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Kapitel 3

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In der Lobby des kleinen Hotels in Finnland war es Ruth Waldner währenddessen gerade noch gelungen, ihre Freundin so aufzufangen, dass es aussehen konnte, als ob diese gerade ungeschickt aufgetreten sei und dabei das Gleichgewicht verloren habe. „Das war ein Scherz, Liebes, ein Scherz.“ Als Viola sich wieder gefangen hatte, beeilten sich die beiden Frauen mit dem Kind zum Aufzug zu gelangen. Damit ließen sie sich in die zweite Etage befördern, auf der sich ihre Zimmer befanden. In dem Raum, in dem Viola und ihre Tochter untergebracht waren, stellten sie kurzerhand ihr Gepäck ab. Anschließend verschwand die Mutter in der Toilette, während sich ihre Freundin darum bemühte, das Kind mit einer gerade erfundenen kleinen Geschichte abzulenken. Den Blicken ihrer Tochter entzogen, hätte Viola Ekström heulen mögen. Sie zwang sich jedoch dazu, ihre derzeitige Lage zu analysieren. Dass sie hier angemeldet waren bewies, dass es ihnen heute nicht gelungen war, sich von ihren Verfolgern abzusetzen. Die Behauptung, es habe sich bei dieser Begrüßung um einen Scherz gehandelt, mochte sie nicht glauben. Viola Ekström versuchte zu begreifen, was geschehen war. Bisher hatten diejenigen, denen es gelungen war, sie zu identifizieren keine große Mühe darauf verwendet, sich an ihre Fersen zu heften. Das war jetzt offenkundig anders. Die beiden Kerle hatten den Auftrag gehabt, sie genau hier zum Aussteigen zu zwingen. Sie begriff zwar weiterhin nicht, worauf das alles hinauslaufen sollte, fasste aber für sich einen Entschluss für dessen Umsetzung sie nicht viel mehr brauchen würde, als einen halbwegs stabilen Onlinezugang. „Das ist es,“ sagte sie halblaut zu sich selbst, „du verschaffst dir ganz einfach wirklich eine neue Existenz, ein neues Leben. Dann werden wir ja sehen, wie das ausgeht.“ Sie blickte in den Spiegel und erschrak ein wenig. Unter dem linken Auge hatte sich eine leichte Blaufärbung des Jochbeins herausgebildet. Zusammen mit der Hautabschürfung sah sie aus, wie eine dieser Frauen, die sich auf der Straße prügelten. Vorsichtig berührte sie die Schwellung mit Zeige- und Mittelfinger. Sie beugte sich vor, um die verletzte Stelle noch besser erkennen zu können. Erst jetzt nahm sie das leise Summen des Ventilators wahr, der für die Belüftung des innenliegenden Bades sorgte. Sie hielt kurz inne und lauschte aufmerksam auf das Geräusch. War da nicht noch ein anderes Summen, leiser und nur kurzzeitig, direkt vor ihr? Viola Ekström bewegte sich vor dem Spiegel hin und her. Da war es wieder, dieses kaum hörbare Summen, und sie begriff, dass hinter dem Spiegel eine Kamera verborgen sein musste, die ihren Bewegungen folgte. Wo war sie hier nur hingeraten? Ein Hotel, dass seine Gäste im Bad filmte? Sie war bereits im Begriff, sich empört umzuwenden, als ihre Aufmerksamkeit abermals von etwas in Anspruch genommen wurde, was direkt vor ihr geschah. Der Spiegel verwandelte sich in einen Monitor. Dieser gab den Blick frei auf eine im Wasser schwimmende, offenkundig erschöpfte Frau, die verzweifelt versuchte, sich an einem Steg festzuklammern. Doch immer, wenn es ihr gelungen war, mit