Читать книгу Mrs Palfrey im Claremont - Elizabeth Taylor - Страница 7

Оглавление

Kapitel Zwei

Im Laufe der Tage, der langsam vergehenden Tage, lernte Mrs Palfrey, die anderen Hotelgästen in Langzeitbewohner und Zugvögel zu unterteilen. Die Bewohner waren drei ältliche Witwen und ein alter Mann, ein Mr Osmond, der weibliche Gesellschaft zu missbilligen schien und selten andere hatte. Er versuchte, den betagten Ober im Speisesaal mit Gesprächen aufzuhalten, stand beim Portier herum, um mit ihm zu plaudern, lauerte dem Hotelmanager auf.

Die Bar war im Grunde nur ein Teil des Aufenthaltsraums mit einer Klingel, auf die man drücken konnte, woraufhin nach einer Weile jemand aus dem Speisesaal kam, um den Schrank aufzuschließen, in dem die Flaschen standen. Hier, auf dieser Seite, saß Mr Osmond am frühen Abend. Am anderen Ende des Raums war stets das Klappern von Stricknadeln zu hören, vermischt mit dem gedämpften Brummen des Verkehrs auf der Cromwell Road hinter den schweren Vorhängen.

Mr Osmond trank Wein. Er saß ganz still da, das Glas neben sich, als leiste es ihm Gesellschaft, und wartete auf den Manager, der gelegentlich hereinschaute. Er konnte seinen Ärger nicht verhehlen, wenn Mrs Burton seinen Teil des Aufenthaltsraums betrat und fortwährend nach Whisky klingelte. Sie gab so viel Geld für Whisky aus, dass es den anderen Damen ein Rätsel war – wie sie sich das Geld in den Hals schüttete, sagte Mrs Post. Sie leistete sich noch andere Extravaganzen, etwa malvenfarben getöntes Haar oder was Mrs Arbuthnot als Kettenrauchen bezeichnete, obwohl es das nicht war. Mrs Arbuthnot neigte, vielleicht infolge ihrer Arthritis, zur Abfälligkeit.

Mrs Palfrey wünschte sich zwar sehnlich, ihren Platz zu finden und dort anerkannt zu sein, hatte aber genügend Charakter, um sich selbst eine Meinung über Mrs Burton bilden zu wollen. »Ich sage, was ich denke«, hätte ihr Motto sein können, wäre sie nicht der Ansicht gewesen, dass so Bedienstete sprachen.

Der Haupttreffpunkt der Bewohner war das Foyer, wo in einem Rahmen neben dem Fahrstuhl jeweils etwa eine Stunde vor dem Mittag- und dem Abendessen die Speisekarte ausgehängt wurde. Um diese Zeit herum schienen sie dort herumzulungern – alte Kirchennachrichten am Schwarzen Brett zu lesen, gegen das Barometer zu klopfen, an der Rezeption nach Briefen zu fragen oder auf die Straße hinauszuschauen. Niemand wollte gierig oder übermäßig am Essen interessiert erscheinen; doch die Mahlzeiten unterteilten den Tag, und die Speisekarte bot eine kleine Auswahl und Anlass zu Zufriedenheit oder Enttäuschung, so wie es einst das Leben getan hatte.

Obwohl man darauf gewartet hatte, wurde die Karte, sobald sie im Rahmen angebracht worden war, eine Zeitlang ignoriert. Dann blieb etwa Mrs Arbuthnot auf ihrem langsamen Gang zum Fahrstuhl beiläufig davor stehen, wenn auch kaum länger als eine Sekunde. Da war nicht viel, was man sich hätte merken müssen – eine Auswahl von zwei oder drei Gerichten –, und hinzu kam (was Mrs Arbuthnot wusste, Mrs Palfrey aber noch nicht gelernt hatte), dass die Karten alle zwei Wochen, wenn nicht öfter, wiederkehrten. Es gab Umstellungen, aber keine Veränderungen.

Mr Osmond ließ sich zu dem Getue der alten Damen nicht herab. Er marschierte zur Speisekarte, wann er es wollte, stellte sich mannhaft direkt davor, las laut, summte und ahate und rief dem Portier zu: »Na, ich hoffe, der Brotauflauf ist besser als letztes Mal. Ganz wässrig war der. Verdammt scheußliches Zeug, das können Sie mir glauben.« Von Mann zu Mann. Mrs Palfrey fand diese Redeweise ziemlich derb und runzelte die Stirn (bevor auch sie näher trat). Ihr Mann hatte nie vor ihr geflucht, obwohl sie sicher war, dass er es sonst oft getan hatte, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort. Verschwommen sah sie aufsässige Einheimische vor sich.

