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Kapitel 6

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Antonia

Ungeduldig rühre ich in meinem Kaffee und starre aus dem Fenster. Von meinem Schreibtisch aus habe ich einen direkten Blick auf die stark befahrene Straße. Ein roter Impala fährt auf eine der wenigen freien Parkflächen vor dem Dienstgebäude. Ein leichter Seufzer entweicht meiner Kehle, als ich sehe, wer aus dem Fahrzeug steigt. »Mrs. Stone ist soeben angekommen«, sage ich mit Blick in Dolls Richtung.

»Der Vater ist auch schon unterwegs.«

Adrett gekleidet in einem schwarzen Blazer, die Haare akkurat nach oben gesteckt, betritt Mrs. Stone den Raum. Doll und ich bringen sie in ein separates Zimmer, um uns in Ruhe mit ihr unterhalten zu können. Kerzengerade setzt sie sich auf einen der drei Holzstühle. Ihre Augen sind leicht gerötet und aufgequollen und zeugen von einer langen schlaflosen Nacht mit vielen Tränen. Blutroter Lippenstift ziert ihre Lippen. Womöglich will sie damit den Blick von ihren Augen ablenken. Wie es mir scheint, ist es ihr im Allgemeinen sehr wichtig, ihren Wohlstand zur Schau zu stellen. Der weiße Perlenschmuck um ihren Hals und die funkelnde Uhr um ihr Handgelenk kosten weitaus mehr als die Monatsmiete für mein Dreizimmerappartement. Mrs. Stone kommt momentan gar nicht in ihre Villa, das bedeutet, sie hat sich all diese Sachen von jemandem geliehen. Von jemandem, der ebenfalls viel Geld besitzt.

Ich lege die Akte des Falls vor mir auf den Tisch, während Doll und ich Mrs. Stone gegenüber Platz nehmen. »Mrs. Stone, mein aufrichtiges Beileid«, beginne ich das Verhör. »Wie geht es Ihnen?«

Naserümpfend blitzt sie mich finster an. »Wie soll es mir schon gehen?«, antwortet sie schnippisch.

Natürlich geht es ihr nicht gut, dessen bin ich mir bewusst. Ich wollte einfach nur höflich sein.

»Ich weiß, das ist jetzt hart für Sie«, fahre ich ungeachtet ihrer pampigen Antwort fort. »Fühlen Sie sich denn in der Lage, mit uns über den gestrigen Abend zu sprechen?«

»Wäre ich denn sonst hier?«

Innerlich beginne ich zu toben. Wie kann man denn nur so unfreundlich sein und kein bisschen Mitgefühl zulassen? Vielleicht ist es auch nur ihre Trauer. Diese bewältigt schließlich jeder Mensch anders. »Dann erzählen Sie uns bitte, was passiert ist.«

In einem tiefen Atemzug holt Mrs. Stone ihre Erinnerungen zurück. »Ich kam kurz nach halb zehn nach Hause. Ich war bei einer Vernissage von einer Freundin, fühlte mich im Laufe des Abends jedoch nicht sonderlich gut. Ich bekam starke Kopfschmerzen. Also verließ ich die Veranstaltung früher und ließ mich von einem Taxi nach Hause fahren. Unterwegs kam mir der Gedanke, dass etwas frische Luft mir bestimmt guttäte. Also bat ich den Taxifahrer, mich nicht bis zu meinem Haus zu fahren, sondern etwas früher aussteigen zu lassen. Ich wollte den restlichen Weg zu Fuß laufen.« Erste Tränen bahnen sich ihren Weg über Mrs. Stones Wangen. Verzweifelt schüttelt sie ihren Kopf, bevor sie weiterspricht. »Wäre ich doch nur mit dem Taxi bis zum Haus gefahren, dann hätte ich meine Tochter vielleicht retten können.«

Ich kann mich nur allzu gut in ihre Situation hineinversetzen. Dieses Gefühl des Versagens ist mir sehr bekannt. »Mrs. Stone, beruhigen Sie sich. Niemand kann so etwas ahnen.« Ich halte einen Augenblick inne, gebe ihr die Zeit, die sie braucht, um ein Taschentuch aus ihrer Handtasche zu ziehen.

