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4 – Donnerstag, den 11.11.2010
ОглавлениеLanger Tag, überlegte Katja auf dem Weg in die Schule. Sie hatte zwar erst in der dritten Stunde Unterricht, aber dafür fast nahtlos bis zur neunten. Immerhin hatte sie den Laptop dabei, um ab und zu nach Immobilienangeboten schauen zu können. Wenn man ihr nicht in der fünften noch eine Vertretung verpasste…
Wie immer war das Lehrerzimmer noch menschenleer, als sie ihre Brotzeit ablegte, das Nötige kopierte und den Tag im Geiste noch einmal durchging.
In der ersten Stunde tauchte Luise mit einem Zollstock auf und begann im Nebenraum die Wände zu vermessen. „Was wird das denn?“, fragte Katja neugierig.
„Neue Fächer. Diese paar Stück drüben, das ist doch kein Zustand. Dr. Eisler findet auch, dass wir die Arbeitsbedingungen verbessern sollten. Vierzwanzig breit, zwei hoch. Die Fächer sind fünfzig mal fünfzig außen…“
„Also acht mal vier. Zweiunddreißig Fächer“, half Katja aus.
„Super, das würde reichen. Vorerst wenigstens. Später könnte man vielleicht noch die eine Wand im Vorraum nutzen.“
„Täte ich nicht“, riet Katja. „Da sitzen doch so viele mit den Eltern, und wenn dann dauernd einer kommt und was aus seinem Fach holen will… das stört doch, meinst du nicht?“
„Da hast du eigentlich Recht…“ antwortete Luise und ließ den Blick schweifen. „Na, die Wand neben dem Konferenzraum geht auch noch. Wenn da nicht noch ein Kopierer hinkommt. Ach, das kann man sich dann immer noch überlegen. Warte mal, wie viele haben wir im Hauptraum?“
Katja zählte schnell nach. „Vier mal vierzehn. Sechsundfünfzig. Insgesamt wären es dann achtundachtzig. Wieviele Kollegen haben wir denn eigentlich?“
„Um die achtzig. Vorläufig reicht das. Und den Mitarbeitern der Schulleitung nehmen wir die Schränke jetzt außerdem weg.“
Katja guckte großäugig.
„Na, die haben ja alle ein eigenes Büro und einen Briefkasten in der Tür. Ich weiß es doch von mir selbst. Nee, wir brauchen hier oben kein Schränkchen, wenn andere gar nichts haben. Ich höre, du willst umziehen?“
Katja verdrehte die Augen. „Isi?“
„Isi zu Hilde zu mir. Perfektes Zusammenspiel. War das ein Geheimnis?“
„Ach nein, aber dass das so schnell rumgeht? Gibt´s hier keine aufregenderen Neuheiten?“
„Gott sei Dank nicht. Aufregende Neuigkeiten heißen doch nur, dass das KM wieder etwas besonders Albernes verfügt hat. Mir reicht es schon, dass wir wegen des abrupten G9/G8-Übergangs in der K13 praktisch niemanden durchfallen lassen können. Lieber bekakeln wir deinen Umzug.“
„Na, dann macht euch mal nützlich! Kennst du jemanden, der gegebenenfalls die Bausubstanz und die Qualität einer Wohnung beurteilen kann?“
„Klar, mich. Ich kenn mich da ganz gut aus. Christoph übrigens auch. Wir haben ja beide selber schon mal eine Wohnung gekauft, kennen das Procedere und wissen, worauf man achten muss. Wenn du einen von uns brauchst, dann sag einfach Bescheid.“
Christoph war ihr Freund, der arbeitete am Albertinum. Kennen gelernt hatten sie sich, als das halbe Albertinum um Mariengymnasium untergebracht werden musste, bis deren Neubau fertig war.
„Darauf kannst du Gift nehmen. Aber bis jetzt war alles zu alt, zu klein, zu teuer oder -“
„- am Arsch der Welt, ich weiß. Hast du mal bei Neubaugebieten geschaut? Und nicht nur im Internet, sondern auch in den Käseblättern, im Leisi zum Beispiel?“
„Neubaugebiete mag ich nicht so gerne. Aber das mit dem Leisi ist ein guter Tipp. Hilde hat mich ja überhaupt erst aufs Internet hingewiesen. Aber da sieht bis jetzt nur eine ganz gut aus, und die ist umständehalber verdächtig billig.“
„Nachfragen. Vielleicht sind die Umstände welche, die dir egal sein können, und du kannst ein Schnäppchen machen. So, ich werde jetzt mal die Zahlen nach unten weitergeben und Angebote einholen.“
Katja nahm sich ein Leisi von dem Stapel neben dem Eingang und schlug den Immobilienteil auf. Als erstes fiel ihr die gute alte Bekannte, die Umständewohnung, ins Auge. In Waldstetten bauten sie die Anlage „Alpenblick“. Ganz nette Grundrisse, Quadratmeterpreis um die dreitausend, Baubeginn Anfang 2011. Na toll. Da saß sie ja noch ein Jahr in Leiching herum!
Ein Mehrfamilienhaus in Leiching, der Nussbaumhof. Huch, das war ja quasi nebenan! Sechs Wohnungen, „weißes Ambiente“, edelste Ausstattung… Preisbeispiel 2 Zimmer/96 qm/400 000 Euro. Danke, das brauchte sie nicht.
