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Kapitel 1

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Elke Schwab

Kullmann in Kroatien

ein Urlaubskrimi

Kullmann-Reihe 6

Neue überarbeitete Auflage

Ursprünglicher Titel:

Urlaub mit Kullmann“

Kullmann

in

Kroatien

ein Urlaubskrimi

Kullmann-Reihe 6

Elke Schwab

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Elke Schwab, 2018

Alle Rechte, einschließlich des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Kaum hatten sie das Flugzeug der Fluglinie Hvarsky-Air verlassen, schlug ihnen eine gnadenlose Hitze entgegen.

Norbert Kullmann wischte sich den Schweiß von der Stirn, bevor er ihm in die Augen tropfte und die Sicht versperrte. Konzentriert schaute er auf die Stufen, die ihn auf den sicheren Boden führten. Das war im Augenblick sein vorrangiges Ziel. Er war zum ersten Mal in seinem Leben geflogen. Dabei musste er feststellen, dass er bis dahin nichts verpasst hatte. Die ständige Angst, abzustürzen, das quälende Rumoren in seinem Magen, der Druck auf seinen Ohren, diese Nebenwirkungen hatte ihm sein Freund Stipo mit keinem Wort erwähnt. Er hatte ihm diese Reise nicht nur ermöglicht, sondern regelrecht aufgeschwatzt. Dabei wollte Stipo ihm einen Gefallen tun. Davon war Kullmann überzeugt. Deshalb hoffte er darauf, dass ihn sein Aufenthalt in Kroatien für die Strapazen während des Fluges entschädigte.

Er schaute auf die Uhr und geriet ins Staunen. Es war gerade mal neun Uhr. Um sechs Uhr in der Frühe waren sie am Flughafen in Saarbrücken-Ensheim eingetroffen. Also hatte ihre Reise mit Einschecken, Wartezeit, Starten und Landen nicht mehr als drei Stunden gedauert. Eigentlich war das kein Grund, sich zu beschweren. Er setzte seinen Hut auf, der ihn vor einem Sonnenstich bewahren sollte und betrat den Boden am Flughafen von Pula. Dann erst drehte er sich um und sah nach seiner Frau Martha, die mit einem kunterbunten Sonnenhut die steile Treppe hinabstieg.

„Was trägst du da auf deinem Kopf?“, fragte Kullmann, während er ihr half, heil über die letzten Stufen auf den Boden zu gelangen.

„Einen Sonnenhut. Was glaubst du denn?“, antwortete Martha, fuhr mit der Hand über die Krempe und fügte an: „Gefällt er dir nicht? Habe ich extra für diesen Urlaub gekauft.“

„Du siehst wie die perfekte Touristin aus.“ Kullmann lächelte seine Frau liebevoll an.

Anke Deister folgte ihnen mit einer sportlichen Schirmmütze. Sie hielt ihre Tochter Lisa auf dem Arm, die die gleiche Kopfbedeckung trug. In ihrem Armen hielt Lisa ihren großen Teddybären fest umklammert. Ihre Augen waren ganz groß vor Aufregung und Neugierde. Sie war drei Jahre alt und hatte von der Welt bisher nur ihr Zuhause, Kullmanns Garten und die Kindertagesstätte gesehen. Große Ereignisse standen ihr bevor. Kullmann war gespannt darauf, wie sie das alles verkraften würde. Er kannte sich mit Kindern viel zu wenig aus, was er schon oft bedauert hatte. Aber seit Lisas Geburt hatte sein Leben sich von Grund auf geändert. Von Berufs wegen waren ihm als Kriminalhauptkommissar der Tod, dessen Ursachen und Verursacher sein Lebensinhalt gewesen. Seit seinem Ruhestand bestand seine Hauptaufgabe darin, auf Ankes Tochter aufzupassen, während sie weiterhin ihrer Arbeit als Kriminalkommissarin weiterging. Niemals hätte er es für möglich gehalten, in seinem Alter noch so viel Freude an einem kleinen Kind zu entdecken. Er empfand es als positive Entwicklung, dass er für Anke und ihr Kind eine so große Rolle in deren Leben spielen durfte. Die beiden entschädigten ihn für alles bisher Versäumte.

Als Anke direkt vor Kullmann stehen blieb, wirkte ihr Gesichtsausdruck eher griesgrämig als hocherfreut.

