Читать книгу Geheimnis der blauen Kugel - Ekkehard Wolf - Страница 7

4. Kapitel

Оглавление

Der Tag vor Ostern ist in Norddeutschland der Tag des Osterfeuers. Da die Eltern nichts von dem Plan der Freunde wissen durften, konnten die jungen Verschwörer auch nicht gemeinsam dorthin gehen, sondern kamen mit ihren jeweiligen Familien.

Es dauerte deshalb einige Zeit, bis sich die Fünf treffen konnten.

So unauffällig wie möglich hatte jeder von ihnen bereits zuvor nach dem großen Unbekannten Ausschau gehalten. Allerdings war es selbst für Snotra nicht sonderlich schwer gewesen, den Verdächtigen ausfindig zu machen.

Es gab nur einen Mann, der so aussah, wie es Alfreds Mutter beschrieben hatte.

Der Mann, der auffällig lange ins Feuer sah und ständig irgendwelche seltsamen Handbewegungen machte, hatte eine Halbglatze und trug eine runde Brille.

Die Freunde waren sich schnell einig, dass allein dieser Mann der Gesuchte sein konnte. Aber tatsächlich war es nur Snotra gelungen, unauffällig in der Nähe des Mannes zu bleiben und seine Bewegungen zu verfolgen. Deshalb entging es ihr auch nicht, als eine andere Person für wenige Augenblicke die Gesellschaft des Mannes suchte. Da das Prasseln des Feuers viele Töne verschlang, war sie aber zu weit davon entfernt, um deren Gespräch mithören zu können. Zum Glück war sie aber in der Lage, die vom Feuer hell beleuchteten Gesichter zu erkennen. Deshalb konnte sie ohne große Schwierigkeiten dem Gespräch folgen, indem sie einfach die Worte von den Mundbewegungen ablas. Sie nannte das, von den Lippen lesen. Damit hatte Snotra keine große Mühe, Ort und Zeit der nächsten Verabredung heraus zu finden.

„Gut,“ bestätigte die Person mit der Kapuze, „dann treffen wir uns Ostermontag am Bahnhof.“

„Genau,“ bestätigte seinerseits der Mann mit der Halbglatze, „Gleis 5 um Halbzwölf am Verdener Bahnhof.“

Snotra hatte genug gesehen und es wurde daher Zeit für sie, sich wieder um ihre Eltern zu kümmern. Diese wollten unbedingt noch zu einem anderen Osterfeuer fahren. Weil sie sich tatsächlich nicht davon abhalten ließen, saßen die drei Jungen und die beiden Mädchen erst eine Stunde später wieder in der Scheune zusammen.

„Was!?“ fragte Alfred, nachdem Snotra alles erzählt hatte, was sie von der Besprechung mitbekommen hatte.

„Sehr witzig, aber das kann gar nicht sein, am Verdener Bahnhof gibt es nur Gleis eins, zwei und drei. Schließlich sind wir ja nicht bei Harry Potter.“

„Ich finde wir sollten trotzdem am Ostermontag zum Bahnhof fahren. Auch wenn es ein Geheimtreffpunkt ist, können wir den Mann vielleicht doch entdecken. Immerhin wissen wir ja wie er aussieht“, meinte Kirsten.

„Ich muss mich entschuldigen“, begann Alfred, „denn ich fahre am Ostermontag mit meiner Mutter..“

Er hielt kurz inne und fuhr dann fort.

„Leute! Ich fahre am Ostermontag mit meiner Mutter mit einer uralt Bahn, die um Halbzwölf an Gleis fünf abfährt!“, sprudelte es aus ihm hervor.

„Super, wir müssen unseren Eltern sagen, dass wir auch mitfahren“, rief Snotra.

Sie war erleichtert, weil damit der Eindruck beseitigt war, sie könnte sich verhört haben. Sie war zugleich auch sehr beunruhigt, ließ sich das aber nicht anmerken, sondern erkundigte sich nur danach, wie es weitergehen solle. „Meiner Meinung nach ...“ begann Kirsten, als sie von Hendrik ziemlich barsch unterbrochen wurde.

