Читать книгу Die Insel der vergessenen Hunde - Elise Lambert - Страница 5
ОглавлениеKapitel 1
»Und ich werde doch auf die Insel gehen! Da kannst Du Dich auf den Kopf stellen!«
Claire Bennett sah ihren Bruder Mark gar nicht an und fuhr ungehindert mit dem Kofferpacken fort.
»Aber Claire, sei doch vernünftig! Du allein in Spanien auf einer Finca mitten in den Bergen. Das ist doch viel zu gefährlich!«
Seit einer halben Stunde versuchte Mark Bennett nun bereits, seine ältere Schwester umzustimmen, aber vergeblich. Was sich die wunderschöne Frau mit ihren langen, blonden Engelslocken einmal eingebildet hatte, das führte sie auch durch. Und sie hatte es sich nun mal in den Kopf gesetzt, ein Jahr auf Gran Canaria zu verbringen, um dort ihr neues Buch zu schreiben.
Mark schüttelte resignierend den Kopf. Seiner großen Schwester sah man ihre 40 Jahre wirklich nicht an. Ihre tadellose, sehr weibliche Figur mit den üppigen Brüsten steckte in einer hautengen schwarzen Jeans und einer weiten, schwarzen Baumwollbluse, die in der Hüfte von einem breiten Gürtel aus ineinander verschlungenen Messingringen zusammengehalten wurde. Der um zwei Jahre jüngere Rechtsanwalt wollte sich gar nicht ausmalen, was Claire auf der kanarischen Hauptinsel so ganz alleine alles passieren könnte.
»Du wirst Freiwild für jedes männliche Wesen im Umkreis von zig Kilometern sein. Die Spanier sind bekannt für ihre Heißblütigkeit!«
»Was noch lange nicht bedeuten muss, dass sie über jedes weibliche Wesen herfallen, dass ihnen in die Quere kommt«, unterbrach Claire ihren besorgten Bruder. »Mensch Mark, entspann Dich mal wieder! Ich bin schon ein großes Mädchen und werde auch ganz bestimmt gut auf mich aufpassen.«
Claire unterbrach das Kofferpacken und nahm ihren Bruder fest in die Arme.
»Kleiner Bruder, ich versteh ja, dass Du nur mein Bestes willst, aber ich muss hier raus! Ich habe mich die letzten zwei Jahre rund um die Uhr um Vater gekümmert. Versteh mich bitte nicht falsch! Ich habe es gerne getan. Aber jetzt, wo er tot ist, brauche ich mal eine Auszeit. Ich will raus in die Natur, meine Ruhe haben und dann endlich wieder ein Buch schreiben. Mein Verleger wird schon ganz ungeduldig.«
»Und was ist mit Lilly?«
Mark erwiderte die Umarmung, als könne er sie so festhalten und am Abreisen hindern.
»Was soll schon mit Lilly sein? Sie ist erwachsen. Na, fast auf jeden Fall. Sie studiert in Berlin, steht auf eigenen Beinen. Und ob sie nun alle paar Wochen nach München fliegt oder nach Las Palmas, um mich zu besuchen, ist doch auch egal.«
»Ach Clärchen«, Mark strich ihr eine vorwitzige Locke aus dem Gesicht, »kann ich Dich denn mit gar nichts umstimmen?«
»Du sollst mich nicht immer Clärchen nennen«, schmollte Claire gespielt beleidigt, »und Du kannst mich nicht umstimmen!«
»Aber wenn Du Hilfe brauchst, dann wirst Du mich sofort anrufen! Ich setze mich dann in den nächsten Flieger und bin zur Stelle, versprichst Du mir das?«
»Ja, versprochen! Du darfst mich jetzt auch zum Flughafen fahren.«
Claire sah sich noch einmal prüfend um, ob sie auch nichts vergessen hätte. Sie war froh, nun endlich aus der alten, angestaubten Villa mit ihrem wuchtigen, einengenden Mobiliar heraus zu kommen. Hier fehlte ihr die Luft zum Durchatmen. Und außerdem war überall noch die Anwesenheit ihres verstorbenen Vaters zu spüren.
