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2. Kapitel
ОглавлениеDunkelgraue Wolken setzten dem neuen Tag ihren Stempel auf. Dazu stürmischer Wind und Regen – alles, worauf Anke verzichten könnte. Zuhause bleiben ging nicht, sie hatte einen Termin bei der Hebamme in der Praxis ihres Gynäkologen. Den Weg dorthin legte sie zu Fuß zurück, was unter diesen Bedingungen kein Vergnügen war.
Sie musste nicht lange warten, bis sie aufgerufen wurde. Susi war eine kleine, rundliche Frau mit einem heiteren Gesichtsausdruck, immer fröhlich und zum Lachen aufgelegt. Ihre dunklen Locken wippten bei jeder Bewegung. Allerdings wirkte die Hebamme an diesem Morgen übernächtigt. Dunkle Ringe hatten sich um ihre Augen gebildet und von ihrer sonst so unbeschwerten Heiterkeit war nicht viel zu merken.
»Was ist los, Susi?«
»Nichts!« Sie schüttelte ihren Kopf, dass die Locken munter hin und her flogen.
»Entschuldige, es geht mich nichts an«, lenkte Anke gleich ein.
Diese Reaktion erstaunte Susi. Eine Weile schaute sie Anke an und sagte dann: »Du merkst aber auch alles.«
»Was soll das heißen?«
»Dass bisher keine meiner Freundinnen so aufmerksam gewesen wäre, wie du gerade jetzt. Dabei kennen wir uns erst seit wenigen Sitzungen.«
»Das macht wohl mein Beruf aus.«
»Ich habe wirklich ein Problem, an dem ich mehr nage, als ich anfangs gedacht hätte.«
Anke horchte auf.
»Meine Freundinnen Rita, Annette und ich hatten Samstagnacht ganz toll gefeiert. Wir waren auf einer Party von Bekannten eingeladen; die Stimmung war toll und wir hatten reichlich getrunken. Weil ich den klarsten Kopf von uns dreien hatte, habe ich uns nach Hause gefahren, was wohl nicht gerade das Intelligenteste war, was wir tun konnten.«
»Stimmt! Aber deswegen bist du bestimmt nicht so bedrückt.«
»Nein! Jetzt bekomme ich Drohanrufe.«
»Oh«, stutzte Anke. »Was hat der Anrufer oder die Anruferin gesagt?«
»Es war ein Mann und er hat gesagt: Ich weiß, dass du es warst! Dafür wirst du bezahlen!«
»Was meinte er damit?«
»Das ist es ja gerade. Ich weiß es nicht. Ich bin mir keiner Schuld bewusst. Bei den ersten Anrufen habe ich noch gelacht und einfach aufgelegt, aber der Anrufer hat sich immer wieder gemeldet, bis ich ihn ernst genommen habe. So oft, wie der angerufen hat, kam es mir nicht mehr wie ein dummer Schuljungenstreich vor.«
»Hast du heute schon von ihm gehört?«
»Nein! Vielleicht bin ich zu früh aus dem Haus gegangen.«
»Gab es Streit auf der Party?«
»Nein, nicht im Geringsten.« Susi schüttelte energisch den Kopf.
»Wo war die Party?«
»In Saarbrücken, im Nauwieser Viertel. Dort wohnen einige Bekannte von uns in einer Wohngemeinschaft, was sich für große Partys geradezu anbietet.«
Anke hatte zwar noch nie die Gelegenheit bekommen, auf solchen Partys mitzufeiern, stellte sich das aber ganz toll vor.
»In der Nacht seid ihr dann den ganzen Weg bis Riegelsberg nach Hause gefahren?«
Susi nickte schuldbewusst.
In diesem Augenblick kam der Gynäkologe herein, begrüßte die beiden Damen und überreichte Susi die Lokalzeitung. Verwundert schaute Susi ihren Chef an, doch kaum hatte sie einen Blick auf den größten Artikel geworfen, da wusste sie, warum er das tat. Anke entdeckte ebenfalls den Bericht und gemeinsam lasen sie ihn durch. Es ging um den Unfall, der sich auf der Neuhauser Straße zwischen Saarbrücken und Rußhütte ereignet hatte. Darin wurde sogar das Unfallopfer namentlich erwähnt. Allerdings ließ der Bericht mehr Fragen offen, als er beantwortete.
Anke fiel ein, dass Susi ebenfalls in Walpershofen wohnte. Wie hatte Claudia Fanroth den Ort beschrieben? Ein kleines Dorf! Dort kannte jeder jeden.
