Читать книгу Die Insel der vergessenen Hunde - Elise Lambert - Страница 7
ОглавлениеKapitel 3
Am nächsten Morgen wurde Claire durch ein lautes Gepolter, gefolgt von unzähligen spanischen Flüchen, geweckt. Eilig stand sie auf, schlüpfte in T-Shirt und Shorts und rannte zur Galerie. Über das schmiedeeiserne Geländer konnte sie das ganze Wohnzimmer überblicken. Eine kleine dralle Frau, etwa in den Fünfzigern, werkelte mit Besen und Schaufel neben einem zerbrochenen Blumentopf vor dem Fenster. Sie war mit einem geblümten Sommerkleid und einer Schürze bekleidet, ihre schwarzen Haare, an den Ansätzen schon leicht ergraut, waren zu einem Dutt hochgesteckt. Das musste Rosa sein, die Putzhilfe. Schmunzelnd vernahm Claire Rosas temperamentvolle Schimpftirade. Um sich bemerkbar zu machen, räusperte sie sich leicht: »Guten Morgen!«
Ruckartig schnellte die Hausangestellte in die Höhe und drehte sich um. Ihr erschrockener Blick ging nach oben. Als sie Claires freundliche Miene sah, erhellte sich ihr Gesichtsausdruck jedoch sofort.
»Oh, guten Morgen Señora! Entschuldigen sie bitte vielmals! Ich wollte sie nicht aufwecken! Mir ist nur der Blumentopf umgefallen und zerbrochen ... ich werde ihn selbstverständlich bezahlen…!« Noch bevor Claire etwas erwidern konnte, setzte Rosa ihren Redeschwall fort.
»Ich bin übrigens Rosa! Señora, haben Sie gut geschlafen? Ich habe Ihnen schon Frühstück gemacht! Möchten Sie lieber Tee oder Kaffee? Frische Brötchen habe ich auch schon besorgt!« Mit einem Strahlen im Gesicht und Stolz über ihren Arbeitseifer grinste sie Claire nun an.
Claire war inzwischen die Treppe hinuntergegangen, erwiderte das freundliche Lächeln ihres Gegenübers und stellte sich vor: »Claire Bennett! Guten Morgen!« Und schließlich fügte sie noch hinzu: »Danke, ich nehme lieber Kaffee!«
Nach einem ausgiebigen Frühstück beschloss Claire einen Ausflug zu dem, von Louisa Cortez empfohlenem Gestüt zu machen. Sie tauschte die Shorts mit einer dunkelgrauen, enganliegenden Reithose mit Wildlederbesatz, die ihre weibliche Figur besonders gut unterstrich. Dazu suchte sie eine blütenweiße kurzärmelige Bluse, sowie eine ärmellose schwarze Wildlederweste.
Während sie in ihre schwarzen Reitstiefel schlüpfte, warf sie noch einen letzten Blick in den großen Spiegel, um ihr Erscheinungsbild zu überprüfen. Mit dem Ergebnis war sie durchaus zufrieden - schnell noch ein farbloses Lipgloss aufgetragen und fertig!
Leise schnurrte der schwere Jeep über die Serpentinen der Bergstraße. Claire war mit dem neuen Wagen sehr zufrieden. Louisa Cortez hatte eine gute Wahl getroffen.
Mit mäßigem Tempo fuhr Claire durch die wundervolle, aber auch bizarre Bergwelt der Insel. Sie wollte möglichst viele Eindrücke in sich aufsaugen. Der Ballast der Vergangenheit fiel von ihr ab und sie spürte, wie ihr altes Leben, ihre Lust nach Freiheit und Abenteuer, wieder zurückkam.
Sie sah das gelbe Absperrband schon von weitem im Wind flattern. Magisch wurde sie von der Stelle angezogen. Sie stoppte den Wagen in einer kleinen Nische und stieg aus. Langsam schritt sie zum Abgrund, den die junge Frau mit ihrem kleinen Sohn hinunter gestürzt war. Das Wrack lag noch immer dort. Es mutete gespenstisch an, wie die Reifen sich nach oben reckten, als ob sie nach Hilfe suchen würden. Claire schauderte. Aber ihr kriminalistischer Spürsinn ließ sie dennoch neugieriger werden. Sie suchte nach einer Stelle, an der sie den Abhang hinunterklettern könnte. Aber die scharf gezackten Felsen gaben keinen Weg frei. Wenn überhaupt würde man nur durch den Canyon zu der Unfallstelle kommen. Enttäuscht wandte sich Claire ab und ging zu ihrem Wagen zurück. Dabei nahm sie sich fest vor, das zurückgelassene Wrack näher anzusehen. Eine innere Stimme zwang sie dazu, sie konnte nicht anders. Die Geschichte ließ sie nicht mehr los.
Und wieder war es ihr, als würde sie beobachtet. Deutlich spürte sie die Blicke in ihrem Rücken. Doch als sie sich umsah, konnte sie nichts ausmachen. Unbehaglich setzte sie sich schnell ins Auto und schloss die Tür hinter sich.