„Deine Meinung interessiert keinen. Viel wichtiger ist es, mehr über den Typen heraus zu finden.“

„Das wollte ich auch sagen; nur dass ich nicht das Wort Typ verwendet hätte,“ stellte Kirsten klar.

„Ich habe auch eine Idee, wie wir das machen könnten. Einer von uns muss so tun, als ob er von der Schülerzeitung ist und eine Umfrage unter Brillenträgern machen will, um heraus zu finden, wie man sich mit Brille fühlt. Damit man nicht zu viele vom gleichen Alter befragt, bräuchte man sein Alter und um zitieren zu können, seinen Namen.“ Weiter kam sie nicht.

„Kiri! Es sind Ferien. Warum sollte in den Ferien in der Schülerzeitung ein Artikel über die Gefühle von Brillenträgern gebracht werden?“, wandte Thorsten lachend ein.

„Habt ihr eine bessere Idee?“, trotzte Kirsten.

Das hatte gesessen. Da niemand etwas Besseres einfiel, machte Alfred den Vorschlag, sich am folgenden Tag nicht zu treffen, sondern am Ostermontag etwas früher zu kommen, um die „Brillenträger – Frage - Aktion“ durchzuführen. Außerdem überlegten sie noch, wer die Rolle des Reporters übernehmen sollte. Hendrik schlug Kirsten vor, da sie „einem am besten Löcher in den Bauch“ fragen kann.

„Denkt ihr nicht, das sollte besser jemand machen, den der Mensch noch nicht gesehen hat?“

Wieder war es Thorsten, der mit seiner Rückfrage zur allgemeinen Verunsicherung beitrug.

„Also, ich verstehe nicht, was das bringen sollte. In diesem Fall ist es besser, er weiß, dass wir von hier sind. Oder glaubst du, es kommt besonders glaubwürdig, wenn jemand von einer ganz anderen Schülerzeitung eine solche Umfrage macht?“

Kirsten fühlte sich an der Ehre gepackt. Aber die anderen begriffen sofort, dass sie recht hatte. Also war die Sache abgemacht. Jetzt blieb nur noch abzuwarten, ob alle den seltsamen Bahnsteig finden würden.

Am Ostermontag trafen sich die Freunde wie verabredet am Verdener Bahnhof.

„Können Sie uns bitte sagen, wo hier der Bahnsteig 5 ist?“ Die Mutter von Snotra hatte den ersten besten Menschen angesprochen, der ihr über den Weg lief.

„Bahnsteig 5?“, fragte der Mann zurück. „Nee, keine Ahnung, hier in Verden jedenfalls nicht. Hier gibt es nur drei Bahnsteige.“

Snotras Mutter wollte gerade zu einer Antwort ausholen, als sie von ihrer Tochter weggezogen wurde.

„Da drüben Ma. Da drüben steht der Kleinbahnexpress.“ Snotra deutete in Richtung der kleinen Diesellok, die gerade an die drei alten Abteilwagen auf der anderen Seite des Bahnhofs ankuppelte. Ebenso wie die anderen Fahrgäste erreichten Vater, Mutter und Tochter den Zug am Ende der Unterführung, die zu den hinteren Gleisen führte. Ganz hinten, da war Gleis 5. Thorsten, Kirsten und Hendrik waren schon eingestiegen. Nur Alfred fehlte. Warum, das konnten sich die anderen Kinder nicht erklären, denn angerufen hatte er ganz gegen seine sonstige Gewohnheit nicht.

Die Eltern von Thorsten und Kirsten standen noch vor dem Zug und unterhielten sich mit dem Schaffner. Kurz darauf kletterten auch sie die kleine Treppe zum Waggon hinauf. Sie ahnten nicht, dass die Fahrt anders verlaufen würde, als sie sich das ausgemalt hatten.