Neben ihr plumpste Sabine auf einen Stuhl. „Boah, diese Schulaufgabe, ich pack´s nicht mehr!“
„Immer noch Englisch? Ich gebe sie heute raus.“
„Wie machst du das bloß? Ich werde und werde nicht fertig…“
„Ich weiß nicht. Gut, ich schaue ein bisschen drauf, dass ich während so einer Phase nicht zu viel anderes habe, und ich teile mir die Arbeit in Häppchen auf – heute 1. Aufgabe halb, morgen 1. Aufgabe ganz – und so weiter.“
„Ich hab immer keine Lust und dann mache ich alles Mögliche, bloß um nicht korrigieren zu müssen.“
„Würde ich auch gerne, aber dann kann ich meinen Zeitplan ja nicht einhalten. Es geht, finde ich, immer noch nichts über ein richtiges Zeitplanbuch.“
„Echt? Ich mach alles mit dem iPod. Aber planen kann man da nicht, nur Termine eintragen.“
„Eben. Man muss ja den Vorlauf planen! Nein, ich hab lieber meinen filofax, da kann ich die Häppchen eintragen, und dann bin ich auch motiviert. Am besten so, dass ich immer ein bisschen mehr mache als nötig, dann bin ich sogar ein bisschen eher fertig. Und wenn ich was zu korrigieren habe, nehme ich mir auch nicht viel Privates vor.“
Das war blanke Heuchelei, dachte sich Katja, sie hatte ohnehin selten etwas Privates vor. Aber Sabine schaute schuldbewusst. „Ich weiß, ich sollte am Wochenende nicht nach Hamburg fahren – aber jetzt haben wir´s doch schon ausgemacht.“
„Tja, dann musst du bis morgen fertig werden. Oder spätestens am Montag. Dienstag ist Deadline.“
„Kann ich nicht den 16. draufschreiben und das Ding später rausgeben?“
„Ich täte es nicht – die Waldner fragt manchmal die Schüler. Und wenn das dann nicht übereinstimmt, gerade wenn es um die Dreiwochenfrist geht – da hast du dann echt Ärger. Wie viel fehlt dir denn noch?“
„Zwei Aufgaben!“, stöhnte Sabine. „Die Questions und der Essay.“
„Hoppla. Das ist hart. Wie lange hast du heute Unterricht?“
„Bis um zwei.“
„Na, dann machst du heute die Questions. Von drei bis acht. Du hast zweiundzwanzig Leute? Vier bis fünf pro Stunde müssten zu machen sein.“
„Und wann soll ich kochen und waschen für Hamburg?“
„Beim Waschen musst du ja wohl nicht daneben sitzen, und statt kochen bestellst du euch einfach eine Riesenpizza. Oder dein Süßer kocht mal.“
Sabine seufzte. „Kannst du nicht…?“
„Was? Für euch kochen? Deine Klausur korrigieren? Sabine, spinnst du? Ich weiß doch nicht, was du deinen beigebracht hast – korrigieren muss man immer selbst.“
„Och Männo! Ich dachte, du hilfst mir!“
„So nicht. Hilfe zur Selbsthilfe. Ich helfe dir planen, aber mehr nicht. Sabine, du wirst das bis zur Pension auf die Reihe kriegen müssen. Das sind noch fast vierzig Jahre, willst du da immer jammern gehen? Heute die Questions, morgen früh sieben Essays, morgen Mittag noch mal sieben, und am Sonntagabend die letzten acht. Am Montag stehst du etwas früher auf und rechnest das Ding ab. Und sollte etwas dazwischen kommen, hättest du den Montagnachmittag noch als Puffer. Mehr geht nicht.“
Sabine wuchtete sich vom Stuhl hoch und stöhnte. „Trotzdem, vielen Dank.“
Zwanzig Kilo weniger und du würdest dich aktiver fühlen, dachte Katja, sagte aber lieber nichts. Das wäre dann doch zu persönlich.
Sollte sie heute vielleicht noch ein Ex schreiben? In der Q 12, drei fiese Fragen zu Much Ado About Nothing? Das wäre eigentlich schnell gemacht. Im zweiten Nebenraum standen zehn Rechner, und alle waren heute mal leer. Klausuren standen heute bei denen auch nicht an – also gesagt, getan. Sie tippte den Kopf, die drei Fragen und Leerzeilen bis zum Ende, speicherte, druckte und machte dreiundzwanzig Kopien, kopierte sich schnell noch ein paar Mal die Kursliste, füllte eine überschüssige Angabe mit Stichworten zur Lösung aus, packte alles in ihre E 12-Mappe und war ganz zufrieden. Die würden jammern, das war mal klar („Wo wir doch am Freitag Mathe schreiben! Wo wir doch gerade Referate in Kunst halten müssen! Wo es heute doch so kalt ist! Wo doch letzte Woche noch Ferien waren! Frau Herzberger, Sie sind echt gemein!“), aber die Note könnte sie gut brauchen, und gegen Semesterende wurde es mit dem Ex-Schreiben ohnehin eng.
