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FORTSETZUNG DES DRAMAS (LAUT MANUSKRIPT)

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Tisch 1, LINA RENDE hat abgepumpt und die volle Flasche sowie die Pumpmaschine verräumt, sie greift zum Laptop.

HANSI: Da war ein Artikel im »Kritischen Wirtschaftsforum«.

LINA: Ich weiß.

GUSTAV: Die haben uns beim Namen genannt.

LINA: Ich weiß.

HANSI: Vorwürfe wegen der Wending-Sache und der Regio Bank.

LINA: Ich weiß es!

GUSTAV: Wie haben die unseren Bericht in die Hände gekriegt?

LINA: Keine Ahnung. Wir haben es nur an Interne verschickt.

HANSI: Könnte es jemand von uns gewesen sein?

(Alle drei hören kurz auf zu tippen und sehen sich im Raum um.)

Tisch 20

PETRA (hebt das Telefon ab): Russland? Raten wir nicht zu, nein, schon länger nicht mehr, nur in Einzelfällen, der Rubelverfall ist nicht zuträglich fürs Geschäft, außerdem die Russlandsanktionen, man weiß nie, weißt eh.

Tisch 1

LINA: Schreiben die denn die Wahrheit, die Pressefuzzis?

HANSI: Armselige Revoltenversuche. Wirtschaftsjournalisten sind Verlierer, die in keiner echten Firma untergekommen sind. Da werden sie dann aus Frustration zu Schreibtischrebellen.

LINA: Ich war auch Wirtschaftsjournalistin, bevor ich hier angefangen habe.

GUSTAV: Wirklich?

HANSI: Bei einem linken Blatt?

LINA (zuckt mit den Schultern)

GUSTAV: Warum schreibt man so was? Die wissen doch gar nicht, ob es schlecht ausgehen wird.

HANSI: Investment ist Risiko – man weiß nie, was kommt.

GUSTAV: Geht doch oft gut aus.

Tisch 20

PETRA (ins Telefon): Die ganze Expertise holst du dir besser bei denen im dreizehnten Stock, die kennen sich mit dem Osten aus, manchmal geben die immer noch Pro aus: selbst wenn die Verluste beim Rubel gerade groß sind, kannst dich sicher erinnern, Postbank: 493 Millionen Euro verloren, die First Group rechnet mit 1,6 Milliarden Euro Verlust, fast so hoch wie die Kreditbank mit den Nettoverlusten, als sie die Ost-Beteiligungen auf Null abgeschrieben haben. (lacht)

Tisch 1

LINA: Wir schreiben aus Freude, aus Rache, als Warnung für die Zukunft.

HANSI: Aha?

LINA: Das war unser Motto bei der Zeitung.

GUSTAV: Und warum bist du zu uns gewechselt?

LINA: Das Kind.

HANSI: Wo war’s besser, in der Rebellenredaktion oder hier?

LINA (zuckt mit den Schultern)

Tisch 20

PETRA (ins Telefon): Wie gesagt, sie geben manchmal doch wieder ein Pro aus, die Gewinne waren in der Vergangenheit groß, da zahlt sich das Risiko vielleicht aus … zwölfter Stock, ja, Ostrovsky zum Beispiel, oder Schramm, oder die Liska in letzter Zeit, die sind da stark mit den Einschätzungen. (legt auf, tippt weiter, schaut Papiere durch)

Tisch 1

LINA: Ich finde es hier sehr anstrengend. Man kann sich kaum entscheiden, ob man den Chef mehr hasst oder die Kollegen oder die Arbeit.

HANSI: Die Kollegen.

LINA: Ein trauriger Job jedenfalls

GUSTAV: Den Chef, wenn du mich fragst. Und die Chefin vom Chef.

HANSI: Warum traurig?

GUSTAV: Na, ich finde ihn schon auch traurig. Mir hat noch keiner erklären können, wie man hier richtig Karriere macht: Ich bin der Risk Evaluation Consultant und du der Risk Information Consultant, wir verdienen ganz das Gleiche. Die da drüben sind alle drei Risk Regulation Consultants, verdienen weniger als ich, haben aber viele Boni. Vor einem Monat war ich noch Risk Coaching Consultant, halbes Gehalt.

HANSI (ins Telefon, das geläutet hat): Der Mindestkurs? Ich glaube 1,20 Franken pro Euro … nein, das hat da nichts … schreib das nicht rein … Absolut nicht, keine Wertminderung dadurch möglich … (legt auf). Immerhin verdienen wir mehr als die in den unteren Stockwerken.

GUSTAV: Aber die haben wenigstens deutsche Bezeichnungen, Beratung für Veränderungsprozesse im Bankwesen, für digitalen Kapitalvertrieb, für Wertpapier und Handel. Was ich daheim an Erklärungsaufwand habe, wenn mich meine Frau fragt, was ich eigentlich mache.