Pünktlich um 11 Uhr ließ der Lokomotivführer die Zugpfeife ertönen und die kleine Museumsbahn setzte sich in Bewegung. Anders, als bei vielen anderen alten Zügen hatte dieser keine Dampflokomotive, sondern eine Diesellok VWE DL2 Baujahr 1947. Früher war das einmal eine Rangierlok gewesen, aber jetzt zog sie einen Personenzug mit zwei Personenwaggons und einem Gepäckwagen. Erst jetzt hatten die Freunde Gelegenheit, sich nach dem Mann mit der Halbglatze und dem Menschen mit der Kapuze umzusehen.

„Das war wohl nichts.“

Thorsten war der Erste, der nach kurzer Begehung des Zuges zu dem Ergebnis kam, dass die Verdächtigen nicht mitgefahren waren. Mit hoch gezogenen Augenbrauen ging er an Snotra vorbei und blickte sie dabei fragend an. Aber Snotra konnte nicht helfen. Sie war ebenfalls ratlos und außerdem beschäftigte ihr Vater sie, indem er ihr gerade erklärte, welches Unternehmen sich hinter der gewaltigen Fassade verbarg, an der sich der Zug Schritt für Schritt vorbei schlängelte. Nachdem die kleine Bahn das Industriegebiet hinter sich gelassen hatte, folgte ein Wohngebiet mit Einfamilienhäusern und Gärten. Viele der Bewohner standen vor ihren kleinen Villen und winkten dem vorbeifahrenden Zug zu. Aber bei Thorsten, Hendrik und Kirsten machte sich Enttäuschung breit. Snotra ging es ebenso.

Die Situation änderte sich schlagartig, als wenig später der erste Halt erfolgte. „Bahnhof Eitze“ stand an dem kleinen Häuschen geschrieben, das wohl früher einmal, als die Strecke noch regelmäßig befahren wurde, als Wetterschutz für die Passagiere gedient haben dürfte.

„Da!“, flüsterte Kirsten Thorsten ins Ohr.

Der sah sie erst fragend an, dann folgte er dem halb ausgestreckten Arm des Mädchens und stellte fest, dass der Mann mit der Halbglatze am Gleis stand und darauf wartete einsteigen zu können. Kurz darauf hatte er sich auf die Bank hinter ihnen gesetzt. Aber wo war der Kapuzenmann?

Die weitere Fahrt führte erst an einem Wäldchen vorbei und danach an Schrebergärten. An der nächsten Haltestelle war es Thorsten, der die erlösende Entdeckung machte. Der Kapuzenmann war zugestiegen und setzte sich zu einer Familie, die ihre Sachen daraufhin etwas wegzog.

„Das ist ja selbstverständlich. Bei einem so ordinären Mann der nie seine Kapuze abnimmt, würde doch jeder seine Sachen wegziehen“, murmelte Kirsten mit leiser Stimme vor sich hin. Das hinderte sie aber nicht daran, ihre Aufgabe im Auge zu behalten.

„Wir müssen jetzt aufpassen, was die Beiden anstellen. Ich gehe jetzt zu dem mit der Brille und mache mein Interview. Ihr behaltet den Menschen mit der Kapuze im Auge.“ Möglichst unauffällig erhob sich das Mädchen von ihrem Platz und begab sich in den Nachbarwaggon.

„Guten Tag,“ leitete Kirsten ihre Ansprache ein, „bitte entschuldigen Sie die Störung. Aber darf ich Sie mal was fragen? Ich bin von der Schülerzeitung und mache eine Umfrage unter Brillenträgern.“

Der Mann mit der Halbglatze sah sie verdutzt an, räusperte sich verlegen und nahm dann seine Brille ab.