Sie holte ihren Laptop hervor und ging online. Tatsächlich, eine Mail von der Umständewohnung. Hm… nicht sehr aussagekräftig. Das Wort renovierungsbedürftig stimmte sie bedenklich. Heute um vier…? Knapp, bis halb vier hatte sie Unterricht. Wo sollte das sein? Holbeinstraße 4? Na, das konnte sie schaffen. Gute Adresse, das war wieder ein Pluspunkt.
Renovierungsbedürftig… sie versank in Gedanken. Dreckige Wände? Abscheulicher Teppichboden? Nein, nicht bei 2008. Da war schlimmstenfalls Laminat drin. Okay, zerhacktes Parkett. Ließ sie eben neues legen, so what? Scheußliche Küche – besorgte sie sich eine neue. Komischer Geruch – ließ sich übertünchen.
Fiese Nachbarn? Das wäre ein echtes Problem, aber das hatte mit renovierungsbedürftig nichts zu tun. Was konnte denn noch sein? Ratten im Klo, die einen in den Hintern bissen? Das Leben war doch kein Gruselfilm!
Sie würde sich die Wohnung mal anschauen. Lernen konnte sie dabei auf jeden Fall etwas. Und so lange würde das nicht dauern, da konnte sie hinterher noch gut dieses Ex korrigieren und vielleicht am Freitagabend mit Lilly ins Kino gehen. In diesen Goethefilm zum Beispiel – nein. Keine Liebesfilme für Lilly, die hatte schließlich immer Probleme mit gefühlvollen Geschichten, das war schon seit Jahren nicht anders.
Es läutete zur kleinen Pause; sie fuhr ihren Laptop herunter und packte ihn wieder in ihre Tasche. Jetzt wäre ein Schrankfach schon günstig, ärgerte sie sich. So musste sie das Gerät überall hin mitschleppen.
Sie eilte in die Zehnte, wo alle merkwürdig gut vorbereitet waren und sich förmlich darum prügelten, ausgefragt zu werden. „Wir waren ganz sicher, dass Sie heute ein Ex schreiben“, erklärte Melli aus der ersten Reihe schließlich treuherzig. Katja fragte zwei Leute aus und lobte nach der Stunde die eifrige Mitarbeit. „Wenn ihr so weiter machte, wird die Schulaufgabe in zwei Wochen das reinste Kinderspiel für euch!“
Sie schauten drein, als wollten sie sicherheitshalber doch lieber ein bisschen jammern, damit die Schulaufgabe leichter würde. Katja schüttelte den Kopf. „Vergesst es. Dummstellen macht die Schulaufgabe nicht leichter. Ich werde eine mittelschwere machen, und zwar ganz egal, ob ihr jammert oder triumphiert.“
In der Neunten war Hitlers Machtergreifung dran; die Klasse wurde in fünf Gruppen geteilt und suchte die Fakten aus fünf verschiedenen Texten heraus; diese Fakten wurden dann in einem gemeinsamen Tafelbild festgehalten. Kaum war alles in die Hefte eingetragen, brach eine wilde Diskussion los – wäre so etwas heute noch möglich? Katja war begeistert – die Schüler nutzten ihr Wissen über die Schwachstellen der Weimarer Verfassung tatsächlich zur Argumentation! Auf das Pausenläuten reagierte die Klasse zunächst direkt belästigt, aber dann schnappten sie sich doch ihre Pausenboxen und drängten zur Tür; Katja gelang es gerade noch, Helge und Matthias zum Tafeldienst zu nötigen und währenddessen die Fenster zu schließen und das Licht abzudrehen.
Sie kehrte ins Lehrerzimmer zurück, wo Querfurth, die alte Nervensäge, mal wieder jemand Jungen, Unerfahrenen zu schikanieren versuchte.
„Dr. Querfurth, was soll das denn?“, verwies Hilde ihm schließlich sein Geschimpfe. „Der Kollege Reichenberger hat sich nun mal für den Fernsehraum eingetragen, also darf er ihn auch benutzen.“
„Ich bin seit über dreißig Jahren an dieser Schule und soll mich von so einem – so einem - “
„Vorsicht!“, mahnte Hilde. „Ich müsste sonst Herrn Reichenberger raten, sich beim Chef über Sie zu beschweren, und das wollen Sie doch sicher nicht schon wieder?“
„Anfänger!“, murrte Dr. Querfurth.
„Dann ist es doch umso merkwürdiger, dass Sie als erfahrener Kollege nicht rechtzeitig daran gedacht haben, sich den Raum zu sichern? Buchen Sie doch einen der Fernsehwägen!“ Hilde zog ein zuckersüßes Gesicht, und Dr. Querfurth wandte sich mit einem Laut ab, der fast wie „Scheißweiber“ klang – aber er hielt sich doch so viel auf sein Verhalten als Gentleman zugute?
Blöder alter Wichser, dachte Katja, als die Tür ins Schloss knallte. „Was unterrichtet der eigentlich?“, fragte Franz Reichenberger.
Katja musste tatsächlich nachdenken. „Deutsch, glaube ich. Und Geographie? Hilde?“
„Deutsch und Französisch“, korrigierte die. „Noch dieses Schuljahr, dann macht er Altersteilzeit. Blockmodell.“
„Dann sind wir ihn bald los?“, freute sich Reichenberger.