Claire war eine der begnadetsten Kriminalautorinnen dieser Zeit. Ihre Bücher wurden durchwegs zu Bestsellern. Umso enttäuschter war auch ihre Fangemeinde, dass es nun seit mehr als zwei Jahren keine Neuerscheinung mehr gab. Frederik Martens, ihr Verleger und guter Freund, dankte deswegen auch dem Himmel, als ihm Claire eröffnete, sich für ein Jahr auf Gran Canaria niederzulassen, um hier ein neues Buch zu schreiben.
Angst kannte sie normalerweise nicht. Auch jetzt war es kein Gefühl von wirklicher Angst, eher die Ungewissheit, dass da irgendetwas war, dessen Ursprung sie nicht kannte. Entschlossen diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen, startete sie die Zündung.
»Cría de caballos cartujanos« konnte man auf dem Schild lesen. Claire bog in die Seitenstraße ein. Beide Seiten des Weges wurden von großzügigen Weideflächen gesäumt. Die Leiber der grasenden Pferde glänzten im Sonnenlicht. Ein paar vorwitzige Fohlen spielten Jagen, ansonsten ging eine friedliche Stille von den Tieren aus. Beim Anblick dieser wundervollen Stuten mit ihrem Nachwuchs stockte Claire der Atem. Cartujano, zu Deutsch Karthäuser, war eine edle spanische Barockrasse, großrahmig schwer und trotzdem voller Eleganz.
Überwältigt von ihren ersten Eindrücken fuhr Claire in den Hof des prunkvollen Gestütes ein. Voller Vorfreude stieg sie aus und sah sich weiter um.
Rechts und links waren langgezogene Stallgebäude mit kleinen Ausläufen auf ihrer Rückseite. Aus manchen, der halb geöffneten Boxentüren lugten neugierige Pferdeköpfe heraus. Mit geblähten Nüstern versuchten sie, sogleich Witterung von dem Besuch aufzunehmen. Von einem etwas weiter entfernten Paddock ließ ein aufgeregter Hengst einen Warnruf ertönen. Pflichtbewusst ermahnte er seine Stuten zur Vorsicht. Doch gleichzeitig empfing er von der blonden Frau ein friedliches Signal, das ihn wieder ruhig stimmte. Majestätisch hob er den Kopf und ihre Blicke trafen sich. Eine unsichtbare Brücke verband ihre Seelen, und ohne weiter darüber nachzudenken, schritt Claire auf das stolze Tier zu, das nun erwartungsvoll mit dem Vorderhuf im Staub scharrte.
Nur noch wenige Meter trennten Claire von dem Hengst. Sie bewunderte die majestätische Schönheit. Die leicht gekräuselte, überlange Mähne bedeckte einen muskulösen Hals. Unter einer wasserfallähnlichen Ponysträhne blickte man in zwei lang bewimperte, funkelnde, rabenschwarze Augen. Sein kantiges Gesicht, dessen graues Fell von leichten Silberschatten überzogen war, zeugte von seiner edlen Abstammung. Der Körper strotzte nur so vor Kraft, jeder einzelne Muskel war deutlich definiert.
Fast demütig senkte Claire den Blick, bekundete ihre friedliche Absicht. Langsam streckte sie dem Tier ihren Handrücken zu.
Aufgeregt wippte der Hengst mit seinen Kopf auf und ab. Er, der von jeher menschenscheu und unnahbar war, wurde von diesem Menschen magisch angezogen. Seine innere Anspannung ließ ihn erregt schnauben. Die dargebotene Hand vermittelte ihm etwas Unbekanntes und doch zugleich Vertrautes.
Claire wandte sich leicht ab und bot ihm ihre Schulter dar, den Blick immer noch zum Boden gesenkt.
Kurz bevor ihre Fingerspitzen den Nasenrücken des grauen Riesen berühren konnten, vernahm sie hinter sich eine aufgeregte Stimme: »Das würde ich besser bleiben lassen, Señora! Das ist eine Bestie von Pferd!«
Abrupt drehte Claire auf dem Absatz kehrt. Wenige Meter hinter ihr stand ein kauziger, älterer Mann in verschlissener Kleidung. Sein unrasiertes, faltiges Gesicht war sonnengegerbt und ein ausgefranster Strohhut zierte seinen Kopf.
»El Invencible bedeutet nicht umsonst der Unbezwingbare!«
Er nickte in Richtung des Hengstes, der inzwischen wieder auf Distanz gegangen war, aber immer noch in Claires Richtung äugte.
Claire nickte nur verständnisvoll und stellte sich schnell vor. Die Miene des alten Mannes erhellte sich ein wenig.
»Der Patron ist nicht hier, er überprüft die Weiden im Süden, aber ich kann ihn gleich holen!«, versicherte er. »Dauert nur 15 Minuten!«
»Ja, das wäre sehr freundlich von Ihnen!«
Insgeheim überlegte Claire bereits, welche Art von Mensch der Patron wohl sei.
»Sie können sich inzwischen die Pferde dort drüben ansehen, Señora! Alles wundervolle Tiere, bereits eingeritten und absolut verlässlich!«
Ein nicht geringer Anteil von Stolz schwang in der Stimme des Stallarbeiters mit. Schließlich diente er bereits unter dem Vater des jetzigen Patrons, seit nunmehr über 40 Jahren und gehörte fast zur Familie.
