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Filmteichstraße

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Am Samstag bin ich schon um sieben bei Anthony.

»Stell dein Zeugs einfach zu meinen Eltern ins Zimmer«, bietet er mir an. »Da kotzt dir sicher niemand drauf.«

Ich hieve meinen Rucksack von den Schultern und stelle ihn neben das Doppelbett auf den Boden, dann folge ich Anthony in die Küche. Er grinst. »Erzähl mal!«

»Gibt nix zu erzählen.«

»Natürlich«, sagt Anthony ironisch. »Wenn du schon zu früh auf meiner Party auftauchst, dann musst du mir auch die Zeit vertreiben, bis die Bowle fertig ist.«

»Ich wollt ja gar nicht so früh kommen«, verteidige ich mich.

»Aber?« Anthony sieht mich fragend an.

Ich zucke mit den Schultern. »Nix aber.«

»Hm.« Anthony dreht mir den Rücken zu und schnippelt Apfelstücke. »Lukas hat da so was erwähnt.«

»Lukas? Was hat der denn erzählt?« Ich versuche, ruhig zu klingen, aber mein Herz beginnt zu klopfen und meine Handflächen zu schwitzen. Was zum Teufel hat Lukas erzählt?

Anthony dreht sich zu mir und grinst mich an. »Willst du?« Er hält mir eine Apfelspalte entgegen, die ich geistesabwesend nehme und mir in den Mund schiebe. »Sag schon, was hat Lukas gesagt?«

Anthony grinst noch breiter. »Eh nix«, sagt er. »Aber so, wie du reagierst, gibt es irgendwas, das er erzählen hätte sollen.«

Ich atme hörbar aus. Anthony weiß gar nichts. Mein Herzschlag beruhigt sich. Gleichzeitig bin ich enttäuscht. In Anthonys Augen bin ich wohl tatsächlich nur der kleine Jakob, der zwei Stunden zu früh bei einer Party auftaucht und nicht besonders interessant ist. Ich beginne wortlos, Bananen und Orangen in kleine Stücke zu schneiden und in die Bowlenschüssel zu werfen. Auch Anthony sagt nichts mehr.

Mir fällt ein, dass ich meiner Mutter für morgen absagen muss. Ganz wohl fühle ich mich dabei nicht. Wäre schließlich gerade erst das zweite Sonntagsessen mit ihr. Aber ich nehme an, dass die Party lange dauern wird und ich danach erst mal ausschlafen muss. Da schaffe ich es vermutlich nicht, zu Mittag zum Essen zu kommen.

Wir machen morgen einen Ausflug, Sonntagsessen also diesmal ohne mich, schreibe ich. Wer ›wir‹ sind, lasse ich offen.

Schade, kommt gleich darauf zurück. Ich wünsch dir aber einen schönen Ausflug mein Großer.

Mein Großer. So hat sie mich noch nie genannt. Fühlt sich komisch an. Schnell packe ich mein Handy wieder weg.

Ich bin froh, als Lukas da ist. Er ist nach mir der Erste, der kommt. Mit dem letzten Bus, der aus unserer Siedlung in die Stadt fährt.

Bei uns draußen gibt es nur ein Lokal, das ›Malibu‹. Dort kannst du Darts spielen oder einarmiger Bandit und dir die Birne wegsaufen. Am Nebentisch sitzt wahrscheinlich deine Nachbarin, und der Opa deines Volksschulfreundes greift der Kellnerin an den Hintern. Das Malibu verbindet die Generationen.

Lukas und ich, wir waren die von der Tankstelle. Trostlos, ich weiß. Aber bevor wir uns ins Malibu setzen, stehen wir lieber vor den Zapfsäulen und trinken Dosenbier. Die Abende an der Tankstelle waren zwar nicht der Hammer, aber besser als nichts. Marcel hat die Schule abgebrochen und jobbt jetzt dort. Marcel ist okay. Zwar nicht der Hellste, aber noch immer besser als die Typen im Malibu.

Langsam trudeln weitere Leute ein und bald ist es ziemlich voll. Anthony mag alle und alle mögen Anthony. Er ist gut darin, Leute zusammenzubringen. Egal welche.

