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IV 14.09.2008
ОглавлениеSobald er sie am Präsidium abgesetzt hatte, fuhr er ins Univiertel, wo dieser Halbritter leben sollte. Jörg Halbritter, 36, Lektor in einem Fachbuchverlag und offenbar ein echter Spinner, rekapitulierte er, während er die Agnesgasse entlang zuckelte und nach einem Parkplatz suchte. Zweite Reihe ging nicht, dann war die Straße komplett dicht… Da! Scheiße, Einfahrt. Und der Bürgersteig so schmal, dass er ebenfalls wegfiel… Da! Nein.
Schließlich parkte er zwei Straßen weiter und lief zurück, leicht gereizt. Dieser blöde Halbritter, wieso wohnte er so bescheuert? Wahrscheinlich war er selbst immer nur mit dem Hollandrad unterwegs. Typ ewiger Student, ausgeleierte Pullis, Gesundheitslatschen, Nickelbrille.
Ganz schön klischeehaft, tadelte er sich selbst. Ob das von den Kommentaren der Wiesner kam? Oder dachte er selbst schon dermaßen in Schubladen?
Die Agnesgasse war eng, deshalb hatte er ja so abseits parken müssen, und düster, weil die Sonne wohl nur im Hochsommer in die Straße fiel und die meisten Fassaden seit der Nachkriegszeit keinen frischen Anstrich mehr bekommen hatten. Der vorherrschende Eindruck war graubraun, und Felix fühlte sich an „Sonnenallee“ erinnert. Den könnte er eigentlich wieder mal anschauen, überlegte er. Wenn der Fall gelöst war. Vorher wurde es ja doch nichts.
Nummer 12 war auch nicht schäbiger als die Nachbarhäuser, und das Klingelschild Halbritter machte einen ganz konventionellen Eindruck – nicht etwa handschriftlich und mit vergilbendem Tesafilm befestigt, nein, ein ordentliches Metallschildchen und mit allen zwei Schrauben an der Tafel verankert.
Er läutete und drückte, als der Summer ertönte, die abscheuliche Milchglastür auf, die die Sechziger diesem Haus wohl als einziges spendiert hatten.
Drinnen roch es muffig und nach abgestandenem Essen. Nach gut bürgerlichem Essen. Irgendwas Fleischernes und viel gekochtes Kraut. Felix rümpfte die Nase und machte sich an den Aufstieg. Dem Klingelschild zufolge dritter Stock rechts. Rechts, das war ja wohl typisch, dachte er und verbot es sich sofort – allmählich wurde es albern. Außerdem sollte er objektiv ermitteln und nicht alles glauben, was die Wiesner sagte.
Außerdem hatte sie eigentlich nur Traumtänzer gesagt. Er seufzte, atmete ein paar Mal tief durch und klingelte.
Stille, dann Schritte, die Tür wurde langsam geöffnet. „Ja?“
Felix zückte seinen Ausweis. „Herr Halbritter? Guten Tag. Ich hätte noch einige Fragen im Mordfall Meesen…“
„Da war schon ein Kollege von Ihnen da“, war die mürrische Antwort.
Felix musterte Halbritter aufmerksam. Relativ groß, schlank, nicht übel aussehend, aber etwas farblos. Hellbraunes Haar, korrekt geschnitten, kein Bart, keine Brille, blaue Augen, dazu passendes Hemd, Krawatte, sandfarbene Chinos, kein Sakko. War das die einzige Konzession an den Feierabend? Unwillkürlich sah er auf die Uhr. Halb vier – verflixt früh für Feierabend.
„Sie haben Urlaub?“, fragte er also, während er sich an Halbritter vorbei drängte.
„Urlaub? Nein.“ Die Stimme war weiterhin mürrisch. Selbstmitleid, konstatierte Felix, der Halbritter auf Anhieb unsympathisch fand.
„Schließlich kann ich doch nicht arbeiten, wenn Margie…“ Die weinerliche Stimme brach ab.
