Читать книгу Seltsame Vorfälle - Elisa Scheer - Страница 5

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Ben und Maggie hatten das Krankenzimmer zwar betreten dürfen, vorschriftsmäßig verhüllt, aber eigentlich hatte das nicht den geringsten Nutzen: Das Opfer lag still da, mit diversen Schläuchen und Zugängen versehen, die Augen geschlossen und lediglich die Geräusche erzeugend, die die Überwachungsapparate von sich gaben. Wenn sie das enervierende Piepen richtig deutete, dachte Maggie, war die Atmung gleichmäßig. Immerhin.

„Das bringt nichts“, meinte Ben schließlich, „versuchen wir es morgen nochmal, vielleicht ist er bis dahin wieder wach. Armer Kerl.“

Maggie gab ein zustimmendes Geräusch von sich und wandte sich zur Tür. Die Schwester auf dem Gang lächelte ihnen mitfühlend zu und nahm die Einmal-Schutzanzüge entgegen. „Ganz schön viel Müll, gell?“, bemerkte Maggie.

„Mei, perfekt keimfrei reinigen ist wohl mindestens genauso aufwendig…“ Die Schwester seufzte ob des ökologischen Dilemmas.

„Verdammt“, schimpfte Ben im Aufzug nach unten, „wer macht sowas? Haut einen armen alten Herrn um, nur für einige lumpige Bilder? Hast du den Flyer in der Galerie gesehen? Die waren doch scheußlich? Und diese Assistentin oder was immer sie war, hat ja auch gemeint, sie haben seit der Eröffnung-“

„Vernissage.“

„Besserwisserin. Seit der Vernissage also noch kein einziges dieser Machwerke verkauft. Elf solche Bilder…“

„Zwischen Elftausend und null. Dafür kriminell werden? Hast schon recht, Ben.“

Er brummte. „Hoffentlich wird der Inhaber wieder! So unnötig, das Ganze – oder glaubst du, er hat sich todesmutig vor dieses Geschmier geworfen?“

„Also, wir beide haben ja vielleicht nicht den tollsten Kunstverstand, aber das kann ich mir auch nicht vorstellen. Vielleicht aber geht es auch gar nicht um das Gepinsel?“

„Worum denn dann?“

„Vielleicht hat eins der Bilder etwas Besonderes. Einen Microchip unter der Farbe oder ein Erpresserfoto. Oder – ja, bei Agatha Christie war mal unter irgendwelchem Mist ein Rembrandt versteckt.“

„Der Wachsblumenstrauß“, ich weiß. Das ist aber schon ein bisschen – naja, wenigstens arg umständlich. Warum das Bild dann nicht kaufen? Den Schotter hätte man doch bestimmt noch runterhandeln können! Dann den Microchip an die Chinesen oder wen auch immer verscherbeln und man kann das Konto locker wieder ausgleichen. Und Konkurrenz beim Kaufen gab´s ja ganz offensichtlich gar keine.“

Maggie brummte – wieder nix mit ganz großem Kino…

Im Präsidium betrachteten sie das noch recht leere Whiteboard: Galerie Enkofer – Martin Schmidt-Enkofer (65) – Gemälde von Nick Asmannsperger (11 Stück), noch nichts verkauft. Keine Zeugen. Ärgerlich.

Zwei weitere Galerien flankierten Enkofer, aber bis jetzt wollte da niemand etwas gesehen haben.

Gegenüber gab es diverse Büros und in den Erdgeschossen Läden: eine Boutique (geschlossen), ein Café (um die Zeit schwach besucht), ein Steuerbüro (lange Mittagspause) und noch ein Café, das vor allem einen Wintergarten nach hinten raus benutzte: „Vorne ist der Blick so langweilig!“

Maggie hatte sich den Wintergarten angesehen - der war wirklich hübsch gemacht und schaute in einen bepflanzten Innenhof.

Und die Straße war wirklich langweilig. Sie war ja nicht einmal zugeparkt! Kein spannender Laden, die lagen nämlich alle am anderen Ende der Straße, näher beim Markt, den man von hier aus auch noch nicht sehen konnte.

Aber den Krawall hätte doch wohl jemand hören müssen? So etwas lief doch nicht ohne Geräusche ab?