»Ich bin übrigens Pedro!«, fügte er noch verschmitzt hinzu. Auch wenn er seine besten Jahre bereits hinter sich hatte, so eine verdammt hübsche Señora, mit den Kurven genau da, wo sie ein Mann sich hin wünschte, ließ sein Junggesellenherz noch ein wenig schneller schlagen.
Er führte Claire zu einem Stall und öffnete die Boxengasse. Penible Sauberkeit und lediglich der angenehme Geruch von Pferden und Heu strömten ihr entgegen. Die Liebe zu den Tieren war hier unverkennbar.
Pedro verabschiedete sich und versprach, den Patron gleich zu holen.
Mit sich alleine, musterte Claire Pferd für Pferd. Doch immer wieder kam ihr das Bild von dem Hengst in den Sinn. El Invencible, wiederholte sie in Gedanken, ein wundervoller Name für ein wundervolles Pferd.
Als sie um die Ecke bog, kamen ihr zwei weitere Stallarbeiter entgegen. Sie waren weitaus jünger als Pedro, vielleicht so um die 35 bis 40 Jahre. Der eine von Ihnen, ein großgewachsener Schwarzhaariger mit dickem Schnauzer, unter dem ein paar ungepflegte gelbe Zähne hervor bleckten, sah sie mit unverhohlener Gier an. Geifernd saugte sich sein Blick an Claires üppiger Weiblichkeit fest. Mit selbstbewussten Machogehabe baute er sich vor Claire auf. Sie konnte seinen alkoholisierten Atem riechen. Angewidert wich sie ein Stück zurück.
»Hola, Carina ... hallo Schätzchen, wo kommst Du denn her, welch appetitliches Häppchen für einen echten Mann, wie mich!«
Claire kannte diese Art Männer, für die eine Frau nur ein Sexualobjekt darstellte und sie wusste auch, mit ihnen umzugehen. Ungeachtet seiner Worte antwortete sie ungerührt:
»Ich möchte ein Pferd kaufen und warte hier auf den Patron! Ihr Kollege, Pedro holt ihn gerade!«
»Ah, die Señora möchte ein Pferd kaufen! Kannst Du denn auch reiten!«
Dabei machte der Typ eine eindeutige Bewegung mit seinen Hüften und lachte dreckig über seine anzügliche Zote. Sein Partner versuchte, ihn beschwichtigend auf die Schulter zu klopfen.
»Miguel, lass doch!«
Aber Miguel wehrte unwillig ab. »Misch Dich nicht in meine Angelegenheiten, Enrice, wenn ich mich mit einer Dama, einer echten Dame unterhalte!«
Claire wünschte, die Beiden würden verschwinden. So ein Verhalten kotzte sie einfach nur an und wenn er nicht bald aufhörte, war echter Ärger vorprogrammiert. Sie war eine emanzipierte, starke Frau, die sich nichts gefallen ließ, schon gleich nicht von so einem stinkenden Bastard, wie er da vor ihr stand. Trocken erwiderte sie: »Ja ich kann durchaus reiten! Wenngleich ich auch eine andere Art vorziehe, als Ihnen da gerade so vorschwebt!«
Miguel verzog das Gesicht zu einer hässlichen Fratze. Dieser kleinen verzogenen Puta würde er ihre Arroganz schon abgewöhnen. Er änderte seinen Tonfall. Hinterlistig machte er Claire einen Vorschlag.
»Bis der Patron kommt, könnten Sie ja vielleicht schon mal ein paar Runden auf einem Pferd reiten!« Dabei legte er die Betonung auf Pferd. »Damit wir abschätzen können, welches Tier am besten zu Ihnen passt!«
Claire hörte die unterschwellige Bösartigkeit in seiner Stimme. Aber die Aussicht, seiner Anwesenheit zu entkommen, erschien ihr verlockend. Darum willigte sie schnell ein.
»Enrice!«, herrschte Miguel den verunsicherten Mann an, der immer noch hinter ihm stand. »Sattel El Invencible! Wollen wir doch mal sehen, ob die Señora wirklich hält, was sie verspricht!«
»Aber Miguel ...!«, versuchte Enrice schüchtern einen Einwand.
»Halt die Klappe! Und tu, was ich Dir sage!«, zornig funkelten die schwarzen Augen Miguels. Seine Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Er machte eine Bewegung mit dem Kopf und befahl damit dem Stallburschen zu tun, wie ihm geheißen.
»El Invencible?«, auch Claire fragte nach. »Pedro meinte, das sei eine unberechenbare Bestie!«
»Der gute alte Pedro! Für ihn ist jedes Pferd, das ein wenig Pfeffer im Hintern hat und nicht wie ein lahmer Klepper daherkommt, gleich eine wilde Bestie! Lassen sie sich davon nicht beeindrucken! Wenn Sie allerdings lieber ein einschläferndes Schaukelpferd vorziehen ...?«
»Nein, nein!«, hörte sich Claire sagen, obwohl sie im nächsten Moment ihre Worte fast schon wieder bereute. Wollte sie diesem widerlichen Schnösel da nur etwas beweisen oder warum ließ sie sich auf diesen zwielichtigen Vorschlag ein? Sicherlich musste sie sich mit ihren Reitkünsten nicht verstecken, aber es gab durchaus auch Pferde, von denen man besser die Finger ließ. Doch irgendwas in ihr zwang sie, ihre Absicht nicht zu ändern.
