Читать книгу Mary und das Geheimnis der Kristallpaläste - Elfriede Jahn - Страница 12
ОглавлениеDer Schlangengürtel
Die nächste Stunde wühlten sich die drei an einem Stand mit Kleidern durch ein riesiges Angebot an Hosen, Hemden und Kaftans aus reiner Baumwolle. Larry war der Erste, der fündig wurde: Er hatte sich für eine Pluderhose entschieden, die einfarbig und hell, leicht und praktisch war. Dazu passte ein weißes, locker sitzendes Hemd, das ihm fast bis zu den Knien reichte.
Mary musste lachen. „Abgesehen davon, dass dir alles drei Nummern zu groß ist, siehst du hübsch aus.“
Larry, der sich in einem fast blinden Spiegel betrachtete, gefiel sich in seinem neuen Outfit so gut, dass er, der doch sonst eher ernsthaft war, übers ganze Gesicht strahlte, und Mary verkniff sich lieber eine weitere Bemerkung. Der Händler, ein kleiner, wieselflinker Mann, breitete unermüdlich Hosen und Hemden vor Doff aus und redete dabei wie ein Wasserfall auf ihn ein. Mary kam Doff und dem Händler, der schon zu verzweifeln drohte, zu Hilfe. Nach langer Suche fand sie ein Hemd, das Doff nicht zu lang und nicht zu eng war. Doff hatte jedoch seine eigenen Vorstellungen. Er bestand auf einer in grellem Grün und Gelb gemusterten Tunika, die über seinem Bauch spannte, und einer Hose, die ihm nur knapp bis unters Knie reichte.
Mary prustete los, weil der Verkäufer Doff gerade einen der roten Filzkappen auf das abstehende, rote Haar stülpte. Wortlos schob Mary Doff vor den Spiegel. Aber der gefiel sich, wie er war, und so ließ er sich nicht davon abhalten, diese auffallende Kleidung zu kaufen. Für sich selbst suchte Mary einen himmelblauen Kaftan aus. Der Verkäufer beschwatzte Mary und reichte ihr einen dazu passenden Seidenschal. Sie nahm die Schirmmütze ab, schüttelte das Haar aus, und knotete es mit dem Tuch im Nacken zusammen.
„Wie sehe ich aus?“, fragte sie und drehte vor dem Spiegel eine Pirouette.
„Wie eine Prinzessin“, staunte Doff beeindruckt, während Larry kritisierte: „Da hätten wir ja beide Platz drin!“ Dabei grinste er, und Mary verstand, dass er sich nur für ihre Bemerkung von vorhin revanchieren wollte.
Mary sah sich suchend um und ihre Augen leuchteten auf: Troy hatte sich für einen weißen Kaftan mit Kapuze entschieden, in dem er sich bewegte, als hätte er nie etwas anderes getragen. Er betrachtete Mary und nickte zustimmend, dann sagte er: „Der Kaftan ist zu lang, Mary. Du brauchst einen Gürtel.“
Plötzlich schien Troy es eilig zu haben. Nachdem er bezahlt hatte, erhielt jeder von ihnen einen Beutel mit den Sachen, die sie zuvor getragen hatten, und sie verließen gut gelaunt den Laden. Nur Mary fiel auf, dass Troy einen zweiten Nylonbeutel trug.
„Weshalb rennen wir denn so?“, schnaufte Doff, der kaum noch mit Larrys langen Beinen Schritt halten konnte. Larry, dem aufgefallen war, wie Mary strahlte, wenn sie Troy ansah, zuckte nur mit den Schultern. Da blieb Mary jäh vor einem Tisch stehen, auf dem glitzernde Kostbarkeiten ausgebreitet waren. Sie schaute auf die Ringe, die Armbänder, Ohrringe, Ketten und Antiquitäten, die vor ihr lagen. Neben ihr stand ein Mann, der von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet war. Er hielt gerade einen Gürtel in seinen Händen, der Marys Aufmerksamkeit erregte. Neugierig trat sie näher und der Mann hob den Kopf. Mary sah in sein Raubvogelgesicht und erschrak: Die schwarzen Augen dieses Mannes funkelten sie gefährlich an ... und da stand bereits Troy an ihrer Seite. Mary kam es vor, als ob die beiden Männer – der eine so dunkel, der andere so hell – sich mit ihren Augen duellierten. Erst als der schwarze Mann den Gürtel wortlos zurücklegte und in der Menge verschwand, entspannte sich Mary. Nun nahm sie den Gürtel in die Hand und betrachtete ihn eingehend. Ihr Atem stockte: So etwas Schönes hatte sie noch nie gesehen! Der Gürtel schien sehr alt zu sein. Er war aus fein bearbeitetem Silber und hatte die Form einer Schlange, auf deren Kopf drei bunte Kristalle funkelten. Schloss man die Schnalle, sah es aus, als ob sich die Schlange in ihren eigenen Schwanz biss. Der Händler, von dem bisher nichts zu sehen gewesen war, trat hervor, und Mary bemerkte erstaunt, dass er sehr ärgerlich war. Da fauchte er sie auch schon in ihrer Sprache an: „Dieser Gürtel ist nicht für Touristen bestimmt!“
„Weshalb nicht?“, fragte Mary, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen.
