Читать книгу Die Mulgacamper Romane - Sequel - Band 19 und 20 - Elda Drake - Страница 6

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Kapitel 3

Nach einer Stunde betrat eine Schwester die Cafeteria und blickte sich suchend um. Als sie Kai und Dolly entdeckte, kam sie zu ihnen an den Tisch. »Der Patient ist jetzt bei Bewusstsein. Er fragt nach einem Kai?«

Dolly schüttelte mit einem leisen Lächeln den Kopf, als der sie entschuldigend ansah. Es war verständlich, dass Fritz nach ihm verlangte und nicht nach ihr, seiner zweiten Frau. Denn Kai war schon immer derjenige gewesen, der alles regelte und für ihn der Sohn, den er nie gehabt hatte. Mit Sicherheit gab es etliche Dinge zu erledigen und ihr Mann würde ihm jetzt wohl einige Arbeiten anschaffen. Und wenn Fritz schon wieder soweit war, dass er etwas verlangte, dann ging es ihm eindeutig besser. Das genügte ihr, sie konnte warten.

Kai folgte der Schwester, die ihn zu einem Einzelzimmer führte. Mit einem Schulterzucken nahm er zur Kenntnis, dass das Krankenhaus sehr schnell reagiert hatte, als es feststellte, wer hier als Patient eingeliefert worden war. Und als Multimillionär lag man eben nicht in der herkömmlichen Abteilung. Schließlich hatte Fritz genügend Geld, um problemlos die ganze Klinik kaufen zu können. Dem trug man natürlich auch hier Rechnung und hatte kurzerhand die Apparaturen und das Bett in einem separaten Raum untergebracht. Damit der Service perfekt wurde, war noch eine Krankenschwester abgestellt worden, die nur für das Wohl von Fritz und die Überwachung der ganzen Geräte zuständig war.

Als sie Kai eintreten sah, nickte sie ihm zu und zeigte auf den Klingelknopf am Bett. »Wenn sie mich brauchen, läuten sie bitte. Ich warte vorne am Stützpunkt, um sie nicht zu stören.« Nach diesem Hinweis verließ sie das Zimmer und schloss die Türe leise hinter sich.

Die Augen seines Ziehvaters öffneten sich mühsam, als er ihn ansprach. »Kai!«

Der zog sich einen Stuhl ans Bett und nachdem er sich gesetzt hatte, legte er seine Finger behutsam auf den Teil der Hand, der nicht von einer Nadel belegt war. »Ich bin da.«

Sein Mentor sah ihn flehend an. »Ich muss dir etwas erzählen, aber versprich mir, es muss unter uns bleiben.«

Schwer atmend setzte er hinzu. »Unter uns!«

Kai runzelte die Stirn. So wie es aussah, würde er nun erfahren, wer kurz vor dem Zusammenbruch von Fritz auf der Farm angerufen hatte. Doch wenn Fritz es nicht einmal Dolly sagen wollte, dann war die Angelegenheit sicher nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Sein ungutes Gefühl hatte ihn doch nicht getrogen.

Er sah seinem Ziehvater beruhigend in die Augen, die ihn mit einem ungewohnt ängstlichen Ausdruck anschauten und antwortete. »Es wird niemals jemand etwas darüber erfahren, das verspreche ich dir.«

Fritz brauchte mehrere Anläufe, um mit seiner Beichte zu beginnen. Denn anders konnte man das, was Kai die nächste Viertelstunde zu hören bekam, nicht nennen. Und er hätte viel darum gegeben, das alles nicht wissen zu müssen. Um eine ungerührte Miene zu bewahren, brauchte er zeitweise seine ganze Selbstbeherrschung, denn das, was Fritz ihm da erzählte, war schwer zu glauben.