Anthony ist der perfekte Gastgeber und ständig woanders. Ich stehe mit Lukas im Türrahmen zum Wohnzimmer und fische die Früchte aus meinem Bowlenglas. Eigentlich mag ich Bowle nicht. Ist mir zu süß. Ich suche nach einem Ort, wo ich den vollen Becher unauffällig abstellen kann. Dann überlege ich es mir anders und kippe den Inhalt in einem runter. Wohin ich den Becher stellen soll, weiß ich dann aber immer noch nicht.

Ich fühle mich komisch. Habe das Gefühl, meine Arme und Beine sind viel zu lang, und ich weiß nicht, wohin mit ihnen. Auf Partys ist es immer so, dass ich mit Lukas rumstehe und die anderen beobachte. Manchmal habe ich auch den Eindruck, als würden die anderen mich beobachten. Wie ich dastehe mit dem leeren Becher und nicht weiß, was tun. Vielleicht bilde ich mir das aber nur ein. Vielleicht schaut gar niemand. Vielleicht ist es nur die Bowle.

Und dann reicht es mir. Mit dem Becherhalten und dem Komischfühlen und dem Nicht-wissen-wohin. Wieso steht Jakob einfach nur herum und lässt alles um sich geschehen? Jeremy würde sich was zu trinken holen, ein paar lockere Worte mit irgendwem wechseln und dann ab auf die Tanzfläche.

Und er macht das jetzt einfach. Jeremy geht in die Küche, holt sich ein Cola aus dem Kühlschrank, schlendert dann gemächlich ins Wohnzimmer, wo schon relativ viele Leute herumstehen und sich unterhalten, aber niemand tanzt, weil nur leise Musik aus den Boxen kommt. Jeremy steckt eine Hand in die Hosentasche, mit der anderen setzt er die Flasche an den Mund und macht einen Schluck. Schaut sich um. Jeremy kann ganz anders schauen als Jakob. Jakob schaut, als würde er gleich den nächsten Fluchtweg suchen. Jeremy schaut, als wollte er herausfinden, wen er als nächstes zum Tanzen auffordern soll.

Jeremys Arme und Beine haben genau die richtige Länge.

Ich tippe einen Typen neben mir an, den ich definitiv noch nie gesehen habe. »Why is no one dancing?«, frage ich.

»Everybody wait for Karaoke.« Er scheint sich nicht zu wundern, dass ich Englisch mit ihm spreche.

»Ah, thanks.« Ich hebe meine Colaflasche.

Heute Abend werde ich nur noch Englisch reden. Sollen die anderen doch denken, was sie wollen. Ich mache noch einen Schluck und wippe im Takt der Musik.

Plötzlich dreht sich das Mädchen um, das bisher mit dem Rücken zu mir gestanden ist, und ich sehe, dass es Nadine ist. Nadine. Aus der Parallelklasse. Sie ist mir schon in der Unterstufe aufgefallen. Nicht, weil sie besonders hübsch wäre oder witzig oder besonders beeindruckend auf sonst irgendeine Art. Sie ist mir einfach aufgefallen. Und mit auffallen meine ich auffallen. Nicht gefallen. Auffallen.

Weil wir nicht in dieselbe Klasse gehen, hatte ich bisher nie viel mit ihr zu tun. Die paar Male, die wir uns über den Weg gelaufen sind, habe ich ihr nachgesehen, bis sie weg war. Aber damit ist sie keine Ausnahme. Es gibt viele Menschen, denen ich nachschaue. Ich sehe Menschen gerne an. Das ist einfacher, als mit ihnen zu reden.

Jetzt sieht sie mir direkt in die Augen und drückt mir ein Bier in die Hand. »Halt mal«, sagt sie und ich tue, was sie sagt. Halte ihr Bier und sehe ihr schon wieder nach. Sie schiebt sich an ein paar Herumstehenden vorbei und springt zu einem Mädchen auf die Bühne, die Anthony aus zusammengeschobenen Tischen gebaut hat.

Anthony hat die größte Auswahl an Karaoke-Liedern, die ich kenne. Ich kann Karaoke nichts abgewinnen, aber die meisten drehen total durch, wenn sie Anthonys Bühne sehen, und tragen sich reihenweise in Listen ein.