„Was ist mit dir?“, fragte Kullmann.

Nachdem sein Freund Stipo ihn von dieser Reise überzeugt hatte, war ihm viel daran gelegen, dass Anke ihn und Martha begleitete. Er wollte Anke eine Freude machen. Aber ihre Miene verriet genau das Gegenteil. „Du hast deinen Entschluss, mit Martha und mir zu verreisen, hoffentlich nicht schon bereut?“

Auf diese Frage antwortete Anke mit einem Lachen, was Kullmanns Bedenken sogleich zerstreute.

„Im Flugzeug hatte ich leider das Vergnügen, vor einem Ehepaar aus Berlin zu sitzen. Die Gespräche der beiden waren laut und verdorben. Ich kann nur hoffen, dass die Berliner nicht im gleichen Hotel untergebracht sind wie wir.“

Kullmann schaute sich nach den Transfer-Bussen um, die sie vom Flughafen Pula aus nach Rovinj weitertransportieren sollten, ihr Urlaubsziel. Schon bald hatte er den Richtigen entdeckt.

Es gab nur vier Busse. Einer fuhr Pula an, einer Poreć, der andere Umag. Blieb nur der Letzte in der Reihe, auf dem Rovinj stand.

Als Anke, Martha und Lisa das Fahrzeug ansteuerten, schaute Kullmann sich fragend in der Gegend um, bis er endlich aussprach, was ihn beschäftigte: „Wie kommen wir an unser Gepäck?“

Der Busfahrer hatte ihn gehört und wie es schien, auch verstanden. Er erklärte in gebrochenem Deutsch, dass die Koffer vom Reiseunternehmen zum Hotel gebracht würden.

„Das ist ja ein Luxus.“ Kullmann grinste zufrieden. „Wir brauchen uns nur in den Bus zu setzen, der Rest erledigt sich von allein.“

Anke konnte nicht in seine Schwärmerei einstimmen. Kaum hatten sie sich durch den engen Gang auf einen freien Platz durchgekämpft, da sah sie durch die Fensterscheiben das Berliner Ehepaar auf sie zukommen. Unförmig und dick schob der Mann sich behäbig über den großen Platz. Seine schwarzen Haare glänzten fettig in der Sonne. Die Frau an seiner Seite war klein, zierlich und blond. Mit breitbeinigem Gang, ihre Arme weit vom Körper weggestreckt trippelte sie neben ihrem Mann her. Suchend schauten sie sich um, bis sich Ankes Befürchtungen bewahrheiteten. Als ihr Blick auf den Bus fiel, in dem sie gerade mit Kullmann und Martha Platz genommen hatte, nickten sie mit ihren Köpfen und eilten darauf zu. Nun konnte Anke nur noch hoffen, dass sie in einem anderen Hotel wohnten.

Der Bus fuhr an. Er rüttelte die Fahrgäste durch. Die Fahrgeräusche dröhnten unerträglich laut. Die Klimaanlage funktionierte nicht. Die Sitzplätze waren eng und unbequem.

Anke vertrieb sich die Zeit damit, durch das Fenster zu schauen. Nachdem sie den Flugplatz verlassen hatten, sah sie nur Baustellen. Sie fühlte sich wie zu Hause. Erst nach langer Fahrstrecke kamen grüne Wiesen, Felder und vereinzelte kleine Häuschen, was ein Gefühl von Idylle vermittelte. Vom Meer nicht die geringste Spur. Nach einer halben Stunde passierten sie das Schild „Rovinj 10 Kilometer“.

Erleichtert atmeten die Fahrgäste auf.

Dann ging es rasend schnell. Der Bus fuhr mit großer Geschwindigkeit durch enge Kurven. Wie von Zauberhand offenbarte sich vor ihnen plötzlich das Meer.

Ein lautes „Oh.“ zollte ihm den nötigen Respekt.

Schon bald blieb der Bus vor dem ersten Hotel stehen. Einige Familien stiegen aus. Die Fahrt ging weiter. Anke, Kullmann, Martha und Lisa hatten das Pech, dass sie bis zum Schluss in dem ungemütlichen Bus ausharren mussten, zusammen mit den Berlinern, zwei jungen Frauen, die sich an den Händen hielten, und zwei ältere Herren, deren Frauen häufig verstohlene Blicke auf Lisa warfen.