»Du weißt sicher von deinem Vater, dass ich in einer kleinen Stadt an der Sunshine Coast aufgewachsen bin. Ein paar hundert Einwohner, nicht mehr. Nachdem ich vom Militärdienst ausgeschieden war, zog ich wieder zuhause bei meinen Eltern ein, da ich noch nicht wusste, was ich in Zukunft tun wollte. Während ich mir überlegte, wohin mein Leben führen sollte, nahm ich alle möglichen Jobs an, um Geld zu verdienen. Schließlich wollte ich meinen Eltern nicht auf der Tasche liegen, denn die hatten nur ein geringes Einkommen. Unter anderem habe ich dabei auch einige Zeit in einer Kohlemine gearbeitet.«

Fritz sah, dass Kai nickte und bestätigte dessen Vermutung. »Das hat mich dann auf die Idee gebracht, es doch mal mit Bergbau zu versuchen.«

Er verzog den Mund. »Mit meinen zwanzig Jahren war ich genauso wild und ungestüm wie alle Burschen in dem Alter und natürlich dauernd hinter den Mädchen her. In unserer Nachbarschaft lebte eine Witwe, die drei Töchter hatte. Zwei davon waren noch richtige Kinder, aber die ältere mit ihren sechzehn Jahren hatte schon alles, was eine Frau ausmacht.«

Fritz brauchte mehrere Züge aus der Sauerstoffmaske, bevor er weiterreden konnte. »Natürlich habe ich versucht, sie herumzukriegen. Aber sie war eine von der braven Sorte – ging in die Kirche und so, eben anständig und noch dazu streng erzogen. Ich war allerdings nicht der Einzige in dem Dorf, der hinter ihr her war. Ein paar Häuser weiter lebte ein seltsamer Kerl, geistig etwas zurückgeblieben, mit einem komischen, eigenartigen Gehabe. Er war ungefähr so alt wie ich, aber seine Eltern kleideten ihn immer noch in Jungensachen, was ihn natürlich zum Gespött der Leute machte. Also sah man ihn tagsüber selten auf der Straße, aber sobald es dunkel wurde, schlich er heimlich um die Häuser und spähte durch die Fenster, um zu sehen was drinnen vorging. Es war in der ganzen Stadt ein offenes Geheimnis, dass er die Kleine anbetete. Doch sie hatte immer etwas Angst vor ihm und das war dann schließlich meine Chance. Ich habe sie, wenn sie abends unterwegs war, immer nach Hause begleitet und den Kavalier hervorgekehrt. Als ihre Mutter dann einmal nicht da war, bin ich Nachts in ihr Zimmer eingestiegen und sie hat sich nach langem Geziere dann doch überreden lassen.«

Fritz richtete seinen Blick auf die gegenüberliegende Wand. »Kaum hatte ich sie gehabt, war sie für mich schon nicht mehr sonderlich interessant. Doch sie ist mir nachgelaufen, wie ein kleiner Hund und so habe ich noch ein paar Wochen mit ihr rumgemacht. Dann habe ich auf einer Feier bei Freuden in einer anderen Stadt Jenny – meine spätere Frau – kennengelernt und mich sofort unsterblich in sie verliebt. Ab diesem Moment waren mir alle anderen Mädchen einerlei und die Kleine von nebenan sowieso. Sie hat geheult und geflennt, aber das hat mich wenig gejuckt, schließlich fühlte ich mich im siebten Himmel und dachte Tag und Nacht nur an Jenny.«

Die Stimme von Fritz wurde brüchig, als er weitererzählte. »Drei Monate später hat sie in der Nacht Steine an mein Fenster geworfen und, als ich wach wurde, gesagt, sie müsse unbedingt mit mir sprechen. Da sie keine Ruhe gegeben hat, habe ich ihr versprochen, am nächsten Abend bei ihr vorbeizukommen, denn da war sie alleine zuhause. Das habe ich auch getan und mir gedacht, ich kann ihr dabei endlich auch beibringen, dass das Ganze endgültig zu Ende ist. Doch als ich bei ihr im Zimmer stand, hat sie gesagt, sie sei schwanger.«

Fritz hatte gesehen, dass Kai zusammenzuckte und schüttelte den Kopf. »Ach, wenn es nur das wäre!«