ihren Händen das glitschige Holz zu erreichen, wurde sie an den Handgelenken gefasst und zurück gestoßen ins Wasser. War das echt? Als sie noch im Dienst war, hatte sie gerüchteweise davon gehört, dass second life Anbieter planten reale Schlaf- oder Badezimmerszeneneinstellungen in das virtuelle Geschehen einzuflechten - als besonderen Kick und, um die Reizschwelle anzuheben. Die Idee war wohl gewesen, virtuellen Partnern auf diese Weise Einblicke in den eigenen Intimbereich zu ermöglichen, ohne das diese Einblicke eindeutig als reale Einblicke zu identifizieren waren. „Sex sells,“ hatte sie damals nur gedacht und sich dann aber nicht weiter damit befasst. Aber das hier, das war schon von einer anderen Dimension. Viola Ekström ahnte, dass mit dem, was sie hier erlebte Druck auf sie selbst ausgeübt werden sollte. Als sie begriff, nun selbst gerade Teil einer Realityshow geworden zu sein, wollte Viola Ekström schreien, doch ihr versagte die Stimme. Eine andere Beobachtung nahm ihre Aufmerksamkeit in Anspruch. Es war offenkundig, dass die Frau auch sie sehen konnte. Während sie um ihr Leben kämpfte, rief sie ihr ständig etwas zu. Viola Ekström konnte nicht verstehen, was sie rief, da die Übertragung ohne Ton erfolgte. Aber es erforderte nicht viel Phantasie, sich vorzustellen, was die Ertrinkende ihr zurief. Vermutlich flehte sie um ihr Leben. Intuitiv versuchte die Frau im Bad, die Hände der Ertrinkenden zu ergreifen, als es dieser erneut gelungen war, den Steg zu erreichen. Aber der Versuch war natürlich vergeblich, völlig sinnlos und endete an dem Monitor vor ihr. Andere Hände packten erneut die Handgelenke der Verzweifelten und stießen die Frau zurück ins Wasser, wo sie erkennbar die Kräfte verließen. Viola Ekström begriff, dass sie zur Zeugin eines brutalen Mordes gemacht wurde und begann aus vollem Halse zu schreien. Ihr Entsetzten steigerte sich erneut, als sie zur Kenntnis nehmen musste, dass niemand sie hören konnte. Offenkundig war das Bad schalldicht versiegelt. Noch einmal gelang es der Ertrinkenden, sich dem Steg zu nähern. Viola Ekström hatte vergessen, ebenfalls Teil des Spiels zu sein und reagierte nur noch mechanisch. Ihre Hände griffen wieder und wieder vergeblich nach der Frau im Wasser, aber natürlich gelang das nicht, und so musste sie mit ansehen, wie die Verzweifelte vor ihren Augen versank. Das, was sich gerade vor ihr abspielte, ähnelte einem schlimmen Traum, war aber keiner. Als sie begriff, dass sie nicht hatte helfen können, hielten ihre Finger schließlich verzweifelt den Rand des Waschbeckens umklammert. Ihr Kopf suchte händeringend nach einer Lösung, aber das Spiel war noch nicht beendet. Die Kamera vollzog einen Schwenk. Nur wenige Zentimeter vom Rand des Steges entfernt wurde ein zappelndes Kind an den Haaren gepackt und über das Wasser gehalten. Viola Ekström erkannte ihre eigene Tochter, machte sich klar, dass es real nicht sein konnte, verstand aber die damit verbundene Drohung und begriff, dass das, was die andere Seite gerade mit der Frau im Wasser gemacht hatte, auch ihr oder ihrer Tochter geschehen konnte. Sie musste unbedingt herausfinden, was die Unbekannten von ihr wollten, sie dazu bringen, ihr zu sagen, was sie von ihr erwarteten.