Enrice brachte den inzwischen gesattelten El Invencible. Nervös tänzelte der Hengst und der Stallbursche konnte ihn kaum bändigen.
Claire zögerte einen Moment. Doch dann ging sie entschlossen, aber dennoch ruhig und einfühlsam auf das Tier zu. Wieder streckte sie ihren Handrücken aus und senkte den Blick. Ihre innere Stimme sprach beruhigend auf das Pferd ein.
Ich will Dir nichts Böses! Ich möchte Dein Freund sein!
Die Muskeln des Hengstes entspannten sich merklich. Vorsichtig berührten seine Nüstern Claires Hand. Etwas Vertrautes ging davon aus. Ein Gefühl von Wärme und Zuneigung. Sanft begann Claire seinen Nasenrücken zu streicheln und machte einen weiteren Schritt auf ihn zu, ungeachtet der beiden Männer, die mit offenen Mündern danebenstanden.
Miguel traute seinen Augen nicht. Er wusste um El Invencibles Unberechenbarkeit und dass er einen Fremden nicht auf drei Meter Entfernung an sich ran ließ, ohne sich auf die Hinterbeine zu stellen, um dann mit lautem Gepolter auf diesen loszugehen.
Claire nahm in diesem Moment Enrice die Zügel ab. Ganz nah stellte sie sich neben das Tier. Ihre Hand wanderte zu den Ohren und kraulte sie sanft bis sie schließlich über den muskulösen Hals strich. Vertraut drückte der Hengst nun seinen massigen Kopf an Claires Oberkörper. Einen Augenblick lang standen die beiden bewegungslos so aneinandergeschmiegt. Die Frau signalisierte dem Pferd auch ohne Worte, dass sie nun auf seinen Rücken steigen würde und dieses ließ es ruhig geschehen. Bewegungslos verharrte Claire einen Moment, damit sich der Hengst an die neue Situation gewöhnen konnte. Dann drückte sie ihm sanft die Schenkel in die Seite, um ihn langsam anzutreiben. Noch einmal beugte sie ihren Kopf tief hinunter und verschmolz mit ihm zu einer Einheit.
Komm, mein Freund, lass uns zusammen über die Erde fliegen! Ich werde Dich gewähren lassen und Dir keine Schmerzen zufügen! Das ist es doch, warum Du den meisten Menschen nicht traust! Du bist wild und stolz und Du willst Dich nur beugen, wenn Du es willst!
Langsam setzten sich Pferd und Reiterin in Bewegung. Zunächst in tänzelndem Schritt, doch von Meter zu Meter gewann El Invencible Sicherheit und mehr Vertrauen. Claire steuerte auf einen kleinen Reitplatz zu. Dort ließ sie den Hengst gewähren, der noch einmal kurz überlegte und dann durchstartete.
Miguel und Enrice verfolgte die ganze Szenerie mit geöffneten Mündern. Sie warteten jeden Augenblick darauf, dass Invencible sein wahres Gesicht zeigen würde und seine Reiterin abwarf. Doch nichts dergleichen geschah.
Mit lockeren Zügeln saß Claire geschmeidig auf seinem Rücken und ließ ihn auf der Bahn mehrere Runden nach seinem Willen galoppieren. Erst dann machte sie ihm klar, dass nun sie an der Reihe war. Willig gehorchte ihr das Pferd und reagierte nun auf den kleinsten Schenkeldruck.
Ohne große Anstrengung ritt Claire allerlei Figuren und Schrittfolgen, immer noch argwöhnisch von den beiden Stallarbeitern gemustert.
So bemerkte keiner der Anwesenden, wie der Jeep in den Hof einfuhr.
Diego Rodriguez da Silva sah Claire schon von weitem auf dem Hengst sitzen. Eine lautstarke Tirade von Flüchen ergoss sich auf den armen Pedro, der leichenblass auf dem Beifahrersitz in sich zusammensank, obwohl er vollkommen unschuldig war.
Mit quietschenden Reifen bog Diego um die letzte Kurve, würgte den Motor ab und sprang aus dem Wagen. Schnellen Schrittes rannte er zum Reitplatz, als wolle er ein mögliches Unglück verhindern, obwohl er sich nach wenigen Augenblicken eingestehen musste, dass kein wirklicher Grund zur Sorge bestand. Diese blonde Señora machte wirklich eine gute Figur auf dem Hengst.
Er sah Miguel und Enrice am Rande des Reitplatzes stehen und maßlose Wut keimte wieder in ihm auf. Zornesröte schoss ihm in sein sonnengebräuntes, makelloses Gesicht. Seine markanten Wangenknochen stachen hart hervor.
»Enrice, Miguel! Was ist hier los?«, schrie er sie böse an.