Seine Stimme zitterte, als er weitersprach und sein Blick richtete sich auf die Bettdecke. »Sie ist völlig hysterisch gewesen und hat andauernd geschrien, ich müsste sie auf der Stelle heiraten. Ich habe versucht, sie zu beruhigen und verzweifelt überlegt, was ich machen könnte. Doch ihre Stimme ging mir durch und durch und in meinem Kopf drehte sich alles. Schließlich habe ich gesagt, sie solle doch endlich mal still sein – ich müsste nachdenken. Das war aber das Verkehrteste, was ich sagen konnte. Denn ihr ist natürlich klar geworden, dass ich mich vor einer Heirat drücken wollte und nur überlegte, wie ich mich aus der Verantwortung stehlen konnte. Da hat sie endgültig durchgedreht und laut schreiend vor sich hin gejammert und geweint. Ich wollte nur noch, dass sie still ist und habe ihr den Mund zugehalten, doch sie hat mich getreten und sich losgerissen. Dann hat sie ausgeholt und mir ein Ohrfeige gegeben.«

Fritz starrte Kai in die Augen und der erkannte, dass er die folgende Szene immer noch sehen konnte. »Ich habe reflexartig zurückgeschlagen. Der Schlag hat sie aus dem Gleichgewicht gebracht und sie ist mit dem Kopf an den Türrahmen geknallt und es hat einen ganz hässlichen hohlen Ton gegeben. Sie war auf der Stelle tot.«

Kai versuchte sich sein Entsetzen nicht anmerken zu lassen. Er hatte mit vielem gerechnet, aber auf die Idee, dass sein Ziehvater einen Totschlag begangen haben könnte, wäre er in hundert Jahren nicht gekommen. Während seine Miene keine Regung zeigte, überlegte er, warum Fritz erst jetzt von diesem Vorfall erzählte. Denn das, was er getan hatte, war zwar schlimm, aber es war ja keine Absicht gewesen und so wie es aussah, hatte das Gericht genauso darüber geurteilt. Denn sein Vater hatte ihn ein paar Jahre danach kennengelernt und nie etwas von einem Gefängnisaufenthalt seines Freundes erzählt. Also warum hatte er aus dem Ganzen ein Geheimnis gemacht?

Doch diese Frage konnte er Fritz jetzt nicht stellen, denn dessen immer grauer werdendes Gesicht verriet, dass er eine Pause brauchte. Die Erinnerung an dieses Geschehen war wohl mehr, als er momentan verkraften konnte.

Deshalb sagte er nur beruhigend. »Ruh dich etwas aus. Du kannst später weiterreden.«

Während Fritz mit geschlossenen Augen dalag überlegte Kai, was nun noch kommen würde. Denn es musste einen wichtigen Grund geben, warum sein Mentor bisher Schweigen bewahrt hatte. Besorgt musterte er dessen Gesicht, dass momentan alt und verfallen wirkte. Was würde er ihm noch erzählen?

Nach einigen Minuten hatte Fritz wieder genügend Kraft und er fuhr mit seinem Bericht fort. »Da war nichts mehr zu machen. Ihre Mutter war mit den Schwestern irgendwo auf einer Geburtstagsfeier und niemand hatte mitbekommen, dass ich im Haus war. Einige Zeit stand ich nur sinnlos im Zimmer und konnte meinen Blick einfach nicht von dem verdrehten Körper losreißen, dessen offene Augen starr in meine Richtung blickten. Dann habe ich Angst bekommen und bin einfach abgehauen, ich wollte nur noch weg.

Irgendwie konnte ich das alles einfach nicht realisieren und glauben. Statt zur Polizei oder zu meinen Eltern zu gehen, bin ich in eine Kneipe und habe mir dort die Kante gegeben. Ein paar Stunden später war ich sturzbesoffen und bin vom Barhocker gefallen. Da mich der Wirt gut kannte, hat er mich aber nicht vor die Tür gesetzt, sondern mich in seinen Lagerraum gebracht, wo ich auf dem Boden meinen Rausch ausgeschlafen habe.