Was soll ich tun?“ Sie brüllte diese Frage heraus und begriff erst jetzt, dass die andere Seite sie durchaus hören konnte. Augenblicklich erschien eine Textmitteilung, in der sie aufgefordert wurde, sich bereit zu halten für einen Auftrag, den nur sie übernehmen könne. Es dauerte einen Moment, dann folgte die Frage, ob sie bereit sei, den Auftrag anzunehmen. Viola Ekström hatte noch immer keine Ahnung, worum es sich handeln sollte, bestätigte ihr Einverständnis jedoch unverzüglich. „Zieh’ dich aus!“, lautete die nächste Aufforderung und Viola beeilte sich ihr nachzukommen. Sie nahm an, jetzt irgendwelche sexuellen Handlungen an sich vornehmen zu müssen, wurde aber eines anderen belehrt. Ihr Gegenspieler auf der anderen Seite hatte sich wohl nur davon überzeugen wollen, dass sie nicht verkabelt war. „In dem Schränkchen neben dir, befindet sich ein Sender. Nimm’ ihn heraus, befestige ihn so an deinem Unterleib, dass er durch das Höschen verdeckt wird und zieh’ dich danach wieder an.“ Die Frau tat, wie ihr geheißen ward und wunderte sich im Stillen darüber, dass die Unbekannten auf der anderen Seite wirklich so naiv sein sollten, sich einzubilden, sie auf diese Weise auch dann unter Kontrolle zu haben, wenn sie diesen Raum wieder verlassen haben würde. Sie zog sich betont langsam wieder an. Nicht um Begehrlichkeiten zu wecken, sondern einfach, um Zeit zu gewinnen zum Nachdenken. Noch immer wusste sie nicht einmal ansatzweise, was von ihr erwartet wurde. Die Hände hatten das Kind inzwischen wieder aus dem Bild genommen. Eingeblendet wurde dafür ein anderes Bild. Das Bild des Mannes, der gerade im Begriff war, seine Sonderermittlergruppe von Wiesbaden aus nach Geretsried zu verlegen. „Wir wollen, dass du den Kontakt zu diesem Mann herstellst und dafür sorgst, dass er sich um dich kümmert.“ Viola Ekström zuckte zusammen. Sie verstand sofort, warum nur sie diesen Job machen konnte, sie vermutlich jedenfalls besser, als jeder andere Mensch auf der Erde. Schließlich handelte es sich bei dem Mann auf dem Bild um niemand anderen, als den Vater ihres Kindes. „Du solltest besser nicht auf die Idee kommen, zu versagen,“ teilte ihr das Schriftband mit, das die Textmitteilungen enthielt und erinnerte sie damit daran, aktuell gerade Teil der virtuellen Welt der Anderen geworden zu sein. Im gleichen Moment war der Spuk vorbei. Der Großmonitor verwandelte sich wieder in einen Spiegel und die Verriegelung der Tür ließ sich ganz normal öffnen. Viola Ekström hatte begriffen. Sie trat hinaus aus dem Bad und ihre Freundin empfing sie mit den Worten: „Du hast dir aber Zeit gelassen.“ Die Stimme klang ein wenig vorwurfsvoll, doch Viola schenkte ihr zunächst keine Beachtung, sondern ließ ihren Blick so unauffällig wie möglich über die üblichen Verdachtsstellen gleiten, an denen versteckte Kameras deponiert werden konnten, ohne Aufsehen zu erregen. „Ola?“ Die Stimme ihrer Freundin klang jetzt bereits deutlich gereizter. „Ich habe mir die Sache überlegt,“ reagierte Laras Mutter jetzt, „du hast recht, ich glaube, ich sollte versuchen, bei den Deutschen unterzuschlüpfen.“ Unter dem erstaunten Blick der Frau mit den vielen Identitäten zog sie ihr aktuelles Mobiltelephon aus der Handtasche, überlegte einen Augenblick und wählte dann aus dem Kopf die Handynummer des Vaters ihres Kindes. Als sie nach einigen Momenten des Verbindungsaufbaus dessen Stimme noch immer nicht hörte, legte sie aber wieder auf.

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