dann…«, stammelt die Kindergärtnerin erleichtert.

Was hat sie denn gedacht? Dass ich die beiden Millionärskinder entführt habe? Dann hätte ich sie wohl kaum zum Kindergarten gebracht, sondern logischerweise in einem geheimen Keller versteckt und einen Erpresserbrief geschickt.

»Eva Fischl«, stellt sich die Erzieherin vor und blinzelt zu Victoria rüber, die ihr wiederum apodiktische Blicke zuwirft.

Unmöglich diese Person. Ich habe das intensive Bedürfnis der arroganten Kuh die Fresse zu polieren (was ja eigentlich nicht meine Art ist). Nichts wie raus hier, bevor ich mich vergesse.

Ich verabschiede mich von Pauline, die zeigt jedoch keinerlei Interesse daran. Dann eben nicht.

Draußen atme ich erst einmal tief durch. Ich schaue erneut auf meinen Plan. Der Krabbelclub befindet sich in einem kleinen Nebengebäude des Kindergartens. Na hoffentlich regiert dort eine weniger gehässige Mentalität.

Gerald wird wach, just in dem Moment, in dem ich den Vorraum des Krabbelclubs betrete.

»Hallo, kleiner Mann. Gut geschlafen?«, flöte ich und lächle das goldige Kerlchen freundlich an. Doch das Kind reißt völlig entsetzt Mund und Augen auf und brüllt die ganze Bude zusammen. Unglücklicherweise lässt Gerald sich nicht im Geringsten von der Frau mit Kopftuch – also mir – beruhigen. Wie auch?

Sein Geschrei wird immer lauter und schriller. Es ist ohnehin verwunderlich, dass meine Arbeitgeber offensichtlich keinen Wert darauf gelegt haben, mich erst einmal auf Herz und Nieren zu prüfen. Nicht mal ein einziger Probenachmittag; stattdessen haben sie mich, genau wie ihren Nachwuchs, gnadenlos ins kalte Wasser geworfen. Nicht gerade die ökonomischste Alternative für eine erfolgreiche Basis auf dem Gebiet der exemplarischen externen Kinderbetreuung. Jetzt habe ich den Salat. Für den Kleinen bin ich eine furchterregende, fremde Tante. Noch dazu mit einem Kopftuch. Bestimmt hat er so jemanden wie mich noch nie gesehen. In der Welt in der er lebt, laufen die Leute schließlich in piekfeinster Designergarderobe herum. Tücher trägt man allenfalls als Accessoire mit Valentino-, Dior- oder Hermes-Aufdruck um den gelifteten Hals geschlungen. Selbstverständlich alles in hauchzarten Pastellfarben, die einwandfrei miteinander harmonieren. Hach ja!

Was muss ich, mit meinen farbenreich zusammengewürfelten Klamotten, nebst Kopftuch, die sich allesamt beißen, für ein verstörender Anblick für das arme Kerlchen sein?

Kein Wunder, dass er so erbärmlich schreit.

Ich nehme Gerald aus dem Wagen.

Sogleich eilen drei wie aus dem Ei gepellte Grazien, Mitte Dreißig, herbei. Ihre empörten Gesichter verraten schon alles.

»Wer sind Sie denn?«, fragt eine Blonde ziemlich unwirsch.

»Was machen Sie da mit Gerald von Degenhausen? Lassen Sie das Kind sofort runter, sonst rufen wir die Polizei!«, droht mir eine Rothaarige und stemmt ihre Hände in die Hüften.

Erschrocken stelle ich den weinenden Gerald auf die Füße. Doch der brüllt unerschöpflich weiter und legt sich einfach auf den Fußboden. Mitleidig schaue ich auf ihn herunter. Da biegt ein mir bekanntes Gesicht um die Ecke.

Schon wieder diese Spice-Girl-Kopie. Sie führt einen knautschgesichtigen Jungen in Geralds Alter an der Hand.

»Das ist ja kein Wunder…«, frotzelt die falsche Beckham, während sie an mir vorbeistöckelt. »…dass das Kind völlig verschreckt ist. Bei einer derart abnormen Verhüllung und dieser radikalen Kopfbedeckung. Man erkennt ja kaum, dass da ein Mensch drunter steckt. Und dann diese fürchterlichen Farben. Da kriegt man ja Augenschmerzen!« Ihre hochnäsige Art treibt mich beinahe zur Weißglut. Sie wendet sich an die Rothaarige: »Dörte, das ist Claudias neue Nanny.«

Ich nehme Gerald wieder auf den Arm. Mittlerweile schluchzt er nur noch herzergreifend.

Dörte blickt beschwichtigend durch die, um mich herum versammelte, Runde. »Na dann…äh…kommen Sie mal rein…«, sagt sie und betrachtet mich unsicher.

»Melek«, stelle ich mich eilig vor. »Melek Yildiz. Ich bin Türkin.«

»Und ganz nebenbei auch ein Mensch!«, will ich am liebsten in den Weiberhaufen rufen, der mich so misstrauisch angafft, als wäre ich eine ominöse Kreatur im Amphitheater.