Als ich am nächsten Morgen heimkam, wurde ich auf der Straße schon von den Leuten angesprochen, ob ich mitbekommen hätte, was los sei. Ich habe mich dumm gestellt und dann mit einer, für alle sichtbar entsetzten Miene zugehört, dass die Tochter aus dem Nachbarhaus erschlagen worden ist. Und als sie gesagt haben, sie wüssten bereits wer der Mörder sei, habe ich schon die Handschellen klicken hören. Doch von wegen – sie haben den seltsamen Kerl verhaftet, der immer rumschlich. Denn der hat anscheinend das offene Fenster, durch das ich rausgesprungen bin, gesehen und ist eingestiegen. Und die heimkommende Mutter hat ihn erwischt, als er gerade neben ihrer toten Tochter kniete und versuchte ihr zu helfen.«

Kai atmete tief ein – er ahnte nun, wohin die Geschichte lief und die Richtung gefiel ihm gar nicht.

Fritz sah ihn kurz an und senkte den Blick. »Ich habe den Kopf eingezogen und nichts gesagt. Und gedacht, die Anwälte werden ihn sicher aus Mangel an Beweisen freibekommen. Schließlich hat ja niemand gesehen, wie es passiert ist und es sprachen nur Indizien gegen ihn. Doch sein Pflichtverteidiger war eine hoffnungslose Niete und der arme Kerl wurde tatsächlich schuldig gesprochen.

Natürlich hat der Junge die ganze Zeit beteuert, dass er unschuldig sei und alle angefleht, ihm doch zu glauben. Doch für die Leute war er der geborene Sündenbock und die Sachlage eindeutig. Und während ich noch mit meinem Gewissen gerungen habe und überlegte, dass ich nun gestehen muss, was ich getan hatte, hat sich der Kerl aus lauter Verzweiflung in der Zelle erhängt. Er war der einzige Sohn und die Eltern waren untröstlich. Haben keinen Sinn mehr in ihrem Leben gesehen und zwei Tage später haben Nachbarn gehört, dass das Auto seit Stunden in der Garage lief. Als sie nachschauten, waren die beiden schon tot.«

Kai starrte seinen Mentor entsetzt an. Ihm hatte schon die Idee nicht gefallen, dass ein Unschuldiger wegen seines Ziehvaters im Gefängnis saß, aber nun erfuhr er, dass alles noch viel schlimmer war, als er vermutet hatte.

Fritz begegnete seinem Blick. »Ich war wie in Trance. Habe überhaupt nicht mehr gewusst, was ich tun sollte. Was hätte es jetzt noch genutzt, wenn ich die Wahrheit gesagt hätte? Also habe ich geschwiegen. Bin weggezogen und habe Jenny geheiratet. Und mir mein Leben und mein Vermögen aufgebaut. Aus den Briefen, die mir meine Eltern schrieben, habe ich erfahren, dass die Mutter des Mädchens zu Trinken begann und mit der Zeit immer mehr herunterkam. Sie hatte den Glauben an Gott verloren und haderte mit ihrem Schicksal. Eines Abends lief sie im Vollrausch vor ein Auto und ab dann waren die beiden Töchter Waisen.«

Fritz seufzte. »Damals hatte ich schon etwas Geld gemacht und so habe ich dafür gesorgt, dass sich eine gute Pflegefamilie für die zwei Kinder fand und sie dann finanziell unterstützt. Die Stadt feierte mich dafür auch noch als großen Wohltäter. Die zwei Töchter haben es im Leben zu etwas gebracht und sind, soviel ich erfahren habe, mit netten Männern verheiratet und führen ein glückliches Leben.«

Wieder musste Kai eine Weile warten, bis Fritz die Kraft fand, um weiterzureden. »Ich habe gehofft, damit das Schicksal besänftigt zu haben und den frühen Tod von Jenny irgendwie als Strafe für meine Tat angesehen. Ehrlich gesagt, habe ich ab ihrem Tod auch keine Gedanken mehr an die Vergangenheit verschwendet. Bis heute morgen der Anruf kam.«

Er stöhnte leise auf. »Das Nachbarmädchen hat ein Tagebuch geschrieben. Und das in einem kleinem Geheimversteck, von dem niemand etwas wusste, im Haus verwahrt. Das ist vor kurzem an eine Frau aus Brisbane verkauft worden und die neue Besitzerin hat es renovieren lassen. Dabei ist ein Arbeiter auf das Fach in der Wand gestoßen und hat ihr den Inhalt gegeben, ohne sich das Buch selbst näher anzusehen. Allerdings hat er ihr erzählt, der Name auf dem Buch gehörte zu dem Mädchen, das einst in diesem Haus umgebracht worden war.