„Weil er übernatürliche Kräfte besitzt. Wer diesen Gürtel annimmt, wird Schutz und Führung erhalten, solange er ihn trägt. Der Gürtel wartet schon lange auf seinen rechtmäßigen Besitzer und niemand außer ihm kann ihn anlegen.“
Seltsamerweise erinnerte der aufgebrachte Händler Mary an Mrs Toth. Einerseits sprach er freundlich, andererseits schwangen in den Gesten, mit denen er seine Rede unterstrich, und in seiner Stimme etwas mit, was Mary Angst machte. Sie sah sich den Mann genauer an. Die gute Mrs Toth war nur neugierig, aber dieser Mann, das erkannte Mary, war genauso gefährlich wie der schwarze Mann gerade eben. Auch er war groß und hager, hatte eine scharf geschnittene Nase und in seinen Augen funkelte dieselbe Bosheit.
Mary hatte jedoch nicht vor, sich einschüchtern zu lassen. Ruhig sagte sie: „Ein Schutzgürtel ist genau das, was ich suche.“
Die Lippen des Händlers verzogen sich zu einem höhnischen Grinsen, und Mary konnte sehen, dass seine Vorderzähne wie der Schmuck, den er verkaufte, mit Silber überzogen waren. Das sah so unheimlich aus, dass sie unwillkürlich zurückwich. Larry war irgendwohin verschwunden und Troy konnte Mary ebenfalls nirgendwo entdecken. Doff, der neben Mary stand, ärgerte sich über den Mann mit den Silberzähnen. Energisch griff er nach dem Gürtel, der Mary so gut gefiel. Da packte der Händler blitzschnell mit einer Hand zu und drückte Doffs Hand mit aller Kraft zusammen. Doffs Augen wurden trübe vor Schmerz. Er schrie laut auf und ließ den Gürtel fallen. Bevor der Händler reagieren konnte, beugte Doff sich nach vorn und biss ihn in die Hand, woraufhin der Mann wütend aufschrie und Doffs Hand losließ.
Mary wusste nicht, was sie tun sollte. Da war Troy plötzlich wieder an ihrer Seite. Marys Augen weiteten sich erstaunt, als sie wahrnahm, dass Troy mit einem Mal um vieles älter und größer wirkte. Wieder erschien es ihr, als ob vor ihren Augen ein stummes Duell ausgefochten wurde, dann sackte der Händler in sich zusammen. Von einem Augenblick zum anderen war er nicht mehr ärgerlich, sondern äußerst beflissen. Er verbeugte sich tief und hielt Mary mit beiden Händen den Gürtel hin.
Sie zögerte, ihn anzunehmen, und Troy sagte ruhig: „Nimm ihn, Mary. Er ist für dich. Denn du bist diejenige, für die dieser Gürtel bestimmt ist.“
Erstaunt nahm Mary den Gürtel, der sich in ihrer Hand anfühlte, als wäre er lebendig. Ihr fiel auf, dass zwei Silberfassungen leer waren. Zwei Steine fehlten also, das tat der Schönheit des Gürtels allerdings keinen Abbruch. Dann runzelte sie die Stirn. Was sie für drei Glassteine gehalten hatte, waren in Wirklichkeit Edelsteine: Ein roter Rubin, ein blauer Saphir und ein grüner Smaragd leuchteten miteinander um die Wette.
