Читать книгу Morgen ist woanders - Elisabeth Etz - Страница 28
Franzosengraben
ОглавлениеGemeinsam mit Peter reihe ich mich in die Schlange ein, um unser nichtvorhandenes Ticket herzuzeigen. Als wir dran sind, reckt Peter das Kinn in die Höhe. »Wir müssen zu Tom.«
›Irgendeiner heißt immer Tom‹, hat er mir davor erklärt.
»Welcher Tom?«, will der Kartenabreißer wissen.
»Tom Tom«, sagt Peter mit unfreundlichem Tonfall. »Tom organisiert hier das Ganze.«
Ein bulliger Typ, der an der Nachbarschlange die Tickets kontrolliert, wirft einen misstrauischen Blick auf uns. »Ich organisierte hier das Ganze.«
»Das ist ein Bluff«, flüstert mir Peter zu. »Wer immer das organisiert, hat jetzt gerade Besseres zu tun, als Karten abzureißen.« Dann wird er wieder laut: »Ich muss Tom was geben.«
Hinter uns beginnen die Leute zu maulen. »Jetzt macht endlich weiter.«
Der bullige Typ verlässt seine Schlange und baut sich vor uns auf. »Es gibt keinen Tom und ohne Ticket kommt ihr hier nicht rein. Haut ab.«
»Sonst funktioniert das immer«, meint Peter niedergeschlagen, als wir wieder vor dem Gebäude stehen. »Keine Ahnung, was der wollte.«
»Ist doch egal«, meine ich. »Wir haben es zumindest versucht.«
Peter schüttelt den Kopf. »Wir kommen rein. Ich komm immer rein. Das wäre doch gelacht.«
Das Gebäude sieht aus wie eine alte Fabrik. Wir gehen außen an der Mauer entlang bis zur Kreuzung, an der sich zwei mehrspurige Straßen treffen. Peter zeigt auf drei Verkehrsschilder, auf dem vierten darunter steht ›Ende‹. »Da kann man rauf«, sagt er. Ich blicke nach oben. Die Mauer, die neben uns mit ihren Graffiti weit in die Höhe ragt, hat tatsächlich einen kleinen Vorsprung. Eine Art metallener Sims oberhalb der Werbetafeln, die unten angebracht sind. Breit genug, um darauf zu balancieren. Aber auch hoch genug, um sich ziemlich sicher zu verletzen, wenn man da runterfällt.
Ich schiebe diese Gedanken beiseite. Jeremy hat keine Angst. Jeremy macht sowas bestimmt auch nicht zum ersten Mal. Er steigt, ohne zu zögern, in Peters verschränkte Hände, als der ihm Räuberleiter macht.
Es gibt praktischerweise einen kleinen Vorsprung, auf den ich steigen kann, als ich mich zwischen Schildern und Mauer hinaufhangle, bis ich auf dem Sims stehe. Er ist schmäler, als es von unten ausgesehen hat, und leicht schräg. Ich merke, wie meine Knie zittern. Keuche und warte, bis sich mein Atem beruhigt. Peter kommt mir scheinbar ohne Mühe nach. »Los, schnell weiter«, zischt er, weil ich planlos und nervös herumstehe.
Also stütze ich mich mit der linken Hand an der Mauer neben mir ab. Die rechte ausgestreckt, um die Balance zu halten.
Ich spüre Peters Hand zwischen meinen Schulterblättern. »Da vorne, wo der Efeu ist, geht’s runter.«
Vorsichtig schiebe ich einen Fuß vor den anderen. Irgendwie schaffe ich es tatsächlich, bis dorthin zu gelangen, wo der Efeu beginnt, die Wand entlangzuwachsen. Hier hört die hohe Mauer auf und man kann in den Innenhof des Gebäudekomplexes springen. Ohne Knochenbruch.
»Na los!« Peter sieht sich schnell um. »Grad schaut niemand.«
Einfach nicht denken. Einfach Jeremy sein. Einfach machen.
Kurz befürchte ich, dass meine Armmuskeln zu schwach sind, um mich langsam an der Innenseite herunterzulassen, und dass ich ungebremst die Wand runterrutschen werde. Doch Jeremy hat Muskeln. Jeremy kann das.