Und wie der Teufel es will, ist die Frau eine Journalistin und von Haus aus neugierig veranlagt. Das Mädchen hat ihrem Tagebuch anvertraut, dass ich am Abend kommen werde und hineingeschrieben, dass sie Angst vor meiner Reaktion hätte. Und der andere Kerl hat ja immer beteuert, er wäre unschuldig. Sie hat recherchiert und die Wahrheit herausgefunden. Und zu mir gesagt, das wäre doch eine wundervolle Story für die Presse. Sie wollte mich bloß schon mal darauf vorbereiten, dass bald mein Bild in der Zeitung wäre. Und ob ich dazu noch ein paar Anmerkungen machen wolle.«

Fritz beendete seine Beichte und wartete ergeben auf einen Kommentar von Kai. Doch der wusste momentan beim besten Willen nicht, was er sagen sollte. Sein ganzes Leben war er der Meinung gewesen, sein Mentor wäre ein edler aufrichtiger Mensch, der nie im Leben etwas Böses tun könnte. Und nun erfuhr er, dass dieser in seinen jungen Jahren eine sehr schwere Schuld auf sich geladen hatte. Gut, das war viele Jahrzehnte her, aber das machte das Vorgefallene nicht verzeihlicher. Denn gewisse Dinge konnte man nie wieder gut machen.

Schließlich gingen vier Tote auf sein Konto und wenn man das ungeborene Kind und die Mutter des Mädchens dazu rechnete, sogar sechs. Und sie alle waren Menschen gewesen, die dieses Schicksal nicht verdient hatten – keine Verbrecher, die selbst etliches auf dem Konto hatten – sondern unschuldige, harmlose Leute, die nur deswegen tot waren, weil sein Stiefvater nicht den Mut gehabt hatte, zu seinen Sünden zu stehen. Gut, den tragischen Ablauf der Dinge hatte er nicht vorhersehen können, aber er war der Verursacher.

Kai wurde plötzlich bewusst, dass Fritz wahrscheinlich aber eben aus diesem Grund dann dieser wunderbare Mensch geworden war, als den er ihn kennengelernt hatte. Und wohl auch deshalb immer für ihn dagewesen war, als er ihn brauchte. Denn niemand wusste besser als er, was man damit anrichtete, wenn man jemandem, der Hilfe brauchte, diese verweigerte.

Fritz hatte seine Augen nicht von seinem Gesicht gelassen und ergeben auf das vernichtende Urteil gewartet. Er versuchte Anzeichen von Abscheu und Ekel in dem Gesicht seines Ziehsohnes zu erkennen, doch dessen Miene war undurchschaubar. Kais Augen ruhten auf der Hand seine Mentors, die er immer noch hielt und in seinem Gehirn begannen, wie üblich, die Rädchen zu laufen.

Als er aufsah, wusste Fritz, dass er Kais Liebe nicht verloren hatte, denn die strahlend blauen Augen sahen ihn mit einem Ausdruck von Mitgefühl an. »Und du hast noch nicht mal deiner Jenny davon erzählt?«

Fritz schüttelte den Kopf. »Nein, ich hatte zu viel Angst, dass sie sich von mir trennen würde.«

Dann verkrampfte sich seine Hand auf der Bettdecke. »Was soll ich jetzt machen? Wenn es nur um mich selbst ginge, das wäre mir egal. Aber wenn es in die Zeitung kommt, betrifft das die ganze Familie. Chrissies Mann kann seinen Chefarztposten in Melbourne verlieren, die Firma kommt garantiert ins Straucheln und mein Enkelsohn wird erfahren, dass sein Großvater ein Mörder und Feigling ist.«