Anthony selbst verbringt einen großen Teil seiner Partys hinter dem Laptop, aber das scheint ihn nicht zu stören. Er schaltet die Musik zu und Nadines Freundin beginnt, ins Mikrofon zu grölen. Nadine macht Background Vocals. Ich kenne das Lied nicht, aber es klingt nicht so, als wären im Original Background Vocals vorgesehen. Die Freundin springt wild herum und brüllt ins Mikro, Nadine bekommt einen Lachanfall und kann nicht weitersingen. Sie hüpft nur noch kichernd auf der Bühne herum.

Inzwischen ist mir Lukas gefolgt. Er stößt mich an und verdreht die Augen. »Die spinnen echt.« Dann greift er nach der Bierflasche in meiner Hand.

Ich halte sie fest. »Geht nicht. Die gehört Nadine.« Auch wenn ich mir vorgenommen habe, heute nur Englisch zu reden, mit Lukas kann ich das nicht. Englisch ist sein wunder Punkt. Besser gesagt ist die Klein sein wunder Punkt und die ist blöderweise unsere Englischlehrerin.

»Ach komm. Die hat doch schon längst drauf vergessen.«

Ich schüttle den Kopf und lasse die Flasche nicht los. Lukas zuckt die Achseln und macht sich auf Richtung Küche, um sich eine eigene zu holen. Als er zurückkommt, ist Jeremy fast schon verschwunden. Mit Lukas zusammen funktioniert Jeremy nicht.

Das Letzte, was von Jeremy noch da ist, ist Nadines Bierflasche. Es tut gut, sie zu halten und Nadine zuzusehen. Es ist eine schöne, einfache Aufgabe. Immer wieder nehme ich einen Schluck davon. Eigentlich will ich gar nicht mehr, als schauen, aber als Nadine fertig gesungen hat, kommt sie zu mir. Das will ich gar nicht. Sie soll da oben bleiben, auf der Bühne. Oder sich von mir aus mit jemandem neben mir unterhalten. Irgendetwas tun, wobei ich ihr zuschauen kann. Aber nicht mit mir reden. Doch sie steuert zielstrebig auf mich zu.

»Ist nichts mehr drin«, sage ich entschuldigend, als sie bei mir angelangt ist. »Tut mir leid. Ich hol dir ein neues.«

Mit dem frischen Bier in der Hand versuche ich, einen Weg zu Nadine zu finden, ohne wieder an Lukas vorbeizumüssen. Ich würde jetzt gerne mit ihr reden. Was auch immer, Jeremy würde schon etwas einfallen. Er würde sie in ein Gespräch verwickeln, über Background Vocals, über Biersorten, über Anthony oder auch nur übers Wetter. Whatever.

Aber Lukas lässt mich nicht. Lukas fühlt sich auf Partys genauso komisch wie Jakob und passt mich an der Wohnzimmertür ab. Mit Lukas an der Seite schafft es Jakob gerade noch, Nadine das Bier in die Hand zu drücken und auf ihr Lächeln ein bisschen den Mund zu verziehen, bevor er sich umdreht und den Raum verlässt.

Ich versuche mir einzureden, dass es mir egal ist.

Gegen drei gehen auch die Letzten und ich lasse mich auf die Couch fallen. In meinem Rucksack ist mein Pyjama, aber ich bin zu müde, um ihn auszupacken. In Jeans und Pulli wickle ich mich in die Decke, die Anthony mir zugeworfen hat.

Lukas ist schon eine Zeit lang weg, seine Mutter hat ihn mit dem Auto abgeholt. Macht sie oft. Sie ist eine Nachteule, meint sie, und es stört sie nicht, um zwei Uhr früh durch die Gegend zu fahren. Bis jetzt hat sie mich immer mitgenommen. Aber ich muss da nicht mehr hinaus. Ich wohne jetzt in der Stadt. Ich ziehe die Decke enger um mich, drehe mich zur Seite und lächle ins Sofa hinein.

Ich muss da nicht mehr hin.

Ich wache davon auf, dass Anthony rund um die Couch Sachen einsammelt.

»Sorry«, flüstert er, als er merkt, dass er mich geweckt hat. »Irgendwann muss ich damit anfangen.«

»Schon okay«, murmle ich verschlafen.

Anthony grinst. »Mit dem Staubsaugen warte ich noch, keine Sorge.«

Ich döse nochmal ein, schrecke aber gleich wieder hoch, als die Türklingel läutet. Wenig später höre ich Nadines Stimme im Vorzimmer. »Die muss irgendwo hier liegen.«

»Hast du Nadines Geldbörse gesehen?«, ruft Anthony.

