Читать книгу Nebelmaschine - Elena Messner - Страница 5
DER ERSTE AKT (LAUT MANUSKRIPT)
ОглавлениеOrt: Großraumbüro der auf Bankenberatung und Risikomanagement spezialisierten Firma International Smart Consulting Solutions. Alle Bürotische sind besetzt, an den meisten sitzen zwei bis drei Personen, nur an einem nahe der Glasfront sitzt eine Person allein. Über mehreren Tischen hängen Tafeln mit der Aufschrift: Clean Desk Policy. Man hat einen Laptop und mindestens zwei Smartphones vor sich liegen. Der konstante Geräuschpegel ist von Tippen, Gemurmel und regelmäßigem Telefonläuten bestimmt. Durch die übermäßig große Glasfront sieht man eine in der Vormittagssonne strahlende Stadt.
Tisch 1, der am weitesten von der Glasfront, die den Blick auf die Skyline der Stadt bietet, entfernt ist. LINA RENDE teilt sich den Arbeitstisch mit zwei Kollegen, nämlich HANSI und GUSTAV.
LINA (sitzt am Bürotisch, betrachtet ein Foto)
HANSI: Warum schaust du dir die ganze Zeit Fotos vom Baby an – muss das sein?
LINA: Ich muss abpumpen. Ohne Foto rinnt bei mir nichts.
HANSI: Das geht nicht zu Hause?
GUSTAV: Setz dich woanders hin, wenn es dich stört. (hebt sein läutendes Telefon ab, hört zu)
HANSI: Wohin denn? Ist ja alles voll.
GUSTAV (ins Telefon): Nein, da würde ich anders argumentieren: Das Delta zwischen Arbeitskosten und Nettolöhnen ist das Problem, es ist viel zu hoch, der Staat verdient mehr als der Mitarbeiter, und der Arbeitgeber zahlt drauf … schreibst es halt so in der Art. Passt. (legt auf, dann zu HANSI): Du sitzt zum ersten Mal mit einer Mutter bei uns am Tisch? LINA: Ich muss alle zwei Stunden pumpen. Die Milchproduktion versiegt sonst. Nach über zwölf Stunden ohne Blick auf das Baby glaubt mein Körper, ich habe kein Kind mehr.
Tisch 20, der eine privilegierte Position im Raum einnimmt, nahe an der Fensterfront, etwas erhöht. Hier sitzt PETRA NEUHAUS.
PETRA (ins Mobiltelefon): Dafür sorgen die Landeshaftungen. Solidität gesichert … Generös, kann ich sagen. … Ja, garantiert. Von zwei Landesregierungen bestehen schon Zusagen, Garantien gewährt … Nicht konservativ … Volumen zwanzig Millionen.
Tisch 1
GUSTAV: Willst du was trinken?
LINA: Wasser. (Er reicht ihr eine Wasserflasche. Nachdem sie getrunken hat, fängt sie mit Blick auf das Babyfoto an, ihre Brüste abzupumpen.)
HANSI: Flexibles Büro, flexible Arbeit, flexible Mutter. Ist das wirklich mit oben abgesprochen?
LINA: Abgesprochen. Der Geschäftsleitung ist es lieber, wenn ich hier im Büro pumpe, als wenn ich alle zwei Stunden eine Pause mache.
GUSTAV: Da macht man sich Gedanken.
LINA: Ich mache mir auch Gedanken.
Tisch 20
PETRA (ins Telefon): Fremd- oder Eurowährung, wie Sie wollen, sehr großzügig. Wir haben Ihr Bankinstitut bereits vorgeschlagen. Man will sich hier nicht mehr nur auf einheimische Institute verlassen.
Tisch 1
HANSI (sein Telefon läutet): Ja? Richtig. Schreibst rein: »International Smart Consulting Solutions, spezialisiert auf den Dialog mit der Politik« … Oder nein, schreib: »Kontaktstelle zwischen Wirtschaft und Politik«. Oder: »Spezialisiert auf innovative Planung von effizienter Interaktion zwischen Banken und Politik« … Passt. Tschautschau. (legt auf)
GUSTAV: Habt ihr Petra heute wieder gesehen? Die ist –!
LINA (Konzentration aufs Abpumpen): – wieder allein am Tisch?
Tisch 20
PETRA: Garantiert, sage ich, garantiert.