Fritz murmelte. »Und ich wage gar nicht zu denken, was Dolly, Patrick und Hetty dazu sagen werden.«

Kai hatte zu den drei seine eigenen Gedanken. Seiner Meinung nach war es ein Fehler, ihnen das Vorgefallene zu verschweigen, denn er war sich sicher, dass Dolly zwar entsetzt sein würde, aber ihre Liebe zu Fritz deshalb nicht weniger würde. Und Hetty und Patrick hatten sowieso grundsätzlich eine etwas andere Auffassung von dem, was man üblicherweise als Sünde betrachtete. Die waren beide in der Richtung mit einem sehr dicken Fell ausgestattet und würden wohl einfach nur mit den Achseln zucken und sagen. „Das ist alles schon so lange her, das hat mit heute nichts mehr zu tun“, und dann das Thema ohne weiteren Kommentar zu den Akten legen.

Kai streichelte ihm beruhigend über die Haare, was dazu führte, dass Fritz die Augen schloss und leise weinte. Sein Ziehsohn wandte sich nicht von ihm ab und wenn auch sonst alles den Bach runtergehen würde, alleine dieses Wissen brachte ihm schon eine große Erleichterung. Kai musterte das graue Gesicht über das die Tränen liefen und sein Herz krampfte sich zusammen.

Das was er gehört hatte, war schrecklich und er konnte das damalige Verhalten von Fritz nicht gutheißen. Aber trotzdem liebte er seinen Mentor und er glaubte ihm, dass der gerne sein ganzes Vermögen gegeben hätte, wenn er damit alles rückgängig hätte machen können. Und nicht aus Angst vor dem Gefängnis, sondern um diese Schuld loszuwerden. Doch man konnte weder die Zeit zurückdrehen, noch Tote wieder zum Leben erwecken und irgendwie musste Fritz jetzt da durch. Der Monitor gab einen leisen Laut von sich und er sah, dass die Werte langsam aber sicher wieder in einen gefährlichen Bereich abrutschten. Es wurde Zeit, die Schwester zu rufen.

Er drückte auf den Knopf und stand auf. »Du musst dich unbedingt ausruhen. Ich werde mich um die Sache kümmern und sehen, ob sich nicht eine Lösung findet. Wichtig ist jetzt nur, dass du die Operation gut überstehst, das weitere wird sich finden.«

Als die Schwester eintrat, bückte er sich und gab seinem Ziehvater einen sanften Kuss auf die Stirn. »Ich schicke dir dann gleich noch Dolly, die wartet schon sehnsüchtig darauf, dich zu sehen.«

Fritz sah ihm nach, als er das Zimmer verließ. Kai war die einzige Hoffnung, die er noch hatte. Wie sehr war er einst dagegen gewesen, als dieser ihm sagte, er wolle mit Tim eine Firma für Sicherheitsaufgaben mit angegliederter Detektei eröffnen. Doch Kai hatte sich damals nicht aufhalten lassen und jetzt konnte genau dieser Beruf, den er ausübte, es vielleicht ermöglichen, dass sein Schicksal doch noch eine Wendung zu Gutem nahm. Fritz schloss die Augen, während ihn die Krankenschwester versorgte. Er war die letzten Jahre vom Glück gesegnet gewesen. Und nur Kai konnte dafür sorgen, dass dieses wunderbare Leben auf der Farm nicht für immer zu Ende war.

Als Kai auf den Flur des Krankenhauses trat, atmete er tief durch. Das würde eine schwere Aufgabe werden und momentan hatte er noch keine Ahnung, wie er hier agieren sollte. Aber die Sache eilte, denn diese Journalistin konnte jederzeit zur Tat schreiten. Und er war sich sicher, diesen Skandal würde Fritz nicht überleben. Also musste er umgehend damit beginnen, über diese Frau Erkundigungen einzuholen. Dass er mit niemandem über das Thema reden durfte, erschwerte das Ganze erheblich. Normalerweise hätte er einen Teil seiner Männer für dieses Vorhaben abgestellt, doch hier musste er alles alleine machen.