LINA: Ich vermisse das Leben. Schau dir die Fenster an, schau dir unsere Entfernung von diesen Fenstern an, schau dir das langweilige Licht an, schau dir die Tische an und welche Entfernung die Tische voneinander haben, wie regelmäßig sie angeordnet sind, und wir werden dann auch regelmäßig mit ihnen angeordnet.

GUSTAV: Musst aber schon dazusagen: Wir verdienen zwar mehr als die in den unteren Stockwerken. Aber andererseits: Petra ist vom Risk Regulation Consultant zum Financial Jurisdiction Consultant aufgestiegen, und in drei Wochen wird sie dann zum Risk Management Consultant befördert. Sitzt dann auch immer noch im selben Stock wie wir, aber dreifaches Gehalt.

LINA: Ich vermisse echte Gegenstände. Alles, was wir hier haben, sind Telefon, Laptop, Maus, Tablet, Bürotisch, Bürosessel, alle identisch, vom selben Produkthersteller, da kriegt man den Eindruck, als hätte man uns und die Gegenstände einfach unendlich oft kopiert.

HANSI: Vierfaches Gehalt, habe ich gehört.

LINA: Alles austauschbar und nichts gehört uns: Die Laptops sind Firmenlaptops, die man nicht nach Hause mitnehmen darf, die Telefone sind Firmentelefone, die man nicht nach Hause mitnehmen will, und die Tablets sind Firmentablets, die keiner braucht.

GUSTAV: Ich finde den Ausblick sehr schön, schau, wie nah wir dem Himmel sind.

HANSI (ins Telefon, das geläutet hat): Aha? Wer behauptet das? Das ist ein Widerspruch: Die Schweiz hat hohe Sparüberschüsse, immer ein attraktiver Emissionsmarkt für uns, ja, das Risiko ist immer gut abgefedert. (legt auf) Den Tisch und den Laptop finde ich auch sehr schön.

GUSTAV: Und zum Beispiel: Papierkorb haben wir nur einen einzigen, der ist ein Unikat, hergestellt von einem japanischen Künstler, nix Kopie, in jedem Stock steht ein anderer, original handgefertigter Papierkorb.

LINA: Wir haben zwanzig mal drei Papierkörbe auf den Desktops der Laptops, noch einmal zwanzig mal drei auf den Desktops der Tablets, dann noch einmal zwanzig mal drei auf den Telefonen. Und das nur auf unserem Stock.

HANSI (hebt am Telefon ab, das geläutet hat): Der Berger? Hat keine Eigentümerfunktion, nein, nein. Den kannst du angeben als pro, er ist pro, er war 2014 Manager of the Year, kannst ja hinzufügen. (legt auf) Ich mag unser Büro.

GUSTAV: Ich auch. Richtig clean.

HANSI: Ein Büro ohne Grenze. Das Nirwana des räumlichen Selbstmanagements.

GUSTAV: Ich bin ja dankbar, dass sie uns nicht in so Mini-Zellen stecken. Das hier ist im Vergleich zu meinem letzten Büro die totale Selbstbefreiung.

LINA: Oder die totale Selbstauflösung.

HANSI (ins Telefon, das geläutet hat): Ja? Die Liste der anderen in der Landesholding, außer Berger? Schick ich dir gleich. (legt auf, zu LINA): Lina, Lina, hast Hormone heute, eindeutig. Wenn du nicht hier arbeiten willst, kannst ja zurück zum früheren Job.

LINA: Sagt sich so leicht. Mit dem Kind.

GUSTAV: Und der Vater?

HANSI (ruft an, spricht ins Telefon): Hab noch vergessen zu sagen: Die Empfehlung vom Berger ist in der Wending-Sache und für die Regio Real Bank unverfänglich, weil er eben keine Eigentümerfunktion hat, er sitzt nur im Vorstand der Landesholding, nicht der Bank. Kannst es mit reinnehmen, ist stabilisierend.

LINA (ihr Telefon läutet, es ist PETRA von Tisch 20, die anruft. Bevor LINA abhebt, zu GUSTAV): Wir leben getrennt.

Tisch 20 und Tisch 1, PETRA NEUHAUS telefoniert mit LINA RENDE, anfangs ist noch leises Gemurmel und Tippen zu hören, während das Telefonat andauert, wird es immer stiller im Großraumbüro, alle hören den beiden Frauen zu, die über mehrere Tische hinweg miteinander telefonieren, ohne sich zu sehen. Als gegen Ende des Telefonats Stille eintritt, läuten mehrere Telefone, aber niemand hebt mehr ab.

LINA: Ja?

PETRA: Wegen der Wending-Sache, dem Rieger-Bericht, der Regio Bank.

