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II 14.09.2008

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Es klopfte an der Tür, ein Beamter führte Emma Wiesner herein, und Anne verzog sich ins Nebenzimmer, ließ aber ganz korrekt die Tür offen.

„Ah, guten Morgen, Frau Wiesner“, bemühte Felix sich sogleich um einen neuen, zivilisierten Ton. Er konnte sich ja vorstellen, wie Eichinger die Verdächtige angeschnauzt hatte.

„Guten Morgen“, grüßte die Wiesner mit klarer Stimme zurück und warf ihm einen misstrauischen Blick zu, bevor sie sich setzte.

„Sie haben nichts dagegen, wenn das Gespräch aufgezeichnet wird?“, fragte Felix und schob das Mikrofon näher zu ihr hin.

„Aber nein. Aber es ist interessant, dass sie danach fragen. Sind Sie jetzt der gute Cop?“

Das wurde von einem leicht ironischen Lächeln begleitet, das ihr ganzes blasses Gesicht aufleuchten ließ. Er bemerkte, dass ihre Haut rau und ihr Haar stumpf war, dass sie aber nicht daran herumtastete und ihre etwas abgerissene Erscheinung mit Würde zu tragen schien.

„Möglicherweise“, antwortete Felix und erwiderte das Lächeln unwillkürlich.

„Viel helfen wird es Ihnen nicht“, versetzte sie. „Ich habe nicht vor, etwas zu gestehen, was ich nicht getan habe – und ich habe Margie nicht getötet. Ich wüsste auch nicht, wieso ich das hätte tun sollen.“

„Den Akten zufolge wollten Sie ihren Freund zurückhaben.“

„Ja, das glaubt Ihr Kollege. Aber auch wenn manche Leute sich das nicht vorstellen können, ein Freund, der sowieso nur von einer anderen träumt, ist nicht so ein Hauptgewinn. Ich habe in der letzten Zeit eher gehofft, dass sie sich für ihn entscheidet und ihn mir abnimmt. Lieber solo als so was. Aber natürlich hätte mir klar sein müssen, dass sie sich nie für Jörg entschieden hätte.“

„Warum? Weil ihr Mann mehr Geld hatte?“

Die Wiesner winkte ab. „Vielleicht das auch, aber ich glaube nicht, dass Margie so geldgierig war. Nein, Lothar – das steht für Familie, für Sicherheit, für Lebenserfahrung – ich denke, das war ihr schon wichtig. Jörg, das ist die pure Romantik, Jörg ist ein fahrender Ritter, aber keine bürgerliche Existenz. Er liegt seiner Angebeteten zu Füßen, aber den Müll bringt er nicht runter. Ihm fehlt es ein bisschen an – naja, an der Alltagstauglichkeit.“

„Ist er Ihnen anfangs auch zu Füßen gelegen?“, erkundigte Felix sich, um die Atmosphäre zu lockern. Ein ehrlich erheitertes Lächeln blitzte in ihrem Gesicht auf und zeigte, dass sie Grübchen hatte.

„Nein, nie. Ich war nie die Burgherrin für ihn, so wie Margie. Er kennt zwei Frauentypen, Burgherrin und Eheweib. Ich war bloß Eheweib, und wenn Sie sich ein bisschen in der Minnelyrik auskennen, wissen Sie ja, dass die Ehefrauen im Mittelalter mehr so eine Art Notwendigkeit waren. Die Ehefrau entrostet die Rüstung, hält die eigene Burg in Schwung und erzieht die Erben, während der Herr des Hauses vor einer anderen Burg schmachtet. Naja, so ähnlich. Ich bin keine Mediävistin. Jörg hat mir einiges darüber erzählt; er hat mittelalterliche europäische Literatur studiert - und das merkt man überdeutlich. Ich will nicht sagen, dass er damit nicht in die Gegenwart passt, aber – doch, ich glaube, genau das will ich damit sagen. Er ist wirklich ein fahrender Ritter, und damit kann ich eigentlich auch nichts Rechtes anfangen.“

„Und womit könnten Sie etwas anfangen?“, hörte Felix sich zu seiner eigenen Verblüffung fragen. Was ging ihn das denn an?