„Verständlich“, log Felix. „ich bin sicher, Herr von Meesen kann sich zurzeit auch nicht auf seinen Beruf konzentrieren.“
„Der? Der hat Margie doch gar nicht verstanden! Bestimmt schachert er schon wieder um alberne Filme. Nein, ich bin der einzige, der richtig um Margie trauert. Sie war so – ach, das kann man gar nicht in Worte fassen…“
Er wischte sich theatralisch die Augen, und Felix bemerkte eine sehr teure Uhr an seinem Handgelenk.
„Hübsche Uhr“, lobte er freundlich.
Halbritter schniefte. „Ein Geschenk. Ein Liebesgeschenk. Von Margie natürlich. Sie hatte so einen guten Geschmack…“
Gleich heult er wieder, dachte Felix mäßig begeistert und schlug sein Notizbuch auf, um die Stimmung etwas weniger emotionsgeladen werden zu lassen.
„Sie haben angegeben, dass Sie Ihre Freundin? Lebensgefährtin? für die Täterin halten. Welche Gründe haben Sie dafür?“
„Gründe? Ich brauche doch keine Gründe dafür – das spürt man doch, wenn man ein bisschen sensibel ist… Emma – also, meine Lebensgefährtin ist sie eigentlich nicht, oder – naja, vielleicht doch, ich weiß nicht – Emma auf jeden Fall war so richtig kalt in den Tagen vor dem Mord. Herzlos eben. Kein Einfühlungsvermögen… ich meine“, er beugte sich eifrig vor, als habe er Angst, Felix könne ihn nicht richtig verstehen, „Margie war meine gute Fee, ja, so könnte man sagen – aber glauben Sie, Emma hatte dafür Verständnis? Sie war direkt höhnisch! Sie hat Margie gehasst, obwohl die ihr doch nie etwas getan hat – das hätte sie ja gar nicht gekonnt…sie war ein so reines, engelhaftes Wesen… und dann immer dieses spöttische Gesicht…“ Er sah Felix mit nassen Augen an und Felix starrte etwas verwirrt zurück. „Sprechen Sie jetzt von Frau Meesen oder Frau Wiesner?“
„Bitte? Aber da ist doch ein himmelweiter Unterschied! Die beiden kann man doch gar nicht vergleichen!“
„Dann drücken Sie sich gefälligst etwas klarer aus“, empfahl Felix leicht gereizt, „so geht doch alles durcheinander. Haben Sie außer unklaren Gefühlen noch irgendetwas, was für die Schuld Ihrer – also, von Frau Wiesner spricht?“
„Wozu?“
„Weil man bei der Untersuchung eines Verbrechens eben Fakten braucht und nicht nur irgendwelche Gefühle. Wo waren Sie übrigens, als Ihre, also, als Frau Meesen getötet wurde?“
„Von Meesen“, verbesserte Halbritter. „So viel Zeit muss sein.“
Das musste ja kommen, ärgerte sich Felix. Minnesänger? Eher Korinthenkacker!
„Also, haben Sie ein Alibi?“, wiederholte Felix mit steigender Ungeduld.
„Alibi? Sie wollen doch nicht etwa unterstellen, dass ich - ? Ja, sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen?“
„Reine Routine“, murmelte Felix wenig überzeugend. „Und? Wo waren Sie? Am 08. September? Zwischen sechzehn und neunzehn Uhr?“ Er hielt den Zeitrahmen bewusst vage, obwohl er selbst nicht wusste, was er sich davon versprach.
„Das weiß ich doch jetzt nicht mehr“, murrte Halbritter. „Vermutlich in der Arbeit. Um sechzehn Uhr bin ich doch noch nicht fertig, ich bin ja kein Beamter!“
Felix überlegte, wie viel Ärger er bekäme, wenn er einem Zeugen eins reinhaute – er hatte gute Lust, aber ließ es natürlich doch besser.
