Читать книгу Wie geht Freiheit? - Elke Friedrich - Страница 6
ОглавлениеKINDHEIT und AUSBILDUNG – GEFANGEN im KORSETT
Geboren und aufgewachsen bin ich in der ehemaligen DDR. Ich bin in der Großfamilie aufgewachsen, und wir haben zusammen auf dem Feld gearbeitet. Meine Tante Elsie, eine wissende weise Frau, hat uns Kinder früh gelehrt, was es braucht, um mit der Natur und den Tieren im Einklang zu sein. Wir waren oft draußen in den Wiesen des Umlandes. Die Bäckerei, die meinem Opa gehörte, war der Mittelpunkt der kleinen Stadt, in der wir wohnten. Alle Leute kamen dorthin und als Kinder waren wir gut in die Gemeinschaft eingebunden. Alle waren freundlich und nett zu uns. Als ich eingeschult wurde, sind wir von der Oberstadt in die Unterstadt gezogen, in das Haus meines Vaters. Statt der Natur und des Freiseins kam nun also das enge Korsett der Schule: Still sitzen und zuhören. Doch ich konnte gar nichts mit dem anfangen, was mir dort erklärt wurde. Ich erzählte von den Devas oder den Elfen, die im Wald wohnten, und dass ich mit ihnen sprechen und mit ihnen spielen wollte – ich dachte, die anderen Kinder in der Schule, die könnten das auch. Denn für mich war es ganz normal, mit den Bäumen zu singen, mit den Vögeln zu sprechen und dem Wind zuzuhören. Für mich war das selbstverständlich, doch die anderen lachten mich aus. Für alle meine Cousinen und Cousins war es auch normal gewesen, wenn wir zusammen auf dem Feld waren – beim Kartoffeln hacken, Rüben hacken, Heu wenden. Wir haben mit und von der Natur gelebt. Wir haben gar nicht darüber gesprochen, es war alltäglich. Es hat zu unserem Leben dazugehört. Verbunden - Sein war selbstverständlich. Dazu gehörte auch, vor dem Schlachten mit den Tieren zu sprechen. Sie darauf vorzubereiten, damit sie nicht im Stress sterben würden. Dieses war für uns der normale Kreislauf. Aus dem Getreide, das wir geerntet haben, daraus hat der Opa Brot gebacken. Und wir Kinder haben Semmeln geknetet, das hat dazugehört. Die Schule war für mich der völlige Einbruch all dessen, was mir bekannt und vertraut war. Die rauen Worte der anderen Kinder, ihre Gemeinheiten, Zank und Lärm. All das tat mir weh und erschreckte mich. Immer wieder versuchte ich von den Kobolden und Elfen im Wald und auf den Wiesen zu erzählen und wollte die Kinder mitnehmen in meine Welt, doch sie konnten die Wesen nicht wahrnehmen - und wieder haben sie mich ausgelacht. Ich begann meiner Mutter zu glauben, die schon immer gesagt hatte: „Was du da siehst, du bist ja spinnert! Das kann nicht sein, das gibt es nicht!“ Da hat sich meine Gabe zurückgebildet: Ich verschloss mich. Meine Tante Elsie, meine Vertraute, war inzwischen gestorben, sie war ja schon ein altes Fräulein gewesen. Für meine Mutter hatte der Umzug von der Oberstadt in die Unterstadt den sozialen Abstieg bedeutet. Es war ein Schlag für sie gewesen. Ich fühlte mich eingesperrt, isoliert, da ich nicht mehr raus durfte. Meine Mama war eine „hartherzige Frau“, wie man so schön sagt. Sie war es immer schon gewesen, aber nun brach dieser Wesenszug noch stärker hervor. Entweder hat sie so getan, als wäre ich nicht da oder sie hat mich beschimpft und ausgelacht: „Ach du mit deinen Ideen!“ Ich hatte zunehmend Angst vor ihr. Nicht unbegründet, wie sich später herausstellen sollte. Zu meinem Leidwesen kam meine Mutter jeden Tag in die Schule, um mir etwas zu essen zu bringen. Das tat sie nicht aus Liebe und Fürsorge, sondern um zu kontrollieren, ob ich auch da war. Und ich habe mich daran fett gefuttert. Alles hat sich gestaut. Ich war völlig lahmgelegt. Dafür wurde ich wieder ausgelacht und gehänselt. Schon immer, vor allem in dieser Phase meiner Kindheit, habe ich mich „fremd“ gefühlt. Also habe ich mich noch mehr von den Menschen zurückgezogen. Früher war ich so oft wie möglich im Wald, auf den Wiesen oder am Wasser gewesen. Dort hatte ich mit den Bäumen gesprochen, ihnen meine Hände aufgelegt und sie haben mir Geschichten erzählt oder Lieder vorgesungen. Ich sah die kleinen Kobolde und ihre Behausungen und wir spielten zusammen. Unter Menschen hatte ich das Gefühl, nicht dazuzugehören. Und da war immer diese Sehnsucht, aber wonach?