Tisch 1
GUSTAV (mit Blick auf Petra): Gestern habe ich gesehen, dass sie einen Ordner liegen gelassen hat, als ob sie ganz sicher war, dass sie heute denselben Tisch kriegt. Wie schafft sie das nur?
HANSI: Erste im Büro, Letzte draußen. Da muss dich keiner ermahnen, pünktlich zur Arbeit zu kommen, wenn die Kolleginnen täglich vor dem offiziellen Arbeitsbeginn antanzen. Keine Chance. Selbst wenn ich überpünktlich komme, ist schon jeder gute Platz weg.
GUSTAV: Ah, bei uns ist kein guter Platz?
LINA: Er meint mich, nicht dich.
HANSI: Dabei sitzt man dann ohnehin noch zwölf Stunden. Wieso tut sie sich das an?
GUSTAV: Drei erfolgreiche Missionen in den letzten zwei Monaten, deswegen. Den Bonus kannst du dir ausrechnen. Sie kriegt bald ein eigenes Büro im siebzehnten Stock. Die Beste unter den Neuen. In Zagreb und Kiew hat sie drei Kreditinstituten an einem Tag fünf Anleihen angedreht. Schon heute eine Größe am internationalen Finanzparkett.
HANSI: Mit vierundzwanzig Jahren.
Die drei schauen sich nach Petra um. LINA pumpt weiter, die anderen beiden tippen dann wieder in ihre Laptops.
Tisch 20 und Tisch 12, an dem zwei Personen sitzen
PETRA (ins Telefon): Garantiert, sage ich, garantiert. Wir raten dringend zu einem Zusammensetzen, wirklich dringend. Wer? Mit dem auch, das kann ich gerne organisieren … Warten Sie kurz … (Sie nimmt ein anderes Telefon zur Hand, wählt. Am weit entfernten Tisch 12 hebt GERTSCHI ab): Gertschi, du, den Anlegeranwalt, der Kapschi, na weißt eh, Jörg Kapscher, den hast du drin in der Datenbank, oder?
GERTSCHI: Hab ich, was willst mit ihm?
PETRA: Kriegst du mir den dran, für ein Z’ammsetzen, morgen schon, ja, ein Sit-down mit denen aus Hamburg, hab die gerade dran, tust du mir das bestätigen … fein, rufst mich gleich z’rück, bitte jetzt noch die Sekunde, ja?
GERTSCHI: Schau ich dir gleich, ob der kann.
PETRA (greift wieder zum ersten Telefon): Ja? Sind Sie noch dran? … Sit-down mit Herrn Kapscher wird mir gleich bestätigt werden. Morgen ginge? … 16:00? Bei uns im Sky-Café, Dachgeschoss, Sie kennen sich aus?
GERTSCHI (telefoniert mit dem zweiten Telefon): Herr Kapscher? Schön, Sie dranzuhaben, danke … gut, gut, und Ihnen? Nur kurz: Morgen, hätten Sie Zeit? … Für ein Sitdown mit den Hamburgern? Ja? Das ist erfreulich. Warten Sie bitte kurz … (greift zum ersten Telefon)
PETRA (ins zweite Telefon): Gertschi, ja? … Bestätigt? Kann er, na superfein. Passt, sagst du’s ihm durch, morgen Sky-Café, 16:00. Die Hamburger kommen und wollen, dass er dabei ist.
GERTSCHI (ins zweite Telefon): Um vier Uhr geht bei Ihnen, Herr Kapscher? Danke, warten Sie mir bitte kurz … (ins erste Telefon): Passt ihm.
PETRA: Ist notiert. Aber weißt was, es ist nur ihr österreichischer Anlegeranwalt. Die bringen ihre eigenen Typen aus Hamburg mit, ist nur zur Sicherheit, denk ich, sagst ihm das, dass er versteht … und dass es nicht ungut wird morgen. Danke, Gertschi, ich bestätige ihm dann noch per Mail. (Legt auf, greift wieder zum ersten Telefon): Ja? Hallo? Sind Sie noch dran? Ja, wunderbar, wunderbar, ist alles bestätigt. 16:00, Sky-Café. Meine Nummern haben Sie? Ich maile Ihnen gleich noch die Bestätigung des Termins … Ja, an den Herrn Kapscher auch. Wir freuen uns, Sie bei uns begrüßen zu dürfen! Schön, schön, ja! Tschüss, tschüss, wiederschauen. (Sie legt auf, fängt an zu tippen).