„Im Gegensatz zu Ihnen muss ich auch am Wochenende arbeiten, und zwar open end, wenn ein Fall es erfordert. Und in meiner Position bekommt man die Überstunden weder bezahlt noch ausgeglichen“, konnte er sich aber doch nicht verkneifen. „In der Arbeit waren Sie nicht, das hat mein Kollege schon nachgeprüft. Sie sind an diesem Tag – und das ist schließlich erst sechs Tage her, also brauchen Sie hier nicht Gedächtnisschwund vorzutäuschen – mittags gegangen, weil Sie sich angeblich nicht wohl fühlten.“
„Was heißt hier „angeblich“?“, zeterte Halbritter. „Wollen Sie mir unterstellen, ich sei gar nicht krank – ernsthaft krank! – gewesen? Das ist ja wohl die absolute Höhe!“
„Wenn Sie so ernsthaft krank waren, wundert es mich aber schon, dass Sie das so völlig vergessen konnten. Oder gehen Sie so oft früher nach Hause, dass sich Ihnen ein bestimmter Termin gar nicht mehr einprägt?“
Felix registrierte zufrieden, dass Halbritter etwas blass wurde und verbockt schwieg.
„Nun gut“, fuhr er dann fort, etwas seidiger in der Stimme, „lassen wir das vorläufig, wir werden dem ja noch weiter nachgehen. Wie ist denn Ihr Verhältnis zu Frau Wiesner? Ich frage mich ja schon, wie man mit jemandem befreundet sein kann, dem man sofort einen Mord zutraut.“
„Ach“, machte Halbritter. „Emma, ja. Wissen Sie, Emma – sie ist ganz nett. Natürlich nicht mit Margie zu vergleichen, schon rein äußerlich, aber da Margie ja auch noch andere Verpflichtungen hatte, war ich manchmal schon ganz froh um Emma. Als Mann ist man ja schließlich ab und zu ein bisschen hilflos, nicht wahr?“
„Ach ja?“ Felix bemühte sich um rundäugiges Staunen. „In welcher Hinsicht denn?“
„Nun ja… häusliche Dinge. Das ist schließlich nicht so ganz unsere Sphäre, nicht?“
„Also, ich kann Hemden bügeln, wenn Sie so was meinen“, konnte Felix sich nicht verkneifen, „und ein bisschen verblüfft bin ich jetzt schon. Sie geben hier den verträumten Romantiker, der den Boden anbetet, auf dem seine Geliebte wandelt – und dann ist es Ihnen nicht zu peinlich, Ihre „Alltagsfreundin“ auf die blödeste, altmodischste Machoart auszubeuten – Schatz, putz du, ich kann so was nicht? Nach dem Motto Dafür sind Weiber ja wohl da? Ekelhaft. Und ganz schön verlogen.“
„Ich muss doch sehr bitten!“, entrüstete Halbritter sich.
„Und außerdem brauchten Sie wohl auch jemanden fürs Bett, sozusagen an Werktagen, wenn Ihre Sonntagsprinzessin keine Zeit hatte – oder mit ihrem Ehemann schlafen musste, nicht? Irgendwie typisch. Da haben Sie dann wohl auch über gewisse Defizite im Äußeren hinweggesehen… Oder einfach das Licht ausgemacht?“
„Sie verstehen das völlig falsch!“, ereiferte sich Halbritter. „Ich kann nicht alleine leben. Welcher Mann kann das schon? Und da Margie eben nicht mit mir zusammen leben konnte – sie wollte schon, verstehen Sie mich da nicht falsch! – musste ich doch wohl auf Emma zurückgreifen.“
„Ah ja“, machte Felix und schaffte es, Ekel in diese zwei Silben zu legen. „Mal eine ganz dumme Frage: Was hatte Frau Wiesner denn davon – ich meine, außer dass sie hinter Ihnen herputzen und sich Ihr Gejammer wegen der schönen Margie anhören durfte?“
„Das ist wirklich eine dumme Frage“, antwortete Halbritter und entschuldigte sich sofort, als Felix eine grimmige Miene aufsetzte. „Oh – ich wollte damit natürlich nicht sagen, dass…“
Feigling, dachte Felix. Frauen ausbeuten und sich vor einer kleinen Beamtenbeleidigung fürchten!