Das hat lange angehalten. Alles war trist und karg. Und im Religionsunterricht kam der nächste Schock hinzu. Die Kantorin zeigte uns Bilder von Jesu, erzählte Geschichten. Plötzlich war ich bei den Geschehnissen dabei und habe mit Christus, seinen Jüngern und den Engeln gesprochen. Oft bin ich der Kantorin ins Wort gefallen und habe zu ihr gesagt: „Du hast gelogen, du hast die Geschichte ganz falsch erzählt“. Das gab natürlich Ärger. Also habe ich mich klein gemacht, zog mich zurück und schwieg. Das einzig Gute in meiner kindlichen Welt war mein Papa, mit dem ich sehr verbunden war. Aber wenn wir gelacht haben, dann ging das für meine Mutter gar nicht. Lachen ging gar nicht, das war ganz schlimm: „Lachen, das ist gefährlich. Wer lacht - Diebe, Gauner und Verbrecher, alles böse Menschen, die dir was wollen!“ So die Meinung meiner Mutter. Keiner durfte ins Haus, keiner durfte mich besuchen. Ich durfte auch keine Freundin mitbringen. Meine Mutter hat mich von der Schule abgeholt, danach musste ich Hausaufgaben machen und saß dann drinnen fest. Papa hatte sein eigenes Leben, der war Lokführer und oft unterwegs. Er war bei der Bahn. Mein Bruder hatte es einfacher mit meiner Mutter, der war drei Jahre jünger als ich und ihr Prinz. Obwohl auch er nicht lachen durfte. Aber wenn irgendwas war, dann war es immer ich. Nicht er. Ich war der Sündenbock für alles. Als kleines Kind hatte ich oft Ohrenschmerzen und Keuchhusten. In den Augen meiner Mutter hatte ich mir die Schmerzen natürlich nur ausgedacht, um sie zu ärgern. Ich wolle ihr nur Arbeit machen und Aufmerksamkeit haben, wie sie mir immer wieder erklärte. Zum Arzt ist sie mit mir nicht gegangen. Wenn ich die Schmerzen gar nicht mehr aushalten konnte, ist mein Papa mit mir zum Arzt gefahren, um mich untersuchen zu lassen. Mein Bruder und ich hatten auch sehr schlechte Zähne und oft Zahnschmerzen. Auch dafür hat sie uns ausgelacht und gemeint, das sei nicht so schlimm, das höre von selbst wieder auf. Grinsend hat sie uns dann erzählt, dass sie selbst als Kind vorm Zahnarzt Angst hatte und sich vor Behandlungen gedrückt hätte. Wir bräuchten das also auch nicht. Die Pubertät war schwierig für mich. In der Bibliothek war ich Dauergast. Bücher über Ufos, Außerirdische und Kornkreise habe ich nicht gelesen, sondern verschlungen. Wieder erlebte ich dieses tiefe Einfühlen: Plötzlich war ich zu „Gast“ auf den Raumschiffen, habe verschiedene Galaxien besucht, bin durch Raum und Zeit gereist und habe mit den Wesen, die mir begegneten, über die Herzebene kommuniziert. Nur mit den Menschen hier auf Mutter Erde konnte ich nicht reden. Ich war immer noch einsam und sehr traurig. Wenn ich mit meinem Freund verabredet war, hat Mutter uns belauscht. Abends, wenn wir im Park waren, hat Mutter mich abgeholt oder sogar nach Hause geschickt und statt meiner dann mit ihm im Park gesessen. So war das. Als wir einmal zur Kirmes sind, von der Schule aus, da kam sie halb