»Kennst du Sybille Lohmann?«
Susi antwortete: »Klar! Sie hatte mal als Schreibkraft im amtsärztlichen Dienst beim Gesundheitsamt Saarbrücken gearbeitet, genauso wie meine beiden Freundinnen Rita und Annette. Das ist aber schon eine Weile her.«
»Darum zeigt dir dein Chef diesen Artikel?«
Susi nickte.
»Das hört sich aber nicht so an, als würdest du Sybille nur als Arbeitskollegin deiner Freundinnen kennen. Wie gut kanntest du sie wirklich?«
Susi taxierte Anke eine Weile und fragte dann: »Warum fragst du mich das alles?«
»Ich überlege, welches Motiv der mysteriöse Anrufer haben könnte. Welchen Weg seid ihr nach Hause gefahren?«
»Das ist ja gerade das Unheimliche«, gestand Susi. »Wir sind über Rußhütte nach Riegelsberg gefahren. Den Weg haben wir genommen, weil wir hofften, dort auf keine Polizeikontrolle zu treffen. Aber von einem Unfall haben wir nichts gesehen.«
»Ganz sicher? Vielleicht kannst du deinem Gedächtnis ein wenig nachhelfen«, drängte Anke.
»Nein. Da war absolut nichts. Ein brennendes Auto im Graben, so etwas merkt man sich doch.«
»Da du gefahren bist, bist du die Einzige, die alles gesehen hat. Ist dir ein Fahrzeug auf deiner Spur entgegengekommen?«
Susi wollte gerade etwas antworten, als sie innehielt.
Doch dann schüttelte sie den Kopf: »Nein, ich bin einmal nur stark geblendet worden. So stark, dass es Rita und Annette auf dem Rücksitz ebenfalls aufgefallen war. Aber sonst nichts. Da hatte einer mit Sicherheit nur versehentlich das Fernlicht eingeschaltet.«
Enttäuscht ließ Anke sich in den Stuhl zurücksinken.
*
Als Anke im ersten Stock auf ihr Büro zueilte, kam ihr ein junger Mann mit dicker Hornbrillenfassung und starken Brillengläsern entgegen. Durch die dicken Gläser wirkten seine Augen vergrößert wie unter einer Lupe, so dass die Schielstellung noch mehr hervorgehoben wurde. Sein Gesicht war teigig und übersät mit Pickeln, sein dünnes, aschblondes Haar klebte in fettigen Strähnen an seinem Kopf. Seine Statur war unförmig und seine Kleidung altmodisch und ungepflegt. Er strömte unangenehmen Körpergeruch aus. Erstaunt schaute Anke ihm nach, wie er im Korridor verschwand. Plötzlich hörte sie Eriks Stimme ganz dicht an ihrem Ohr: »Das ist Emil Tauber. Er hatte den Unfall entdeckt und sofort die Polizei benachrichtigt. Er musste heute Morgen seine Aussage zu Protokoll geben.«
»Ist er verdächtig?«, fragte Anke.
»Das ist bei diesem Mann schwer zu beurteilen. Er benimmt sich merkwürdig, so als fiele es ihm schwer, über den Unfall zu sprechen. Dabei ist nicht erkennbar, ob er sich immer so verhält, weil er Komplexe und dazu noch eine feuchte Aussprache hat, oder ob mehr dahintersteckt. Deshalb werden wir ihn überprüfen.« Mit einem taxierenden Blick auf Anke fügte er an: »Wie war deine Sitzung?«
Sein Interesse an ihrem Kind rührte Anke. Ihre Sorge wegen der Schwangerschaft im Abseits zu landen, hatte sich nicht bewahrheitet.
Sie berichtete, was sie von ihrer Hebamme über die Heimfahrt Samstagnacht und über die Drohanrufe erfahren hatte.
Daraufhin blätterte der Kollege in seinen Berichten und las laut vor: »Das Unfallfahrzeug wird auf Spuren untersucht, die auf ein Fremdverschulden am Unfall hinweisen. Das wird allerdings schwierig, weil das Auto Feuer gefangen hatte.«
»Wann hat Emil Tauber den Unfall gemeldet?«, fragte Anke.
»Um halb eins.«
Anke nickte und spürte immer deutlicher, dass die Theorie, die sich schon in ihrem Kopf anbahnen wollte, nicht mehr standhalten konnte. Eigentlich war sie froh darüber, weil sie Susi vertraute.
