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Was tun, wenn die „Leitung“ tot bleibt?

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Was tun, wenn Julia und Rolf (das zerstrittene Ehepaar) auch nach der vierten, fünften und sechsten Nacht ihr Schweigen nicht brechen, weil keiner bereit ist, nachzugeben und als Erster das erlösende Wort spricht? Was kann man noch tun, wenn man – wie Frau Walter – 20 Jahre lang mit allen Mitteln vergeblich versucht hat, den unnachgiebigen, alt gewordenen Vater, der auf dem Sterbebett liegt, zur Versöhnung zu bewegen?

Es gibt Situationen, in denen alle menschlichen Versuche, wieder miteinander zu reden, scheitern, denn zum Sprechen benötigen wir nicht nur die Zunge, sondern auch den Verstand – und das Herz! Die Zunge kann man mit Willenskraft im Zaum halten oder in Bewegung bringen; den Verstand kann man notfalls überlisten; das Herz aber gehorcht nicht auf Kommando und kann, unter bestimmten Umständen, so steinhart werden, dass es kaum noch fähig ist zu „empfangen“, geschweige denn zu „senden“.

Hier kann nur eine höhere Instanz helfen, eine übermenschliche „Umleitung“! An der Funktionsweise des Internets lässt sich das gut erläutern.

Als das Internet geschaffen wurde, bestand eines der Ziele dieses weltumspannenden Kommunikationsnetzes darin, den Ausfall einer Querverbindung zwischen den Großrechnern bzw. Knotenpunkten sofort zu überbrücken. Im Falle eines Krieges sollten die übermittelten Informationen zwar auf Umwegen, aber sicher und schnell den Empfänger erreichen. Diesem Prinzip ist es heute zu verdanken, dass bei einem Unterseekabelschaden zum Beispiel die interkontinentale Kommunikation nicht zusammenbricht.

Es gibt in der geistig-geistlichen Welt auch so etwas wie eine überirdische „Umleitung“, die helfen kann, wenn die zwischenmenschliche Kommunikation schweren Schaden erlitten hat: das Gebet. Das Gebet ist in erster Linie die „Telefonleitung“, die uns mit unserem Schöpfer verbindet. Darüber hinaus ist das Gebet eine Art Umleitung, um über den gemeinsamen Schöpfer eine Brücke zu einem Menschen zu schlagen.

Was ist aber mit „Beten“ gemeint? Wie betet man richtig? Kann das jeder? Hilft es überhaupt?

Kann jeder beten? Jeder, der hören kann, kann auch beten; denn Beten beginnt mit Hören. Zuhören kann nur, wer schweigt, und das Schweigen kann schon ein Gebet sein, nämlich die Bitte um jene Stille, in der es uns möglich ist, auf Gott zu hören. Der Theologe und Publizist Jörg Zink schreibt dazu: „Hören lernen heißt aufhören, selbst zu reden, sich wegwenden von sich selbst und bemerken, dass ein Anderer, der wichtiger ist als wir selbst, uns meint.“

Natürlich kann man auch mit Gott während der Autofahrt reden, aber es ist wichtig, Gelegenheiten der Stille zu schaffen, um innerlich zur Ruhe zu kommen. Dieses Stillesein vor Gott hilft uns nicht nur, auf ihn zu hören, sondern befähigt uns auch, unseren Mitmenschen besser zuzuhören.

Wie betet man? Hierzu erzählte Jesus einmal ein sehr einprägsames Erlebnis:

Zwei Männer gingen zum Tempel, um zu beten, der eine von ihnen war ein Pharisäer, der andere ein Zolleintreiber. Der Pharisäer stellte sich ganz nach vorne und betete etwa folgendermaßen: „Oh Gott, ich danke dir dafür, dass ich nicht wie andere Leute bin, wie die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder, der Himmel bewahre mich davor, wie dieser Zolleintreiber da hinten. Du weißt ja, dass ich zweimal in der Woche faste und dir von meinem gesamten Einkommen gewissenhaft den Zehnten gebe.“

Doch auch der Zolleintreiber, der hinten im Tempel stand, betete. Er hielt die Hände vor sein Gesicht und wagte es nicht einmal, aufzuschauen, während er zu Gott sprach: „Gott, erbarme dich meiner! Vergib mir, ich bin ein Sünder!“

Ich sage euch: Als dieser Zolleintreiber, nicht der andere, nach Hause ging, war zwischen ihm und Gott alles in Ordnung. Denn wer sein Vertrauen auf sich und seine Leistung setzt, wird leer ausgehen. Wer aber sein Vertrauen allein auf Gott setzt, weil er eingesehen hat, wie es wirklich um ihn steht, dem wird Gott mit seinem liebevollen Erbarmen begegnen. (Lukasevangelium 18,10 – 14)

Eigentlich war das Gebet des Pharisäers kein Gebet, sondern ein Vortrag. Dieser Mann redete nur von sich, dazu stellte er Vergleiche mit Anderen, vermeintlich Schlechteren, an. Er bat Gott auch um nichts, sondern informierte ihn über seine religiösen Leistungen. Das ist kein Beten!

Der zweite Beter, der Zolleintreiber, redete nicht viel. Das ist auch nicht nötig; denn es kommt beim Beten nicht auf die Menge der Worte an und auch nicht darauf, Gott mit ausgewählten Formulierungen zu beeindrucken, sondern die Herzensanliegen in einfachen Worten auszudrücken.