neun mit ihrem Fahrrad an und hat mich vor allen Leuten angebrüllt, beschimpft und heimgeschickt. Ich musste nach Hause und sie hat mit ihnen gesprochen und nett getan. Dafür habe ich mich geschämt. Und nicht nur das Verhalten meiner Mutter an sich hat mich tief verletzt. Hinzu kamen dann noch die “coolen“ Sprüche meiner Mitschüler, die mich unschön aufzogen. Mein neuer Klassenlehrer bemerkte mein Talent zum Malen. Dreimal hat er bei meiner Mutter vorgesprochen, sie solle doch Ihr Einverständnis geben und mich auf die Kunstschule gehen lassen. Was hat Frau Mama gemacht? Sie hat den Mann beschimpft: „Ach die doch nicht, die braucht das nicht, die kann das sowieso nicht!“ Ich habe mich klein, hässlich, unverstanden, unerwünscht und ungeliebt gefühlt. Und ich habe mich immer unsichtbarer gemacht. Die ständigen Sticheleien und immerwährenden Schikanen meiner Mutter haben uns allen das Leben schwer gemacht. Bei meinem Papa hat das zu Herzproblemen und -erkrankungen geführt. Er ist dann mehrmals zur Kur gefahren und hat dort eine liebenswerte Frau kennengelernt. Sie kam ihn besuchen und wollte mit ihm ein neues Leben beginnen. Natürlich gab es Diskussionen und Auseinandersetzungen mit meiner Mutter. Ich war natürlich auf der Seite meines Papas und habe ihm gut zugeredet, den Schritt doch zu wagen. Damals war ich schon sechzehn. Meine Mutter ist total ausgerastet, natürlich war ich wieder der Sündenbock. Sie ist mir an die Kehle gesprungen und hat mich gewürgt, so dass ich keine Luft mehr bekam. „DU – du VIEH!“, waren ihre Worte. Mein Papa hat daneben gestanden und geweint. Das war alles. Er konnte sich nicht durchsetzen gegen sie. Still weinte er in sich hinein – und alles war beim Alten. Er blieb bei ihr. Doch ich hatte das Gefühl, dadurch meinen Papa verloren zu haben. Ich konnte seine Entscheidung nicht verstehen. Mein Vater verschaffte mir schließlich eine Ausbildungsstelle bei der Bahn. So bekam ich endlich ein bisschen Luft. Es war das erste Mal, dass ich mich wieder etwas freier fühlte. Endlich war ich ein bisschen weiter weg, und Mutter konnte nicht jeden Tag kommen, um mich zu kontrollieren. Das erste Mal in meinem Leben seit dem Umzug ein bisschen Freiraum! Es fiel mir relativ leicht, Leute kennenzulernen, seit ich das Korsett los war, in das mich meine Mutter gezwängt hatte. Zuhause hatte sie alle abgewimmelt, die mich besuchen wollten. Ich erinnere mich noch daran, wie sie meinem Freund, dessen Moped vor unserem Haus gestanden hatte, den Schlüssel geklaut hatte. Seine Briefe an mich öffnete sie und fuhr uns mit dem Auto hinterher. Die drei Jahre Ausbildung waren also der erste echte Freiraum für mich. Sie konnte nichts mehr unterbinden. Ich war dann auch viel unterwegs und habe die Chance genutzt, Zugführerin zu werden. Das hat mir solchen Spaß gemacht! Ich bin umher gefahren mit dem Zug und habe mich total frei gefühlt. Frei - so frei wie wir im System der DDR halt sein konnten.