Ich zähle sieben Mütter. Jede hat ein Kleinkind dabei. Victoria, die in Wirklichkeit Giulia Brockstett heißt, ist sozusagen das inoffizielle Leittier. Was sie sagt ist anscheinend Gesetz in der Gruppe. Alle tanzen nach ihrer Pfeife, auch wenn Dörte eigentlich die Vorsitzende dieser Spießer-Krabbelgruppe ist. Gerald hat endlich aufgehört zu weinen. Er blinzelt mich hin und wieder vorsichtig an, während er versucht, auf dem übergroßen Spielteppich Türme aus Bauklötzen zu bauen, die Giulias Pekinesenjunge aber jedes Mal wieder umwirft.

Die Mütter sitzen auf kleinen bunten Stühlchen, an kleinen bunten Tischchen, trinken Kaffee und gackern; während ich, wie bestellt und nicht abgeholt, auf dem Bauteppich kauere. Kaffee hat man mir übrigens auch nicht angeboten. Frustriert beobachte ich sie. So habe ich mir das eigentlich nicht vorgestellt.

Kurz darauf verteilt Giulia Fingerfarben und Malkittel an alle. Mich ignoriert sie jedoch einfach. Und überhaupt schenkt mir hier niemand Beachtung. Jetzt wird es mir zu blöd. Kurzerhand schnappe ich mir ebenfalls so einen Kittel und setze mich mit Gerald neben eine junge Mutter namens Sarita. Ihre Tochter heißt Mae. Sarita ist ruhiger als die anderen. Eigentlich wirkt sie sogar ziemlich zurückhaltend. Außerdem fällt ihr asiatisches Aussehen sofort ins Auge, womit sie deutlich aus dem optischen Gesamtbild der Gruppe heraussticht.

Giulia behandelt mich weiterhin, als wäre ich Luft. Sie verteilt Kartonpapier und lässt mich dabei einfach aus. Ich koche vor Wut. Sarita scheint dies zu bemerken. Verstohlen schiebt sie mir ein Blatt zu. Dankbar blicke ich in ihre dunklen Mandelaugen. Sie widmet mir ein herzliches Lächeln und konzentriert sich wieder auf ihre Malerei. Ich bin froh, als das Bild, das ich mit Gerald gemalt habe, fertig ist. Jetzt kann ich endlich gehen, denke ich erleichtert. Ich räume den Malkittel und die Farben weg und will Gerald gerade die Jacke anziehen, da sagt Dörte zu mir: »Jetzt folgt unser gemeinsamer Stuhlkreis mit den Kindern. Außerdem singen und beten wir regelmäßig.«

Auch das noch.

Ich nehme mit Gerald Platz im Stuhlkreis. Giulia sitzt mir direkt gegenüber und guckt fies. Ich hasse sie.

Dörte spielt ein mir wohlbekanntes Kinderlied auf einer Gitarre. Ich tue natürlich so, als hätte ich es noch nie gehört und singe nicht mit; was daraufhin – dank Giulias vehementer Beanstandung – unter gar keinen Umständen von der Gruppe toleriert wird. Giulia schiebt mir mit schadenfroher Miene ein Liederbuch zu.

»Wenn du weiterhin hier mitmachen willst, Melek, dann musst du unbedingt all unsere Lieder auswendig lernen. Genau wie die Gebete.«

Hätte ich dieser Frau das »Du « angeboten, würde ich mich mit Sicherheit daran erinnern.

»Damit habe ich überhaupt kein Problem, Giulia«, offenbare ich großkotzig, was ja auch die Wahrheit ist. Immerhin war ich jahrelang Kindererzieherin in einer katholischen Tagesstätte. Ich kenne fast alle Lieder und Gebete auswendig. Das muss ich der dämlichen Schnepfe aber nicht auf die Nase binden. Sie wird schon sehen, wie schnell ich lerne.

»Wir sind immerhin eine christliche Initiative«, fügt Giulia belehrend hinzu.

»Auch kein Problem für mich!« Wobei ich persönlich ja immer mehr zum Atheismus tendiere.

»Ich dachte ja nur…«, windet Giulia sich heraus. »Ihr Moslems seid ja nicht gerade tolerant.«

»Was man auch nicht gerade von eurer christlichen Initiative behaupten kann«, murmle ich finster. Innerlich brodelt es. Giulia wird kreidebleich. Herrje, müssen die mir jetzt alle solche empörten Blicke zuwerfen!?

Dieser Club ist an Impertinenz ja kaum zu überbieten. Sarita, die Asiatin, versucht zu schlichten.

»Hört dok auf ssu sstreiten. Es ssind sließlik Kinder hier«, sagt sie mit feiner Stimme und diesem typischen Akzent, dem man heutzutage gar nicht mehr so selten begegnet, beispielsweise beim alljährlichen Weihnachtsessen beim Chinamann. Oder bei der Nagelmaniküre. »Melek hat dok gessagt, dass ssie keine Problem hat. Dann ist dok alles okay.«

Sarita wirft mir ein unmerkliches Augenzwinkern zu.