„Also“, wischte er das Gestammel beiseite, „warum war das eine dumme Frage?“
„Ach, dumm… ich meine nur, dieses Was-hab-ich-davon ist doch so egoistisch! Und wenn Emma nicht zufrieden gewesen wäre, wäre sie ja wohl kaum bei mir geblieben, oder?“
„Egoistisch sind offensichtlich nur Frauen, die auch was von einer Beziehung haben wollen“, merkte Felix sanft an. Wenn Anne Malzahn ihn jetzt hören könnte, würde sie ihm einen Heiratsantrag machen! „Sie hatten Emma fürs Grobe und Frau Meesen fürs Herz, und sie hatte die Arbeit. Mir hat sie erzählt, es war ihr schließlich einfach egal.“
„Egal! Egal? Wenn es ihr so egal gewesen wäre, warum hat sie dann Margie so brutal erschlagen? Das zeigt doch, dass sie mich nicht loslassen wollte!“
„Ja – aber war sie´s wirklich? Da dreht sich Ihre Argumentation eigentlich ganz hübsch im Kreis. Frau Wiesner sagt nämlich, sie war´s nicht. Und ob Sie sich mit Frau Meesen vom Acker gemacht hätten, sei ihr eben ziemlich gleichgültig gewesen.“
„Ja, das muss sie doch sagen! Glauben Sie, sie gibt einen Mord so einfach zu? Sie müssen es ihr schon beweisen.“
Felix beäugte Halbritter finster. „Vielleicht beweise ich aber auch, dass es jemand anders war?“
„Wer denn!“, maulte Halbritter, „es hat doch sonst niemand ein Motiv. Alle haben Margie geliebt, sie war so schön, so gut, so lieb zu allen… nur Emma eben nicht. Da fällt mir ein… Mit Emma ist ja nun Schluss, nach dem, was sie Margie und damit auch mir angetan hat – ich müsste mal in ihre Wohnung, um ein paar Sachen zu holen… das geht doch in Ordnung, oder?“
„Nein“, entgegnete Felix scharf. „Wir würden das als Hausfriedensbruch bewerten. Was für Sachen überhaupt?“
„Naja, ich hab ihr im Lauf der Jahre ab und zu schon etwas geschenkt, mal ein Buch, mal ein paar Seidenblumen… das kann ich mir doch zurückholen, oder?“
„Ich wüsste nicht. Geschenkt ist Geschenkt. Und was wäre dann mit den Geschenken an Sie?“
Felix wusste, dass ihn das schon überhaupt nichts anging, und das mit dem Hausfriedensbruch war auch ziemlicher Blödsinn, aber jetzt wollte er es doch wissen.
„Sie hat doch das Verbrechen begangen. Und was will sie denn mit den Sachen, die passen ihr doch ohnehin nicht.“
„Nun gut“, Felix erhob sich, weil er endgültig genug hatte, „soweit für heute. Sie halten sich von Frau Wiesners Wohnung fern, ist das klar? Wenn Sie das Siegel brechen, kann das sehr teuer für Sie werden. Und außerdem halten Sie sich zu unserer Verfügung!“
Verlassen Sie die Stadt nicht, dachte er, als er Halbritter verschüchtert nicken sah.
Er stieg in seinen Wagen und fuhr zur Wohnung der Wiesner – nur gut, dass er noch ein paar Dienstsiegel in der Tasche hatte. Rasch klebte er eines über den Türspalt, zeichnete es ab und verließ das Haus wieder. Hoffentlich regten sich die Nachbarn nicht zu sehr darüber auf – aber dass dieser verängstigte kleine Raffzahn die Wohnung ausräumte, konnte auch nicht geduldet werden.