Читать книгу Radwanderung in Kanada - Elisabeth Naumann - Страница 8
20.6.
ОглавлениеWir hatten trotzdem gut geschlafen. Zeitiges Aufstehen war am Morgen angesagt, denn die „Quintette Tunnels“, gleich hier bei Hope, waren ein Touristenmagnet, und diesem Ansturm wollten wir zuvorkommen. Den Einstieg in den ersten, noch erhalten gebliebenen Abschnitt der alten Bahnstrecke hatten wir auch bald gefunden. Die teils bemooste, teils begraste Trasse ließ sich gut fahren. Der Wind hatte nachgelassen, es war ziemlich kühl, aber es regnete nicht. Zu beiden Seiten alte Bäume mit grünen, moosbedeckten Stämmen, dazwischen hingen Nebelfetzen. Zu unserer Rechten rauschte tief unten das Wasser. Und plötzlich, wie aus dem Nichts stand er da, der erste der fünf Othello-Tunnel. In den Fugen seines verwitterten Mauerwerkes hatten sich Moose, Farne und sogar einige Blütenpflanzen angesiedelt, zu unseren Füßen aber stiebte der Coquihalla. Kaum dass wir uns an diesem Anblick satt gesehen hatten, folgten die weiteren Highlights. Der zweite sowie der dritte Tunnel bildeten eine Art Siamesische Zwillinge, sie waren gewissermaßen zusammengewachsen, von oben drang das Tageslicht hindurch. Dann wieder glaubte man sich in einer Art Galerie, durch die hohen Bogenfenster konnte man vom Tunnel aus in die enge Schlucht blicken und auf das hoch aufschäumende Wasser. Holzbrücken, die das tosende Coquihalla Canyon überspannten, verbanden einen Tunnel mit dem anderen. Romantik pur – und nur wir zwei. Es ist schwer zu sagen, was hier beeindruckender war, der Blick von den Brücken hinab in das schäumende Canyon, die üppig bewachsenen Tunnelwände oder die Nebelbänke, die die schmale Schlucht bisweilen fast gespenstisch erscheinen ließen? Es war gewiss das unvergleichliche Gesamtbild und auch die Einsamkeit, die dem Canyon den besonderen Reiz verliehen.
Gerade hatten wir den letzten Tunnel erreicht, da strömten sie uns entgegen – Japaner. Ihre Busse standen nur wenige Meter entfernt auf einem Parkplatz, einer Betonfläche, der die ehemalige Bahnstrecke hatte weichen müssen. Die romantische Stimmung, in der ich soeben noch geschwelgt hatte, bekam einen Schlag ins Genick.
Vergeblich versuchten wir dem Buch zu entnehmen, wie weit wir auf der sich anschließenden Asphaltstraße fahren mussten, bevor wir wieder auf die Bahntrasse konnten. So sehr wir uns auch die Augen verbogen, vorerst schien es keinen Einstieg zu geben.
Im Buch kamen wir also nicht weiter, und so holten wir die Landkarte hervor. Sie besagte, dass Brookmere, einst auch an der alten Bahnlinie, als nächster Ort 86 Kilometer entfernt war, doch dazwischen musste der Coquihalla-Pass mit 1.244 Metern überwunden werden. Nicht eben verlockend. Und wenn sich bisher der Nebel nur leicht abgenieselt hatte, so begann es jetzt auch noch zu regnen und das Thermometer zeigte gerade mal 12 Grad. Das gab den Ausschlag.
Die Othello Tunnels konnten außerdem auch mit einem Campingplatz aufwarten, und so entschlossen wir uns, an Ort und Stelle, zu bleiben, obwohl noch nicht einmal Mittagszeit war. Wir erhielten unter den „big trees“ den besten Stellplatz, wie uns der Chef gönnerhaft mitteilte; dabei waren wir die einzigen Besucher. Unter den zwei riesigen Bäumen stand unser Zelt tatsächlich im Trockenen. Nur, als am Nachmittag der Regen aufhörte und stattdessen Wind einsetzte, kamen ganze Ladungen von den big trees herab, und so zogen wir es vor, lieber die nähere Umgebung zu durchstreifen.