„Tut mir leid, junge Dame, ich fürchte, da kann ich dir nicht behilflich sein. Weißt du, ich bin in Wirklichkeit gar kein Brillenträger. Ich setze das Ding eigentlich nur zum Spaß auf.“

Kirsten ließ sich davon nicht beirren und antwortete frech: „Das sollten Sie aber unterlassen; denn wenn Sie das noch lange machen, könnte es durchaus sein, dass Sie wirklich bald eine Brille benötigen. Außerdem ist das auch gut. Stellen Sie sich vor: Ein ausführlicher Bericht darüber, weshalb Sie das tun. Also fangen wir an. Ihr Name bitte.“ „Andreas Höfke.“

„Gut. Alter? Beruf?“

Der Mann ist nicht nur kriminell, sondern auch noch geschwätzig“, machte sich Kirsten klar als er anfing zu erzählen, dass er 47 Jahre alt und seit 2 Jahre arbeitslos gewesen sei, bevor er vor wenigen Monaten eine neue Arbeit im Überseemuseum bekommen habe und, und, und. Der Mann erzählte bereitwillig seine Lebensgeschichte und Kirsten hatte das Gefühl, er schien geradezu froh darüber zu sein, dass sich jemand für ihn interessierte. Bereits im nächsten Augenblick sah jedoch alles ganz anders aus.

Kirsten notierte sich alles sorgfältig in ihrem Block, bedankte sich höflich und hatte ganz plötzlich irgendwie Mitleid mit dem Mann. Der sollte ein Verbrecher sein? War es möglich, dass sich Alfreds Mutter geirrt hatte? Oder verstellte sich dieser Herr Höfke nur besonders geschickt? Die junge Reporterin versuchte sich Klarheit zu verschaffen, indem sie den Mann direkt danach fragte, ob er kürzlich in seinem Museum eine blaue Kugel gesehen habe.

„Warum willst du das denn wissen?“

Urplötzlich war die Redseligkeit ihres Gesprächspartners umgeschlagen in unverhohlenes Misstrauen. Kirsten suchte krampfhaft nach einer plausiblen Erklärung für ihre tatsächlich etwas überraschende Frage, wurde statt dessen aber erst einmal puterrot im Gesicht.

„Ich habe im Unterricht erfahren, dass dort eine blaue Kugel gestohlen worden sein soll und unser Lehrer hat gesagt, dass wir uns danach erkundigen sollen, wenn wir jemanden kennen, der dort arbeitet,“ log das Mädchen und bekam einen noch röteren Kopf, als ihr klar wurde, wie sehr sie bei diesem Satz gestottert hatte.

Der Mann bemerkte ihre Unsicherheit und war mit einem Mal wie ausgewechselt. Jetzt hatte er nichts mehr von dem leutseligen, armen Menschen, als der er Kirsten vor wenigen Augenblicken noch erschienen war. Er sah das Mädchen mit durchdringendem Blick an.

„Wie war das noch gleich? Von welcher Schule kommst du? Was hast du gesagt?“

Kirsten beeilte sich, dem Mann die gewünschten Auskünfte zu geben.

„So, so und da denkst du, du musst hier die kleine Nervensäge rauskehren, nur weil dein Lehrer das gesagt hat?“

Kirsten blickte erstaunt auf die Person, die diese wenig freundlichen Worte an sie gerichtet hatte. Es war der Kapuzenmensch, der sich neben ihr aufgebaut hatte. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass er in das Abteil gekommen war.

„Ich wollte ja nur, also ich...“

Sie kam nicht mehr dazu, den Satz zu Ende zu bringen, da sich direkt neben ihr ein Mobiltelephon mit einer sehr lauten Melodie bemerkbar machte. Das Gerät gehörte dem Kapuzenmann. Er klappte das Handy auf, meldete sich mit „hallo“, lauschte auf das, was der Anrufer sagte, blickte dann erstaunt erst das Mädchen und anschließend den Mann an, der sich Andreas Höfke genannt hatte, wandte sich gleich darauf ab, verließ das Abteil und stellte sich auf die kleine Plattform davor.

Kirsten konnte sehen, dass der Mann sich angeregt unterhielt. Noch zwei Mal sah er mit erstauntem Ausdruck in den Augen zurück. Kirsten konnte nicht unterscheiden, ob die Blicke ihr oder Herrn Höfke galten.