Mrs Burton erschien fast nie zur Warterei auf die Speisekarte. Sie hatte anderes zu tun – etwa auf die Klingel zu drücken. Doch an Mrs Palfreys sechstem Abend kam sie auf dem Rückweg vom Friseur gerade durchs Foyer, als Mrs Palfrey auf den Fahrstuhl wartete, und sie lasen nacheinander, was auf der Karte stand. Mrs Burton seufzte. »Ach, das Freitagsfrikassee«, sagte sie. Der Fahrstuhl kam herabgejammert, und sie stiegen ein. Bei diesen Gelegenheiten, hatte Mrs Palfrey herausgefunden, ergab sich zuweilen die Möglichkeit, Bekanntschaften zu schließen, Gespräche anzufangen. Mürrisch zu schweigen war kein gutes Benehmen. »Nicht-Bewohner willkommen«, zitierte Mrs Burton verächtlich. »Dieser Anschlag draußen amüsiert mich immer wieder. Ich bezweifle, dass sich jemals irgendwer davon hat verlocken lassen.«

Ein starker Geruch nach Haarspray und ihrem mittäglichen Whisky ging von ihr aus. Ihr Haar war malvenfarbener denn je, und sie trug ein Netz darüber, das mit winzigen Samtschleifen gesprenkelt war.

Sie wohne seit fünf Jahren im Claremont, erklärte sie, und habe kaum je erlebt, dass sich ein Nicht-Bewohner hierher verirrt hätte. »Noch habe ich je einen Freitag ohne Frikassee erlebt«, fügte sie hinzu. »Diese Eintönigkeit! Aber es ist überall das Gleiche. Vorher war ich im Astor. Kennen Sie das Astor? Das ist in Bloomsbury. Ach, du grüne Neune, Bloomsbury! Wie entsetzlich traurig es dort an einem Winternachmittag sein kann – besonders sonntags. Sagen Sie, wollen wir nicht vor dem Abendessen ein Glas zusammen trinken?«

Mrs Palfrey nahm die Einladung an und fand, dass der Fahrstuhl tatsächlich Wunder wirkte; sie freute sich schon auf das Aufsehen, das sie erregen würde – und zwar kein billigendes –, wenn sie in der Bar neben Mrs Burton Platz nahm.

Als sie später in einem ihrer kastanienbraunen Kleider mit auf der Brust verstreuten aufgestickten Perlen hinunterfuhr, überlegte sie, ob sie einen halbtrockenen Sherry oder Dubonnet nehmen sollte. Sie fühlte sich zugleich verwegen und trotzig. Ihren Strickbeutel hatte sie oben gelassen. Leicht errötend ging sie in den hinteren Teil des Aufenthaltsraums und nahm ein altes, altes Exemplar der Feldsportzeitschrift The Field zur Hand. Beiläufig blätterte sie darin und hielt den Kopf die ganze Zeit gesenkt. Bald darauf kam Mrs Burton und drückte mit großer Autorität auf den Klingelknopf. Ihnen gegenüber saß Mr Osmond und beäugte sie. Er hatte ein Glas Wein neben sich auf dem Tisch stehen, rührte es aber nicht an. Er saß geduldig still, die Hände auf den Knien, als wartete er darauf, dass der Wein sich selbst trank.

Mrs Burton hatte ihr Haarnetz abgenommen und die Falten ihres Gesichts mit Puder gefüllt. Ihr Gesicht hatte sich im Grunde aufgelöst – in Beutel, Wammen und tiefe Schluchten, sodass es aussah, als hätte sich ein Erdrutsch ereignet.

»Die Trinkerei hat bereits ihren Tribut gefordert«, flüsterte am anderen Ende des Raums Mrs Arbuthnot Mrs Post zu; die schüttelte spröde den Kopf, wenn auch nicht, weil sie anderer Meinung war; sie zählte, stumm die Lippen bewegend, Stiche. Als sie damit fertig war, warf sie einen langen, klaren Blick auf Mrs Burton und schüttelte erneut den Kopf. »Es ist sehr traurig«, sagte sie, als hätte sie großes Mitleid.

Endlich kam der Ober, und Mrs Palfrey, die sich für Sherry entschieden hatte, lehnte sich zurück, um das feindselige Interesse auf der anderen Seite des Raumes heil zu überstehen.