Zwei Jahre lang hatte sie ihn hier gepflegt, nachdem er nach einem Schlaganfall an den Rollstuhl gefesselt und ein Pflegefall geworden war. Ausgerechnet er, der starke, über alles erhabene Rechtsanwalt Dr. Theodor Bennett lag hilflos im Bett wie ein Baby. Die Zeit war nicht einfach für Claire. Oft musste sie ihren Groll hinunterschlucken, wenn ihr Vater wieder herumbrüllte und sie und die verbliebenen Angestellten, ein Hausmädchen, eine Krankenpflegerin und den Gärtner, schikanierte.
Tapfer hatte sie es ertragen und ihre Wünsche und Belange hintenangestellt. Vor einem Jahr war dann auch ihre Tochter Lilly mit 19 Jahren ausgezogen, um in Berlin Medizin zu studieren. Nun war sie ganz allein mit dem grantigen alten Herrn, der keinen Tag vorübergehen ließ, ohne nicht seine verdammte Situation zu verfluchen.
Die Ärzte gaben ihm nach dem Schlaganfall bereits nur noch wenige Monate zu leben. Deshalb willigte Claire auch überhaupt ein, mit Lilly zu ihm in die Villa zu ziehen. Sie kündigte ihre wunderschöne Altbauwohnung im Münchner Stadtteil Schwabing und widmete sich fortan nur noch ihrem Vater, weil sie sich dazu verpflichtet fühlte.
Doch der Alte war ein zäher Kerl und so wurden aus den wenigen Monaten über zwei Jahre.
Vor vier Wochen war er nach einem weiteren Schlaganfall verstorben.
Mark würde nun mit seiner Familie, seiner Frau Franziska und ihrem gemeinsamen zweijährigen Sohn Finn, in die Villa einziehen. Aber natürlich erst, wenn sie das muffige alte Gemäuer nach ihren Wünschen umgestaltet hätten.
*
Der schwere Jeep raste über die Serpentinen der steilen Bergstraße. Aber Isabel war hier aufgewachsen. Sie kannte jede Biegung, jeden Felsbrocken, der vorwitzig aus dem Bergmassiv hervorlugte. Selbst jede Bodenwelle war ihr vertraut. Viele tausend Male war sie diese Strecke schon gefahren. Niemals würde sie unachtsam ihr Leben und vor allem das ihres kleinen Sohnes Alejandro gefährden. Aber sie mussten hier weg. Keinen Tag länger wären sie mehr sicher gewesen. Tapfer versuchte sie, ihre Nervosität vor Alejandro zu verbergen und sang ein fröhliches Kinderlied mit dem Sechsjährigen. Dabei sah sie ständig in den Rückspiegel, bis sie plötzlich den Verfolger hinter sich wahrnahm.
Meter um Meter verringerte sich der Abstand zwischen der schwarzen Limousine und dem Jeep. Isabel erbleichte. Aus dem Fond ertönte ein tiefes Grollen. Osito, der schokoladenbraune Labrador, erkannte die Gefahr ebenso und warnte eindringlich. Mit giftigen Blicken und der Stimme eines gefährlichen Raubtieres versuchte er, seine beiden geliebten Menschen zu schützen.
Doch dieser ungleiche Kampf war aussichtslos. Schon war die Limousine bis auf wenige Meter herangerückt. Der Fahrer war durch die dunkel getönten Scheiben nicht auszumachen, aber Isabel wusste auch so, wer hinter dem Steuer saß.
Plötzlich ging ein Ruck durch den Wagen. Isabel schrie auf, Osito bellte wie ein Berserker und der kleine Alejandro begann zu weinen. Die schwarze Limousine war aufgefahren. Schnell brachte die junge Frau ihren Wagen wieder unter Kontrolle. Im Rückspiegel sah sie, wie ihr Gegner versuchte, seitwärts zu kommen. Instinktiv fuhr sie Schlangenlinien, um ihn daran zu hindern. Doch nach einer weiteren Biegung ließ die Landschaft eine kleine Ausbuchtung zu. Blitzschnell zwängte sich der Verfolger neben den Jeep und rammte ihn abermals.
Der Jeep kam ins Schlingern und Isabelle versuchte verzweifelt den Wagen in der Spur zu halten. Mehrmals sah sie bereits die Tiefe des Canyons auf sich zu kommen.