„Ja, die Steine sind echt“, bestätigte Troy, der zu Marys Erleichterung wieder so aussah wie immer.
„Er ist viel zu kostbar“, flüsterte Mary, doch Troy, der um den Wert des Gürtels wusste, hielt bereits ein dickes Geldbündel in der Hand, das er dem Händler reichte, der es an sich nahm.
„Diese edlen Steine haben eine besondere Kraft. Sie werden dir noch sehr nützlich sein ...“, erklärte Troy. Dann half er Mary, die überglücklich war, den Gürtel anzulegen. Mit einem satten „Klick“ rastete die Gürtelschnalle ein.
„Er ist wie für dich gemacht.“ Troy lächelte. Tatsächlich schmiegte sich der Gürtel so perfekt um Marys schmale Taille, als wäre er für sie angefertigt worden.
Troy runzelte die Stirn. „Wir wollen nicht mehr Aufmerksamkeit erregen als nötig“, sagte er und zupfte an dem himmelblauen Stoff von Marys Kaftan, sodass er locker über den Gürtel fiel. Er trat einen Schritt zurück und lächelte. „Das hat auch den Vorteil, dass du nicht über deinen schönen Kaftan stolperst. “
Mary senkte die Augen, und Troy sah sie liebevoll an. Er nahm ihre Hand in seine und Mary hob den Kopf. Troys Augen waren jetzt sehr ernst.
„Eines musst du mir versprechen, Mary. Du darfst diesen Gürtel nicht ablegen, bevor deine Aufgabe beendet ist. Unter keinen Umständen! Das ist sehr wichtig. Bitte versprich mir, dass du immer daran denken wirst und dass du den Gürtel niemals abnimmst.“
Und Mary, die Troys Ernsthaftigkeit beeindruckte, versprach, das nicht zu vergessen.
Doff hatte alles mit kugelrunden Augen verfolgt. Er war begeistert davon, dass Mary einen Zaubergürtel erhalten hatte, seine Hand tat jedoch entsetzlich weh. Er stöhnte auf und Mary wandte sich ihm zu. Da ergriff Troy Doffs Hand, der wieder vor Schmerz aufschrie und dann sogleich fühlte, wie seine Hand sehr warm wurde und der Schmerz plötzlich wie weggeblasen war. Doff war so verblüfft, dass es ihm die Sprache verschlug. In diesem Augenblick stieß Larry wieder zu ihnen, er war außer Atem.
„Geschichten aus Tausendundeiner Nacht!“, rief er und schwang ein zweites Päckchen. „Auf Englisch! Ist doch die passende Reiselektüre, oder?“ Er kicherte, aber dann bemerkte er, dass etwas vorgefallen sein musste.
„Was ist los?“, fragte er besorgt.
Doff, der immer noch verdattert auf seine Hand sah, öffnete schon den Mund, um Larry von dem Mann mit den Silberzähnen und dem Zaubergürtel zu erzählen, da legte Troy seinen Arm um Doff und sagte zu ihm: „Komm, mein Freund. Du hast dir eine süße Belohnung verdient.“
Mary hakte sich bei Larry unter. Troys ernsthafte Worte hatten sie an den Zweck ihrer Reise erinnert. Während sie Troy und Doff folgten, erzählte sie Larry, was vorgefallen war, und ließ ihn einen kurzen Blick auf den Gürtel werfen. Larry wurde sehr nachdenklich. Zum ersten Mal, seit er sie kannte, hatte ein anderer Mary beschützt. Die Tatsache, dass Troy jetzt seine Rolle übernommen hatte, bedrückte Larry, und er begriff, dass ihre Reise weit mehr als ein faszinierendes Abenteuer war. Vor ihnen lagen Veränderungen, deren Tragweite sie noch gar nicht abschätzen konnten. Bevor sie den Basar verließen, zeigte Troy Doff einen Stand mit Süßigkeiten und drückte ihm einige Geldscheine in die Hand. Und als Doff zu ihnen zurückkehrte, schwenkte auch er ein zweites Päckchen in der Hand.