Tisch 12, GERTSCHI mit seiner Kollegin RENATE, die Kollegin telefoniert ebenfalls, sonst hört sie Gertschi aufmerksam zu, reicht ihm ab und zu Blätter oder einen Kugelschreiber oder Wasser.
GERTSCHI (spricht noch immer in sein zweites Telefon): Wunderbar, dann morgen. Alles in Ordnung, die Kollegin Neuhaus schickt Ihnen gleich noch die Bestätigung des Termins. Sky-Café, bei uns im Dachgeschoss, kann man nicht verfehlen. Schönster Ausblick über die Stadt … Ja? In der Sache Rieger? Die Berichte sind schon raus, müssten Sie eigentlich gekriegt haben. Nein, das waren ausschließlich Fremdwährungskredite. Bleiben unbetroffen von der Entscheidung der Schweizer Notenbank. … Sollte kein Problem sein. Nein.
RENATE (ins Telefon): Welche Risikoposition für die Bank hast du errechnet? Gesamtvolumen der Investitionen und Risiken? … Und das Eigenkapital?
GERTSCHI (ins Telefon): Nein, hat er nicht. Ist im Bericht vermerkt, extra. Haben Sie den nicht gekriegt? Schicke ich nach, schicke ich sofort nach. Sofort, versprochen. Das betrifft ja die Wending-Sache und die Regio Real Bank auch. … Genau. Wegen der Wending-Sache. Ja, betrifft das auch. Soll ich nachschauen? Sofort? Sofort … (klickt, öffnet eine Datei am Laptop, RENATE reicht ihm rasch ein paar Blätter) Die Regio Real International, 13 Fremdwährungsanleihen mit einem Volumen von geschätzt 1,9 Milliarden. Das meiste in Schweizer Franken. Na, warten Sie, da ist auch was in Yen und US-Dollar. Aber ja, stimmt, hauptsächlich Franken. Die Schweiz, wegen der Grenznähe.
RENATE (ins Telefon): Würdest du das Zinsänderungsrisiko extra nennen?
GERTSCHI: Die Wending-Sache wird sich ausgehen, die Regio Real ist noch immer sauber aus allem raus. Wurde nicht als Spekulation kategorisiert in unserem Bericht, nein, nein, bitte machen Sie sich keine Sorgen, das war nur ein einziger Artikel gestern in der Zeitung, ich weiß, den habe ich auch gesehen, habe ihn aber nicht fertiggelesen.
RENATE (ins Telefon): Wechselkursrisiko ist minimal, klar, habe ich auch so drin, Schweizer Franken stabil, das erwähne ich, wirkt stabilisierend. Man tauscht die Zahlungen in unterschiedlichen Währungen aus, um wieder zurückzutauschen am Ende, unbedingt risikolos.
GERTSCHI (ins Telefon): Nein, ein absolut naiver Artikel und absolut naive Zeitung, das »Kritische Wirtschaftsforum«. Die Wending-Sache, na, die Regio-Real-Sache überhaupt, alles bestens abgesichert.
RENATE: Aber was kommt bei dir da als Maximalbelastung raus?
GERTSCHI: Nanana, da braucht man, steht im Bericht, sich nicht davor fürchten, dass was passiert. Die Garantien bei der Regio International und bei den Regio Reals, tadellos, garantiert, garantiert, Landeshaftungen. Nein, keine Angst, Russland ist weg vom Fenster, dazu raten wir gerade niemandem mehr. Aber sonst in Südosteuropa, alles easy-peasy.
RENATE: Danke, dann stimmt das überein. Ich übernehme die Maximalbelastung von dir, passt? Ja, schick ich dir dann zur Überprüfung. (legt auf, hört GERTSCHI zu)
GERTSCHI: Ja? Passt das? Schicke ich Ihnen also den Bericht, den Sie eigentlich schon haben sollten. Verstehe ich nicht, weshalb der noch nicht bei Ihnen angelangt ist. Und morgen ist fixiert, 16:00, Sky-Café. Danke, danke, selbst auch, auf Wiederschauen. (legt das Handy ab)
RENATE: Hab ihm den Regio-Bericht gestern geschickt. Er müsste ihn längst haben.
GERTSCHI: Er sagt, er hat ihn nicht erhalten.
RENATE: Vielleicht besser so. (tippt weiter) Ich habe den Bericht noch einmal direkt an ihn nachgeschickt, während du telefoniert hast.