In einer kantigen Kurve setzte der Fahrer der Limousine erneut zum Angriff an. Mit bösartiger Wut verpasste er seinem Opfer den gnadenlosen Todesstoß.
Isabel spürte, wie die Räder des Jeeps ins Leere griffen. In einem Bruchteil von Sekunden flogen Koffer, Spielsachen und selbst Osito durch den Wagen. Mit schreckgeweiteten Augen sah die junge Mutter den todbringenden Abgrund auf sich zu kommen. Den ersten Aufprall nahm sie noch wahr. Doch dann wurde es um sie herum dunkel. Es folgten mehrere Überschläge, bis der Wagen schließlich auf dem Dach liegen blieb. Eine letzte Staubwolke kroch langsam den Berghang hinauf, erreichte schließlich die schwarze Limousine, die angehalten hatte. Der Verfolger war ausgestiegen und stand nun mit einem eiskalten, überlegenen Lächeln am Abgrund. Triumphierend begutachtete er sein vollendetes Werk. Doch er sah nicht die böse funkelnden Augen, die auf ihn gerichtet waren. Diese Augen brannten sich die Erinnerung an diesen Menschen tief in das Gedächtnis, Vergeltung schwörend … und wenn es bis zum Ende der Zeit dauern sollte.
*
Claire lehnte sich in ihrem Sitz zurück. Sie schwebte bereits hoch über den Wolken und flog ihrer neuen Zukunft entgegen. Noch einmal sah sie sich die Bilder der Finca an, die ihr eine Maklerin zugeschickt hatte. Genau dieses Anwesen sollte es sein. Der wunderschöne alte Sandsteinbau mit Holzläden an den Fenstern und einem kleinen Pool hatte es Claire angetan.
Ein weiterer Punkt, der dafürsprach, den Mietvertrag bereits in wenigen Stunden zu unterzeichnen, war die Tatsache, dass zu dem Haus noch ein kleines Stallgebäude mit Paddock und eingezäunten Weideflächen gehörte. Claire wollte nun endlich wieder ein eigenes Pferd. Sie konnte sich schon gar nicht mehr daran erinnern, wann sie das letzte Mal im Sattel gesessen hatte. Sehnsüchtig ließ sie ihren Blick aus dem kleinen Flugzeugfenster schweifen. Eine Wolkenfront versperrte ihr die Sicht, doch im Geiste war sie für einen Moment dieser Welt entrückt. Sie sah sich auf dem Rücken eines prächtigen Andalusiers sitzen und mit ihm über verschlungene Pfade durch die herrliche Bergwelt Gran Canarias reiten.
»Pardon me, que por favor! - Entschuldigen Sie, Señora, würden Sie sich bitte anschnallen. Wir landen in Kürze!« Die Stimme der freundlichen Stewardess brachte Claire wieder in die Gegenwart zurück.
»Aber natürlich«, entgegnete sie ebenso freundlich zurück und folgte den Anweisungen der Flugbegleiterin, welche das mit einem höflichen Lächeln quittierte.
»Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt auf Gran Canaria, Señora. Ich hoffe, Sie hatten einen guten Flug und wir dürfen Sie bald einmal wieder bei unserer Gesellschaft begrüßen!«. Damit drehte sich die Stewardess bereits um und wandte sich einem anderen Fluggast zu.
Claire streckte sich erwartungsvoll und sah wieder zum Fenster hinaus. Man nahm nun bereits die Häuser und Straßen der Großstadt Las Palmas war.
Der Flughafen war nicht besonders groß, aber unzählige Menschen eilten in und aus allen Richtungen durch die große Halle. Es war Hauptsaison und dementsprechend groß war der Andrang der Touristen.
Claire stand da mit ihren beiden großen Koffern und der Reisetasche und blickte sich suchend um. Louisa Cortez, die Maklerin, wollte sie hier abholen.
»Señora Bennett?«
Claire drehte sich um. Vor ihr stand eine kleine, dralle Mittfünfzigerin und strahlte sie freundlich an. Louisa Cortez hielt ein Schild in der Hand mit Claires Namen darauf und war sichtlich erleichtert, ihre Kundin in all dem Trubel doch so schnell gefunden zu haben.