»Wie spät war es, als Sie das Taxi verließen?«

»Das muss ungefähr 21:15 Uhr gewesen sein.«

Ich friere bereits beim bloßen Gedanken daran, dass diese Frau zwanzig Minuten lang in feinen Strumpfhosen in Eiseskälte spazieren ging.

»Wie ging es weiter, nachdem Sie aus dem Taxi ausgestiegen sind?«, fragt nun Doll.

Vor ihrer Antwort atmet Mrs. Stone tief durch. »Als ich das Haus betrat und gerade meinen Mantel an die Garderobe hing, hörte ich plötzlich einen Schrei. Er kam von oben und ich habe sofort die Stimme meiner Tochter Luisa erkannt.«

»Sind Sie da absolut sicher?«, hakt Doll nach und kassiert einen echauffierten Blick.

»Natürlich, eine Mutter erkennt die Stimmen ihrer Kinder! Wenn Sie auch mal Kinder haben, werden Sie das verstehen.«

Doll lässt diese Aussage zwar unkommentiert, rollt aber genervt mit den Augen. »Also schön. Wie haben Sie sich verhalten, als Sie den Schrei gehört haben?«

»Ich bin sofort nach oben und in Richtung Arbeitszimmer gelaufen.«

»Hatten Sie denn gar keine Angst, was Sie dort erwarten würde?«, frage ich.

»Doch, aber meine Tochter hat geschrien. Da musste ich ihr doch sofort zur Hilfe eilen. Allerdings konnte ich ihr nicht mehr helfen. Das Bild, was ich vorgefunden habe, werde ich niemals vergessen.« Bedrückt schüttelt sie ihren Kopf und schaut zu Boden. Immer wieder tupft sie sich mit einem Taschentuch die Tränen aus ihrem Gesicht und reißt mich damit in einen immer größer werdenden Zwiespalt um ihre Person. Warum ist es ihr so wichtig, trotz Trauer gut auszusehen? Mir wäre an ihrer Stelle scheißegal, was mein Gegenüber von mir denkt oder wie sehr mein Make-up gerade verläuft. Na ja, ganz richtig ist das vielleicht auch nicht, denn ich hätte mich gar nicht erst geschminkt.

»Was genau haben Sie im Arbeitszimmer gesehen?«, fahre ich das Verhör fort.

Mrs. Stone atmet noch einmal tief durch, bevor sie antwortet. »Luisa lag am Boden. Rings um ihren Körper war eine Blutlache und neben ihr lag der Brieföffner von meinem Mann. Es war furchtbar. Linda kniete neben ihr und hielt sie in ihren Armen.« Mit weit aufgerissenen Augen wirft sie ihren Kopf nach oben. »Sie hat sie umgebracht!« Ihre Augen blitzen mich vor Zorn so finster an, dass ich für einen Moment glauben muss, ihre Seele habe sie verlassen.

Zweifelnd hebe ich die Brauen. »Sie haben aber nicht direkt gesehen, wie Linda Luisa erstochen hat?«

Ihr Brustkorb beginnt sich rasend schnell zu heben und zu senken. »Um Gottes willen, nein. Aber es war eindeutig, dass sie es war!« Ihre Augen versprühen noch immer abgrundtiefen Hass.