Unten angekommen klopfen wir uns den Dreck von Hosen und Jacken. Mein Herz rast und meine Muskeln zittern. Ich will mir vor Peter nichts anmerken lassen und versuche, lässig auszusehen, als ich mich auf eine der Holzbänke sinken lasse.
»Letztes Mal, als ich das versucht hab, hat mich die Security rausgeschmissen.«
Ich sehe ihn mit großen Augen an. »Und du probierst es trotzdem noch einmal?«
Peter grinst. »Ich wollt mir beweisen, dass ich das kann«, sagt er.
»Und dir.«
Ich schüttle den Kopf. »Mir hättest du nichts beweisen müssen.«
Peter grinst noch breiter. »Aber du findest schon gut, dass wir drin sind, oder?«
Ich sehe mich um. Er hat recht. Jeremy findet es sehr gut hier. Jeremy lässt sich auch von keiner Security erwischen.
Und ich, Jakob, bin auch drin.
Die erste Band hat einen lateinischen Namen und ist hauptsächlich laut. Peter wirbelt seine Haare durch die Luft. Ich trete von einem Bein aufs andere und grinse. Ab und zu nehme ich einen Schluck von seinem Getränk, das sowieso ich in der Hand halte, weil Peter mit wildem Zucken beschäftigt ist.
In der Umbaupause zwischen zwei Bands stößt Peter mich an und deutet auf die Armbänder, die außer uns alle tragen. »Komm, wir holen uns auch eins.«
Peters Hobby scheint es zu sein, verbotene Dinge zu tun. Ein Armband zu besorgen hat nämlich überhaupt keinen Sinn, schließlich sind wir schon auf dem Festivalgelände. Es ist auch unmöglich, eines zu ergattern. Die Leute vom Einlass halten die gut unter Verschluss und binden sie nur den Leuten ums Handgelenk, die ein Ticket vorweisen können.
»Das ist doch verschwendete Zeit«, protestiere ich.
Peter scheint das einzusehen. »Dann lass uns zum Merchandise-Stand gehen.«
Ich folge ihm zum Stand im Vorraum, an dem bereits einige Leute stehen und sich durch T-Shirts, Schlüsselanhänger, Taschen und CDs wühlen, die auf dem Tisch liegen.
»Ich hol mir ein T-Shirt«, lässt mich Peter wissen.
Ich finde es eigentlich nicht okay, hier vom Merch-Stand Sachen mitgehen zu lassen. Aber ich will Peter nicht enttäuschen. Warum muss Jakob auch ständig so korrekt sein?
Trotzdem, ich finde, es gibt einen Unterschied zwischen keinen Eintritt zahlen und einfach einer Band etwas stehlen. Keine Ahnung, wie viel man als Teil einer Metal-Band so verdient, vielleicht ist es denen auch egal, wenn was fehlt. Aber ich habe im Moment selbst so eine beschränkte Anzahl an Dingen, dass ich mir nicht vorstellen will, wie es wäre, wenn sich da jemand einfach so bedient.
Aber Jeremy denkt nicht so. Jeremy macht einfach.
Ein Schlüsselband hat bestimmt nicht viel gekostet, rede ich mir ein, als ich das Ding von der Tischfläche ziehe, während Peter die beiden Verkäufer in ein Ablenkungsgespräch verwickelt.
Draußen vergleichen wir unsere Schätze. »Mager«, kommentiert er meine Beute und präsentiert mir seine: ein T-Shirt mit dem Logo einer der Bands.
»Ich brauche sonst nichts«, behaupte ich, obwohl ich frische T-Shirts durchaus gebrauchen könnte, nur keine mit Heavy-Metal-Aufdruck drauf. Einen Schlüsselanhänger an einer Hundeleine brauche ich definitiv nicht, aber das muss Peter nicht wissen. »Ich habe immer die Panik, dass ich die Schlüssel meiner hosts verliere, da ist so etwas praktisch.« Das ist sogar nicht mal gelogen. Nur die Totenköpfe, die das Band zieren, finde ich ein bisschen kindisch.