Also würde er die nächste Zeit nicht viel zuhause sein und Patrick hatte freie Bahn. Verflucht! Der Junge hatte sofort nach seiner Scheidung von Chrissie damit begonnen, ganz offen auf Konfrontationskurs zu gehen. Als er ihm damals die Nachricht überbracht hatte, dass Chrissie die Scheidung wollte, war Patrick überaus erleichtert gewesen, endlich aus dem Gefängnis seiner sinnlosen Ehe ausbrechen zu können. Und als er ihm erklärt hatte, dass Chrissie mit ihrem zukünftigen neuen Mann nach Melbourne ziehen wollte und er mit seinem Sohn Simon auf der Farm bleiben sollte, hatte er ihn prüfend angesehen und stirnrunzelnd gemeint. »Dir ist klar was das bedeutet?«

Damals hatte er sich noch ein Lächeln verbissen und gemeint. »Ritter Lancelot ist wieder im Rennen!« und sich in seiner Rolle als Nummer Eins völlig sicher gefühlt.

Doch Patrick beherrschte es perfekt Hetty zu manipulieren. Irgendetwas war zwischen den beiden einst in grauer Vorzeit vorgefallen, was Hetty dazu brachte, dem Jungen immer wieder nachzugeben. Und der war inzwischen schlau genug, um auch wirklich jede Gelegenheit zu nutzen. Was er auch früher schon getan hatte, aber solange er verheiratet war, äußerst diskret und in so großen Zeitabständen, dass er Hettys Fehltritte in dieser Richtung als Ausrutscher betrachtet hatte.

Doch jetzt legte er sich keinerlei Hemmungen mehr auf und wenn er Kai auch nichts direkt unter die Nase rieb, so verheimlichte er allerdings auch nichts mehr. Kai zuckte mit den Schultern. Das half alles nichts – da waren ihm momentan die Hände gebunden und Grübeln machte es auch nicht besser.

Dolly wartete in der Cafeteria und sah ihm mit einem hoffnungsvollem Blick entgegen.

Kai versteckte seine Sorgen hinter einem beruhigenden Lächeln. »Du kannst jetzt gleich in sein Zimmer gehen, Fritz ist zwar schwach, aber er wartet sehnsüchtig darauf, dass du kommst.«

Dann setzte er hinzu. »Ich habe von ihm einen riesengroßen Aufgabenkatalog diktiert bekommen, was ich alles veranlassen muss. Macht es dir etwas aus, wenn ich mich jetzt verabschiede? Ich muss Patrick und Hetty anrufen und dann auch noch Chrissie Bescheid geben.«

Dolly schüttelte den Kopf, stand auf und umarmte ihn kurz. »Geh nur, ich bleibe hier.«

Kai gab ihr einen Abschiedskuss auf die Wange und strich ihr tröstend über die Haare. »Es wird schon, keine Sorge.«

Er selbst war sich allerdings überhaupt nicht sicher und sein für Dolly aufgesetzter Gleichmut fiel in dem Moment von ihm ab, als er das Krankenhaus verließ. Ein Taxi brachte ihn zum Landeplatz seines Hubschraubers und er begann damit sich seiner schweren Aufgabe zu stellen.

Patricks Display im Auto zeigte an, dass „Graf Dracula“ anrief. Diesen Spitznamen hatte Hetty Kai gleich zu Beginn ihrer Bekanntschaft gegeben und er hatte sich allgemein eingebürgert. Und die Formulierung „Graf Dracula ist im Anflug“ war sogar meistens zutreffend, denn Kai hatte schließlich einen pechschwarz lackierten Helikopter, mit dem er zwischen der Farm und seiner, im Außenbezirk von Brisbane liegenden, Sicherheitsfirma hin- und herflog.

Er nahm den Anruf entgegen und hörte am Hintergrundlärm, dass Kai bereits wieder in der Luft war. »Wie geht es Fritz?«

Als ihm Kai berichtete, dass dessen Zustand momentan stabil sei, atmete er erleichtert auf. Das Schlimmste war überstanden.