»Was denkst du?«, hakte Erik nach.
»Ich hatte die fixe Idee, dass Susi mit ihren Freundinnen das Fahrzeug von Sybille Lohmann von der Straße abgedrängt hatte. Aber eine Party in den Ausmaßen, wie Susi mir berichtet hatte, ist um halb eins nicht zu Ende.«
»Das muss aber nicht bedeuten, dass die drei bis zum Schluss auf dem Fest waren. Frag doch einfach mal nach, um wie viel Uhr die drei losgefahren sind.«
Plötzlich wurde die Tür ohne anzuklopfen geöffnet und Claudia trat ein.
»Wir haben endlich den Sohn der Toten ausfindig gemacht. Er befindet sich im Verhörraum«, sprudelte sie los. »Erik, kommst du bitte mit. Wir beiden sollen das Verhör durchführen!«
»Warum Verhör?«, staunte der. »Ist der Sohn verdächtig?«
»Das kann man wohl sagen. Er wollte sich einer Befragung entziehen. Daraufhin haben wir ihn mitgenommen.« Claudia wirkte ungeduldig.
Erik folgte ihr. Anke blieb allein in ihrem Büro zurück.
Sie blätterte in den Akten, als ihr Telefon klingelte. Es war Susi, ihre Hebamme. Sie klang verzweifelt, als sie sagte: »Ich habe wieder einen Drohanruf bekommen.«
»Was hat er gesagt?«
»Er sagte, dass ich diesmal mit meinem Leben bezahle.« Sie begann zu schluchzen.
»Was bezahlen?«, hakte Anke nach.
»Genaueres hat er nicht gesagt. Ich habe große Angst. Was soll ich machen?«
»Ich muss meinen Chef fragen, ob wir eine Fangschaltung an dein Telefon anschließen dürfen.« Sie konnte Forseti in dieser Hinsicht allerdings schlecht einschätzen. »Wie viel Uhr war es denn, als du mit deinen beiden Freundinnen die Party verlassen hast?«
Susi überlegte eine Weile und gestand zögernd: »Das weiß ich nicht mehr so genau. Wenn ich besoffen bin, habe ich es nicht mehr so genau mit der Uhrzeit.«
»Ungefähr?«
»Ein Uhr würde ich sagen. Ich weiß, dass es relativ früh war. Da wir schon früh angefangen hatten, waren wir umso früher fertig.«
Das war alles andere als zufrieden stellend. Mit solchen vagen Angaben den Chef von einer Fangschaltung zu überzeugen, war sicherlich ein hartes Stück Arbeit. Zielstrebig ging sie zum Büro ihres Vorgesetzten, aber es war leer. Sie fand ihn auf der gegenüberliegenden Seite des Verhörzimmers, von wo aus man alles durch den Einwegspiegel beobachten konnte.
Erik und Claudia saßen einem jungen Mann gegenüber, der äußerst gepflegt und beherrscht wirkte. Anke war über diese Erscheinung überrascht. Sie hatte etwas ganz anderes erwartet. Der junge Mann machte nicht den Eindruck, als handelte er unüberlegt oder hitzköpfig. Mit vorbildlicher Haltung saß er da und wirkte äußerst ruhig, so als könnten die vielen Fragen, die auf ihn einstürmten, ihn nicht im Geringsten berühren. Das Einzige, was auffällig war, waren seine roten Augen. Er hatte geweint.
»Ist er verdächtig?«, fragte Anke.
»Er hat bis jetzt noch nichts ausgesagt, was von einem Verdacht ablenken könnte«, lautete Forsetis Antwort.
Anke wartete, bis Erik und Claudia eine Pause einlegten und das Verhörzimmer verließen. Erst dann trug sie vor, was sie auf dem Herzen hatte: »Ich bitte um eine Fangschaltung bei Susi Holzer. Sie wird mit Drohanrufen belästigt und hat Angst.«
Der Hauptkommissar schaute Anke ungläubig an, bis er endlich reagierte: »Sind wir hier, um verängstigte Mädchen in Sicherheit zu wiegen?«
»Nein, wir sind hier, um neben der Aufklärung von Tötungsdelikten auch potenzielle Tötungsdelikte zu verhindern«, reagierte sie schlagfertig.