Der hatte sich vorgebeugt und versuchte offenkundig aus der Gestik seines Bekannten zu entnehmen, was der gerade zu besprechen hatte. Kirsten hatte den Eindruck, dass er sich irgendwie unwohl fühlte. Je länger das Gespräch dauerte, desto unruhiger jedenfalls kratzte sich der Mann erst am Kinn und dann am Kopf. Kirsten nutzte die Gelegenheit, sich unauffällig aus dem Staub zu machen und hoffte darauf, bei der Beobachtung von ihrer neuen Freundin abgelöst zu werden. Noch auf dem Weg zurück zu ihren Eltern überlegte sie, wie sie das anstellen könnte.

Im Vorbeigehen gab sie Snotra ein Zeichen. Mit ihrem Zeige- und Mittelfinger deutete sie erst auf ihre Augen. Unmittelbar darauf dann zeigte sie mit dem Daumen rückwärts in Richtung des Mannes, mit dem sie sich gerade unterhalten hatte. Snotra hatte verstanden. Jetzt würde sie wieder die Beobachtung der beiden Männer übernehmen. Gerade als sie im Begriff war, sich zu erheben, um sich einen Platz auf der Bank gegenüber zu suchen, kam der Kapuzenmann wieder in das Abteil. Er setzte sich zu dem Mann mit der Halbglatze und redete auf ihn ein.

Snotra beeilte sich in die Nähe der Beiden zu kommen und fand tatsächlich einen freien Fensterplatz auf der anderen Bankseite. Angestrengt blickte sie nach draußen. Tatsächlich versuchte sie krampfhaft zu verstehen, was die beiden Männer miteinander zu besprechen hatten. Doch die ließen ihr keine Chance. Sie hatten die Köpfe eng zusammen gesteckt und redeten abwechselnd im Flüsterton aufeinander ein. Der Kapuzenmann war anscheinend ziemlich aufgeregt. Jedenfalls bemerkte Snotra, immer wenn sie einen gelegentlichen Blick auf das Duo warf, dass er heftig mit den Händen fuchtelte. Es sah danach aus, als ob er seinem Gegenüber Vorwürfe machte. Der Mann mit der Halbglatze war mit dem, was der Kapuzenmann sagte, aber anscheinend nicht einverstanden. Snotra sah, wie er mit beiden Händen abwehrende Bewegungen machte und dann seinerseits auf sein Gegenüber einredete. Der schüttelte heftig den Kopf und sah zu Snotra hinüber.

„Was glotzt du so?“

Snotra brauchte einen Moment, bis sie begriff, dass er sie meinte. Auch sie bekam einen roten Kopf, wandte sich mit einem Ruck ab und tat so, als ob sie wieder aus dem Fenster sehen würde. Sie spürte trotzdem, dass die beiden Männer ihr Gespräch unterbrochen hatten. Aus dem Augenwinkel bekam sie nur noch mit, dass beide aufstanden und das Abteil verließen.

Nur einen Augenblick später, bremste der Zug. Die Museumsbahn hatte ihren Zielbahnhof erreicht.

Noch bevor sich die Kinder auf die veränderte Lage einstellen konnten, hatten der Kapuzenmann und sein Begleiter den Zug verlassen. Eiligen Schrittes gingen sie in Richtung des kleinen Gasthauses, das sich unweit des Bahnhofs befand.

Snotra blickte sich hilfesuchend um, während sie ihre überraschten Eltern zu Eile ermahnte.

Was hast du denn? Wir haben hier zwei Stunden Aufenthalt, bevor es wieder zurück geht“, machte sich ihr Vater bemerkbar.

„Wenn wir uns nicht beeilen, werden wir bei diesem Wetter kaum einen Platz im Gasthaus finden“, gab Snotra zurück und freute sich heimlich darüber, dass ihr Vater ihr das Stichwort geliefert hatte, um etwaigen Ideen auf eine „kleine Wanderung“ schon einmal einen Riegel vorzuschieben. Gleich darauf tat er ihr den nächsten Gefallen, indem er sie auf Hendrik aufmerksam machte.