Sie zuckte die Achseln. „Wer weiß, vielleicht mit einem erwachsenen Menschen. Einem, der seinen Alltag auch geregelt kriegt und nicht sein Leben bloß verträumt. Aber das ist ja jetzt nicht mehr relevant.“

„Warum?“ Würde das jetzt ein Geständnis werden?

Sie zuckte wieder die Achseln. „Ihr Kollege – Chef? – glaubt ja, ich war´s. Also hab ich jetzt doch mindestens fünfzehn Jahre vor mir, in denen ich mir über den idealen Mann eher keine Gedanken machen muss.“

„Soll das heißen, Sie sind unschuldig, haben aber keine Lust, das auch zu beweisen?“

„Nein. Ich kann es nicht beweisen. Zur Tatzeit – so heißt das doch, oder? – hab ich in einer Firma in der Beckmesserstraße einen Fehler im Intranet gesucht und bin unter diversen Schreibtischen herumgekrochen, um herauszufinden, warum ein bestimmter Rechner immer wieder abgestürzt ist und den Rest mitgerissen hat. Währenddessen haben die Mitarbeiter eine Sitzung gehabt, weil sie ja eh nicht ins Firmennetz konnten, und so gegen sieben sind die alle heim. Ich bezweifle, dass mich dort jemand gesehen hat, und selbst wenn – ich kann das nicht beweisen, ich kenne dort niemanden mit Namen, und selbst wenn ich einen Namen wüsste - da ich hier festsitze, kann ich ja auch niemanden fragen.“

„Das wäre ja wohl auch unsere Aufgabe“, warf Felix ein.

„Eben. Da Ihr Kollege niemanden gefunden hat, hat mich wohl auch niemand gesehen. Ergo hab ich kein Alibi, also können Sie doch froh sein. Fall abgeschlossen.“

„Also so einfach machen wir es uns dann doch nicht“, entgegnete Felix leicht gereizt und versuchte, nicht an Kurts Ermittlungsmethoden zu denken, um nicht rot zu werden.

„Wollte ich ja gar nicht behaupten. Aber Sie haben ja sicher noch mehr zu tun.“

„Wichtigeres als Ihre Freiheit?“, fragte Felix verblüfft. „Warum ist es Ihnen eigentlich so egal, ob sie im Knast landen oder nicht?“

„Ist es mir doch gar nicht“, widersprach Emma Wiesner. „aber ich kann nichts machen, und aufregen mag ich mich auch nicht. Wir sind hier doch nicht im Fernsehen, wo die Leute dann verzweifelt an den Gittern rütteln oder ihren Anwalt anbetteln.“

„Das bringt mich auf etwas, was ich Sie ohnehin fragen wollte“, sagte Felix. „Wieso haben Sie denn eigentlich keinen Anwalt?“

„Wie denn? Erstens hab ich meinen Anruf für etwas Dringenderes gebraucht, zweitens kenne ich sowieso keinen, und drittens hat Ihr Kollege gemeint, es sei ja recht viel sagend, wenn ich nach einem Anwalt frage…“

„Dieser mein Kollege“, presste Felix buchstäblich zwischen den Zähnen hervor, „ist ein Vollidiot und absolut unmaßgeblich. Es ist Ihr gutes Recht, einen Anwalt zu haben.“

„Zu spät. Jetzt hab ich ja schon meinen Chef angerufen. Hat aber wohl nichts genutzt. Ich bin wahrscheinlich schon raus.“ Wieder zuckte sie die Schultern, und Felix fragte sich, ob das ein Zeichen für ein generelles Desinteresse an ihrem eigenen Schicksal war. Wie konnte man so gleichgültig sein?