»Bienvenida! - Herzlich willkommen auf Gran Canaria!«
Die Maklerin hielt Claire zur Begrüßung die Hand hin. Claire erwiderte den Gruß. Doch bevor sie irgendetwas außer dem obligatorischen »Buenos Dias« von sich geben konnte, ergoss sich ein Redeschwall in stark akzenthaltigem Deutsch über sie.
Louisa plapperte munter darauf los.
»Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Flug! Fliegen Sie gerne? Ach ich bin froh, wenn ich nicht fliegen muss, aber der Beruf bringt das manchmal mit sich, verstehen Sie?«
Claire nickte. Eigentlich war sie müde und abgespannt und wollte jetzt nicht groß Konversation machen. So erwiderte sie nur ab und zu eine höfliche Floskel, während Louisa weiter auf sie einredete. Dabei schnappte diese sich einen Gepäckwagen, verstaute Claires Gepäck darauf und begab sich in Richtung Ausgang.
»Kommen Sie Señora Bennett. Lassen Sie uns von hier weggehen! Sie sind doch bestimmt gespannt auf ihr neues Zuhause! Na, hoffentlich gefällt es Ihnen auch!«
»Ich denke schon. Was ich auf den Bildern gesehen habe, war traumhaft! Wie weit ist es denn von hier entfernt?«
»So eine gute halbe Stunde werden wir fahren müssen! Mein Auto steht gleich da vorne!«
Louisa deutete auf eine nagelneue Limousine der gehobenen Klasse. Die Geschäfte schienen gut zu gehen hier auf der Insel.
Claire stieg in das klimatisierte Fahrzeug. Die Fahrt führte sie zunächst durch die Straßen von Las Palmas, der Hauptstadt von Gran Canaria. Ein geschäftiges Treiben herrschte auch hier, doch das verlor sich allmählich.
Sie ließen das gepflegte Wohnviertel der Vorstadt hinter sich und der Wagen schnurrte nun fast geräuschlos auf einer gut ausgebauten Landstraße in Richtung Berge. Unaufhörlich redete Louisa weiter. Erzählte von allem Möglichen, fragte Claire nach ihrem Leben in Deutschland. Wie mechanisch antworte diese, denn mit ihren Gedanken und Gefühlen sog sie die herrliche Landschaft in sich auf, die an ihr vorüberzog. Die Sonne brannte jetzt kurz vor Mittag unerbittlich auf die Erde herab. Der Asphalt spiegelte die Hitzeschwaden wieder, so dass man am Horizont Wasser vermutete.
Kein noch so kleines Detail entging Claires wachsamem Auge. Die bizarre Bergwelt der Kanareninsel faszinierte sie. Zwischen schroffen, rötlich braunen Felsvorsprüngen lugten üppige Palmen hervor, wie man sie in Deutschland nur in Miniaturform in Töpfen kannte. Aus kargen Sandflächen ragten riesige Kakteen.
Nur ab und zu begegneten sie einem anderen Fahrzeug, ansonsten war die Gegend menschenleer.
Doch plötzlich erregte etwas am Straßenrand Claires Aufmerksamkeit. Gelbschwarz gestreifte Absperrbänder, so wie man sie bei der Polizei verwendete, wehten an hölzernen Stöcken traurig im Wind. Louisa war Claires Interesse nicht entgangen. Noch bevor Claire danach fragen konnte, antwortete die Maklerin aus eigenen Stücken.
»Ach, was für eine Tragödie! Hier ist vor fast 2 Wochen eine junge Frau mit ihrem Sohn tödlich verunglückt. Sie sind mit ihrem Auto den Abhang hinuntergestürzt. Viel zu schnell gefahren! Und betrunken war sie auch noch! Wie verantwortungslos! Sie war sofort tot, erzählt man sich! Aber den Jungen, den kleinen sechsjährigen Jungen ... den hat man bis heute nicht gefunden!«
Verständnislos schüttelte sie den Kopf und als Claire sie fragend ansah, setzte sie freimütig ihre Rede fort.
»Die Polizei geht davon aus, dass der kleine Junge von wilden Hunden, die es hier in der Gegend in Massen gibt, gefressen wurde. Stellen Sie sich vor, wie schauerlich der Gedanke. So ein kleines unschuldiges Kind wird von blutrünstigen Bestien zerfleischt. Womöglich hat er noch gelebt! Mi madre! Welche Tragödie!”
