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Kapitel 4

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Rosenkranz, der der Anweisung seines Vorgesetzten gefolgt war, hatte, nachdem er die Notizen über die Vernehmung der Köchin auf Vollständigkeit überprüft hatte, die Villa verlassen und sich auf die Suche nach dem Gärtner begeben.

Der hatte, nachdem er gebeten worden war, das Gelände nicht zu verlassen, alle Wege und Zufahrten vom Schnee befreit und befand sich nun, wie ihm einer der Kollegen verriet, in einem der abseits gelegenen ehemaligen Wirtschaftsgebäude.

Rosenkranz begab sich in den verschneiten Park und wanderte den vom Schnee befreiten Weg entlang, der einen leichten Hügel hinauf, direkt zur Vorderseite der Gebäude führte.

Er rüttelte an Türen. Sie waren verschlossen.

Wieder vernahm er, dieses Mal ganz aus der Nähe, das Bellen eines eher kleinen Hundes, das in ein Winseln endete. Nach einer Weile erklang erneutes Bellen. Bereits vor einiger Zeit hatte ein ähnliches Bellen seine Aufmerksamkeit erregt.

Sicher war der Gärtner nicht weit. Er ging um die Gebäude herum.

Die bereits im Westen stehende Sonne strahlte von einem noch immer blauen Himmel. Doch die Luft war eisig kalt. Zwölf Grad unter Null hatte der Wetterbericht vorausgesagt. Die Kälte brannte in seinem Gesicht. Mit zusammengekniffenen Augen und einem leisen Seufzer des Bedauerns sah er über die schöne Winterlandschaft. Ideales Wetter zum Skifahren. Ursprünglich wollte er mit zwei Freunden über die Feiertage in die Berge fahren. Das war, bevor er erfahren hatte, dass er sich zum Dienst bereit halten sollte.

Seit einem Jahr arbeitete in der Mordkommission, und er hatte es keinen Tag bereut.

Für die Zukunft hatte er ehrgeizige Pläne. Gegen seinen Chef, dem er vor sechs Monaten zugeteilt worden war, hatte er nichts. Auch wenn man ihn einstimmig vor den Kommissar gewarnt hatte.

Denn Kommissar Höflich war, wegen seiner vielen Grillen und aufgrund seiner unorthodoxen Methoden, denen er sich bediente, nicht gerade beliebt. Doch Rosenkranz hatte sich arrangiert und bewunderte seinen Chef sogar ein wenig.

Dessen skurrile Züge und spontane Wutausbrüche waren ihm seltsam vertraut und störten ihn daher nicht sonderlich. Nur diese gelegentlichen Feindseligkeiten und dieses oftmals unpassende und herablassende Machtgehabe kratzten an seinem ohnehin schwächelnden Selbstbewusstsein.

Jetzt allerdings musste er lächeln, als er an seinen Chef und dessen offensichtliche Affinität für die dicke Köchin dachte.

„Ein eigenartig robustes Exemplar“, schmunzelte Rosenkranz, „und genau so skurril wie ihr Bewunderer.“ Im Gegensatz zu Höflich fand er an ihr nichts Bewundernswertes. In seinen Augen war sie grobschlächtig und irgendwie … ihm fiel nicht ein, was.

Nun ja, er kannte sie nicht weiter. Doch offensichtlich sah sein Chef etwas in ihr, was er nicht sehen konnte.

Eine Portion privates Glück würde dem Kommissar nicht schaden. Er, Rosenkranz, gönnte es ihm jedenfalls von Herzen.

Ihm stieg Pferdegeruch in die Nase. Als er um die Ecke bog, sah er in einer Ummauerung einen Misthaufen dampfen.

Von einem Hund keine Spur. Er würde später nach ihm suchen.

Das Tor zum Pferdestall war nur angelehnt. Als er es öffnete, knarrte es in den Angeln.

Muss wohl mal geölt werden, dachte Rosenkranz, als er eintrat und von Pferdedunst und dem weniger starken Geruchsgemisch von Hafer und Lederzaumzeug eingehüllt wurde.

Im Stall war das Licht gedämpft, eine Wohltat für die Augen, und im Gegensatz zu den Außentemperaturen erträglich warm.

An der Wand entlang befanden sich vier Pferdeboxen, drei davon waren bewohnt.

Auf der Suche nach dem letzten zu vernehmenden Zeugen ging Rosenkranz langsam, um seine Bewohner nicht zu erschrecken, von Box zu Box.