„Das ist zwar kein magischer Schmuck!“, rief er strahlend. „Aber hier gibt es ja noch andere Geheimnisse zu entdecken. Ihr ahnt gar nicht, was man alles in Honig tunken und in Sesam wälzen kann.“
Großzügig wie selten – denn bei Süßigkeiten war Doff eigen und kannte keinen Spaß –, bot er allen an zuzugreifen, doch Troy winkte ab. Sie hatten noch etwas sehr Wichtiges vor und es war schon spät geworden.
Unter Troys Führung machten sich die Freunde wieder auf den Weg zurück zu ihrer Unterkunft und gerieten dabei auf eine kleine Straße, in der es viele Trekking-Agenturen gab. Zielstrebig steuerte Troy auf eines der Geschäfte zu, in deren Auslagen Fotos vom Himalaja-Gebirge zu sehen waren. Bhakti und Shakti, die diese Agentur betrieben, waren Brüder. Wie Troy waren sie Ende zwanzig. Sie sprachen fließend Englisch, da sie drei Jahre bei ihrer Tante in London gelebt hatten, und waren die jüngsten Anbieter von Trekking-Touren in der Stadt. Zugleich hatten sie die meiste Erfahrung. Es war den Brüdern eine Freude und Ehre, die fremden jungen Leute auf ihrer Reise durch ihr Land zu begleiten.
Es war Abend geworden. Ihr erster Tag in Pakistan neigte sich dem Ende zu und vor ihnen lag die erste Nacht in diesem fremden Land. Zu Hause, in ihrem Dorf in Cornwall, hörte man abends, je nachdem wie das Wetter war, nur den Wind im Kamin flüstern oder das Geräusch, das die Wellen machten, wenn sie an die Klippen schlugen. Hin und wieder bellte ein Hund und ab und zu fuhr ein Auto durch die leeren Gassen. Die Lichter in den Häusern erloschen zumeist um Mitternacht, und danach breitete sich friedvolle Stille aus. In dieser Stadt schienen die Menschen erst in den Abendstunden zum Leben zu erwachen. Das liege an der Hitze während des Tages, erklärte Troy ihnen. Sie saßen in einem kleinen Lokal, in das Bhakti und Shakti sie geführt hatten, um dort gemeinsam die Reiseroute zu besprechen.
Die Brüder sahen einander sehr ähnlich, was daran lag, dass sie eineiige Zwillinge waren. Was immer der eine dachte, schien der andere auszusprechen. Shakti war der Schweigsamere, Ernstere, Bhakti der Redegewandtere, Lustigere. An diesem Abend waren sie europäisch gekleidet. Sie waren nicht sehr groß, aber kräftig, hatten freundliche Augen und trugen gepflegte Bärte. Auf ihr Land waren sie sehr stolz, besonders auf ihre Heimatstadt Peshawar – die zweitgrößte Stadt Pakistans hoch oben im Norden –, die das erste Zwischenziel ihrer gemeinsamen Reise sein würde.
„Zuerst wird allerdings gegessen!“, rief Bhakti und klatschte in die Hände.
Das Lokal, in dem sich nur Einheimische aufhielten, gehörte einem Freund der Brüder. Es war sehr gut besucht, und der Wirt hatte sie in einen kleinen Nebenraum geführt, in dem sie unter sich sein konnten. Bhakti erklärte, dass der Besitzer mit seiner Frau in der Küche selbst die Speisen zubereite, und empfahl die Spezialität des Hauses, ein Currygericht mit Lammfleisch und Gemüse. Dabei küsste er seine Fingerspitzen und schmatzte theatralisch. Alle lachten und bestellten das empfohlene Gericht, außer Troy, der zu Doffs Entsetzen kein Fleisch aß. Die gut gewürzte Speise duftete verführerisch und schmeckte köstlich. Doff hatte bereits einen Nachschlag erhalten, Mary konnte nicht mehr und Larry war ebenfalls satt. Auch Troy, der sein Dal aufgegessen hatte, winkte ab, als ihnen zum Nachtisch in Milch gebackene Brotscheiben mit Sirup angeboten wurden, die mit Nüssen und Safran bestreut waren. Als die Süßspeise kam, aß Doff sie umgehend auf, und Bhakti und Shakti lachten zufrieden. Jetzt konnten sie sich dem geschäftlichen Teil zuwenden.