Claire schluckte. Die drastische Darstellung ließ auch sie nicht unberührt, obwohl sie eher ein abgeklärter Mensch war.
»Aber der Vater der jungen Frau und Großvater des Jungen hat Rache geschworen! Er ist der mächtigste Mann hier auf der Insel, man nennt ihn den Tomatenbaron. Ihm gehört die größte Tomatenplantage hier auf der Insel und nun sind seine einzige Tochter und der einzige männliche Nachfahre seiner Familie tot. Seither macht er Jagd auf alle wilden Hunde hier in den Bergen.«
Ein leichtes Schaudern lief über Claires Rücken. Der Gedanke an den blutrünstigen Baron bereitete ihr Unbehagen.
Louisa entging dies nicht und sofort wechselte sie das Thema und begann wieder in ihrer geschwätzigen Art die Vorzüge dieses wundervollen Landstriches hervorzuheben. Claire bemühte sich mit betont freundlicher Miene, zuzuhören. Aber im Geiste drehten sich ihre Gedanken immer noch um den dramatischen Unfall.
Nach schier endlosen, langen Serpentinen in das Gebirge bog Señora Cortez schließlich in eine kleine Seitenstraße ein. Auf einem kleinen Schild las Claire den Namen:
Casa des los almas olvidados – Haus der vergessenen Seelen!
»Warum hat die Finca so einen traurigen Namen?«
»Ach das haben sich die Eigentümer so ausgedacht! Sie haben nach dem Grundsatz gelebt, niemandem die Tür zu weisen und jedem ein Dach über dem Kopf und eine Mahlzeit zu gewähren!«
Die Maklerin schüttelte unverständlich mit dem Kopf. Doch Claire fand diesen Gedanken eigentlich höchst löblich und überlegte, wie wohl die Eigentümer waren. Leider würde sie sie nicht so schnell kennenlernen. Das ältere Ehepaar Alvarez weilte für mindestens ein Jahr in den Vereinigten Staaten bei ihrer Tochter. Die Mietverhandlungen wurden allein über Señora Cortez abgewickelt.
In diesem Moment durchfuhr der Wagen die Toreinfahrt zur Finca. Rechts und links thronten auf einer 2 Meter hohen Bruchsteinmauer steinerne Delphine, die in ihrer majestätischen Eleganz das Grundstück zu bewachen schienen.
Der gepflegte Schotterweg war gesäumt von üppig blühenden Oleanderbüschen und mächtigen Palmen. Dahinter befand sich eine Wiese mit Oliven- und Zitronenbäumen, deren reife Früchte Claire sofort ins Auge fielen. Als das Haus, ein alter, restaurierter Sandsteinbau, nach einer kurzen Biegung in Sicht kam, stockte Claire der Atem. So prächtig hatten die Fotos das Anwesen gar nicht erscheinen lassen.
Louisa Cortez hielt den Wagen an. In diesem Moment schwieg sie. Trotz ihrer unbekümmerten Art war sie doch auch Geschäftsfrau genug, um diesen magischen Moment des ersten Anblicks ganz ihrer Kundin zu überlassen. Claire sollte diese Faszination in sich aufsaugen - nur so kamen gute Verträge zustande.
Überwältigt vom Charme des alten kanarischen Landhauses mit seinen braun gestrichenen Holzläden an den bis zum Boden reichenden Sprossenfenstern, schritt Claire die wenigen Stufen bis zur überdachten Veranda hinauf. Überall standen mit bunten Blumen gefüllte Terracottagefäße. Eine Sitzgruppe aus Rattan mit flauschigen Polstern lud zum Verweilen ein.
Die Veranda zog sich um das gesamte Haus herum. Auf der Rückseite erreichte man durch einen gemauerten Torbogen den nicht überdachten Teil. Hier erweiterte sich die gepflasterte Fläche zu einer großzügigen Terrasse. An einer Ecke schien der Boden wie aufgebrochen und ein alter knorriger Olivenbaum streckte seine verzweigten Äste in den Himmel. Um einen Hauptast schlang sich das fast armdicke Seil einer Hängematte. Ihr zweites Ende war mit einem monströsen Haken in der Hausmauer verbunden.