Sie seufzte ungeduldig und schickte „Schalldämpfer?“ an die Tafel. Ben sah auf, als es piepste. „Nö. Niedergeschlagen. Schädel-Hirn-Trauma. Hast du vorhin nicht zugehört?““

„Irgendein Auto, das man dort noch nie gesehen hat, wäre schön“, murrte Max, der sich mit einer Brezentüte an seinem Tisch niedergelassen hatte. Maggie stand auf und nahm sich eine Breze. „Danke. Frustfutter. Hast du irgendwas rausgefunden??“

Max schüttelte den Kopf. „Die beiden Cafés hatten nicht mal Brezen. Das eine ist so auf nordländisch gepimpt, viel Fisch und so, das andere mit dem Wintergarten hat mehr Schokotorten für ältere Damen. Die konnten nichts hören und der Fischladen hat wohl eher gegen zwölf Hochbetrieb. Wann war der Überfall genau gleich wieder?“

„Kurz vor halb drei.“

„Und der Laden war echt ganz leer? Haben dann nicht mal die gelangweilten Bedienungen aus dem Fenster geschaut?“, wollte Maggie wissen.

„Paar Leute waren schon drin, aber keiner wusste die Namen, und die haben bloß gegessen und dabei mit ihren Smartphones gespielt.“

„Was sonst“, brummte Ben. „Früher haben die Leute sich auch mal umgeschaut.“

„Früher konnten sie aber die Polizei nicht informieren, weil in der nächsten Telefonzelle der Hörer abgerissen war. Filmen konnten sie auch nichts“, gab Maggie zu bedenken.

„Telefonzelle? Was ist das?“, piepste Max und warf Ben eine Breze zu.

„Schluss mit der Nostalgie“, verlangte Ben. „Ist ja wie Opa erzählt vom Krieg!“

Max trat ans Whiteboard. „Dann sollten wir mal überlegen, was wir als nächstes machen. Die Nachbargalerien haben wir noch nicht gründlich – wer möchte?“

Liz meldete sich.

„Und dieses Fischcafé? Welche Kunden genau? Ob denen irgendetwas aufgefallen ist, vielleicht nur Autos in der Nähe, vorzugsweise mit Kennzeichen?“

Ben seufzte und hob die Hand.

Max nickte. „Dann schau ich mal ins Städtische Museum, vielleicht hat da irgendwer was gesehen… um vier wieder hier, gut?“

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Heute war ihr kurzer Nachmittag, freute Stella sich schon um drei – um vier konnte sie gehen. War nett gewesen gestern mit Paulie und Sabine, auch wenn sich Paulie wieder mit ihren komischen Eltern herumärgern musste.

Sie arbeitete weiter an dem Projekt zur Stadtgeschichte und sah leicht belästigt auf, als ein freundlicher junger Mann durch die angelehnte Tür schaute und dazu vorsichtig klopfte.

„Ja, bitte? Die Ausstellungsräume sind im Erdgeschoss, hier ist nur die Verwaltung. Kann ich Ihnen irgendwie weiterhelfen?“

Der junge Mann zückte einen Ausweis. „Korka, Kripo Leisenberg. Haben Sie mitbekommen, dass vorgestern hier in der Straße eine Galerie überfallen wurde?“

„Mehr indirekt. Ich hab´s gestern in der Zeitung gelesen. Gesehen habe ich, fürchte ich, gar nichts. Welche Galerie war es denn?“

„Enkofer?“

„Huch. Der arme alte Herr, er ist recht nett, liegt aber geschmacklich meist weit daneben, vor allem in letzter Zeit. Hat man wirklich Gemälde geklaut? Verkaufbare Gemälde?“

Max grinste kurz. Nicht unzutreffend, was diese Frau sagte!

„Würden Sie mir zunächst Ihren Namen sagen?“

„Stella Mutén. Ich bin hier als Projektmanagerin tätig.“

„Aha. Schwedin?“

„Nicht schlecht geraten. Schwedischer Vater, ansonsten Leisenberger Urgewächs.“

„Nun, ob der oder die Täter viel Freude an ihrer Beute haben werden, sei mal dahingestellt. Sie haben also gar nichts bemerkt? So gegen halb drei am Nachmittag?“

„Wo war ich da – ach, noch beim Mittagessen. Art Café. Das ist tatsächlich schräg gegenüber der Galerie Enkofer. Ist dem armen alten Herrn dabei etwas zugestoßen?“