„Am letzten Schultag köpfen wir darauf einen Prosecco“, versprach Hilde, und Katja und Franz machten high five. Dabei stellte sie fest, dass Reichenbergers Hände zerkratzt waren. „Was hast du denn gemacht, Franz? Hast du Katzen?“
„Auch“, antwortete er, „aber die waren es nicht. Ich hab unser Bad neu gekachelt, und beim Abschlagen der alten Kacheln rutscht man gerne mal ab.“
„Du kannst kacheln?“ Katja war fasziniert.
„Klar. Ich kann kacheln, malen, Böden verlegen… damit hab ich mir während des Studiums ganz hübsch was nebenher verdient. Wieso?“
„Machst du das heute auch noch?“
„Nur noch bei uns zu Hause. Aber mein älterer Bruder Ludwig macht das hauptberuflich, bei dem hab ich´s ja auch gelernt. Willst du renovieren?“
„Erst mal vielleicht umziehen. Dann frag ich dich nach seiner Nummer, wenn es so weit ist.“
„Und schon wieder ein Problem gelöst“, feixte Hilde. „Jetzt finde erst mal eine Wohnung!“
Im Internet fand sich aber auch nichts Neues. Bis jetzt war die renovierungsbedürftige Wohnung in der Holbeinstraße die einzige, die interessant klang. Und die hatte wahrscheinlich irgendeine entsetzliche Macke.
Irgendwie war ihr Versuch, dem Familienzirkus zu entkommen, schlecht bestrahlt.
Na, abwarten. Manche suchten Monate nach der idealen Wohnung, und sie jammerte schon vor der ersten Besichtigung herum?
Fritzi kam herein. „Habt ihr das eben mitgekriegt?“
„Was denn?“, fragte Hilde. Der Rest sah interessiert auf.
„Draußen brüllen sich ein Vater und die Lehnert an. Ich glaub, die gehen sich gleich an die Gurgel.“
„Weiß die Schulleitung Bescheid?“, fragte Hilde.
„Ja, leider. Bestimmt ist es gleich vorbei.“
„Und worum geht´s?“, fragte Katja.
„Um eine Sechs in Französisch, glaube ich.“
„Was frag ich auch!“, kommentierte Katja. Die Lehnert war berüchtigt für die miserablen Noten, die sie verteilte. Wer bei ihr kein Muttersprachler war und dabei den Akzent einer besseren Pariser Gegend hatte, konnte es vergessen. Am besten schaute er gleich, dass er keinen weiteren Fünfer bekam…
„Weißt du noch, vorletzten März?“, fragte Katja, und Hilde grinste. „Da hat sie sich ja schwer ins Knie gef- äh, geschossen!“
Katja wandte sich an Franz, der ja im vorletzten Schuljahr noch als Referendar sein Leben woanders gefristet hatte. „Da hat sie bei der Vorstellung der Leistungskurse ein so hohes Anforderungsprofil skizziert, dass sich dann nur zwei Schüler angemeldet haben. Natürlich hat sich Dr. Eisler geweigert, für zwei Leute einen Kurs einzurichten, und so gab es im letzten G9-Jahrgang keinen LK, den sie ja gerne selbst gehabt hätte. Und den ersten G8-Französischkurs haben ihr die Oberstufenbetreuer nicht gegeben. Boah, hat die geschmollt!“
Hilde lachte. „Sie soll doch froh sein, sie ist doch immer soo im Stress!“
„Ja, weil sie die einzige ist, die hier wirklich wichtige und wertvolle Arbeit verrichtet!“
Leider läutete es, bevor die Lehnert hereinkam. Mit Bedauern verzog Katja sich in den Unterricht, verarztete zwei ihrer insgesamt vier Sozialkundekurse und gab in der Elften die Schulaufgabe heraus, lobte den Kurs, tröstete die, die sich doch noch mehr Punkte erhofft hatten, und gab Tipps für die nächste Klausur. Außerdem hatte sie die lustigsten Patzer auf einem Blatt versammelt und ging sie mit dem Kurs durch. Das Gelächter über manche Stilblüten verdrängte dann doch die Enttäuschung.
Die Zwölfte war natürlich sauer – ein Ex in der neunten Stunde!
„Im Beruf müsst ihr auch von acht bis sechs fit sein“, kommentierte Katja ungerührt, „und die Mittagspause ist lange genug vorbei, dass ihr kein Verdauungsschläfchen mehr braucht. Also los jetzt, so schwer ist das nicht. Wer´s braucht, hier vorne stehen drei Lexika. Aber eigentlich müsstet ihr so zurechtkommen.“
Mürrische Stille senkte sich für die nächste Viertelstunde über den Raum, und Katja stellte zufrieden fest, dass sie zumindest eifrig das Blatt hinten und vorne vollschrieben. Allerdings hieß das noch gar nichts, das wusste sie aus bitterer Erfahrung mit Exen, in denen jede Menge haltlosen Blödsinns stand.
Sie sammelte schließlich ein, besprach mit dem Kurs eine weitere Szene und eine eher seltsame Interpretation dazu und entließ die SchülerInnen schließlich pünktlich um halb vier. Dann packte sie hastig zusammen und fuhr in die Holbeinstraße.