„Ist das nicht einer der Jungen, mit denen du dich neuerdings in der Hütte triffst?“, wollte er wissen, während er mit dem Kopf in dessen Richtung deutete.

„Ach ja, tatsächlich“, gab sich Snotra überrascht. „Da werde ich dann wohl am besten gleich mal Guten Tag sagen.“ Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, als sie schon entschwand.

„Hey Hendrik, du auch hier?“, gab sie sich Sekunden später leutselig, während sie versuchte, den Jungen mit Handbewegungen in Richtung des Gasthauses darüber zu informieren, dass die beiden Männer sich dorthin abgesetzt hatten. Hendrik verstand, was sie ihm sagen wollte, musste aber passen.

„Hallo, ja ich wusste gar nicht, dass du auch mit dem Zug gekommen bist,“ gab er sich ebenso überrascht, zuckte dabei aber entschuldigend mit den Schultern.

„Mein Pa will mir gleich mal die Lokomotive erklären.“ Snotra hatte verstanden. Während sie schon mit den Augen nach den Anderen Ausschau hielt, verabschiedete sie sich von Hendrik mit den Worten: „Vielleicht sehen wir uns dann auf der Rückfahrt.“

In diesem Moment tauchte Kirsten neben ihr auf und sah sie mit großen fragenden Augen an.

Auch sie tat so, als ob sie völlig überrascht sei, ihre neue Freundin hier zu treffen. Während die das Begrüßungsritual erwiderte, deutete Snotra auch hier mit den Fingern unauffällig in Richtung des Gasthauses. Ihr war klar, dass ihre neue Freundin nach dem „Interview“ kaum schon wieder in der Nähe der beiden Männer auftauchen konnte. Aber da sie Thorsten nirgendwo sah, hoffte sie, dass Kirsten ihr wenigstens einen Hinweis würde geben können, wo er zu finden war. Noch während ihre Freundin sie ziemlich ratlos ansah, kamen der Mann mit der Halbglatze und der Kapuzenmann bereits heftig gestikulierend wieder aus dem Gasthaus. Sekunden später erschien auch Thorsten in dessen Eingangstür. Anscheinend war er den beiden gleich gefolgt, als sie aus dem Zug ausgestiegen waren. Jetzt tat er so, als ob er nach irgendjemandem Ausschau hielt.

Die beiden Männer gingen währenddessen zu der Bushaltestelle und blieben dort stehen.

Noch bevor ihre Beobachter richtig begriffen hatten, was geschah, hielt ein weißer Mercedes an der Haltestelle.

Die Männer stiegen ein und waren kurz darauf verschwunden.

„Mist,“ entfuhr es Snotra und Kirsten so gleichzeitig, dass sie beide lachen mussten.

„Schauen wir mal rüber zum Thorsten.“

Es war Kirsten, die sich als erste wieder gefangen hatte. Der Junge war jetzt ihre einzige Hoffnung. Falls er nicht erfahren haben sollte, wohin es die beiden so plötzlich verschlagen hatte, dürfte es schwer werden, sie wieder zu finden. Snotra und Kirsten beeilten sich daher, zu ihrem Freund zu kommen.

Doch der wehrte sie mit beiden Händen sofort ab, als er erkannte, was sie vor hatten. Überdeutlich fasste er sich dann mit der linken Hand ans linke Ohr und rieb scheinbar in Gedanken an seiner Ohrmuschel.

Die beiden Mädchen blieben stehen.