Er fragte sie wider besseres Wissen, und sie sah ihn großäugig an. „Gleichgültig? Ich bin bloß realistisch. Würden Sie jemanden weiterbeschäftigen, der im Knast war? Da rennen doch die Kunden weg!“

„Wegen ein paar Tagen Untersuchungshaft? Das finde ich doch stark übertrieben.“

Sie zuckte wieder die Achseln. „Meinen Sie, die Leute kennen den Unterschied? Die haben doch jetzt alle Angst, dass ich ihre Netzwerke manipuliere. Oder Trojaner installiere. Oder was auch immer. Irgendwie Datenklau eben. Die meisten wissen auch da nicht so genau Bescheid, und je weniger Ahnung, desto mehr diffuse Ängste.“

„Stimmt wohl leider“, sagte Felix und überlegte, was er ursprünglich hatte fragen wollen. Ach ja!

„Wollen Sie nicht doch einen Anwalt haben? Das mit dem einen Anruf gibt´s doch auch bloß im Fernsehen. Oder wenigstens Ihre eigenen Sachen in der U-Haft?“

Sie schaute ihn verblüfft an. „Das geht? Ich meine, Klamotten zum Wechseln wenigstens. Shampoo und so geht ja bestimmt nicht, das geht ja nicht mal im Flieger, aber einen zweiten Satz Klamotten hätte ich echt gerne, das Zeug ist morgens nie so recht trocken, und ich friere schon ziemlich… Ach nein, Unsinn, wer soll mir das denn bringen?“

„Rufen Sie halt eine Freundin an“, schlug Felix vor, dem diese merkwürdig umständliche Weltsicht allmählich auf die Nerven ging. „Oder bitten Sie ihren Anwalt.“

Die Wiesner schüttelte energisch den Kopf. „Nein, Unsinn. Es kann ja sowieso niemand in die Wohnung.“

„Wieso das denn wieder nicht?“

„Meinen Schlüssel hat mir abgenommen, und der andere ist in der Wohnung. Außerdem findet da doch sowieso niemand was, und haben die das nicht auch versiegelt?“

Felix kapitulierte. „Passen Sie auf, ich würde mir Ihre Wohnung ohnehin gerne noch mal anschauen, ich bringe Ihnen was mit. Was möchten Sie?“

Sie strahlte und sah dabei plötzlich ganz anders aus. „Ehrlich? Ist das nicht zu viel Mühe? Vielleicht noch ein Sweatshirt und ein Paar Jeans. Naja, und Wäsche. Die müsste eigentlich in der linken Schrankhälfte in einem Drahtkorb sein. Gehen Socken auch noch?“

Felix nickte. „Kosmetika? Wir sind hier nicht im Flieger, wissen Sie.“

„Oh…! Shampoo und Duschgel… Und meine Gesichtscreme. Und vielleicht auch mein Deo. Das wäre ehrlich toll. Dann halte ich es hier noch ewig aus!“

„Na, so erstrebenswert ist es hier ja nun auch nicht“, wandte Felix ein und schob die Liste in seine Jackentasche. „Warum übrigens sollte ihre Wäsche nur eigentlich links in einem Drahtkorb sein?“

Sie lächelte kurz. „Ist die Wohnung nicht durchsucht worden? Wegen der Mordwaffe oder so? Blutspuren?“

„Nur im Fernsehen verwüsten die Leute beim Durchsuchen die Wohnung.“

Scheißfernsehen, dachte er nicht zum ersten Mal. Nur Blödsinn brachten die den Leuten bei. „Ich kann ja eine Kollegin mitnehmen, falls wir Ihre privateren Sachen durchsuchen müssen“, schlug er vor, um nicht in einen Ausbruch über die verblödende Wirkung des Fernsehens zu verfallen.