Jetzt war sie ja mal gespannt!
Das Haus sah eigentlich gut aus, blassgelbe Fassade mit weißen Verzierungen, als sei es ein Altbau, es war aber eindeutig fast neu. Und freistehend! Ordentliche Klingeltafel, weißlackierte Briefkästen neben der Haustür. Zwölf Einheiten, offenbar drei pro Etage. Sie ging rechts neben dem Haus vorbei und kam in einen Innenhof, in dem sich ein Fahrradständer befand, außerdem zwei Bänke und ein kleiner, jetzt aber verschalter Springbrunnen. Zwei große, alte Bäume standen nahe an der Mauer zum nächsten Grundstück. Ein Gebläse in der Ecke verriet ihr, dass es eine Tiefgarage gab.
Das wurde ja immer besser!
Sie kehrte vors Haus zurück, um den Verkäufer nicht zu verpassen, und sah auf die Uhr: Fünf vor.
Auf der anderen Straßenseite stand einer, der aussah wie Nick. Er gestikulierte heftig und schien sich mit einem anderen Mann zu streiten. Katja schlug den Mantelkragen hoch, damit er sie nicht erkannte, aber Nick hatte keinen scharfen Blick für seine Schwestern, er gehörte genauso wie Raphael nicht zu der Sorte Schwuler, die der beste Freund aller Frauen war. Der andere war so hellblond, dass er schon fast wie ein Albino wirkte, und machte ganz generell den Eindruck eines Bond-Bösewichts. Katja grinste in ihren Mantelkragen, als sie überlegte, ob er wohl auch so ein Stahlgebiss hatte wie Jaws.
Was hatten die beiden wohl miteinander? War Nick fremdgegangen? Nein, so leidenschaftlich wirkten sie beide nicht. Eher, als stritten sie sich um Geld; jedenfalls machte Blondie entsprechende Handbewegungen und Nick zog die Schultern hoch und breitete die Hände aus, als wollte er sagen Zieh mal ´nem nackten Mann das Hemd aus! Fehlte nur noch, dass er seine Hosentaschen umkehrte, um zu zeigen, dass sie leer waren.
„Frau Herzberger?“
Sie fuhr herum. „Ja. Guten Tag.“
Der ältliche Mann im Lodenmantel schüttelte ihr die Hand. „Drexler, sehr angenehm. Haben Sie das Haus von außen schon angeschaut?“
„Flüchtig. Der erste Eindruck ist so übel nicht.“
„Warten Sie´s ab“, war die düstere Antwort.
Sie stiegen gemeinsam in den zweiten Stock – aber Katja hatte auch schon in einer Nische des Treppenhauses einen Lift gesehen. Sehr gut, vor allem für den Einzug.
„Im Keller gibt´s eine Waschküche. Zwei Maschinen, ein Trockner, ein Trockenraum“, wurde ihr beiläufig mitgeteilt, als Drexler stehen blieb und heftig schnaufend einen Schlüsselbund aus der Tasche zog. Bis jetzt verstand Katja noch nicht, warum die Wohnung umständehalber so billig sein sollte.
Die Tür öffnete sich quietschend, was Drexler mit einem entschuldigenden Blick quittierte. Na, da würde aber doch eine Messerspitze Schmierfett Abhilfe schaffen? Katja mochte zwar aus dem Elfenbeinturm kommen, aber mit so etwas kannte sie sich schon aus. Theoretisch wenigstens.
Im Flur roch es nach nichts, die Wände waren grau und schmierig, der Boden hatte kleine Löcher. Nun ja.
Links schien es ins Wohnzimmer zu gehen, halblinks in die Küche, halbrechts ins Bad und rechts ins Schlafzimmer.
Drexler steuerte zuerst das Wohnzimmer an, und dort stockte Katja dann doch der Atem – alle Wände waren dunkelviolett gestrichen, die Decke war silbern, und der Boden so voller Schleifspuren, dass wohl ein komplett neuer nötig war.
„Hm“, machte Katja – nicht, dass der Preis noch stieg! Der Raum war gut geschnitten, etwa fünfundzwanzig Quadratmeter groß und hell, praktisch eine ganze Wand bestand aus Fenstern und Balkontür, eine Wand eignete sich vorzüglich für Regale; es war genug Platz für einen Essplatz und Sofas. Dieses Lila allerdings…
„Ist das Westen?“, fragte sie nur, und Drexler bejahte.
Sie inspizierte den Balkon, der etwas über zwei Meter tief und fünf Meter breit war. Sehr ordentlich. Da war sogar Platz für ein Letto…
Die Küche war verdreckt, aber eigentlich ganz schön, wenigstens was die Möbel betraf – mittelgraue Hochglanzfronten mit Edelstahldetails, weiße Kacheln, alle Geräte – und grell pinkfarbene Wände. Dem Kachelboden fehlte nichts als ungefähr zwanzigmal Aufwischen. Katja machte wieder „Hm“, und Drexler wand sich.