Ein großer Apfelschimmel und eine braune Stute befanden sich in den ersten Boxen. Neugierig kamen sie näher. Große, feuchte, braune Augen waren prüfend auf ihn gerichtet. Weiße Dampfwolken stieg auf in der frostigen Stallluft.

Die nächste Box war leer.

Als er an die vierte Box trat, sah er sich einem Pferdehintern gegenüber. Der dazugehörige Kopf drehte sich zu ihm um und schüttelte grüßend seine Mähne. Langsam ging er weiter und tätschelte kurz mit einer Hand die dargebrachte Kehrseite.

Gerade wollte er sich abwenden, stutzte jedoch und kehrte zurück.

Tatsächlich, auf einer Hinterseite der kräftigen grauen Stute lag eine menschliche Hand. Und daran befand sich ein Arm. Der wiederum war an einem Körper befestigt, welcher mit dem dazugehörigen Kopf an dem mächtigen Bauch des Tieres ruhte. Ein Pferdeknecht.

Durch das kleine Fenster am oberen Rand drangen spärlich Sonnenstrahlen durch die schmutzige Scheibe. Rosenkranz blinzelte verwundert auf das Bild, das sich ihm bot. Wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten wirkte es auf ihn. Es gehörte nicht zu der Hightech-Welt, die er gewohnt war, in der Computer, iPhones und iPads unerlässlich waren.

Und dabei war es so einfach. Ein Mann ruhte, nachdem er die Ernte eingebracht, die Felder umgepflügt und den Wald in Brennholz verwandelt hatte, erschöpft am warmen Bauch seines ebenfalls erschöpften Pferdes und döste friedlich vor sich hin.

Nein, so einfach war es dann doch nicht. Der Mann hier wusste um die jetzige Welt und auch, dass er nicht in sie hineinpasste. Denn er trank.

Neben dem Heuballen, auf dem er saß, stand eine bereits über die Hälfte geleerte Wodkaflasche. In einer Ecke lagen leere Weinflaschen.

Die graue Stute stand ruhig auf ihrem Platz, so als wüsste sie um den seligen Rausch und die damit verbundene Ruhebedürftigkeit ihres derzeitigen Mitbewohners. Nur hin und wieder schüttelte sie ihr edles Haupt oder fächelte ein wenig mit dem Schweif, wie um die aufkommende Langeweile zu vertreiben.

Und nur dann schien ein Strahl vom Diesseits in das umnebelte Bewusstsein des Schlummernden zu dringen, denn immer dann begann er ihr die kräftige Hinterbacke zu tätscheln. Das tat er so lange bis die erschöpfte Hand erschlaffte. Nach einer Weile begann das Spiel von vorn.

Nachdem Rosenkranz dies eine Zeitlang mit angesehen hatte, trat er näher, räusperte sich und rief mit aller Vorsicht, denn er wollte diese private Idylle nicht allzu plump zerstören, nach dem Gärtner.

Doch statt des Angesprochenen reagierte die sensible Stute. Sie drehte sich abermals zu ihm um, schüttelte prustend das Haupt und betrachtete ihn mit sanften, feuchten Augen. Mechanisch wurde ihr gerade wieder einmal die Hinterseite getätschelt.

Schnell und etwas lauter rief Rosenkranz noch einmal den Namen des Gärtners.

Mit mehreren Sekunden Verzögerung und unendlich langsam löste der Angesprochene den Kopf von der Flanke des Pferdes und wandte sich zögernd dem Störenfried zu.

„Herr Bergeslow, nehme ich an?“ Froh, dass der Mann nicht sturzbetrunken war, nickte Rosenkranz ihm freundlich zu.

„Falsch!“, grunzte der denn auch prompt. Als er den irritierten Gesichtsausdruck von Rosenkranz wahrnahm, fügte er undeutlich hinzu: „Von Bergeslow bitte. So viel Zeit muss sein!“

„Ah ja, entschuldigen Sie, Herr von Bergeslow. Sie sind hier der Gärtner?“

Von Bergeslow rutschte auf seinem Heuballen herum, klopfte der sanften Stute nochmals das Hinterteil und sah mit zusammengekniffenen Augen zum Fenster empor, durch das die Sonne schräg ihre Strahlen schickte.