Die Beiden fuhren erschrocken herum. Enrice blickte nur nervös zu Boden, während Miguel schnell seine Fassung wiedererlangte. »Sie wollte unbedingt El Invencible reiten!«, zuckte er gespielt hilflos mit den Schultern. »Ließ sich einfach nicht davon abhalten!«
Und schleimig fügte er noch hinzu: »Und ..., Don Diego, Du hast uns doch eingeschärft, dass der Kunde König ist! Also haben wir sie gewähren lassen!«
Diego roch Miguels alkoholisierten Atem. Seine Wut steigerte sich. »Komm mir nicht mit faulen Ausreden! Du hast dich wieder meinen Anordnungen widersetzt! Ich habe es allen ausnahmslos verboten auf Invencible zu reiten! Niemand wird jemals wieder auf seinen Rücken steigen!«
Das war nur einer vorbehalten … und die wird nie wieder zurückkehren! Dachte er mit einem Anflug von Trauer und Verbitterung bei sich.
»Ich habe die Nase gestrichen voll von deinen Eskapaden, Miguel! – Pack deine Sachen zusammen und verschwinde von hier. Und lass dich nie wieder hier sehen. Du bist fristlos entlassen!«
Diego drehte sich in Claires Richtung und sah nicht, wie Miguel die Hände zu Fäusten ballte und schon auf ihn losgehen wollte. Enrice konnte ihn gerade noch zurückhalten und beschwichtigen. Kochend vor Wut und teuflische Rachepläne schmiedend, suchte der Stallarbeiter schließlich das Weite.
Langsam ritt Claire auf die Gruppe Männer zu. Die letzten Schritte kam ihr Diego forsch entgegen und packte Invencible unsanft am Zügel, so dass dieser empört aufsteigen wollte. Doch Diego hielt ihn mit eiserner Hand fest. Immer noch zornig funkelten seine Augen Claire an, obwohl er sich innerlich eingestehen musste, dass sie durchaus eine äußerst aparte Erscheinung war.
Leichtfüßig glitt Claire aus dem Sattel und bot Diego freundlich die Hand zum Gruß.
»Hola, ich bin Claire Bennett!« Ihre Stimme wurde von einem charmanten Lächeln begleitet. Sie war sich der angespannten Situation sehr wohl bewusst. »Man hat mir Ihr Gestüt empfohlen. Ich möchte ein Pferd kaufen!«
Diego übersah die Hand geflissentlich. Er wollte gezielt unhöflich erscheinen, obwohl er wusste, dass Claire nichts für Miguels Dummheit konnte.
»Diego! Diego Rodriguez!« Er nickte nur kurz mit dem Kopf zum Gruß. »El Invencible steht nicht zum Verkauf! Er darf noch nicht mal geritten werden! Er ist unberechenbar!«
Nach einem kurzen Augenblick besann er sich aber seiner guten Erziehung und fügte in etwas freundlicherem Tonfall hinzu: »Entschuldigen Sie, Señora, dass sich die Männer meinen Anordnungen widersetzt haben! Gott sei Dank ist nichts passiert! Aber Sie sind wirklich eine sehr gute Reiterin!«
»Danke für das Kompliment!«, entgegnete Claire mit einem betroffenen Gesichtsausdruck. »Es tut mir leid, wenn ich Ihnen Unannehmlichkeiten gemacht habe. Wenn Sie mir die Bemerkung erlauben, ich konnte bei Invencible nicht feststellen, dass er unberechenbar wäre. Er ist nur sehr feinfühlig!«
»Ja, Sie haben Recht! Aber darauf können nur sehr wenige Reiter wirklich eingehen. Und wenn Vence jemanden nicht leiden kann, dann wird er wirklich unberechenbar und tut alles, um diesen Menschen zu verletzen.«
Claire nickte stumm. Auf einmal hatte sie, die sonst immer auf alles eine Antwort wusste, einen Kloß im Hals. Von diesem verdammt gutaussehenden Mann, der jetzt ganz nah vor ihr stand, ging eine unerklärliche Aura aus. Claire konnte seinen männlichen Duft, eine Mischung aus holzigem Parfum und Schweiß wahrnehmen und das machte ihn trotz seiner abweisenden Art verdammt erotisch.
Diego Rodriguez da Silva war schätzungsweise Anfang vierzig, groß und sein muskulöser Körper mit den überproportional ausgeprägten Schultern ließ sicherlich so manches Frauenherz höherschlagen. Das dunkelblonde gewellte Haar fiel ihm bis auf die Schultern und umrahmte ein markantes, sonnengebräuntes Gesicht, aus dem stahlblaue Augen stechend herausblitzten.
»Kommen Sie! Ich zeige Ihnen unsere Verkaufspferde!« Damit unterbrach Diego den Moment der Stille. Er übergab Invencible dem wartenden Pedro und führte Claire in den Stall.
Unterwegs berichtete Claire von ihrem Vorhaben, ein Jahr auf der Insel zu leben. Diego nickte nur emotionslos.
Bei den Verkaufspferden stach Claire sofort ein kräftiger Grauschimmelwallach ins Auge. Er war zwar bei weitem nicht so imposant wie El Invencible, aber trotz allem ein wunderschönes Tier. Entschlossen ging sie auf ihn zu. Der Wallach musterte sie sofort neugierig und verspielt knabberte er liebevoll mit seinen Lippen an Claires dargebotener Hand.