„Ganz verstehen tu ich das ja nicht“, sagte sie dann. „Wieso haben Sie die Wohnung nicht einfach neu streichen und professionell putzen lassen? Dann müssten Sie doch mit dem Preis nicht so runtergehen?“
„Ach, wissen Sie…“, seufzte Drexler, „das war meine erste Immobilie. Von unserem Haus abgesehen, meine ich. Ich hab mir das recht schön vorgestellt, ich vermiete, jeden Monat kommt Geld aufs Konto und tilgt den Kredit… und dann haben die alles eingesaut und voll geschmiert und gezahlt haben sie dann auch nicht mehr. Und jetzt sind sie verschwunden und ich hab keine Lust mehr. Lieber tu ich das Geld aufs Sparbuch.“
„Nicht aufs Sparbuch, Herr Drexler“, tadelte Katja in ihrem besten Lehrerinnenton, „kaufen Sie Fonds. Schön breit gestreut, da haben Sie mehr Profit und langfristig auch kaum Risiko. Was glauben Sie, woher ich das Geld für so eine Wohnung habe?“
„Dann wollen Sie sie nehmen?“
Katja wehrte ab. „Das weiß ich noch nicht. Erst mal fertig anschauen!“
Das Bad war weiß gekachelt, ohne irgendwelchen Schmuck, und ebenfalls recht angeschmuddelt, aber immerhin lagen keine Reste mehr im Klo. Der Spiegel über der breiten gekachelten Ablage war gesprungen, und das Fenster war mit einer Folie verklebt, die wohl als Sichtschutz gedacht war, aber schon so vergilbt war, dass sie ziemlich widerlich aussah.
Der Boden musste ebenfalls ungefähr hundertmal geschrubbt werden. Und vielleicht sollte man die Fugen nachweißen…
Nichts, was nicht machbar gewesen wäre.
Das Schlafzimmer war schwarz mit goldenen Sternen. Die Sterne waren so gleichmäßig, das Katja einen prüfenden Blick auf die Wand unmittelbar neben dem Türstock warf. Tatsächlich, eine Tapete. Umso besser, die musste ja herunterzureißen sein. Hier lag Teppichboden – und der war nicht mehr zu retten. Egal, so etwas mochte sie ohnehin nicht. Hier gehörte ein schöner dunkler Holzboden herein. Und strahlend weiße Wände. Klar, pur, minimalistisch.
Sie war schon entschlossen, die Wohnung zu nehmen, stellte sie fest.
„Hm…“, machte sie wieder. „Sagen Sie – könnte ich die Wohnung morgen noch einmal mit einer Bekannten besichtigen? Die hat den schärferen Blick.“
„Aber gerne. Wieder um vier?“
Das war Katja nach einem kurzen Telefonat mit Luise durchaus recht. Franz würde ihr wohl doch die Nummer seines Bruders geben müssen. „Einen Moment noch“, bat sie und strich prüfend über die Wand im Wohnzimmer. Tatsächlich, auch eine Tapete! Dann musste man ja eigentlich nur das Pink in der Küche überstreichen – und wenn das noch ein bisschen durchschimmerte, schadete es nichts. Es sah zu grau vielleicht sogar ganz nett aus.
„Die Geräte in der Küche funktionieren alle?“
Drexler zuckte die Achseln. „Wahrscheinlich schon. Putzen muss man sie halt.“
Katja nickte gedankenverloren.
„Also, ich denke drüber nach. Vorstellen könnte ich mir die Wohnung schon… Wie sind denn die Nachbarn so?“
„Harmlos, soweit ich weiß. Es ist ein sehr ruhiges Haus, von Ärger habe ich nichts gehört bei den Eigentümerversammlungen. Es gab nur einige Klagen über meine Mieter, und die waren ja durchaus berechtigt.“
„Weil sie so schmuddelig waren? Oder waren sie auch laut?“
„Laut, schmuddelig, es stank aus der Wohnung, wenn sie jemanden im Treppenhaus trafen, waren sie unverschämt…“
„Wieviele waren es denn?“
„Ein junges Paar. Naja, jung… so um die dreißig vielleicht.“
Na danke, dachte Katja. War sie dann auch nicht mehr wirklich jung?
Sie verabschiedete sich von Drexler und fuhr nach Hause, intensiv über diese Wohnung nachdenkend. Schlecht war sie nicht. Viel Arbeit, natürlich, aber der Grundriss war gut. Das Haus war zum großen Teil aus Ziegeln gebaut, wirkte solide, stand in der richtigen Gegend und hatte sogar eine Tiefgarage – nie mehr im Winter Scheiben kratzen! Und 110 000 – so billig kam sie an eine solche Wohnung nie mehr. Siebzig Quadratmeter… sie begann im Kopf zu rechnen und kam an der Ecke zur Nussbaumallee auf einen Quadratmeterpreis von rund 1600 Euro. Fast schon verdächtig billig. Zweifünf waren für Leisenberg normal, mal abgesehen von richtig schicken Gegenden. Und die Holbeinstraße war fast schon richtig schick. Bei Monopoly würde man sagen: die grünen Straßen direkt vor der Schlossallee.
Und dafür so günstig? Bloß wegen des Drecks und der finsteren Tapeten?