Der Griff zum Ohr war das verabredete Zeichen dafür, dass er etwas wichtiges gehört hatte. Mit der anderen Hand kratzte er sich danach am Hinterkopf. Das war die Handbewegung für „ich muss nachdenken“. Die beiden Mädchen sahen sich erstaunt an. Offenkundig wollte Thorsten ihnen etwas Wichtiges mitteilen. Sie begriffen nur nicht, warum er ihnen das per Zeichensprache zu verstehen gab, anstatt direkt mit ihnen zu reden. Nachdenklich rieb sich Snotra mit der Hand über die Stirn. Das bedeutete „ich verstehe nicht, was los ist.“

Sofort hielt sich Thorsten kurz die Hand über den Mund. Das war nicht eindeutig. Es konnte bedeuten, „ich kann nicht reden“ oder „ihr müsst den Mund halten“.

Erneut rieb sich Snotra mit der Hand über die Stirn. Thorsten antwortete, indem er sich erst mit der linken und dann mit der rechten Hand über den Mund strich.

„Wieso sollen wir still sein,“ fragte Kirsten an Snotra gewandt.

In diesem Augenblick trat eine hellblonde Frau vor das Gasthaus und zündete sich eine Zigarette an. Sie schien nervös zu sein. Jedenfalls ging sie mit kurzen, schnellen Schritten auf und ab, während sie an der Zigarette zog.

„I schau mal, wie eklig, bestimmt stinkt die nachher wie ein ganzer Aschenbecher.“

Kirsten konnte Raucher nicht ausstehen und nutzte deshalb jede sich bietende Gelegenheit, um sich über sie aufzuregen. Fast hätte sie dabei die Handbewegung übersehen, mit der Thorsten versuchte sie zu warnen. Erst als sich der Junge seine Jacke wie eine Kapuze über den Kopf zog, wurde Kirsten wieder auf ihn aufmerksam.

„Was soll das jetzt?“ fragte sie überrascht.

„Das soll wohl bedeuten, dass die Blonde da hinten den Kapuzenmann kennt,“ gab ihr Snotra zu verstehen, die auch die vorherige Handbewegung des Jungen aufmerksam wahrgenommen hatte: Zwei ineinander verschränkte Hände bedeuteten „Freundschaft“. Zusammengesetzt konnte das nur bedeuten, die Blonde und der Kapuzenmann sind befreundet.

„Deshalb sollen wir im Gasthaus die Klappe halten. Sonst könnte die Dame merken, dass wir hinter dem Kapuzenmenschen her sind und ihn warnen,“ erklärte Snotra, doch das hatte Kirsten inzwischen auch schon selbst begriffen.

„Sag’ mal, ich denke du hast es so eilig, in die Kneipe zu kommen. Könntest du dich jetzt vielleicht endlich mal loseisen?“

Es war die Stimme von Snotras Vater, die ihr die Entscheidung darüber abnahm, was sie jetzt am besten tun sollte.

„Du siehst, ich muss,“ raunte sie Kirsten noch kurz zu, „wir reden auf der Rückfahrt. Ansonsten treffen wir uns um acht in der Hütte, ok?“

„Ok,“ bestätigte Kirsten und suchte anschließend ebenfalls nach ihren Eltern, während Snotra mit ihrem Vater und ihrer Mutter in das Gasthaus ging. Kaum hatte die dort ihre Jacke ausgezogen und sich an den Tisch gesetzt, als sie die nächste Überraschung erlebte.

„Was darf’ s denn sein für die junge Dame?“

Es war die blonde Raucherin, von der die Frage gestellt wurde. Sie arbeitete in dem Lokal als Bedienung. Als sie Snotra erblickte, zuckte sie ebenso überrascht zurück, wie das Mädchen.

Mehr aber ließen beide sich nicht anmerken. Nach dem Essen besichtigte das Mädchen gemeinsam mit ihren Eltern noch das kleine Museum, das im ehemaligen Bahnhofsgebäude untergebracht war, danach hieß es dann schon bald wieder „einsteigen und die Türen schließen.“

Die Rückfahrt von Stemmen über Neddenaverbergen, Armsen, Luttum und Eitze nach Verden verlief im Vergleich zur Hinfahrt wie im Fluge, obwohl alle Kinder von den vorausgegangnen Anspannungen und dem Mittagessen ermüdet waren und die ganze Zeit mehr oder weniger interessiert auf die Landschaft blickten, die gemächlich an den Fenstern des gemütlich fahrenden kleinen Zuges vorbeizog.