»Das ist Compañero! - Señora, Sie haben einen guten Blick für Pferde! Er ist ein absolutes Verlasspferd. Geländesicher und auch prekären Situationen gewachsen. Möchten Sie ihn probereiten?«
Diegos Stimme klang immer noch ein wenig streng, aber bei weitem nicht mehr so aggressiv.
»Gerne!« Claire hatte sich augenblicklich in das freundliche Tier verliebt.
»Warten Sie, Pedro soll ihn satteln!« Diego streifte dem Wallach ein Zaumzeug über und führte ihn aus seiner Box.
Wenig später betraten sie mit Compañero den Reitplatz. Diego wollte Claire beim Aufsteigen behilflich sein. Doch die winkte nur ab. Leichtfüßig schwang sie sich in den Sattel und beugte sich zum Hals des Pferdes hinab.
»So, Großer, dann wollen wir mal! - Zeig mir, was Du kannst!«
Compañero spitzte die Ohren. Auch er mochte die Reiterin auf Anhieb. Seine Muskeln lockerten sich und unter Claires leichtem Schenkeldruck setzte er sich in Bewegung. Zügig ritten sie so eine Runde im Schritt. Dann schnalzte Claire aufmunternd mit der Zunge.
»So Kumpel, das war zum Aufwärmen! Jetzt lass mal dein spanisches Temperament heraus. Auf geht’s - vamos!«
Der Wallach schnaubte zur Antwort. Er hatte nur auf ein Kommando in dieser Art gewartet. Allzu gerne wollte er zeigen was in ihm steckte. Seine Bewegungen wurden schneller und er verfiel in einen leichten Trab. Eifrig befolgte er jedes von Claires Kommandos. Rechts herum, links herum ... Claire war begeistert. Sie bildete mit dem Tier eine Einheit. Dann ließ sie ihren Schenkeldruck noch ein wenig energischer werden. Wie eine Rakete schoss Compañero los. Er wusste, dass seine Reiterin fest im Sattel saß. Beide flogen förmlich über den Platz. Claire ließ ihn gewähren und passte sich seinen Bewegungen an.
Diego stand am Rande des Reitplatzes und verfolgte die Deutsche mit bewundernden Blicken. Sein Groll war längst verflogen und er musste sich eingestehen, dass sie verdammt schön anzuschauen war. Und in ihren Reitkünsten erinnerte sie ihn an sie ... . Schlagartig verfinsterte sich seine Miene und eine tiefe Trauer überkam ihn wieder.
Claire nahm inzwischen Anlauf und ließ Compañero schräg über die Längsseite zum Ausgang galoppieren. Mit einem zufriedenen Grinsen auf den Lippen kam sie kurz vor Diego zum Stehen. Überschwänglich lobte sie den Grauen und schwang sich aus dem Sattel. Noch einmal schmiegte sie sich an Compañeros Hals und drückt ihn verliebt. Sie hatte endlich ihre Lebensfreude wiedergefunden. So losgelöst war sie die ganzen letzten Monate nicht mehr gewesen.
»Er ist wunderbar! Was wollen Sie für ihn haben!« Claire strahlte Diego an und übersah absichtlich seine offensichtlich schlechte Laune. Der arrogante Spanier konnte ihr doch den Buckel hinunterrutschen. Sie wollte lediglich ein Pferd von ihm kaufen!
Sie wurden sich schnell über den Verkaufspreis einig, als aus der Ferne ein lautstarkes Geblöke, gefolgt von allerlei spanischen Flüchen, zu vernehmen war.
»Ach ja, da ist noch eine Kleinigkeit, Señora Bennett!« Diego war es sichtlich peinlich, dass er dieses Thema anschneiden musste. »Compañero hat ein kleines Handicap!«, begann er vorsichtig.
»Ach nein!« Claire verzog die Miene. »Ist er krank?«
»Nein, nein, er ist kerngesund! Aber er wird wenn, dann nicht alleine kommen!«
Claire sah ihn verständnislos an, als im gleichen Moment ein graues Etwas laut schreiend um die Ecke bog, schnurstracks auf den grauen Wallach zu.
»Das ist Tequila!«
»Ein Esel!«, kreischte Claire verzückt.
Diego deutete diesen Aufschrei falsch und versuchte die Situation zu retten.
»Ja, die Beiden sind unzertrennlich. Er war eines Tages einfach da und Compañero hat ihn adoptiert. Seitdem leben die Beiden praktisch ständig zusammen. Er macht kaum Arbeit und frisst auch nicht wirklich viel. Man muss sich quasi nicht um ihn kümmern. Er ist vollkommen selbstständig und versorgt sich selbst. Aber er rennt Compañero hinterher wie ein Hund.«
Claire war inzwischen zu den beiden ungleichen Freunden gegangen. Tequila stellte sich sofort vor seinen deutlich größeren Freund, als ob er Claire noch einmal verdeutlichen wollte, ohne mich kriegst Du den nicht! Zornig funkelten seine Augen die Frau an. Ein abermals lautstarkes Iiiiahh unterstrich seine Forderung.