„Es ist uns eine Freude und Ehre, euch auf der Reise durch unser Land zu begleiten“, begann Bhakti und sein Bruder nickte. Beiden war sofort aufgefallen, dass diese jungen Leute keine üblichen Touristen waren. Mary bemerkte, dass Shakti besonders von Troy fasziniert war. Immer wieder ruhte sein ernster Blick auf ihm, und wenn ihre Augen sich trafen, wirkte er noch nachdenklicher als zuvor. Troy zeigte den Brüdern auf der Karte den Weg, den sie nehmen wollten, ohne das Ziel zu nennen, das er ja selbst noch nicht kannte. Bhakti und Shakti stellten keine Fragen, sondern besprachen mit Troy, welche Ausrüstung sie brauchen würden. Reiseproviant für die ersten Tage wollten sie noch an diesem Abend besorgen, die restlichen Vorräte würden sie in Peshawar kaufen.
„Diese große Stadt lag auf dem Schnittpunkt der alten Karawanenrouten“, erklärte Shakti. Das belebte Doff, der beinah eingedöst war, und er sah sich schon auf einem Kamel ins Gebirge reiten.
„Auf dem alten Basar“, plapperte er vor sich hin, „da war ein Mann, ganz in Schwarz gekleidet. War das ein Beduine?“
Die Brüder sahen den aufgeregten rothaarigen Jungen erstaunt an. „Auf welchem alten Basar?“, fragte Bhakti vorsichtig, bevor er hinzufügte: „Hier gibt es keinen alten Basar.“
Obwohl Larry ihn schon in die Seite boxte, war Doff nicht mehr zu bremsen. „Der Schlangenbeschwörer“, platzte er heraus, „und der Mann mit den Silber...“, da legte Troy ihm die Hand auf den Arm und Doff hielt verwirrt inne.
„Es gibt hier keine Schlangenbeschwörer“, sagte Bhakti nach einigem Zögern, während sein Bruder, wie Mary auffiel, seine Augen wieder aufmerksam auf Troy geheftet hatte, der diesen Blick ruhig erwiderte. Dann nickte Bhakti, als ob er gerade etwas verstanden hätte.
„Es ist schon spät“, sagte Troy und stand auf. „Wir müssen morgen früh aufbrechen.“
Mary zog den immer noch verdatterten Doff hoch. Sie bedankten sich bei den Brüdern für das Abendessen, und die beiden versprachen, sie am nächsten Morgen pünktlich um sechs Uhr abzuholen.
Als die Gruppe den Raum verlassen hatte, flüsterte Bhakti seinem Bruder zu: „Ich hab’s dir ja gesagt ...“
Shakti strich sich nachdenklich über den Bart und murmelte: „Wir werden sehen ...“ Er sah seinem Bruder in die Augen und beide lächelten.
Mary stand in ihrem Zimmer am offenen Fenster, lauschte dem Pulsieren dieser fremden Stadt und atmete die kühle Nachtluft ein. Über Bhaktis Worte, die keinen Sinn ergaben, weil sie den Basar und den Schlangenbeschwörer tatsächlich gesehen hatten, war Mary ebenso verwirrt gewesen wie Doff, das Plappermaul. Sie musste lächeln, als sie daran dachte, was Larry ihr, bevor sie in ihre Zimmer gingen, zugeflüstert hatte: „Du bist nicht allein Mary. Ich bin ja bei dir und Doff. Und, na ja, Troy ja auch.“
Mary setzte sich an den Tisch, nahm ein Stück Papier und einen Kugelschreiber und begann rasch zu schreiben.
Liebe Oma Laura,
es tut mir wirklich leid, dass ich Dir nicht erzählen konnte, wohin ich mit Larry, Doff und Troy, den Du noch nicht kennst, gereist bin. Ich musste es tun, weil diese Reise wirklich wichtig ist, nicht nur für mich, sondern für uns alle.
Mach Dir keine Sorgen, denn wir werden geführt und sind gut beschützt. Bitte sei mir nicht böse! Wir kommen sicher wieder gesund nach Hause. Sobald ich kann, melde ich mich wieder. Ich hab Dich sehr lieb!
Deine Mary
P.S.: Ich vermisse Dich.
P.P.S.: Wie geht’s Dir mit Murphy?
Sie faltete das Papier zusammen, schob es in ein Kuvert und schrieb Lauras Adresse darauf. Sie wollte den Brief morgen in Islamabad aufgeben. Dann löschte Mary das Licht und ging zu Bett.