Forseti zog seine rechte Augenbraue hoch, ein Zeichen seiner Überraschung, steckte seine rechte Hand in die Hosentasche und ging einige Male auf und ab, bis er endlich erwiderte: »Was rechtfertigt Ihre Behauptung eines potenziellen Tötungsdelikts?«
Sie schilderte ihm das Gespräch mit Susi Holzer und fügte ihre Vermutung hinzu, dass Susi an der Unfallstelle vorbeigekommen sein könnte, ohne sich dessen bewusst zu sein.
»Das Auto hat gebrannt«, stellte Forseti den Sachverhalt dar. »Wie kann Susi Holzer an der Unfallstelle vorbeigefahren sein, ohne sich dessen bewusst zu sein?«
Anke überlegte kurz, weil sie die Ironie seiner Frage nicht überhört hatte. Die Situation war brenzlig, weil Susi ihr anvertraut hatte, dass sie betrunken Auto gefahren war. Aber im Nachhinein konnte ihr das nicht mehr zum Nachteil gereichen, überlegte sie und antwortete wahrheitsgetreu.
Erik und Claudia traten hinzu. Claudia runzelte die Stirn und fragte: »Gehen wir jetzt jedem Hirngespinst nach?«
»Ich überlege auch, welchen Zusammenhang Sie da sehen wollen«, stimmte der Vorgesetzte Claudia indirekt zu.
Dabei schauten alle Anke so erwartungsvoll an, dass sie schon wieder zu schwitzen begann. Sie fühlte sich hilflos, weil der Faden, den sie in ihrem Geiste gesponnen hatte, in der Tat zweifelhaft war. Aber es war besser als nichts, oder das, was die lieben Kollegen, die sie gerade anstarrten, vorzubringen hatten. Also nahm sie sich zusammen und schoss zurück: »Sehen Sie ihn nicht?«
Forseti verzog ärgerlich das Gesicht, reagierte aber beherrscht: »Wir werden keinen groß angelegten Lauschangriff starten ohne stichhaltige Beweise. Zunächst warten wir das Ende unseres Verhörs mit Sven Koch ab, bevor ich die weiteren Schritte überdenke.«
Anke war enttäuscht, allerdings mehr über ihre eigene Unbeherrschtheit als über die Reaktion des Vorgesetzten.
Claudia bewegte sich langsam auf die Tür zum Verhörraum zu. Doch als sie bemerkte, dass Erik ihr nicht folgte, blieb sie stehen und schaute ihn erwartungsvoll an. Er verstand die Geste sofort und beeilte sich. Anke und Forseti blieben auf der anderen Seite des Raums, um das weitere Gespräch beobachten zu können. Der erste Eindruck, den Anke von dem jungen Mann bekommen hatte, blieb. Er wirkte überzeugend mit seinen Antworten, war nicht aus der Ruhe zu bringen und ließ keinen Zweifel daran, dass er darunter litt, seine Mutter verloren zu haben.
Claudia fragte in scharfem Tonfall: »Stimmt es, dass Sie sich am Samstagabend, kurz vor dem Tod Ihrer Mutter, noch heftig mit ihr gestritten haben?«
»Ja, das stimmt.«
Diese Antwort verblüffte nun alle.
»Über was haben Sie sich gestritten?«
»Meine Mutter wollte verreisen, ich war dagegen.«
»Wohin wollte Ihre Mutter verreisen?«
»Sie sagte es mir nicht.«
»Sagten Sie nicht, Ihr Verhältnis zu Ihrer Mutter sei immer gut gewesen?«, hakte nun Erik nach.
»Was hat das damit zu tun?«, hielt Sven Koch dagegen. »Sie hat die Lebensversicherung ihres verstorbenen Mannes ausgezahlt bekommen und wollte damit ein neues Leben anfangen. Ich war darüber nicht glücklich, weil ich auf keinen Fall wegziehen wollte. Das setzt aber nicht voraus, dass ich sie deshalb umbringe.«
»In dem Fall sind Sie allerdings der Alleinerbe, wenn ich das richtig verstehe?«, schaltete Erik sofort.
»Na, herzlichen Glückwunsch«, bemerkte Sven abfällig.
»Ganz genau! Je nachdem, wie hoch die Versicherungssumme ist, kann man Sie doch beglückwünschen«, trieb Erik den Spott weiter.
»Ach so, darauf läuft das hinaus«, schimpfte Sven Koch. »Ich hatte bis Samstagabend nicht gewusst, dass sie eine Summe der Lebensversicherung erwartete. Wie sollte ich in der Kürze der Zeit ein Verbrechen planen und ausführen?«
»Stimmt! Sie hatten nicht viel Zeit, da musste es eben schnell gehen.«
»Und welche Bedeutung hat in Ihrer Theorie der so genannte Alleinerbe?«, hakte Sven nach.