Ich antworte nicht, denn ich bin offiziell wieder eingeschlafen. Gesehen habe ich sie so oder so nicht.

Anthony und Nadine kommen ins Wohnzimmer. »So ein Scheiß«, flucht Nadine.

»War da viel drin?«

»Geld nicht, aber Schülerausweis und so.«

»Liegt bestimmt hier irgendwo«, sagt Anthony. »Du hast den ganzen Nachmittag Zeit zum Suchen.«

Ich höre, wie Nadine Türen öffnet und schließt, Mäntel an der Garderobe durchsucht und Gläser auf die Seite schiebt. Lange geht das so. Anthonys Haus ist groß.

Dann beugt sie sich über mich und kramt hinter der Couch herum, auf der ich liege. Ich halte die Augen geschlossen und bemühe mich, gleichmäßig zu atmen. Schließlich schlafe ich und wache nicht auf, nur weil Nadines Arm über meinem Gesicht ist. Nadine riecht nach Gewürzen, die ich nicht kenne. Ich weiß nicht, ob das ihr Shampoo ist oder ihr Deo. Ich weiß nur, es bringt mich völlig durcheinander.

Ich stelle mir vor, wie sie den Arm einfach auf meine Brust fallen lässt und sich neben mich legt, und dann versuche ich schnell, mir etwas anderes vorzustellen, weil das mit dem gleichmäßigen Atmen nun überhaupt nicht mehr funktioniert und ich mir nicht vorstellen will, wie Nadine reagiert, wenn sie das merkt.

Schließlich sucht sie bloß ihre Geldbörse und stellt viel zu schnell fest, dass sich diese definitiv nicht hinter der Couch befindet.

Ich muss nochmal eingeschlafen sein, denn das Nächste, was ich sehe, sind die Rücken von Nadine und Anthony. An meine Couch gelehnt sitzen sie vor dem Bildschirm und spielen Autorennen ohne Ton.

Nadine dreht sich zu mir um. »Guten Morgen!«

»Endlich!« Anthony dreht den Ton auf. »So machts doch gleich viel mehr Spaß.«

Mein Rücken tut weh und ich habe einen komischen Geschmack im Mund. Außerdem muss ich aufs Klo. »Ich geh mal duschen«, sage ich.

Das ist etwas, was ich von Jeremy schnell gelernt habe. Mich immer gleich zuhause zu fühlen oder zumindest so zu tun, als ob.

In der Dusche fällt mir auf, dass jemand in Anthoys Haushalt das gleiche Duschgel benutzt wie Andi blueballoon. Aus dem Wohnzimmer höre ich die Musik düdeln und Nadine fluchen. Dann drehe ich den Duschstrahl auf.

Mit Sandelholzduft im Haar fühle ich mich gleich ein bisschen mutiger. Zurück im Wohnzimmer tippe ich Anthony auf die Schulter. »Kann ich auch mal?«

»Sicher.« Ohne zu zögern drückt er mir den Controller in die Hand, woraufhin sein Fahrzeug prompt von der Strecke fällt und von einer lächelnden Wolke wieder nach oben gebracht wird.

»Doch nicht mitten im Spiel!« Ich versuche, das Beste aus der Situation zu machen, kriege aber den Wagen nicht mehr auf eine gerade Spur, so sehr ich mich auch bemühe. Egal, es gibt noch eine Runde. Und eine nächste. Und übernächste.

Nach diesem Nachmittag weiß ich noch immer nicht viel über Nadine. Ich weiß, dass sie nicht singen kann und verdammt gut Mario Kart spielt. Weiß, dass sie ihre linke Augenbraue heben kann, ohne mit der rechten dasselbe zu tun. Und weil ich Sandelholz im Haar habe, habe ich sie gefragt, ob sie das auch umgekehrt vormachen kann. Rechts heben, links nicht. Konnte sie nicht.

»Und jetzt du«, hat sie mich aufgefordert und mich mit ihrer linken Augenbraue zum Lachen gebracht.

Aber bei mir ist da keine Chance. Nicht mal Jeremy kriegt die Brauen zu unterschiedlichen Zeitpunkten hoch. Da heben sich immer beide.

Morgen ist woanders

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