Vorsichtig streckte Claire ihre Hand nach dem zotteligen Grautier aus, berührte seinen Kopf und ließ ihre Finger zu seinen Ohren hoch wandern, um sie liebevoll zu kraulen. Tequilas Laune besserte sich deutlich. Verschmitzt sah er jetzt in Claires Augen. Sie waren sich alle drei einig.
Strahlend wandte sie sich dann zu Diego um. »Ich hatte eh schon ein schlechtes Gewissen, wenn Compañero alleine hätte leben müssen. Und wenn sein bester Kumpel nun eben ein Esel ist, dann soll es so sein.«
Ein gleißend heißer Sommertag neigte sich dem Ende zu. Claire genoss den Sonnenuntergang bei einem Glas Rotwein. Genüsslich räkelte sie sich in ihrem Liegestuhl, der unter dem alten knorrigen Olivenbaum stand. Von hier aus konnte sie den wundervollen Garten überschauen. Im Schein von unzähligen, bunt strahlenden Solarleuchten wirkte er mystisch schön und geheimnisvoll. Claire hatte herausgefunden, dass man den Pool mit Unterwasserleuchten in Szene setzen konnte und begeistert schaute sie nun in der aufkommenden Dunkelheit in das immer heller werdende Wasserbecken.
Sie nahm einen Schluck aus ihrem Glas und ließ den Tag nochmal Revue passieren. Sie war endlich einmal wieder geritten und sie hatte sich ein Pferd gekauft. Besser gesagt ein Pferd und einen Esel. Bei dem Gedanken an das ungleiche Freundespaar musste sie unwillkürlich lächeln. Diego Rodriguez da Silva, dieser ebenso gutaussehende wie launische Gutsbesitzer würde ihr die beiden Tiere morgen bereits bringen. Claire ließ sich durch seine Unfreundlichkeit ihre gute Laune und Vorfreude nicht verderben. Sie würde schon bald auf dem Rücken eines Pferdes ... ihres Pferdes die herrliche Landschaft dieser Insel erkunden.
Ein leichter Windhauch zauberte kleine, anmutige Wellen auf den Pool. Spontan bekam sie Lust auf ein erfrischendes Bad. Schnell schlüpfte sie aus ihren Kleidern. Es würde sie ja niemand sehen. Das nächste Anwesen war kilometerweit entfernt. Nackt und ungezwungen sprang sie in das kühle Nass. Mit schnellen Zügen durchquerte sie das Becken mehrere Male, tauchte und drehte sich dabei, wie eine Meerjungfrau. Sie merkte nicht, wie sie aufmerksam von zwei Augenpaaren verfolgt wurde.
Lüstern starrte der Mann auf den üppig schönen, nackten Körper der Frau, der durch seine anmutigen Bewegungen seine schmutzige Phantasie immer mehr anstachelte.
Als Claire nach einer ganzen Weile aus dem Wasser stieg und dabei ihre blonde, nasse Lockenpracht schüttelte, hielt er sich nicht mehr zurück. Er nutzte die Gunst des Augenblicks, um blitzschnell aus dem schützenden Gebüsch heraus zu springen und sich hinterrücks auf sein nichts ahnendes Opfer zu stürzen.
Jetzt würde er dieser deutschen Schlampe zeigen, dass man ihn nicht so behandeln konnte! Sie würde dafür büßen, dass er wegen ihr seinen Job verloren hatte!
Miguel packte Claire und hielt ihr mit der einen Hand ein Messer an die Kehle. Die andere Hand presste er lüstern an ihre Brust. Claire schrie panisch auf. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. Sie registrierte das Messer und wusste, dass es besser war, sich nicht zu wehren. Verzweifelt suchte sie nach einem Ausweg. Sie spürte den stinkenden Atem ihres Angreifers und Würgereiz kam in ihr hoch.
»So, Du kleine nichtsnutzige Puta ...,« zischte ihr Miguel böse ins Ohr, »jetzt werde ich Dir zeigen, dass man mich nicht so abfertigt. Jetzt gehörst Du mir und Du wirst tun, was ich Dir sage. Ich bin ein richtiger Mann, nicht so ein verwöhnter reicher Lackaffe, wie da Silva.« Dabei begann er ruppig ihre Brust zu kneten.
Claires Herz schlug bis zum Hals. Inbrünstig betete sie, dass dieser Albtraum aufhören möge.
»Nicht so spröde, kleine Puta! Ich bekomme sowieso, was ich will! Aber gut, wenn Du dich wehrst, macht mich das nur noch heißer!«
Miguel ließ seine Hand jetzt weiter nach unten wandern und versuchte ihre Oberschenkel auseinanderzudrücken. Dabei war er so in sein Tun vertieft, dass er den schwarzen Schatten nicht bemerkte, der plötzlich blitzschnell und lautlos aus der Dunkelheit auf ihn zusprang. Ein unsäglicher Schmerz in seinem Arm ließ seine Hand gefühllos werden und augenblicklich fiel das Messer zu Boden. Wutentbrannt schleuderte er Claire zu Boden und drehte sich nach dem vermeintlichen Angreifer um. Dieser hatte inzwischen Miguels Arm losgelassen und sammelte sich für seinen nächsten Sprung. Noch ehe Miguel begriff, wer oder was ihn da attackierte, blickte er in ein furchterregendes Maul mit riesigen, gefletschten Reißzähnen, die sich nur einen Wimpernschlag später gnadenlos in seine Schulter gruben. Die Wucht des Aufpralls und der unerträgliche Schmerz ließen ihn mitsamt seinem Angreifer hinterrücks zu Boden fallen. Miguel jaulte kläglich auf. Sein Angreifer war ein mächtiger, schwarzer, zotteliger Hund, dessen gelbe Augen ihn nun mordlustig anfunkelten und der bei jeder kleinsten Bewegung des wimmernden Mannes seinen Biss noch verstärkte.