Mal schauen, was Luise morgen sagte. Und wenn sie die Wohnung billigte, würde sie sich so schnell wie möglich um den Notartermin bemühen, zahlen und ordentlich scharfe Reiniger kaufen. Und solche Kratzdinger zum Putzen.
Sie gelangte ungesehen in ihr Zimmer, packte ihre Tasche aus, schlüpfte aus den Straßenschuhen und dem Blazer, wusch sich die Hände und nahm sich das Ex vor. Halb sechs war es jetzt; da konnte sie noch etwas schaffen!
Sie ging die erste Frage durch (das war auch die leichteste, maximal fünf BE), die hatten eigentlich alle einigermaßen hingekriegt, im Schnitt mit vier Punkten. Danach streifte sie wieder einmal durch die Vorräte im Badezimmer, nutzte einen Rest Kirschblütenshampoo (widerwärtig süß!), um ihre drei Seidenschals durchzuwaschen, warf die Flasche weg und setzte sich wieder an den Schreibtisch.
Aufgabe 2, sechs BE. Das war schon ein bisschen schwieriger, und nicht alle hatten hier wirklich reüssiert. Sie arbeitete sich langsam durch, untermalt von leiser Radiomusik, und nahm sich dann die nächsten beiden Ordner vor. Die Altpapierkiste füllte sich, sie sollte nach dem Essen vielleicht noch ein bisschen spazieren gehen, am Containerplatz vorbei…
Die letzte Aufgabe war die schwierigste, es gab auch neun Punkte dafür. Hier zog sich die Korrektur entsprechend länger hin; um halb acht hatte sie etwas mehr als die Hälfte, mistete zwei weitere Ordner aus und beschloss, noch vor dem Essen das Altpapier wegzutragen. Am besten gleich! Sie stopfte das ganze Papier in eine große Tasche, schlüpfte wieder in Schuhe und Blazer und eilte den Gang entlang und zur Treppe. Dort blieb sie abrupt stehen.
„Björn – was machst du denn hier? Willst du doch mal deinen Sohn sehen?“
Björn winkte ab. „Ach, wozu. Ich kann mit so kleinen Kindern nichts anfangen. Nee, ich suche Nick. Wo ist er denn?“
„Weiß ich nicht. Ist der überhaupt schon zu Hause? Klopf halt mal an seine Tür, du weißt doch, wo das ist.“
Sie wollte an ihm vorbei, um rechtzeitig zum Container und wieder zurück zu kommen, aber er hielt sie Arm fest. „Wohin denn so eilig? Du wirst übrigens von Tag und Tag hübscher.“
„Lass den Quatsch. Außerdem bist du so oft nun auch nicht hier, dass du so etwas beurteilen könntest. Nicht, dass ich dich überhaupt für einen Fachmann hielte“, fügte sie nach kurzem Nachdenken hinzu und musterte seine perfekt herausgeputzte Erscheinung verächtlich.
„Was soll das denn heißen?“, fragte Björn, nun schon weniger charmant.
„Dass ich dich nicht mag“, fauchte Katja ihn an. „Und lass mich gefälligst los!“
Sein Daumen rieb werbend über ihren Ellbogen. „Aber Katjalein, sei doch nicht so zickig. Du willst es doch auch!“
„Wenn ich Bulimikerin wäre, vielleicht. Dann könnte ich dir jetzt so richtig schön auf deine Lacktreter reihern. Es kommt mir schon hoch!“
Björn ließ sie hastig los und schaute sich gehetzt um, als vom Absatz unter ihnen Alex kurz auflachte. „Gut gegeben, Katja. Bist ja doch zu was nütze. Björn, was willst du hier? Du weißt genau, dass du hier nichts mehr zu suchen hast!“
„Hab dich nicht so, alter Kumpel. Ich finde sowieso, dass du mir noch einiges schuldig bist.“
„Wohl vom Wahnsinn umjubelt? Ich schulde dir gar nichts, du kannst froh sein, dass ich dich nicht angezeigt habe.“
Katja hörte mit weit aufgerissenen Augen zu. Was man da alles erfuhr! Vielleicht sagte Alex auch noch, warum er Björn so plötzlich, Knall auf Fall, entlassen hatte? Wegen der Sache mit Lisa doch wohl kaum?
„Katja, verzieh dich“, blaffte Alex.
„Geh ja schon“, murrte Katja und sprang die Treppen hinunter. Schnell um die Ecke, zum Kinderspielplatz, der nachts als Treffpunkt der örtlichen Jugend diente (hier konnte man sich auch mal eine Tüte reinziehen) und eine Ansammlung von Unrat umkränzter Container aufwies. Sie kippte den Inhalt ihrer Riesentüte in den leersten aller Container und kehrte nach Hause zurück. Alex und Björn keiften sich immer noch halblaut im Treppenhaus an, aber noch während Katja möglichst unauffällig nach oben stieg, kam Mama unten aus dem Wohnzimmer. „Wer ist denn da? Mit wem sprichst du, Alexander?“
„Björn. Björn Weber, du erinnerst dich?“
„Was erlaubt sich dieses Subjekt? Wirf ihn sofort hinaus. Und in fünf Minuten gibt es Essen. Ich erwarte, dass du pünktlich bist und diesen – Herrn nicht mitbringst!“
„Ja, Mama.“ Alex packte Björn am Ellbogen und führte ihn bis vor die Haustür. „Pass doch auf! das Sakko ist von Armani!“, maulte Björn.