Kai hörte ebenfalls am Motorengeräusch, dass Patrick im Auto saß. Und ein Blick auf seine Uhr verriet ihm, dass er eigentlich schon längst in seinem Büro sein sollte. Er verzog den Mund. Da konnte sich jetzt ein Dummer ausrechnen, warum der Junge so spät dran war. Verflucht nochmal! Der verlor wirklich keine Zeit.

Patrick schlussfolgerte aus der Sprechpause, dass Kai eine gute Ahnung davon hatte, was im Haus vorgefallen war und stellte fest, dass er plötzlich einen Anflug von schlechtem Gewissen hatte. Das war jetzt nicht die feine englische Art gewesen. Denn zur Zeit konnte sich Kai nicht wehren und er war eigentlich nicht der Typ, der die Notlage anderer Leute ausnutzte. »Entschuldige!«

Kai schüttelte den Kopf. Jetzt konnte der Junge auch noch Gedanken lesen. Langsam, aber sicher, wurde ihm Patrick wirklich ebenbürtig. Und damit immer gefährlicher. Vor allem, weil er im Gegensatz zu ihm, auch noch mit einem einwandfreien Charakter aufwartete und nur den einen Fehler hatte, dass er dieselbe Frau liebte wie Kai.

Er seufzte laut und vernehmlich auf. »Dazu wirst du wohl die nächste Zeit noch mehr Gelegenheit haben, ich muss nämlich für Fritz einige dringende Angelegenheiten erledigen. So wie es aussieht, werde ich die nächsten Wochen sehr viel unterwegs sein.«

Patrick fühlte sich mies. Trotz ihrer Rivalität hatte er große Hochachtung vor Kai und wäre Hetty nicht gewesen, dann wären sie wohl gute Freunde geworden. Denn sie waren in vielen Dingen der gleichen Meinung, hatten ähnliche Interessen und kamen eigentlich sehr gut miteinander aus, was allerdings, wie vieles andere, etwas war, dass weder er noch Kai nach außen hin zeigten.

Also antwortete er. »Ich werde mich auch nicht viel zuhause aufhalten, denn ich muss mir erst noch einen neuen Mitarbeiter heranziehen, der einen Teil von meiner Arbeit übernehmen kann. Denn Fritz wird auch in Zukunft sicher nicht mehr soviel arbeiten können wie vor seinem Infarkt und das muss ich irgendwie ausgleichen. Das heißt Überstunden ohne Ende und so wie es aussieht, werde ich wohl öfters im Büro übernachten. Hetty wird sich wohl die nächste Zeit vorwiegend mit Simon unterhalten müssen.«

Er lachte laut auf. »Das wird zu ihrer Charakterbildung beitragen, ich habe irgendwie das Gefühl, dass sie jetzt schon flucht.«

Kai zog die rechte Augenbraue hoch. Ob er es irgendwann einmal schaffen würde, Patrick nicht zu mögen? Der Junge klopfte ihn immer wieder weich. Und er hatte sehr wohl verstanden, was der ihm mit dieser Aussage mitteilen wollte. Nämlich, dass er sich die nächste Zeit zurückhalten würde. Sie waren mittlerweile beide Spezialisten darin geworden, in den versteckten Andeutungen des anderen die wahre Bedeutung des Gesagten herauszulesen.

»Patrick ...« Er brach ab. Was sollte er darauf antworten? Da würden nur Dinge ausgesprochen werden, über die sie eigentlich nicht reden wollten.

Dem war ebenfalls bewusst, dass das Gespräch aus dem Ruder lief und er ersparte ihnen den Rest. »Dann machen wir uns mal an die Arbeit. Falls du meine Hilfe brauchst, ruf mich an.«

Kai starrte durch das Fenster auf die Landschaft, die unter ihm vorüberzog. Verkehrte Welt. Jetzt wurde ihm schon Hilfe angeboten. Er sollte sich besser wieder einkriegen und sich, wie Patrick gesagt hatte, endlich an die Arbeit machen. Sonst würde auf einmal der Junge das Sagen haben und er die zweite Geige spielen.

Die Mulgacamper Romane - Sequel - Band 19 und 20

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