Bewirkt Beten etwas? Natürlich! Dieser Zolleinnehmer ging befreit und erleichtert nach Hause. Das ist befreiende Kommunikation, wenn man bei Gott das abladen darf, was einem das Herz schwer macht. Millionen können davon berichten, wie sie durch das Gebet diese befreiende Wirkung immer wieder, sogar täglich, erleben.

Bei Julia und Rolf zum Beispiel ging die „Funkstille“ in der vierten Nacht zu Ende. Rolf lag im Bett und baute im Gebet „eine Brücke“ über Gott zu seiner Frau. Im Gespräch mit Gott ging ihm auf, dass es nicht nötig war, alles hinunterzuschlucken, wenn er bereit war, im richtigen Ton mit seiner Frau über seine Gefühle zu sprechen. Er bat Gott, ihm zu verzeihen, dass er seine Frau mit Schweigen bestrafen wollte.

Während Rolf so im Liegen – mit geschlossenen Augen – in Gedanken mit Gott redete, spürte er, wie sich ein Knoten in seinem Hals löste, und wie er die befreienden Worte über die Lippen brachte: „Schatz, es tut mir leid, dass ich eingeschnappt war. Ich liebe dich immer noch. Lass uns doch in Ruhe über alles reden!“

Und wie verhielt es sich beim Vater von Frau Walter? Da hat das Beten doch nichts bewirkt!

Beten bewirkt nicht immer bei dem etwas, für den man betet, aber garantiert beim Beter selbst. Der Vater von Frau Walter starb unversöhnt. Aber das Gebet half ihr, ihrem Vater zu vergeben, sodass sie keinerlei Verbitterung mehr spürt, wenn sie an ihn zurückdenkt.

Im Umgang mit unseren Kindern haben meine Frau und ich oft festgestellt: Es gab Zeiten, da konnten wir mit ihnen über Gott sprechen, aber es gab auch Zeiten, in denen es besser war, mit Gott über sie zu reden und für sie zu beten.

Das kommt wunderbar in einer Erfahrung zum Ausdruck, die eine gläubige Mutter vor vielen Jahren mit ihrem damals schon erwachsenen Sohn gemacht hat. Ich hörte sie von ihm selbst und war danach sehr gerührt.

Der junge Mann (ich nenne ihn hier Ludwig) wollte gern ins Frankfurter Rotlichtviertel, um sich dort einmal umzuschauen. Weil er ein sehr gutes Verhältnis zu seiner Mutter hatte, informierte er sie über sein Vorhaben. Die Mutter hielt nicht mit ihrer Meinung diesbezüglich hinterm Berg, versuchte allerdings auch nicht, irgendeinen Druck auf ihren inzwischen erwachsenen Sohn auszuüben.

Bevor er aber aufs Fahrrad stieg, betete sie für ihn, und das tat sie auch noch, als er bereits weg war.

Stundenlang schlenderte Ludwig durch die berüchtigten Straßen, unsicher, ob er wirklich die entsprechenden Lokale betreten sollte oder nicht. Er kehrte lange nach Mitternacht nach Hause zurück.

Die Mutter fragte ihn am nächsten Tag nicht, wo er gewesen war oder was er getan hatte. Es vergingen Jahre, bis Ludwig seiner Mutter von sich aus eröffnete: „Mutter, kannst du dich noch an meinen nächtlichen Ausflug damals nach Frankfurt erinnern? Ich möchte dir heute sagen: Ich bin in keines der Lokale hineingegangen.“ Worauf seine Mutter ihm antwortete: „Ludwig, ich habe die ganze Nacht für dich gebetet – bis du nach Hause gekommen bist!“

Beten baut Brücken, wenn uns die Worte fehlen, wenn lange Reden unangebracht sind oder wenn die Kommunikation misslingt. Aber Beten ist noch mehr: Durch das Gebet vertrauen wir Menschen, die uns am Herzen liegen, einem Größeren an – Gott selbst.

Das Gebet ist kein Zauberstab; denn Gott respektiert den freien Willen eines jeden Menschen. Aber es ist sehr befreiend, um die Unterstützung eines starken Partners zu wissen, der nicht der Worte bedarf, um Knoten im Hals zu lösen und verletzte Beziehungen zu heilen.

Was auch immer dem Start in ein neues Leben im Wege stehen mag – gestörte zwischenmenschliche Beziehungen, das Unvermögen, Gedanken und Gefühle auszudrücken, unbereinigte Schuld, Misstrauen Gott oder Menschen gegenüber: Das Gebet, das auch mit einem Stillesein beginnen kann, ist der erste und beste Türöffner, häufig genug sogar zum eigenen Herzen und zur Findung der eigenen Identität.

Buchempfehlungen:

• Gary Chapman, Die fünf Sprachen der Liebe. Wie Kommunikation in der Ehe gelingt, Francke Buchhandlung, Marburg, 9. Auflage 2008 (ISBN 978 - 3-86122 - 621-5).

• Nancy van Pelt, Von Herz zu Herz. Erfolgreich kommunizieren, Advent-Verlag, Krattigen, 2000 (ISBN 978 - 3-905008 - 59-3).

Aktualisierungen, weiterführendes Material und zusätzliche Buchempfehlungen sind im Internet abrufbar: www.lebenzweipunktnull.info

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