Читать книгу Verwandte und andere Nervensägen - Elisa Scheer - Страница 8
Dienstag, 21.11.2006 21:00
ОглавлениеDer Russische Hof war so altmodisch-plüschig wie immer, die Fossilien in der Halle waren alle zwischen achtzig und scheintot und beäugten sie tadelnd. Frauen in Hosen hatten die wohl noch nie gesehen? Immerhin hatten sie mittlerweile keine Portiers mehr, die allein auftretende Damen sofort wieder rauswarfen. Luise lächelte, als sie an den Skandal dachte – 1996 hatte einer der Portiers die Vorsitzende der örtlichen F.D.P. wie eine Edelnutte behandelt und vor die Tür gesetzt. Die hatte das publik gemacht, und ab sofort betrat keine einzige Frau mehr den Russischen Hof. Niemand kam zum Essen, außer ein paar verschreckten einsamen Männern, die Mundpropaganda funktionierte hervorragend, das Tourismusbüro warnte Reisende vor dem Russischen Hof, und der Laden war kurz vor der Pleite, vor allem, weil immer wieder jemand auf die Fenster sprayte Nur für Herren. So schnell konnten die gar nicht putzen, und es ging sogar das Gerücht, eine Polizeistreife habe die Sprayerin einmal ertappt, aber ganz aus Versehen laufen lassen, weil die Dienst habende Polizistin im entscheidenden Moment leider in die andere Richtung geschaut hatte.
Schließlich musste der Russische Hof akzeptieren, dass allein stehende Frauen nicht automatisch nach Freiern suchten, und sich seine albernen Vorschriften abschminken. Aber ein modernes First-class-Hotel war er trotzdem nicht, eher ein Monument der frühen fünfziger Jahre. Mit sehr bescheidenem Charme.
Immer noch lächelnd, betrat Luise die Bar und entdeckte Philipp sofort. Er winkte ihr von einem Barhocker herab entgegen und hatte wirklich mal einen Haarschnitt nötig. Luise entfernte das Lächeln aus ihrem Gesicht und setzte eine dienstliche Miene auf.
Als sie nahe genug herangekommen war, erschien auf seinem Gesicht ein strahlendes Lächeln. Sie erinnerte sich dunkel, dass er früher immer schon so stillvergnügt gegrinst hatte, als er noch mit Frank und Max die Uni unsicher machte. Arbeitete er eigentlich auch noch bei HSW? Seinem Gesülze nach ja. Eigentlich komisch, dass alle in die Fußstapfen ihrer Väter getreten waren ohne zu protestieren. So spannend waren Büro- und Schulmöbel schließlich auch nicht.
Aber lukrativ, korrigierte Luise sich im Stillen, wenn man daran dachte, mit welch langer Miene Dr. Eisler letztes Jahr den Kostenvoranschlag für nur zwei neue Klassenzimmer studiert hatte.
„Hallo, Philipp“, sagte sie mit sorgfältig dosierter Nicht-Begeisterung und setzte sich auf den Barhocker neben ihn, nachdem sie ihn ein wenig zur Seite gezogen hatte. Philipp strahlte sie an. „Schön, dass du gekommen bist!“
„Wieso? Dachtest du, ich sage zu und komme dann nicht?“ Sie sah sich um. „Schöner geworden ist es hier auch nicht. Also, was gibt´s?“
„Ich freue mich trotzdem, dass du da bist“, beharrte Philipp auf seiner positiven Grundeinstellung. Sie lächelte ihn flüchtig an und bestellte sich eine Schorle mit Grapefruitsaft, was den Barkeeper erst einmal vor Probleme stellte. Schließlich erklärte er sich mürrisch einverstanden, das Gewünschte zuzubereiten.
„Kein Wunder, dass es hier so leer ist“, murmelte Luise, als er sich abgewandt hatte, „bei diesem Serviceeifer.“
„Ich glaube, hier hat schon länger niemand mehr etwas Alkoholfreies bestellt“, versuchte Philipp eine Erklärung.
„Unter der Woche? Ich muss morgen früh raus, und einen schweren Kopf brauche ich auch nicht. Außerdem bin ich mit dem Auto da.“
„Ach, ein Glas hätte ja wohl nichts ausgemacht – oder bist du trocken?“
„Nein. Ich mag bloß keinen Alkohol.“ Sie nahm ihr Glas entgegen und nippte daran. Philipp zündete sich eine Zigarette an und bot ihr auch eine an, sie lehnte ab. „Rauchen tust du auch nicht? Sehr tugendhaft. Eigentlich hast du ja Recht, alleine schon, was das kostet!“
Aha, dachte Luise, nähern wir uns dem Thema? Wer nicht raucht und nicht säuft, braucht auch keinen Pflichtteil?
