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Kapitel 3
ОглавлениеEinige Tage waren vergangen, seitdem der kinderliebe Pfarrer tragisch verstorben war. Die gewünschte Erleichterung für mich hatte nicht lange angehalten. Mein Gemütszustand war grauenhaft. Meine Innere Leere fraß mich auf. Das gefühllose Vakuum war unerträglich. Es viel mir wesentlich schwerer den Anschein eines normalen Menschen aufrechtzuerhalten. Ein Trugbild zu leben kann sehr anstrengend sein. Aus Sorge irgendeine Dummheit anzustellen hatte ich mich deshalb seit Tagen in meiner Wohnung verkrochen und wie ein Geisteskranker gearbeitet. Sie müssen wissen, dass ich ein freischaffender, überaus erfolgreicher Künstler bin. Oben in meinem Arbeitsraum hatte ich ein Bild nach dem anderen gemalt, aber ich konnte mich nicht an ein einziges erinnern. Ich hatte keine Ahnung, was ich da eigentlich fabriziert hatte. Aktuell lief ich ruhelos durch meine schicke Eigentumswohnung. Meine Gedanken kreisten sich, wie in den letzten Tagen so oft, um Julia Riedel. Julia war eine Privatdetektivin, die ich über Umwege kennengelernt hatte. Ärgerlicherweise wusste sie von meinem antisozialen Hobby. Für die längste Zeit hatte sie dies strikt verurteilt und versucht Beweise zu sammeln, um mich hinter Gitter zu bringen. Doch dies hatte sich geändert, als ein alter Nemesis aus ihrer Zeit als Polizistin aufgetaucht war, um eine noch offene Rechnung zu begleichen. Als sich die Situation immer weiter zugespitzt hatte, bat Julia um meine >spezielle Hilfe<. Ganz das höfliche Scheusal, dass ich nun mal bin, kam ich ihrer Bitte nach. Das war nun schon einige Wochen her. Seitdem hatte ich von Julia nichts mehr gehört oder gesehen. Rastlos lief ich auf und ab, wie ein Tiger im Käfig. Selbst mein Appetit war nicht so, wie sonst. Normalerweise stopfe ich mich voll, wie ein Bauarbeiter, doch aktuell aß ich ab und an mal lustlos eine Kleinigkeit, mehr nicht. Es klopfte an meiner Wohnungstür. Ich runzelte die Stirn. Wer kann das sein? Genervt ging ich zur Tür und schaute durch den Türspion. Es war Julia. Widerwillig öffnete ich die Tür. “Guten Tag“, sagte ich. “Was machst du hier?“ Julia schwankte leicht. Der Geruch von Alkohol stieg mir in die Nase. “Hallo“, lallte sie. “Wie geht’s?“ Ich öffnete den Mund, um zu antworten, doch da schob Julia mich beiseite und betrat meine Wohnung. Ich atmete tief durch. “Oh natürlich. Komm ruhig rein! Danke, dass du vorher gefragt hast!“ Ich schloss die Tür und folgte meinem Besuch. Anscheinend hatte mein Nachbar mal wieder die Haustür offen gelassen oder Julia hatte einfach das Schloss geknackt. Unauffällig musterte ich sie. Ihre braunen langen Locken befanden sich in einem straffen Zopf. Ihre normalerweise vornehm blasse Haut, wirkte eher kränklich käsig und sie war eindeutig alkoholisiert. Ich verzog das Gesicht. Der übermäßige Konsum von Alkohol ist mir zuwider. Diese fürchterlich aufgelockerte Stimmung in der sich die Menschen dann befinden ist mir ausgesprochen unangenehm. Julia trug ihr übliches Outfit bestehend aus Stiefeln, Jeans und einer Bluse, die heute dunkel grau war, und darüber eine schwarze Feldjacke. Ich setzte ein Lächeln auf. “Weswegen beehrst du mich mit deinem Besuch?“, fragte ich. “Du hättest vorher anrufen können.“ “Ich wollte mal wieder meinen Lieblingsmörder besuchen“, lallte sie. “Sehen wie es dir so geht und so...