Max nickte ernst. „Er liegt im Krankenhaus und ist noch nicht ansprechbar. Diese Täter waren recht brutal – und das für diese Gemälde!“

Frau Mutén blätterte rasch durch ein Häuflein Prospekte und zog etwas heraus. „Da ist es ja – nein! Asmannsperger? Du lieber Himmel, der arme Enkofer, hat er davon überhaupt irgendetwas verkauft?“

„Rote Punkte gab es keine, wenn Ihnen das weiterhilft. Sie haben im Café nicht zufällig aus Langeweile aus dem Fenster geschaut?“

„Nein, eigentlich nicht. Ich habe eine sehr leckere Blätterteigtasche mit Fischfüllung verspeist und daneben durch mein Smartphone gescrollt. Draußen stand ein schmutziger Sprinter, das weiß ich noch, aber das Kennzeichen konnte ich von der Seite nicht sehen, vermutlich aber Leisenberg. Der Wagen hat auf jeden Fall recht alt ausgesehen, aber vielleicht war er auch nur ungepflegt. Rostspuren, glaube ich.“

„Wissen Sie noch, in welche Richtung er gestanden ist?“

„Hui! Moment…“ Sie stellte sich seitlich vor ihr Fenster und schaute betont beiläufig aus dem Fenster, dann nickte sie und zeigte über ihre Schulter nach hinten. „In die Richtung. Ich hab Richtung Markt geschaut, dann muss er mit der Schnauze mehr zur Carolinenstraße gestanden haben.“

„Immerhin – das ist mehr, als andere Zeugen zusammengebracht haben. Die Farbe oder gar die Marke können Sie mir nicht nennen?“

„Auf jeden Fall dunkel, damit sehen die ja immer besonders schäbig aus, gell? Aber die Marke – nein. Wissen Sie, wenn ich aufgepasst hätte, aber ich hab ja nichts geahnt und den Ausblick aus dem Fenster eher langweilig gefunden. Außerdem war das Fenster auch beschlagen, weil meine Fischtasche so gedampft hat. Kann man den Enkofer wohl besuchen?“

„Im Moment noch nicht. Wir müssen ihn auch gut bewachen, denn vielleicht hat er etwas gesehen – und wenn den Tätern das klar wird, versuchen sie vielleicht: nun ja.“

„Ich verstehe schon. Vielleicht schreib ich ihm ein Kärtchen…“

„Da wird er sich freuen, wenn er wieder wach ist“, nickte Max und verabschiedete sich.

Viel war’s nicht, stellte er auf dem Rückweg fest, aber besser als nichts. Wirklich alle anderen waren vergleichsweise blind und taub gewesen.

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Ben hatte sich im Art Café umgesehen – jetzt war es recht gut besucht, Kunststück, zur Mittagszeit! Die Karte war interessant und er bestellte sich einen Burger mit Kabeljau in Kräutercreme, dazu Wedges und Gurkensticks.

Schmeckte hervorragend, den Laden sollte er sich merken! Langsam und genüsslich arbeitete er sich durch den Burger und stellte hinterher fest, dass er jetzt zwar satt, aber keinesfalls vollgestopft und müde war. Vielleicht sollten sie den Brezenverzehr doch etwas einschränken? Gesund waren die in dieser Menge bestimmt nicht und müde machten sie auch…

Der Laden begann sich allmählich etwas zu leeren, wahrscheinlich mussten die Leute langsam an ihre Schreibtische zurück. Als die Bedienung mit der Rechnung kam, konnte er sie fragen, ohne den Betrieb unnötig aufzuhalten.

Ja, sie konnte sich dunkel an eine große Blonde erinnern, die am Fenster gesessen und die Fischtasche gegessen habe. Aus dem Fenster geschaut? Hm, eher wohl nicht, die hatte mit ihrem Handy gespielt und draußen war ja auch nie etwas los, nicht wahr? Dann stutzte sie und entschuldigte sich: „Also, außer vorgestern, aber das konnten wir ja nicht wissen, oder? Sonst ist hier voll die tote Hose. Die Leute, die am Fenster sitzen, freuen sich, weil es da heller ist, zum Lesen zum Beispiel, aber rausschauen…? Ich habe ja auch nichts bemerkt – hätte man da eigentlich nicht wenigstens etwas hören müssen? Geschrei oder so?“

„Da war also auch nichts?“, fragte Ben.