Von der Terrasse aus führten wiederum einige Stufen in den gepflegten Garten. Ein kleiner, gepflasterter Pfad führte zu einem gigantischen Swimmingpool, dessen azurblaues Wasser Claire geradezu anlachte. Die Kacheln im Pool waren nicht wie üblich türkis, sondern leuchteten wie ein unregelmäßiges Mosaik in erdigen und blauen Farbtönen, so dass sie an eine Unterwasserfelsenlandschaft erinnerten.
Claire lächelte spitzbübisch in sich hinein und wusste genau, welches ihre erste Tätigkeit sein würde, wenn die Maklerin erst verschwunden war.
Denn dass sie diese Finca mieten würde, war ihr sofort klar.
»Und, wie gefällt es Ihnen, Señora Bennett?«
»Es ist fantastisch! Einfach ideal für mich! Aber lassen Sie mich nun das Haus von innen sehen. Ich bin ja schon so gespannt!«
Lächelnd schloss Señora Cortez die Haustür auf und ließ Claire eintreten. Auch hier wurde sie nicht enttäuscht. Stilvolle Möbel im landestypischen Flair präsentierten sich in jedem Raum. Alles blitzte und blinkte vor Sauberkeit. Nichts ließ irgendwelche Wünsche offen.
Abrupt wendete sich die Deutsche zu der Maklerin um. Sie verspürte den Gedanken, sofort alles in Besitz zu nehmen und sich häuslich niederzulassen. Dazu musste sie aber Señora Cortez möglichst schnell loswerden.
»Also ich nehme die Finca auf jeden Fall! Sie haben mir ja den Mietvertrag bereits zugeschickt und ich bin mit allen Bedingungen einverstanden.«
Claire griff in ihre Handtasche und brachte den Vertrag sowie einen ausgefüllten Scheck über Kaution und Miete zum Vorschein.
Louisas Augen glänzten und sie lächelte überschwänglich. Solche Kunden mochte sie am liebsten. Nicht lange reden, nicht viel verhandeln, sondern gleich ordentlich bezahlen. Sie händigte Claire im Gegenzug die Schlüssel aus und eine Liste mit Adressen und Telefonnummern.
»Zweimal die Woche kommt Rosa Munioz zum Saubermachen. Es sei denn, Sie wünschen es anders. Das können Sie mit ihr selbst ausmachen. Für den Garten haben die Alvarez einen jungen Mann aus dem Ort eingestellt, José! Er ist sehr zuverlässig und tüchtig. Zwar ist er ein wenig ... na ja ... ein wenig beschränkt im Kopf, aber das braucht sie nicht zu stören. Er redet viel Unsinn, doch er ist ein harmloser Kerl. Er liebt die Natur und besonders die Pflanzen und so sehen seine Gärten auch aus. Immer aus dem Ei gepellt. Er kümmert sich um mehr Anwesen hier in der Gegend ... kommt und geht, wann er will...! Hauptsache, seine Arbeit ist gut! Und, glauben sie mir, es gibt keinen Besseren.«
Froh, sich um nichts selbst kümmern zu müssen, nickte Claire nur zustimmend mit dem Kopf.
Unbekümmert plapperte die Maklerin weiter drauf los. »Hier sind noch die Schlüssel für den Mietwagen. Der steht in der Garage. Ein Jeep, wie sie gewünscht haben! Die Papiere liegen auf dem Schreibtisch.«
»Ach ja prima, vielen Dank Señora! Was ich Sie noch fragen wollte! Gibt es hier in der Gegend jemanden, der Pferde zu verkaufen hat?«
»Sie möchten ein Pferd? Da wenden Sie sich am besten an Diego Rodriguez da Silva. Ihm gehört das größte Gestüt. Seine Pferde sollen klasse sein. Vielleicht auch nicht ganz billig, aber das kann ich nicht beurteilen. Mit Pferden habe ich nichts zu tun. Sie sind mir unheimlich!«
»Und wo finde ich diesen Diego?«
»Sein Gestüt ist gar nicht weit von hier. Sie fahren auf der Straße noch ein Stückchen weiter und biegen bei der nächsten Gelegenheit recht ab. Es steht ein großes Schild an der Straße, Sie können es gar nicht verfehlen.«
***