Der Bus hielt an einer einsamen Stelle an, die außer einem Sandplatz und einigen Sitzbänken nichts zu bieten hatte. Dort wurden sie gebeten, auszusteigen.

Verwundert schaute sich Anke um und entdeckte zwei Kleinbusse mit der Aufschrift „Hotel Villa Angelo D’oro“. So hieß ihr Hotel.

Der Rest der Fahrt ging schneller und komfortabler. Die Kleinbusse fuhren ins Zentrum der Stadt Rovinj, schlängelten sich durch enge Gassen, dass Anke schon befürchtete, darin steckenzubleiben, hupten die Touristen auf die Seite, die stur ihren Weg fortsetzen wollten, bis sie am Ziel ankamen.

Zwischen grauen, farblosen und verwahrlosten Häuserfronten, deren Klappläden entweder verschlossen waren oder schief an den Angeln hingen, stach ein Barock-Gebäude aus dem 17. Jahrhundert mit seiner weinroten Front, den grünen Fensterläden und den in goldener Farbe aufgemalten Löwenköpfen, die mit Lorbeerzweigen und auslaufenden geschwungenen Linien miteinander verbunden waren, als besonderes Schmuckstück hervor. Der Anblick inmitten der engen Gassen brachte die Gäste ins Staunen. Der erste, der etwas anmerkte, war die Berlinerin: „Hoffentlich iss dett nischt alles nur Fassade.“

Der Fahrer des Kleinbusses verstand sie nicht, konnte also nichts darauf erwidern.

Sie stiegen aus.

Sengende Hitze schlug ihnen entgegen.

Neugierig traten sie durch den Eingang, über dem fünf Sterne prangten. Das erste, was sie spürten, war eine gut funktionierende Klimaanlage. Der Temperaturunterschied war beachtlich.

Die Innenausstattung hielt, was die Fassade versprach. Alles war im Barockstil gehalten. Sessel mit geblümtem Chintzstoff mit geschwungenen Lehnen aus dunklem Holz, runde Tische auf kunstvoll gewundenen Streben, bunt gewebte Teppiche auf dem Boden und Ölgemälde an den Wänden. Im gegenüberliegenden Treppenaufgang waren die Decken mit Fresken verziert.

Anke, Kullmann und Martha gerieten so sehr ins Staunen, dass sie vom Hotelangestellten an der Rezeption an ihre Anmeldung erinnert werden mussten. Während ihre Namen bei der Anmeldung überprüft wurden, trafen die Koffer ein. Darunter befand sich ein Schrankkoffer, der so groß war, dass alle ins Staunen gerieten. Noch größer wurde die Überraschung, als sie sahen, zu wem er gehörte: zu der kleinsten erwachsenen Frau unter ihnen, der Berlinerin, deren Körpergröße dieses überdimensionale Gepäckstück kaum überragte.

„Wad glotzt ihr so dämlich?“, fauchte sie mit dunkler, kratziger Stimme. „Ded Ding haben mein Manni und ikke für all unser Gelumps. Ikke gloob, ik spinne.“

Nachdem die Formalitäten erledigt waren, verteilte der Hotelangestellte die Zimmerschlüssel, ging den Touristen voraus, um ihnen den Weg zu zeigen.

„Wenn die Zimmer auch so schön sind, kann der Urlaub nur noch gelingen“, schwärmte Kullmann.

„Ikke wees nich“, ergriff nun der männliche Part des Berliner Ehepaars das Wort. „Wad hab ik von dem Schnörkel an den Decken. Ikke will hier Spaß haben und wad ordentliches zu fressen. Nisch war, Adele?“

„Für dad, wad wir für den Schuppen hier berappt ham, muss es schon wad zu fressen jeben. Sonst werden die mir mal kennen lernen“, fügte besagte Adele an.

„Sie wissen noch gar nicht, ob das Essen hier gut ist. Aber beschweren können Sie sich schon mal im Voraus“, stellte Kullmann fest.

„Wad jeht dir det an?“, entgegnete sie.

„Für Sie immer noch SIE.“

„Ach nee. Wad sind wir heute wieder etepetete.“

„Nur korrekt“, korrigierte Kullmann. „Das Hotel war nicht billig. Da kann man schon ein Publikum mit Manieren erwarten.“

Die anderen deutschen Gäste stimmten Kullmann lautstark zu.