„Nichts, kein Geschrei, kein Gehupe, keine aufgeregten Passanten… ich meine, Leute gehen draußen schon mal vorbei, die, die in die Carolinenstraße wollen oder weiter zur Uni, gell?“

„Verstehe, da ist offenbar niemandem etwas aufgefallen. So ein Mist aber auch.“

„Der leiseste Überfall aller Zeiten?“

„Ja“, seufzte Ben und bezahlte. „Und Ihre Kollegen wissen auch nicht mehr?“

Sie schüttelte den Kopf. „Die haben sich ihre Kollegen heute Morgen doch schon vorgenommen, bloß ich hatte vormittags frei. Tut mir ehrlich leid.“

Im Präsidium traf Ben auf Max, der zumindest einige Details zu bieten hatte, und Maggie, die sofort diese Aspekte in die Tafel gefügt hatte und außerdem zu berichten wusste, dass Enkofer Feinde hatte.

„Woher weißt du das?“

„Internet. Aber diese Feinde sind eher höhnisch unterwegs. Früher muss er ein tolles Händchen für Geheimtipps gehabt haben und die anderen hatten sich offenbar daran gewöhnt, einfach zu schauen, wen er fördert, und den dann abzuwerben. Und dann hat er, also in letzter Zeit, merkwürdige Leute präsentiert.“

„Und jetzt müssen sich die anderen auch mal selbst anstrengen und sind deshalb sauer?“

„Ja, zum einen und zum anderen verachten sie ihn jetzt, weil er solche Fehlgriffe tut. Gibt´s auf Twitter, ich hab´s rauskopiert und gespeichert. Hoffentlich ist Enkofer da gar nicht unterwegs, dann muss er sich auch nicht ärgern.“

„Ganz interessant, Maggie, aber ist das ein Motiv für einen Überfall?“, fragte Max.

Ben wiegte den Kopf. „Vielleicht wollte ihm jemand eins aufbrennen lassen – und der Raub ist einfach Tarnung? Dann kann er bei einer Befragung sagen Glauben Sie ernsthaft, ich lasse solchen Schrott stehlen? Und wir finden das dann noch ganz einleuchtend…“

„Na, jetzt nicht mehr“, feixte Maggie.

„Die Frage ergibt sich also, ob ein Feind selbst aktiv wurde oder den Überfall – mit oder ohne Vortäuschung der Raubabsicht – in Auftrag gegeben hat“, resümierte Max. „Aber ist die Tatsache, dass Enkofer früher mal ein besseres Näschen hatte als die anderen, wirklich ein Motiv?“

Maggie seufzte. „Ganz schön ums Eck gedacht, gell? Ein Depp (oder zwei), der denkt, so ein Kunsthändler hat bestimmt viel Geld und Kunst ist immer wertvoll – das wäre eine deutlich einfachere Annahme. Auch wenn das an Die dümmsten Verbrecher Deutschlands erinnert.“

Ben gluckste. „Es gibt ja auch die Leutchen, die ohne Maske fröhlich in die Überwachungskamera grinsen. Und dann ehrlich verblüfft sind, wenn wir sie finden. Übrigens ist das Essen in diesem Art Café sehr, sehr lecker. Sollten wir mal für Mittagspausen ins Auge fassen.“

„Mehr hast du dort nicht rausgekriegt?“

„Nein. Wenig Gäste, alle am Spielen mit dem Handy. Genau wie vorgestern. Die Bedienung hat sich nur gewundert, dass auch gar nichts zu hören war.“

„Ganz toll“, fand Max. „Im Museum ist keinem irgendetwas aufgefallen. Nur eine Projektmanagerin war so spät in der Mittagspause im Art Café und die hat wirklich am Fenster gesessen, irgendwas mit Fisch gegessen und mit ihrem Smartphone herumgemacht. Rausgeschaut hat sie praktisch nie, aber ein ältlicher Sprinter ist vor der Galerie gestanden. Und sie kennt den Enkofer.“

„Verdächtig?“, überlegte Maggie.

„Weniger“, antwortete Max. „Dass eine Frau aus dem Museum den Inhaber einer Galerie kennt, finde ich jetzt nicht so ungewöhnlich. Aber wir können eine Kachel für sie anlegen. Sie heißt Mutén, Stella Mutén.“

„Schwedisch?“

„Der Vater. Hat sie wenigstens erklärt.“

Seltsame Vorfälle

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