Ohne Rosenkranz anzublicken murmelte er: „Im Moment ja. Ich mache sozusagen alles. Was wünschen Sie?“

„Ich bin sozusagen von der Polizei und wollte Ihnen einige Fragen stellen. Mein Name ist Rosenkranz“

Der Mann sah Rosenkranz erschrocken an. „Was wollen Sie von mir?! Ich habe nichts getan!“ Offenbar hatte er vergessen, dass im Haus ein Mord geschehen war. Rosenkranz musste ihn beruhigen.

„Das behauptet ja keiner. Aber wie Sie wissen, ist Ihr Arbeitgeber, Herr Maus, aus noch ungeklärten Gründen … ehm … nicht mehr am Leben. Daher muss Kommissar Höflich Ihnen, wie allen anderen Zeugen auch, einige Fragen stellen. Ich bin …“

„Aber ich weiß gar nichts!“, unterbrach Herr von Bergeslow mit schriller Stimme.

„Ich bin“, begann Rosenkranz erneut, „nun gekommen, Sie ins Haus zu ho … ehm zu bitten.“

Der Gärtner zögerte. Dann nahm er einen großen Schluck aus der Wodkaflasche. „Zum Warmhalten“, erklärte er.

„Klar.“ Rosenkranz zeigte Verständnis.

Dann musste Herr von Bergeslow erst einmal nachdenken. Dabei kratzte er sich das von grauen Bartstoppeln bedeckte Kinn. Langsam schien es ihm wieder einzufallen. Rosenkranz wartete. Nach einem zweiten Schluck war die Erinnerung wieder da.

„Und Sie können mir dafür garantieren, dass mich niemand verhaftet und mitnimmt und in eine Zelle steckt?“ Besorgt sah er Rosenkranz an.

„Wenn Sie nichts getan haben, wird Sie niemand verhaften. Das garantiere ich Ihnen.“ Geduldig wartend stand Rosenkranz vor der Box.

„Ach dann bleibe ich lieber hier.“ Mit diesen Worten lehnte sich Herr von Bergeslow wieder gegen den Bauch der Stute und bettete die Wodkaflasche auf seinen Schoß.

„Ich fürchte aber, dass das so einfach nicht geht.“ Rosenkranz suchte nach überzeugenderen Argumenten. „Wenn Sie sich weigern auszusagen, wird man vermuten, dass Sie unter Umständen schuldig sind, Sie mitnehmen und womöglich in eine Zelle stecken.“

„Nein!“, zeterte von Bergeslow. „Nicht in eine Zelle!“

„Gut. Dann kommen Sie also mit ins Haus.“ Das war eine Feststellung. Rosenkranz sah wie der Gärtner mit sich rang. Schließlich erhob er sich schwankend. „Gut, für ein paar Minuten.“

Es dauerte dann noch einige Zeit, bis sie beide am Haus ankamen, denn Herr von Bergeslow hatte mittlerweile einen Alkoholpegel im Blut, der ihm das Laufen erheblich erschwerte.

Rosenkranz brachte ihn in die Bibliothek und machte sich dann auf die Suche nach seinem Chef. Den Hund hatte er vergessen.

Als er durch die Halle ging, kam er an der Küche vorbei und dachte sich, dass er ebenso gut einmal hineingehen und nach den Zeuginnen sehen konnte.

Als er eintrat, empfingen ihn fröhliche Stimmen. Weihnachtspunsch wurde ausgeschenkt und Wünsche zum Fest ausgetauscht. Ein besonders Vorwitziger stimmte sogar ein Weihnachtslied an. Es war warm und gemütlich.

Rosenkranz brauchte nicht lange, ehe er sie entdeckte. Ihr blondes Haar leuchtete zwischen Schultern und Köpfen hervor. Anita Klingbeil unterhielt sich gerade mit Tropfstein, der zweite Mann nach Kirschkern bei der Spurensicherung. Mit zwei Schritten war er bei Ihnen, mischte sich ein wenig ins Gespräch und klinkte Tropfstein dann ganz raus, in dem er seine eigene Wichtigkeit ein wenig hervorhob.

Das Ganze war nicht schwer, denn Tropfstein war, wie der Name schon sagte, ein Tropf. Eingeschnappt zog er ab.

Endlich hatte Rosenkranz sie für sich allein und verstrickte sich mit ihr in ein Gespräch.

Normalerweise war er ein pflichtbewusster Mitarbeiter. Trotzdem waren für kurze Zeit der Gärtner, der Mord und der Kommissar vergessen.

Der Tote unterm Weihnachtsbaum

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