„Du könntest ja aufhören“, schlug sie also mäßig interessiert vor.
Er seufzte dramatisch. „Wenn das so einfach wäre! Was glaubst du, was ich für einen Stress habe! Da ist eine Zigarette manchmal das einzige, was entspannend wirkt.“
„Versuch´s mal mit Joggen, das macht den Kopf schön frei.“
„Keine Zeit. Ich sag dir, diese Firma fordert einen wirklich rund um die Uhr. Das kannst du dir nicht vorstellen, was das für eine Verantwortung ist.“
„Ach nein? Wieso nicht?“
„Naja, ich weiß ja nicht genau, was du arbeitest, aber nach dem, was Angela gesagt hat, scheint es nicht sehr anspruchsvoll zu sein… eigentlich beneidenswert, da kannst du abends heimgehen, ohne dir noch weiter den Kopf zu zerbrechen.“
„Vielleicht hättest du weniger Stress, wenn du auf verlässlichere Informationsquellen setzen würdest“, merkte Luise etwas boshaft an.
„Bitte?“
„Du hättest Max fragen sollen, nicht Angela. Max hat mich heute schon vor meiner – na, sagen wir Arbeitsstätte - belästigt. Woher er die kannte, weiß ich auch nicht. Angela hat jedenfalls keine Ahnung, die glaubt ja, ich säße bei Aldi an der Kasse.“
„Äh – tust du das nicht?“
„Nein. So was hab ich mal als Nebenjob gemacht, während des Studiums, aber doch jetzt nicht mehr.“
„Studium? Aber – du bist doch weggegangen, bevor du Abitur hattest?“
„Stimmt. Und Leute, die zu Hause rausgeflogen sind, fliegen auch von der Schule, oder was? Natürlich hab ich Abitur gemacht und danach studiert, was dachtest du denn? Dass ich im Elend versinke, bloß weil ich meine unsympathische Verwandtschaft nicht mehr sehen muss? Da haben die Wintrichs ihre Bedeutung für mich aber gewaltig überschätzt.“
Philipp schaute etwas konsterniert, trank sein Glas aus und orderte ein neues.
„Und, was machst du jetzt?“
„Ich bin Lehrerin. Das heißt, ich komme zwar schon am späten Nachmittag heim, aber dafür bringe ich die Arbeit mit. Ganz anders als an der Kasse. Und da auch eine ganze Menge Organisation dazu gehört, verstehe ich von Verantwortung auch etwas. Also spiel hier nicht den Managerkranken. Wem die Arbeit über den Kopf wächst, der hat entweder schlecht geplant oder keine Ahnung von Mitarbeiterführung und Delegation. So einfach ist das.“
Philipp strahlte nicht mehr, stellte Luise befriedigt fest.
„Aber du wolltest mich ja wohl kaum treffen, um rauszukriegen, was ich beruflich mache. Oder um mir vorzujammern, wie sehr du im Stress bist. Also, worum geht es dir wirklich? Die Erbfrage haben wir doch auch schon ausgeräumt, wenn ich mich recht erinnere.“
Er sah sie leicht entnervt an. „Warum bist du so – so unfreundlich?“
„Bin ich das? Ich finde, ich bin nur sachlich. Und wenn es keinen sachlichen Grund gibt, hier zu sitzen, wüsste ich nicht, warum ich jetzt nicht wieder heimgehen sollte. Grapefruitschorle kann ich auch zu Hause trinken.“
„Ich finde schon, dass du unfreundlich bist. Oder hast du Kontaktschwierigkeiten?“
Na, jetzt wurde es aber Tag! Das war ja wohl die allergröbste Unverschämtheit!
Sie sah ihn starr an. „Klar, das wird´s sein. Ich habe Schwierigkeiten, Kontakt zu Leuten herzustellen, die mich nicht die Bohne interessieren. Ich hab aber gar kein Problem damit, also so what?“
„Du bist merkwürdig.“
„Wenn schon. Deine Meinung interessiert mich eigentlich auch nicht. Kann ich jetzt gehen?“
„Ein bisschen beleidigend finde ich dein Benehmen ja schon“, murrte Philipp.
„Dann verklag mich doch! Ich möchte wirklich wissen, was ihr alle wollt. Hab ich gestern nicht hinreichend deutlich gemacht, dass ich mich für euch alle nicht interessiere?“
„Aber jeder braucht doch eine Familie und Freunde. Du ganz besonders!“
„Lass das Gesülze. Niemand braucht eine Familie, und Freunde hab ich, danke der Nachfrage. So, und jetzt gehe ich.“ Sie warf einen Zwanziger auf den Tresen, deutete auf ihr Glas und das Philipps, und verließ die Bar hocherhobenen Hauptes. So ein Blödmann!