Den Rest des Vormittags singen und klatschen wir friedlich weiter. Allerdings sind die Schwingungen zwischen Giulia und mir alles andere als friedlich.

Um halb zwölf ist es geschafft. Endlich raus, aus diesem Verein garstiger Etepetete-Muttis. Gerald gähnt schon wieder. Ich laufe schnurstracks zurück zur von Degenhausen-Villa.

Ein schwarzer Porsche parkt vor dem weißen Garagentor. Mit einer Hand schirme ich meine Augen vor der blendenden Mittagssonne ab. Kurz darauf steigt ein Mann aus. Ich blinzle, um ihn besser erkennen zu können. Aha, so ein Businesstyp. Anfang vierzig, adrette Frisur, nicht unattraktiv. Das muss Arndt sein. Einen Augenblick später erscheint auch Klodia.

Arndt betrachtet mich neugierig und gleichzeitig skeptisch, als ich mich ihm nähere.

»Merhaba«, begrüße ich ihn, um möglichst überzeugend in meiner Rolle rüberzukommen.

»So, so…Sie sind also Melek«, sagt er feststellend.

Ich nicke und strecke ihm die Hand zur Begrüßung entgegen. Er zögert. Dann schüttelt er sie für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er sie fallen lässt, als hätte er sich daran verbrannt, wie an einer heißen Scheibe Toast, die gerade aus dem Toaster gesprungen ist. Verlegen starrt er auf den weißen Kiesweg. Also, wie ein Casanova kommt mir Arndt keineswegs vor. Auf mich wirkt er eher schüchtern, was aber daran liegen könnte, dass ich in dieser Aufmachung nicht gerade in Arndts Beuteschema passe. Ja, genau, das wird es sein. Dann läuft ja alles exakt nach Klodias Plan.

Klodia strahlt mich mit ihrem tadellos gebleachtem Gebiss an, als stünde sie auf dem roten Teppich, vor einer Horde Fotografen.

»Ich hoffe, Sie hatten einen schönen Vormittag, Melek.«

»Och…, ja...« Was soll ich sonst sagen? Schön war es weiß Gott nicht. Gerald nuckelt schläfrig an seinem Schnuller.

»Ich glaube, es ist Zeit für Geralds Mittagsschlaf. Ich bringe ihn besser ins Bett«, sage ich zu Klodia. »Und dann würde ich gerne meine Sachen auspacken, wenn Sie nichts dagegen haben.«

»Gut«, stimmt sie zu, und ich setze den Buggy in Bewegung.

»Nicht, dass sie fünf Mal am Tag beten muss…«, höre ich Arndt seiner Frau zuraunen, als ich gerade um die Ecke biege. Ich bleibe automatisch stehen und spitze die Ohren.

»das wäre wirklich sehr unangebracht… Die Zeit ziehst du ihr doch sicher vom Lohn ab, oder Claudia?«

»Nein, sie betet mit Sicherheit nicht«, antwortet Claudia mit felsenfester Stimme. Sie muss es ja schließlich wissen.

»Woher willst du das wissen? Möglicherweise macht sie’s ja heimlich. Wer weiß, vielleicht animiert sie ja sogar unsere Kinder dazu mitzubeten. Ich meine…, wie die aussieht. So gläubig! Muss das Kopftuch unbedingt sein?«

»Jetzt hör endlich auf, Arndt«, knurrt Klodia. »Ich habe meine Entscheidung getroffen. Sie ist das neue Kindermädchen. Basta!«

»Claudia, ganz ehrlich..., eine muslimische Nanny einzustellen, ist ja wohl das Dümmste, was du je gemacht hast. Immerhin zieht sie sozusagen unsere Kinder groß, was eigentlich deine Aufgabe ist.«

»Ach gib’s doch zu, du hättest an jedem Kindermädchen, das nicht jung, langbeinig und blond ist, was auszusetzen«, stänkert Claudia. »Ich bin nicht blöd, mein Lieber. Und seit wann hast du eigentlich so viele Vorurteile?«

Ich höre, wie die beiden sich in Bewegung setzen. Eilig hebe ich Gerald aus dem Wagen und verschwinde mit ihm im Haus. Howard öffnet mir zuvorkommenderweise die Tür. Wenigstens einer, der mir heute wohlwollend entgegenkommt, aber dafür wird er ja bezahlt. Also zählt das nicht.

Nachdem ich eine gefühlte halbe Stunde im oberen Stockwerk umhergeirrt bin, um Geralds Zimmer zu finden, lege ich den Kleinen ins Bett. Er schläft sofort ein.

Ich begebe mich in meine Luxussuite. Der erste, wirklich erfreuliche Moment an diesem grauenhaften Vormittag.

Es ist total paradox, nun wohne ich komfortabel, wie eine Prinzessin und werde gleichzeitig behandelt wie jemand, der eine ansteckende Krankheit hat.

Geliebte Nanny

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