Die Wiesner lächelte kurz und bedankte sich. Felix überlegte, was er noch fragen sollte. Ach ja! „Haben Sie eine Idee, wer Frau von Meesen getötet haben könnte?“

„Sie meinen, wenn ich´s dann doch nicht war? Hm, schwierig. Ich meine, ihr Mann wusste doch, was sie so trieb, und es schien ihn nicht gestört zu haben, und Jörg hat den Boden angebetet, auf dem sie ging. Sie sah auch toll aus, und eigentlich war sie ganz nett. Ein bisschen hohl vielleicht. Okay, das ist jetzt gemein, ich nehm´s zurück.“

„Nein“, wandte Felix ein, „Sie sind nicht hier, um nett zu sein, sondern um die Wahrheit zu sagen. Inwiefern hohl?“

„Nun ja… sie hatte, glaube ich, nicht so arg viele Interessen außer ihrer eigenen Schönheit. Und – also, ich kannte sie ja nur flüchtig, das war Jörg dann wohl doch etwas peinlich – sie wirkte auf mich nicht, als sei sie besonders schnell im Denken gewesen. Musste sie wohl auch nicht, bei dem Aussehen. Vielleicht werden hübsche Mädchen oft von ihrer Umgebung in so eine Rolle gedrängt, wer weiß. Aber die Frau, die sich endlos viele Feinde macht, ist sie wohl nicht gewesen. Glaube ich jedenfalls.“

„Was hat sie denn beruflich gemacht?“

Die Wiesner sah ihn an, als glaube sie, er habe die Akte nicht gelesen. „Na, nichts“, antwortete sie dann. „Also, nichts trifft es vielleicht auch nicht. Sie war eben Hausfrau. Und die beiden Mädels musste sie ja auch erziehen. Und die Gastgeberin spielen, wenn Lothar seine Vertragspartner mitbrachte – denke ich mir jedenfalls. Die gute altmodische Dame des Hauses eben.“

„Keine Ausbildung?“

„Keine Ahnung. Fragen Sie Jörg, der weiß so etwas bestimmt. Keine Ausbildung – gibt´s so was überhaupt noch, heute?“

„Bestimmt. Mir ist zwar auch nicht klar, wie die es schaffen, gar nichts zu machen – vielleicht lassen die sich alle sofort von der Schulbank wegheiraten…“

„Hm“, machte die Wiesner. „Margie war, soweit ich weiß, einundzwanzig, als sie geheiratet hat. So wie sie geistig bestückt war, kann es gut sein, dass sie da gerade erst ihr Abi geschafft hat… Angst vor dem Dschungel da draußen? Möglich wär´s. Arme Margie, da hat sie ja einiges verpasst.“

„Damit fallen auch berufliche Kontakte weg… Was machen Sie eigentlich beruflich genau?“

„Ich arbeite bei HELP. Software- und Netzwerkprobleme lösen. Gelernt habe ich zuerst Hardwareelektronik, und dann Informatik studiert. Zufrieden?“

Felix nickte. „Klingt interessant.“

„Ist es auch.“

„Und wie heißt diese Firma in der Beckmesserstraße gleich wieder?“

Suhry und Häuptlein. Ein ziemlich großer Versicherungsmakler. Wieso, wollen Sie da etwa noch mal nachfragen?“

„Vielleicht“, antwortete Felix und erhob sich. „Ich glaube, vorerst sind wir fertig. Brandl?“

Die Tür öffnete sich und PM Brandl trat ein, um die Gefangene zurückzubringen. In der Tür drehte sie sich noch einmal um und sagte: „Danke!“

Felix schaute ins Nebenzimmer. „Anne? Hast du Lust, mit mir die Wohnung von der Wiesner anzuschauen?“

„Gerne“, antwortete Anne, „aber wozu? Eichinger war doch schon drin. Hat nichts gefunden, kein Wunder.“

„Höre ich da ein bisschen Verachtung?“

„Ein bisschen?“, entgegnete Anne. „Ich glaube, wir sollten wirklich selbst noch einmal nachsehen.“

Tod einer Minnedame

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