“ Ich zog die Augenbrauen hoch. Eigentlich hätte ich nun alles leugnen sollen, aber wozu sollte ich mir die Mühe machen? Ich war es leid. Andererseits würde ich den Teufel tun und irgendetwas bestätigen. “Mir geht es prächtig. Danke der Nachfrage“, sagte ich. “Aber dir scheint es nicht besonders zu gehen. Ist alles in Ordnung mit dir?“ “Mir geht es super, prächtig und phantastisch“, sagte sie sarkastisch. “Wieso sollte das auch anders sein? Vielleicht, weil ich dich, einen Mörder, darum gebeten habe, einen anderen Mörder umzubringen?! NEIN, Nein. Alles ist super!“ “Dir geht es also nicht gut?“, fragte ich zögerlich. Sie klatsche in die Hände. “Glückwunsch, du Genie. Du hast es erraten!“ Mein Augenlid begann zu zucken. “Wo bleiben nur meine Manieren?! Möchtest du etwas trinken? Tee? Wasser? Vielleicht habe ich sogar Kaffee da.“ “Neee“, sagte sie. “Hast du was mit Alkohol?!“ “Ich bin überzeugter Nicht-Trinker“, antwortete ich. “Kann ich sonst irgendetwas für dich tun?“ “Ja“, sagte sie. “Gestehe die Morde, die du begannen hast und stell dich der Polizei!“ “Nein. So wichtig ist es mir nun auch wieder nicht, ein guter Gastgeber zu sein“, sagte ich. “Was selbstverständlich mitnichten heißt, dass ich jemals auch nur einer Fliege ein Haar gekrümmt hätte.“ “Bist du eigentlich jemals ehrlich?“ Ich schnaubte. “Du raubst mir gerade den letzten Nerv“, sagte ich trocken. “Das war jetzt so >ehrlich<, wie du mich jemals erleben wirst.“ “Wie kannst du nur so leben?“ “Manchmal ist es sehr leer“, sagte ich erschreckend aufrichtig und wunderte mich über mich selbst. Was ist nur los mit mir?! Entnervt schob ich diese Überlegung beiseite. “Wie bist du überhaupt hergekommen?“ “Mit dem Auto“, antwortete sie. “Wie sonst?“ “Du bist so gefahren?“, fragte ich überrascht. “Du kannst ja nicht mal rund laufen.“ “Weichei“, grummelte sie und torkelte in Richtung Wohnzimmer. Ich folgte ihr. Sie ließ sich schwerfällig auf meine Couch fallen. Ich setzte mich neben sie, allerdings mit gebührendem Abstand. Julia rieb sich übers Gesicht und schaute mich an. Ihr linkes Auge war von einem strahlenden Blau, während das rechte Auge in einem deutlich dunkleren Blau war. Fasziniert schaute ich sie an. Ihre Augen hatten mich schon bei unserer ersten Begegnung interessiert. Iris-Heterochromie ist schon ein fesselndes Phänomen. So saßen wir eine Weile da und starrten einander in die Augen. Was für ein schräges Verhalten, dachte ich. Warum machen wir das? Julia schluckte. “Man hat übrigens die Leiche von Patrick Langenkamp gefunden“, sagte sie. “Die Leiche wies massive Folterspuren auf.“ Herr Langenkamp war der Verbrecher aus Julias Vergangenheit, der von mir beseitigt wurde. Ich zog gespielt die Augenbrauen hoch. “Tatsächlich?“, fragte ich gespielt überrascht. “Das ist ja ein Ding!“ “Man hat mir erzählt, dass er auf grauenhafte Art und Weise gestorben ist“, sagte sie und sezierte mich mit ihrem Blick. Ich zuckte mit den Schultern. “Es sollen die Rocker gewesen sein, das habe ich zumindest gehört.“ “Ja, die Rocker“, sagte sie wenig überzeugt. “Du hast damit überhaupt nichts zu tun, richtig?“ “Selbstverständlich“, sagte ich. “Ich bin nur ein exzentrischer Künstler. Mir wird schlecht, wenn ich nur ein bisschen Blut sehe. Jedes mal wenn ich Nasenbluten habe, kriege ich eine Panikattacke.“ Sie verdrehte die Augen. “Du hast auch schon mal besser gelogen.“ “Du tust ja so, als würde mich interessieren, ob du mir glaubst oder nicht“, erwiderte ich. “Solange du keine Beweise hast, sind all deine Anschuldigungen null und nichtig. Und überhaupt: Ich verstehe dein Problem nicht? Herr Langenkamp war ein Problem für dich. Nun hat sich dieses Problem erledigt. Warum nörgelst du jetzt immer noch rum?