„Ikke hab alles bezahlt. Also kann ikke hier machen, wad ikke will. Iss det klar?“

„Nicht so hastig, Frau ?“ Damit wollte Kullmann erfahren, mit wem er das unfruchtbare Gespräch führte.

„Adele Deubler, un det iss mei Kleener, der Manni.“

„Manfred Deubler“, stellte sich der kräftige Mann vor.

„Frau Deubler. Wir gehen davon aus, dass hier alle bezahlt haben“, beendete Kullmann seinen Satz.

Adele Deubler verstummte endlich. Stattdessen zündete sich die kleine Frau eine Zigarette an und paffte eine dicke Rauchschwade in die Luft.

Die kleine Gruppe von zwölf Touristen steuerte die Treppe mit schmiedeeisernem Geländer an. Zwei ältere Ehepaare bildeten den Abschluss. Sie waren so sehr in ihre Bewunderung für das Ambiente vertieft, dass sie den Anschluss verpasst hatten.

Kullmann schloss sich ihnen an, gemeinsam besprachen sie die mit Kunstmalereien gestalteten Wände und Decken, als seien sie vom Fach, was Anke ein Lächeln entlockte.

„Ist das Ihr Enkelkind?“, fragte eine der beiden Damen nachdem sie im zweiten Stock angekommen waren, wo ihnen ihre Zimmer gezeigt wurden. Dabei schaute sie auf Lisa.

Zunächst überlegte Kullmann, was er darauf antworten sollte, da kam ihm Anke zu Hilfe. „Ja. Wir machen einfach einmal einen Drei-Generationen-Urlaub. Mal sehen, wie das funktioniert.“

„Wie schön“, jubelten die beiden Damen gleichzeitig los und steuerten zielstrebig auf das kleine Mädchen zu.

Lisa reagierte gereizt auf die fremden Frauen. Sie war müde. Lustlos hing sie in Ankes Arm und begann lautstark zu quengeln.

„Wad een Jetue um so eene Jöre“, schimpfte Adele Deubler lautstark. „So wad kann nur den Urlaub verderben.“

„Sie lieben Kinder wohl nicht?“, stellte eine der alten Damen entrüstet fest.

„Nee, det tu ikke mir nischt an.“

„Aber Sie waren doch auch mal ein Kind. Haben Sie das schon vergessen?“

„Det iss wohl det dümmste, wad ikke jehört habe, nisch war mei Kleener“, richtete Adele Deubler sich an ihren Mann. Der nickte zustimmend.

„Was für ein ungehobeltes Volk.“

„Bild dir bloß nischt ein, Alte. Wer hier dumm ist, det iss wohl klar. Schau dir nur im Spiegel an.“

Kullmann schob sich zwischen die beiden streitenden Damen, um das unangenehme Gespräch zu beenden.

„Genug der Freundlichkeiten. Schauen wir uns die Zimmer an.“

„Nach dem ersten Eindruck bin ich sicher, dass unsere Zimmer wundervoll sein werden“, schwärmte die alte Dame dankbar dafür, dass Kullmann das Streitgespräch beenden konnte.

„Und nachdem Lisa geschlafen hat, wird sie sich von ihrer besten Seite zeigen“, versprach Anke.

„Entschuldigen Sie unser aufdringliches Benehmen, aber wir hatten leider nicht das Vergnügen, eigene Kinder zu bekommen. Umso mehr freue ich mich, dass wir so ein reizendes Kind in unserer Mitte haben. Ich heiße Gertrud Ossom, das ist mein Mann Arthur.“

Arthur begrüßte Anke mit einem festen Händedruck, dass Anke befürchtete, er würde ihre Hand zerquetschen.

Die Freundin Agnes Gebauer trat schnell hervor, um sich und ihren Mann Hugo ebenfalls vorzustellen. Nach dem ausgiebigen Händeschütteln fühlte sich Anke erleichtert, als sie endlich Kullmann und Martha ins Zimmer folgen konnte. Es war groß, hell und – wie das Foyer auch - mit antiken Möbeln ausgestattet. Durch eine Seitentür ging es weiter. Dort befand sich Ankes Refugium für die kommenden sieben Tage. Was Anke am besten gefiel war die Verbindungstür. So konnten sie immer miteinander kommunizieren und gleichzeitig jeder seinen eigenen Raum für sich genießen.

Kullmann in Kroatien

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