»Das wollen wir von Ihnen wissen. Warum diese Eile und Brutalität, wenn Sie am Ende doch alles erben?«, erklärte Erik in einem Tonfall, der Sven Koch zum Schweigen brachte. Jetzt erst merkte der junge Mann, in welcher Situation er sich befand.
»Ich verlange meinen Anwalt«, sagte er plötzlich.
»Das steht Ihnen zu.« Erik gab sich geschlagen.
Claudia wollte nicht so schnell aufgeben, jetzt wo sie ihn am Haken zappeln sah: »Warum wollen Sie einen Anwalt, wenn Sie angeblich nichts zu befürchten haben?«
Sven Koch schwieg.
Erik erhob sich und verließ den Raum. Verzweifelt schaute er Anke an, die nur mit den Schultern zucken konnte. Forseti hingegen wirkte enttäuscht und brachte das sogleich zum Ausdruck: »Mussten Sie den Verdächtigen so hart anfassen.«
»Ich schlage vor, dass wir uns in Walpershofen umhören, wie das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn wirklich war«, mischte Anke sich ein, um Erik aus der Patsche zu helfen.
»Wir werden nicht umhinkönnen nachzuprüfen, ob es diese Lebensversicherung wirklich gegeben hat«, richtete Forseti sich an Anke.
»Sollte das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn wirklich so gut sein, wie Sven Koch es beschreibt, hat er sie nicht aus Geldgier umgebracht«, beharrte Anke.
»Sie sind hier nicht als Profiler beschäftigt«, konterte Forseti böse. »Machen Sie also die Arbeit, von der Sie etwas verstehen!«
*
Claudia Fanroth verließ zusammen mit Sven Koch den Verhörraum. Als der junge Mann heraustrat und Anke sah, bemerkte er: »Schick«,wobei sein Blick gezielt auf ihren Bauch fiel.
Anke erschrak über diese Frechheit so heftig, dass sie nichts zu entgegnen wusste.
»Wird es ein Junge oder Mädchen?«, fragte der Mann doch tatsächlich weiter.
»Es ist wohl besser, Sie gehen jetzt.« Erik stellte sich zwischen ihn und Anke, damit er gar keine andere Wahl hatte, als zu verschwinden. Anke war erleichtert über die spontane Hilfe, denn sie hatte sich von diesem Schnösel überrannt gefühlt. Mit nur einem einzigen Wort war es ihm gelungen, sie aus der Fassung zu bringen.
Aber Forseti ließ ihr keine Zeit, lange darüber nachzudenken. Sofort bestimmte er, dass Claudia Fanroth und Erik Tenes gemeinsam die Nachbarschaftsbefragungen durchführten. Anke durfte sich mit dem Heraussuchen der Versicherungsgesellschaft, bei der die angebliche Lebensversicherung abgeschlossen worden war, beschäftigen. Weiterhin beauftragte er sie, Akten über die Vergangenheit von Sybille Lohmann herauszusuchen, damit die Ermittler sich ein besseres Bild vom Opfer machen konnten.
Enttäuscht begab sie sich zuerst zu Fred Feuerstein, dem Aktenführer, und trug ihm ihre Bitte vor. Gemeinsam machten sie sich an die Arbeit. Fred Feuerstein, dessen richtiger Name Manfred Feuer lautete, war schon lange beim Landeskriminalamt beschäftigt und im Laufe der Jahre ein guter Freund von Norbert Kullmann geworden. Anke arbeitete gerade deshalb gern mit ihm zusammen, weil sie von ihm viele interessante Anekdoten aus seiner gemeinsamen Dienstzeit mit ihrem ehemaligen Chef zu hören bekam. Sie hatte leider nur wenige Jahre mit Kullmann zusammengearbeitet, aber diese kurze Zeit war entscheidend für sie geworden. Kullmann hatte ihr nicht nur in beruflichen Dingen weiterhelfen können, er war für sie viel mehr gewesen als ein Vorgesetzter. Während Fred Feuerstein lustig plauderte, wuchs in Anke der Entschluss, Kullmann sobald wie möglich zu besuchen. Er hatte ihr angeboten, immer für sie da zu sein, und nun wollte sie sein Angebot annehmen.