“ “Weil es falsch war!“ Ich verdrehte die Augen. “Du machst dich lächerlich.“ Julia ballte die Fäuste. Die Muskeln in ihren Unterarmen spannten sich. Ich konnte ihre drahtige Kraft sehen. Sie wirkte so, als würde sich mich gleich anfallen. Gelassen schaute ich sie an. “Ich bin neugierig. Was willst du jetzt tun?“ Sie lockerte ihre Fäuste. “Ich gehe jetzt.“ “Moment“, sagte ich und legte ihr behutsam eine Hand auf die Schulter. “So lasse ich dich nicht fahren. Hinterher krachst du in einen Baum und ich bin Schuld. Wenn du gehen willst, rufe ich dir ein Taxi.“ Sie gähnte laut. “Na von mir aus. Dann ruf mir eben ein Taxi.“ Ich schaute auf meine Armbanduhr und erschrak. Es war bereits 3:00 Uhr. Wie die Zeit doch vergeht, dachte ich. Als ich das letzte mal auf die Uhr geguckt habe, war noch Mittag. Ich erhob mich von der Couch. “Okay dokay“, sagte ich. “Warte hier kurz. Ich geh mal eben telefonieren.“ Sie nickte und lehnte sich zurück. Ich holte mein Handy und ging in die Küche, um ein Taxi zu rufen. Nach einem kurzen Telefonat ging ich zurück ins Wohnzimmer. Verbluft blieb ich stehen und musterte Julia, die zusammengerollt auf meiner Couch lag und schnarchte. Und jetzt?, fragte ich mich. Bleibt die etwa hier?! Ich seufzte und besann mich meiner guten, wenn auch nur aufgesetzten, Manieren. Rasch schlenderte ich in mein Schlafzimmer und holte ein flauschiges Kissen und eine warme Decke, damit ausgerüstet lief ich zurück zu Julia. Behutsam zog ich ihr die Stiefel aus und deckte sie zu, dann hob ich sanft ihren Kopf an und legte ihr das Kissen hin. Ich bettete ihren Kopf darauf und strich ihr vorsichtig übers Haar. Eine Weile lang beobachtete ich fasziniert meinen schlafenden Gast. Irgendwann riss ich mich von dem Anblick los und verließ meine Wohnung. Flotten Schrittes ging durchs Treppenhaus nach draußen, um auf das Taxi zu warten. Ich war kaum draußen, als es auch schon vorfuhr. Ich bedankte mich beim Fahrer für sein kommen und gab ihm etwas Geld als Entschädigung für seine Mühen, dann schickte ich ihn wieder weg. Ich atmete tief durch und schaute in den sternenklaren Nachthimmel. Nachdenklich wanderte mein Blick zu meiner Eigentumswohnung. Ich wohnte in Styrum, einem Stadtteil von Oberhausen, in einem schicken Haus. Die oberen zwei Etagen waren mein kleines Reich, während im Erdgeschoss mein Nachbar wohnte, den ich zum Glück nur selten zu Gesicht bekam. In Gedanken vertieft ließ ich meinen Nacken knacken und reckte und streckte mich, dann ging ich wieder hinauf in meine Wohnung. Dort vergewisserte ich mich, dass mit Julia alles in Ordnung war, dann setzte ich mich an meinen Laptop und durchstöberte das Internet nach dem richtigen Anti-Kater-Frühstück. Nach einigem suchen fand ich das Richtige. Ich stellte Julia eine große Flasche Mineralwasser, eine Flasche Orangensaft und Kamillentee hin, außerdem legte ich ihr ein paar Bananen dazu und stellte ein Glas Saure Gurken daneben. Ich kratzte mein stoppeliges Kinn. Wenn sie noch mehr will, mache ich ihr morgen Frühstück, beschloss ich, dann gähnte ich laut und ging ins Badezimmer, um mich bettfertig zu machen. Nachdem ich dort alles erledigt hatte, ging ich in mein Schlafzimmer, zog meine Pyjamahose und ein T-Shirt an, dann machte ich überall Licht aus und legte mich ins Bett. Im Dunkel starrte ich eine ganze Zeit lang an die Decke, doch irgendwann überkam mich die Müdigkeit und ich versank in ruhiger Schwärze.