Alle Kinder, mit Ausnahme von Thorsten. Er war der Einzige, der miterlebt hatte, was sich in dem Gasthaus zwischen der blonden Kellnerin, dem Mann mit der Halbglatze und dem Kapuzenmann abgespielt hatte. Er brannte darauf, diese Neuigkeiten seinen Kameraden zu erzählen, aber er spürte, dass es besser war, damit zu warten, bis sich alle am Abend in der Hütte treffen würden. Zum Glück hatte Thorsten das Notebook dabei, das er von seinem Vater geschenkt bekommen hatte, nachdem der sich ein neues Gerät gekauft hatte. Damit war für Ablenkung gesorgt.

Der kleine Computer – ein hellgrünes Gerät der Marke Siemens-Nixdorf - war zwar bereits einige Jahre alt und hatte einen vergleichsweise langsamen Prozessor, der noch nicht einmal einen energiefressenden Lüfter benötigte, eine vergleichsweise kleine, aber immerhin 10 Gbyte umfassende, nachträglich eingebaute Festplatte, noch keinen DVD-Brenner, dafür aber verschiedene Extras, wie ein Diskettenlaufwerk, eine USB-, aber auch je eine serielle und parallele Schnittstelle, so dass auch ältere Scanner und Drucker angeschlossen werden konnten und vor allem zwei Akkuschächte. Diese erlaubten es dem Jungen, das Gerät mehrere Stunden zu benutzen, ohne eine Steckdose zu benötigen. Dazu hatte ihm sein Vater eine Wlan Karte und ein GSM-Modul geschenkt. Damit konnte er sogar von unterwegs ins Internet. Da die Kosten hierfür ziemlich üppig waren und diese ihm gnadenlos vom Taschengeld abgezogen wurden, sobald er mehr als fünf Euro pro Monat verbrauchte, hatte der 12 Jährige in der Regel sehr darauf aufgepasst, dass er diesen Betrag nicht überschritt. Angesichts dessen, was er in dem Gasthaus erlebt hatte, entschloss er sich, diese Zurückhaltung heute ausnahmsweise einmal über Bord zu werfen. Sorgfältig achtete er aber beim Auspacken des Gerätes darauf, nirgends anzustoßen. Da kein Tisch zur Verfügung stand, nahm er den Computer auf die Knie, während der hochfuhr. Über die alte MSN Nummer stellte er sodann eine DFÜ-Verbindung zum Internet her, gab den Suchbegriff „blaue Kugel“ ein und staunte nicht schlecht über das, was er da zu lesen bekam. Gleich auf der zweiten Position wies die Suchmaschine einen Bericht aus, in dem es um irgendwelche blauen Lichtkugeln ging, deren Geheimnis von den Photographen der Lichtbilder bisher nicht gelüftet worden waren. Anschließend versuchte es Thorsten, indem er beide Begriffe als Bild aufrief. Was er hier erlebte, trug noch stärker zu seiner Verblüffung bei.

Eine kleine rote Lampe begann auf seinem Monitor aufzuleuchten. Erst schwach flackernd, dann immer intensiver, schließlich grell blinkend.

Das war das Zeichen, dass er gleich sein Guthaben überschreiten würde. Er hatte ohnehin genug gesehen, trennte die Verbindung und lehnte sich zurück.

Er musste jetzt erst einmal überlegen. Wenn das, was er bisher über die merkwürdige Kugel gehört hatte und das, was er eben gesehen hatte, zusammengehören sollte, dann war klar, dass die Freunde ein Problem hatten. Immerhin schien die blaue Kugel so etwas wie „magische Kräfte“ zu haben. Was das konkret bedeuten mochte, konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.

Geheimnis der blauen Kugel

Подняться наверх