LINA: Ja?

PETRA. Bist du da dran gesessen?

LINA: Woran?

PETRA: Am Abschlussbericht, der rausgegangen ist.

LINA: Nicht ich allein. Der Wolfi und die Mira, und der Oberwarter haben mit …

PETRA: Aber du kennst dich aus?

LINA: Ja.

PETRA: Hast du den Artikel im »Kritischen Wirtschaftsforum« gestern gelesen?

LINA: Ja.

PETRA: Denkst du dir was?

LINA: Nein.

PETRA: Ich habe ein Clearing mit denen vom Wending um 18:00, die wollten das. Aber weil ich nicht am Bericht gesessen bin, brauche ich ein kurzes Update von einem von euch. Hast du kurz Zeit?

LINA: Ja.

PETRA: Mir ist unklar, wieso die Finanzaufsicht zitiert wird.

LINA: Ging nicht anders.

PETRA: Daran hängen sie sich auf.

LINA: Wer?

PETRA: Die Zeitungen.

LINA: Eine Zeitung.

PETRA: Heute sind noch drei ähnliche Artikel erschienen. In mehreren großen Journalen.

LINA (schweigt)

PETRA: Die Finanzaufsicht hat bei der Regio Bank doch jahrelang nie interveniert.

LINA: Das steht ja im Bericht.

PETRA: Warum schreibt ihr das bitte extra rein, dass sie nicht interveniert hat? Ist doch unnötig.

LINA: Als Argument. Um zu betonen, dass alles stabil ist.

PETRA: Warum? Das ist, als ob man sagt: Keine Angst, wir haben alles desinfiziert. Sinnlos, da denkt jeder: Aha, wenn etwas desinfiziert werden musste, war es davor ja wohl kontaminiert.

LINA (schweigt)

PETRA: Kapiert ihr nicht, dass gerade ein Untersuchungsausschuss läuft? Egal, jedenfalls: Wir haben immer nur solide Rankings ausgegeben?

LINA: Ja.

PETRA: Und bei der Regio, genauso wie bei der Regio International, da haben die vom Ministerium, von der Finanzmarktaufsicht und von der Nationalbank immer positiv –

LINA: Alles picobello. Positiv. Steht so im Bericht. Die Regio Real wurde bislang nie kritisiert, auch keine Sanktionen.

PETRA: Aber die Regio-International-Geschäfte, also, weil das schon alle wissen, dass die nicht ordnungsgemäß verbucht wurden. Das steht im Bericht?

LINA: Nicht so.

PETRA: Sondern?

LINA: Geäußerte Zweifel an der Zuverlässigkeit des Vorstands stehen drin und dass es aber absolut keine Gründe dafür gibt.

PETRA: Nichts weiter?

LINA: Nichts weiter.

PETRA: Warum gibt’s dann heute drei weitere Zeitungsartikel über genau die Frage, warum und wie nicht verbucht wurde und dass schon ein Abberufungsverfahren läuft? Das habt ihr nicht geschrieben?

LINA: Nein. Es gibt ein Abberufungsverfahren? Gegen wen?

PETRA: Hast du dir mal die Kurse angeschaut? Wenn ihr so was wie die Finanzmarktaufsicht hineinnehmt in den Bericht, das ist –

LINA: Wir haben es nur negiert. Der Bericht war für Interne, für die Anleger, für die –

PETRA: Negieren ist Lancieren. Man schreibt nichts rein in so einem Fall. Und ich möchte von euch bis um 17:30 wissen, wie der Bericht an die Medien gelangt ist.

LINA: Ich –

PETRA: Oder weißt du was, du kannst gleich selbst um sechs mitkommen und alles erklären. Das gesamte Management kommt. (legt auf)

Auch LINA legt auf und schaut sich um.

HANSI (an ihrem Tisch): Schau, und ich denk mir, mein Leben ist langweilig, immer nur zwischen Joggen und Großraumbüro. Die ist ja ordentlich sauer auf dich.

LINA: Ich will keine Probleme, mit niemandem und nichts.

HANSI: Lina, Lina, das heißt erst mal Retourgang für dich.

GUSTAV: Musst aufpassen bei Abschlussberichten.

HANSI: Gegen wen läuft ein Abberufungsverfahren? Wending? Rieger?

LINA: Ich weiß es nicht.

GUSTAV (beugt sich zu ihr vor, zärtlich): Es tut mir leid.

LINA: Was?

GUSTAV (noch zärtlicher): Dass ihr getrennt lebt. (hebt am läutenden Telefon ab) Die Kosten bei der Schmoll-Investition? Das sind Kosten im Osten … Dafür ist der zwölfte Stock zuständig. Doswidanja! (legt auf, tippt weiter)

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