Nach dem anfänglichen Schock versuchte Claire wieder Herr über die Situation zu werden. Sie rappelte sich auf und rannte eilig zur Liege. Mit zittrigen Händen fingerte sie nach ihrem Handy, um den Notruf zu wählen. Dabei ließ sie Miguel und die Hundebestie keine Sekunde aus den Augen. Anschließend zog sie sich schnell ihre Sachen über und versuchte ruhiger zu atmen.
Etwa 20 Minuten später traf die Polizei mit zwei Fahrzeugen ein. Comisario Jaime Montoya in Begleitung von zwei Streifenpolizisten fand einen ängstlich zitternden Miguel vor, auf dessen Brust immer noch der Hund lag, bereit, jederzeit wieder zu zubeißen.
»Rufen Sie Ihren Hund zurück, Señora! Wir sind ja jetzt da!«, forderte Montoya grinsend.
»Aber das ist nicht mein H... !«, wollte Claire erwidern.
Doch bevor sie ihren Satz beenden konnte, stand der Hund bereits auf und trat zur Seite. Willenlos ließ sich Miguel festnehmen. Jedoch nicht, ohne noch eine ganze Litanei an spanischen Flüchen von sich zu geben.
Auf Anordnung ihres Comisarios führten ihn die Streifenpolizisten zu einem der Wagen. Jaime Montoya ließ sich von Claire den genauen Tathergang schildern. Dabei nickte er immer wieder mitfühlend. Als er merkte, wie Claire bei ihren Ausführungen zitterte, nahm er schnell eine Decke von der Liege und legte sie Claire fürsorglich um die Schultern. Dabei begleitete er sie zum Haus.
»Da können Sie aber von Glück sagen, dass Sie so einen wachsamen Hund haben, Señora! Das hätte schlimm enden können, wenn er Ihnen nicht zur Seite gestanden wäre.«
Claire nickte. »Aber das ist gar nicht mein Hund!«
Montoya horchte auf und drehte sich zu der Stelle um, wo er ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Aber er war bereits im Dunkel der Nacht verschwunden.
»Ohne Sie jetzt beunruhigen zu wollen, Señora … ähm ... es gibt hier draußen unzählige wilde Hunde. Da hatten Sie aber doppeltes Glück! Denn normalerweise kann man diesen wilden Hunden nicht trauen. Sie sind unberechenbar. Erst vor kurzem wurde ein kleiner Junge von ihnen zerfleischt und gefressen!«
Claire sah den Comisario kopfschüttelnd an. Doch der fuhr unbeirrt fort.
»Ja, Sie haben schon richtig gehört! Diese wilden Bestien haben mit den Schoßhündchen, die Sie kennen, nichts mehr gemeinsam. Vor zwei Wochen war es etwa. Sie haben bei Ihrer Herfahrt bestimmt die Absperrbänder an der Straße gesehen? Ein schrecklicher Unfall! Eine junge Mutter ist mit ihrem Sohn in die Schlucht gestürzt. Ihren Leichnam hat man gefunden. Den ihres sechsjährigen Sohnes haben die wilden Hunde gefressen. Selbst der Familienhund, der im Kofferraum saß, musste dran glauben. Kein Stückchen haben sie übriggelassen!«
Claire schauderte, obwohl sie es kaum glauben konnte, was ihr Montoya da erzählte.
Der Comisario bemerkte Claires Bestürzung. »Ich wollte Ihnen jetzt keine Angst machen, Señora Bennett! Aber passen Sie ein bisschen besser auf sich auf. Bei Dunkelheit sollten Sie sich nicht mehr alleine draußen aufhalten. Bleiben Sie besser im Haus und verriegeln Sie Fenster und Türen!«
Er klopfte Claire aufmunternd auf die Schultern und verabschiedete sich. Als er gegangen war, tat Claire wie ihr geheißen wurde und verschloss die Türen. Viel zu aufgewühlt um schlafen zu können, stand sie noch lange am Fenster und starrte hinaus in die Dunkelheit. In Gedanken war sie bei ihrem Lebensretter, dem schwarzen, zottigen Hund. Dankbar sandte sie ihm einen stummen Gruß in die Ferne, ohne zu wissen, dass er ihr näher war als sie dachte.
Lautlos, so wie er kurz zuvor das Weite gesucht hatte, war er zurückgekommen, trottete zur Haustür und legte sich davor nieder. Er schloss die Augen. Doch seine kreisenden Ohren zeigten, dass er auch im Schlaf jedes Geräusch wahrnehmen würde. Bereit, jederzeit wieder die Menschenfrau zu verteidigen - wenn nötig auch mit seinem Leben.
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