Читать книгу Lehrwerksintegrierte Lernvideos als innovatives Unterrichtsmedium im fremdsprachlichen Anfangsunterricht (Französisch/Spanisch) - Elena Schäfer - Страница 16

3.3 Lernpsychologische Überlegungen

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Von all unseren Sinnesorganen stellen die Augen die vermutlich bedeutendste Verbindung zum menschlichen Gehirn dar. Verglichen mit dem Tast- (8 %) und Hörsinn (3 %) nimmt die visuelle Wahrnehmung mit über zwei Millionen Nervensträngen ganze 30 % des Großhirns ein. Es ist daher kaum verwunderlich, dass der Mensch in der Lage ist, ein Farbbild im Bruchteil einer Sekunde zu erschließen. Burmark (2008, 8) zufolge vollzieht sich die visuelle Wahrnehmung sogar 60.000 Mal schneller als etwa die Verarbeitung eines Texts.

Doch trotz dieser enormen Leistung unseres Gehirns erschließen sich visuelle Eindrücke keineswegs immer von selbst. Stattdessen ist eine visuelle Lesefähigkeit (visual literacy) erforderlich, um Bildreize erfolgreich erfassen und interpretieren zu können. Diese im Zuge der visuellen Wende oftmals als „bildungsrelevante […] Kulturtechnik“ bezeichnete Fähigkeit ist bei Jugendlichen trotz ihrem täglichen Umgang mit visuellen Medien meist nur oberflächlich ausgeprägt (Michler 2011, 141). Folglich muss die Kompetenz der Bildentschlüsselung gezielt geschult werden, sodass „ausgehend von den Sehgewohnheiten der Schüler […] ein sachkritischer Blick auf ein Bild eingeübt und eine reflektierte Auseinandersetzung mit Visualisierungen angebahnt werden“ kann (ibid. 142). Dies erfordert allerdings, wie alle anderen Fertigkeitsbereiche, ein gezieltes Training mittels einer entsprechenden Didaktisierung, denn „systematisches Bildverstehen […] verlangt nicht weniger Wissen und mentalen Aufwand als [beispielsweise] systematisches Lesen“ (Weidenmann 1988, 177). Zur Heranführung und Optimierung des Hör-Seh-Verstehens bewährt sich daher eine Dreiteilung in Aktivitäten vor, während und nach der audiovisuellen Rezeption. Nur so kann der Lerner aktiv mit dem Medium in Verbindung gebracht und passive Rezeption vermieden werden.

Wie dem Begriff zu entnehmen ist, impliziert Hör-Seh-Verstehen neben Sehverstehen immer auch Hörverstehen. Der Verstehensprozess wird für den Rezipienten dahingehend erleichtert, dass unter Heranziehen der visuellen Dimension das Gehörte direkt auf seine Plausibilität verifiziert werden kann. Anhaltspunkte sind Mimik, Gestik, Verhaltensmuster, Umgebung, aber auch die Gesamtsituation als solche. Allerdings konnte empirisch nachgewiesen werden, dass eine Verbesserung der Hörverstehensleistung erst dann gegeben ist, wenn der visuelle Input „den auditiven Input in sinnvoller Weise ergänzt“ (Porsch/Grotjahn/Tesch 2010, 181).

So zeigt der Vergleich zwischen kontext- und inhaltsbezogenen Visualisierungen, dass insbesondere letztere einen positiven Effekt auf das Verständnis haben. Im Gegensatz zu inhaltsbezogenen Visualisierungen (e.g. Verbildlichung einer vorgetragenen Geschichte), die in direktem Zusammenhang zu dem Inhalt des Gesagten stehen, können kontextbezogene Visualisierungen (e.g. Visualisierung eines Sprecherwechsels) unter Umständen sogar negative Auswirkungen auf den Verstehensprozess des Rezipienten haben (cf. Ginther 2002, 134, 163).

Folglich sind Lernvideos, deren Bildmaterialien nicht in direktem Zusammenhang mit der Tonspur stehen, eher ungeeignet, um das fremdsprachliche Hörverstehen zu unterstützen. Das hier angeführte Beispiel (cf. Abb. 10) hat laut Titel und Inhalt die Karwoche in Spanien la semana santa zum Gegenstand, zu deren Anlass landestypische kirchliche Prozessionen stattfinden, die von der Bevölkerung begleitet werden. Wie anhand der Abbildung deutlich wird, gibt die Bildspur des Lernvideos jedoch lediglich Auskunft über den Sprecher, der im Großformat den Zuschauern zugewandt seinen Sprechertext vorträgt. Auch die im Hintergrund zu erkennenden Bilder stehen in keinerlei Zusammenhang mit dem Thema des Lernvideos. Dementsprechend stellt sich unweigerlich die Frage nach dessen Mehrwert gegenüber einem reinen Hördokument.


Abb. 10: Beispiel eines ungünstigen Lernvideos (Klink/Willenbrinck 2012) © Unión Europea, 1995–2016

Gerade die Simultanität visueller und akustischer Zeichen stellt in der Regel eine Unterstützung für Lernende dar, obgleich in Einzelfällen die Gefahr einer Überlastung nicht ausgeschlossen ist (cf. Hu/Leupold 2008, 58). Aufgrund der Tatsache, dass die im Lernvideo dargestellten Informationen tendenziell leicht nachvollziehbar sind, können eventuelle Verständnisschwierigkeiten durch nonverbale Komponenten ausgeglichen werden.

Im Unterschied zur rein auditiven Informationsaufnahme, bei der das Gehörte sprichwörtlich ‚zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinausgeht‘, bietet der zusätzliche Rückgriff auf nonverbale Zeichen die Möglichkeit, hör-sehend wahrgenommene Informationen sowohl sprachlich als auch bildlich zu speichern. Die zweikanalige Speicherung erweist sich aus lernpsychologischer Sicht als besonders einprägsam, zumal die visuellen Impressionen an den Hörtext gekoppelt sind und erheblich zu dessen Verständnis beitragen, indem sie die Kohärenz zwischen Bild und Text stärken. Um die Aufmerksamkeit der Lernenden zu erlangen, sind vor allem solche Bildmaterialien geeignet, die in direktem Bezug zu ihrer Lebenswelt stehen, eine emotionale Betroffenheit auslösen und somit deren Interesse und Neugierde wecken (cf. Gilmozzi 2002, 157). Bei der schulischen Arbeit mit audiovisuellen Materialien haben Bilder folglich „nicht nur eine illustrative, sondern [auch] eine bedeutungstragende Funktion“ (Sass 2007, 7). Dies wirkt sich wiederum positiv auf die Konzentration und Motivation des Lernenden aus und stimuliert grundlegende Sprachlernprozesse.

Lehrwerksintegrierte Lernvideos als innovatives Unterrichtsmedium im fremdsprachlichen Anfangsunterricht (Französisch/Spanisch)

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