»Mein Schwager kommt zum Essen«, sagte Mrs Burton. »Deshalb das frisierte Haar.« Sie berührte es leicht, aber es gab nicht nach. »Er kümmert sich um mich, der Harry. Haben Sie Verwandte in London?«

Sie war nicht die Art von Frau, mit der sie normalerweise Umgang gehabt hätte, dachte Mrs Palfrey, … nicht ganz … aber das Leben hatte sich verändert, und um bei Trost zu bleiben, musste sie sich mit ihm verändern.

»Ich habe einen Enkel, der im Britischen Museum arbeitet. Sonst niemanden. Seine Mutter lebt in Schottland. Nein, ich rauche nicht, danke.«

»Ach, dann wären Sie im Astor ja mehr in seiner Nähe gewesen. Kommt er Sie besuchen?«

»Oh ja. Desmond wird kommen. Er weiß ja, wo er mich findet. Wir haben immer – einen Draht zueinander gehabt, wissen Sie. Manchmal überspringen diese Beziehungen ja eine Generation.«

»Ich freue mich, wenn ich mal ein junges Gesicht zu sehen bekomme.«

Mr Osmond hatte den Ober abgefangen, der – wenn auch ungeduldig – neben seinem Stuhl stehen blieb.

»Könnte Sie interessieren, dachte ich …«, murmelte Mr Osmond. »Fiel mir plötzlich ein … muss ich Antonio erzählen … auf meinen Reisen … in Italien war das … Ihrem Land … Fresken …«

Das alte, rötliche Gesicht hatte die falsche Lebendigkeit eines Wegelagerers angenommen, denn es war mühselige Arbeit, seinen Zuhörer bei der Stange zu halten. Mrs Burton schaute leidenschaftslos zu und schob ihr Haar hoch, denn sie konnte nur Fetzen von diesem hastigen, gedämpften Gerede hören; dennoch blickte Mr Osmond auf einmal zu ihr herüber und sagte: »Hier muss ich meine Stimme senken.« Er erhob sich halb zum seitwärts geneigten Kopf des Obers und brüllte, als wäre der Mann taub: »… ein enormes Geschlechtsteil. Ganz enorm.« Dann senkte er die Stimme wieder und sagte vertraulicher: »Fresken. Italienische Fresken. Ich nehme an, Sie wissen, was ich meine.«

Mrs Burton prustete kurz vor Lachen und verwandelte es schnell in Husten. Mrs Palfrey schaute beiläufig weg und nahm einen Schluck Sherry. So ein armer alter Wicht ist er also, dachte sie.

»Enorm!«, sagte Mr Osmond erneut, und der Ober eilte davon. Wieder allein, saß Mr Osmond ganz still in seinem Sessel und lächelte. Er hatte sein Gespräch gehabt.

»Unflätiger alter Kerl«, flüsterte Mrs Burton hinter ihrem Taschentuch.

Schweigen am anderen Ende des Raums. Mrs Post löste Stiche auf, und Mrs Arbuthnot hatte sich in ihre Welt des Schmerzes zurückgezogen. Bald stand Mrs Burton auf und drückte wieder auf die Klingel.

Um halb acht schlenderte Mr Osmond als Erster in den Speisesaal, gefolgt von Mrs Arbuthnot, langsam, geisterhaft, Schritt für schmerzhaften Schritt, ihre zwei Stöcke immer ein kleines Stück voraus. Sie war wie ein verletztes Insekt. Bei Mrs Palfrey angelangt – Mrs Burton ignorierte sie –, hielt sie inne. »Was haben Sie mit Ihrem Enkel angestellt?«, fragte sie. »Wenn wir ihn nicht bald hier sehen, fangen wir noch an zu denken, dass es ihn gar nicht gibt.«

»Oh, er wird schon kommen«, sagte Mrs Palfrey und lächelte. Sie glaubte es wirklich.

Nach dem Essen holte sie ihr Strickzeug und gesellte sich nun, da sie genügend Widerstand geleistet hatte, um ihre Persönlichkeit zu behaupten, zu den anderen auf der Fensterseite des Raums. Mrs Burton kam mit ihrem Schwager zurück in die Bar, und nun war er derjenige, der auf die Klingel drückte und den Eindruck machte, als hätte er das zu seiner Zeit sehr oft getan.

Mrs Palfrey im Claremont

Подняться наверх