„Woher du dafür das Geld hast, frage ich lieber nicht“, antwortete Alex und schubste Björn nach draußen. „Ab jetzt. Zur Straße findest du ja wohl noch alleine?“
Er schloss die Tür hinter ihm, lehnte sich an das geschnitzte Holz und rieb sich über die Stirn.
Katja hatte das von oben unauffällig beobachtet; jetzt wusch sie sich noch schnell die Hände und kam langsam herunter. „Ich finde es ja besonders mies, dass er sich überhaupt nicht für Leon interessiert.“
Alex winkte ab. „Das ist noch das Geringste. Gut, dass er Lisa vernascht hat, als sie noch kaum volljährig war, war schon auch eine Sauerei – aber sie interessiert sich doch sowieso nicht mehr für ihn. Und Leon braucht so einen Vater nun wirklich nicht.“
„Stimmt auch wieder. Er ist auf jeden Fall eine fiese Existenz.“
Alex lachte. „Fiese Existenz ist gut. Du weißt gar nicht, wie gut. Immerhin hast du ihm recht ordentlich rausgegeben.“
Das erste Lob seit mindestens zwei Jahren, es geschahen noch Zeichen und Wunder! Sie kicherte noch geschmeichelt, als sie das Esszimmer betraten.
Mama schaute streng, aber dieses Mal nicht zu ihr, sondern zu Nick. Hatte Nick etwas falsch gemacht? Katja aß mit mäßigem Appetit Lebernockerlsuppe (irgendwann würde sie eine Frühlingsrolle stattdessen ordern, nur um zu sehen, was Doris dann für ein Gesicht machte), Allgäuer Schnitzelchen (die Spaghetti waren zu weich) und Obstsalat (überzuckert, aber ansonsten lecker). Ach, eines Tages selbst das Essen aussuchen können! Und es selbst kochen?
Hm. Vielleicht sollte sie sich als erstes mal ein Kochbuch für Anfänger kaufen. Und ein paar Flyer bereitlegen, für den Notfall.
„Du bist so still, Katja?“ Jetzt hatte Mama sich doch auf sie konzentriert!
„Ach, ich bin bloß müde“, wich sie aus.
„Du? Wovon das denn?“, fragte Nick.
Katja bleckte die Zähne in seine Richtung, antwortete aber nicht.
„Nick, du hast Redeverbot“, verkündete Mama.
Direkt schade, dass Raphael heute nicht da war, dachte Katja. Jetzt könnte er sich doch so richtig zur Verteidigung seines Liebsten aufwerfen. Was hatte Nick angestellt? So streng war Mama doch sonst nicht?
Sie fragte aber lieber nicht nach, Nick konnte da ganz schön sauer werden.
Sie aß nur auf, wünschte allen einen schönen Abend und kehrte an ihr Ex zurück. Wahrscheinlich war sie ein zutiefst asoziales Wesen, überlegte sie oben an ihrem Schreibtisch, wenn sie so gar nichts mit ihrer Familie anfangen konnte. Aber waren die anderen anders? Hatte irgendjemand gesagt: „Katja, wir wollen jetzt DVD gucken/Monopoly spielen/um den Garten hopsen – machst du mit?“ Die waren doch auch nicht besser!
Und ab und zu mit Lilly etwas unternehmen – das reichte ja wohl an Kontakten!
Sie arbeitete sich langsam, aber stetig durch die letzte Aufgabe, addierte die Punkte, entschied sich in zwei Fällen aus kosmetischen Gründen für einen halben Punkt mehr und kam auf einen Schnitt von 2,98. Ganz annehmbar. Als die Noten eingetragen, der endgültige Erwartungshorizont getippt und gedruckt und alles ordentlich eingetütet war, lehnte sie sich erleichtert zurück.
Sie packte ihre Tasche für morgen – viel hatte sie morgen sowieso nicht – und ließ noch ein Maßband hineingleiten. Vielleicht entschied sie sich ja wirklich für das lila Scheusal und vielleicht musste sie dann auch etwas ausmessen!
Was konnte noch weg, verflixt?
Sie sortierte ihren Schmuck – aber außer einem eher wertlosen Dirndlhalsband konnte da nichts weg, fand alte Fotoalben und blätterte wie verzaubert darin, zog ihre Schreibtischschubladen auf, warf einige eingetrocknete Textmarker, ausgeleierte Gummibänder und eselsohrige Post-it-Reste weg und steckte alle Werbekulis in die Tasche – die konnte sie morgen im Lehrerzimmer aussäen.
Dann packte sie den Rest aus der obersten Schublade in eine ihrer zahlreichen blumengemusterten Pappschachteln und putzte die leere Schublade gründlich durch.
In der zweiten Schublade fand sie ein halbes Paket Druckerpapier und zehn Klarsichthüllen. Die konnten erst einmal so bleiben, bis zum Umzug verringerte sich ihre Anzahl wahrscheinlich von selbst.
Für heute reichte es ihr. Sie ging ins Bett und nahm sich vor, über weitere Ausmistoptionen nachzudenken, schlief aber sofort ein.