»Was macht Sie da so sicher?«

Wild gestikulierend schreit sie mich an. »Was soll diese Frage?«

»Mrs. Stone, es gibt keinen Grund, uns anzuschreien«, entgegne ich schroff. Ich habe genug von ihrem Verhalten. Was bildet sich diese Frau eigentlich ein? Denkt sie etwa, nur weil sie reich ist, kann sie mit uns umgehen, wie es ihr gefällt? »Linda hat ausgesagt, dass Luisa bereits tot war, als sie diese im Arbeitszimmer aufgefunden hat.«

»Das ist eine Lüge! Wer soll es denn sonst gewesen sein?« Nun signalisieren nicht mehr nur ihre Augen reine Boshaftigkeit, sondern auch ihre Stimme. Sie ist viel tiefer als zuvor.

Ob sie genau so vor ihren Kindern gestanden und sie angebrüllt hat, wenn diese etwas falschgemacht haben? Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie furchteinflößend das auf sie gewirkt haben muss. Eine Frau, die sich so adrett gibt, sollte nicht derart die Beherrschung verlieren.

»Mrs. Stone, Sie sollten sich dringend beruhigen«, sagt Doll mit deutlichem Argwohn in der Stimme. Ihre Art bringt also nicht nur mein Innerstes zum Toben. »Wir machen hier nur unsere Arbeit und solche Fragen gehören eben dazu.«

Uneinsichtig verzieht sie ihre Lippen. »Ihr Job ist bereits erledigt.« Sie klingt noch immer angepisst, aber ihre Stimme ist wenigstens etwas gedämpfter geworden. »Linda ist drogensüchtig. Sie kam immer wieder nur nach Hause zurück, wenn sie Geld brauchte. Im Arbeitszimmer stand der Tresor offen. Luisa hat Linda dabei erwischt, wie sie uns Geld stehlen wollte und deswegen hat sie sie erstochen!«

»Das ist eine Möglichkeit.« Wenn Mrs. Stones Blicke mich töten könnten, würde ich jetzt leblos zu Boden fallen. »Aber es kann doch genauso gut sein, dass ein Einbrecher Ihre Tochter erstochen hat und Linda nur versucht hat, Luisa zu helfen.«

Schnaufend schüttelt sie den Kopf. »So ein Unsinn. Wir haben ein sehr zuverlässiges Alarmsystem und wohlgemerkt hat Luisa geschrien, als ich nach Hause gekommen bin. Von einem Einbrecher fehlte jedoch jede Spur. Zudem muss ich Sie wohl nicht daran erinnern, dass Linda geflohen ist!«

»So kommen wir nicht weiter«, ächzt Doll. Offensichtlich hat er unseren, zu nichts führenden, Schlagabtausch satt. »Mrs. Stone, vielleicht erzählen Sie uns jetzt mal ganz in Ruhe etwas über Ihre Töchter und Ihre Familiensituation.«

Die Arme vor dem Körper verschränkt, mustert Mrs. Stone ihn misstrauisch. »Was möchten Sie wissen?« Ihr Tonfall ist noch immer pampig.

»Wir fangen am besten bei Ihrer Tochter Luisa an. Wie war sie denn so?«

Als hätte jemand einen Schalter bei ihr umgelegt, beginnt Mrs. Stone plötzlich zu lächeln. »Luisa war gut, einfach nur gut. Ich habe drei Töchter, aber mit den anderen zwei Mädchen hatten wir ständig Probleme. Unsere Älteste hat zwei Mal ihren Studiengang gewechselt, bis sie endlich wusste, was sie will. Außerdem hat sie es fertiggebracht, zwei Ehen gegen die Wand zu fahren. Vor einem Jahr hat sie zum dritten Mal geheiratet. Sie weiß einfach nicht, was sie will.«

Ihre Worte lassen meinen Magen vor Wut zusammenziehen. »Zu einer gescheiterten Ehe gehören immer zwei, Mrs. Stone. Vielleicht hatte Ihre Tochter auch keine leichte Zeit«, sage ich in Gedanken an die schmerzliche Scheidung, die mir irgendwann noch bevorsteht. Andrews Abbild erscheint vor meinem geistigen Auge, doch ich verdränge es ganz schnell. Es ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um über meine privaten Sorgen zu grübeln, ich muss mich auf den Fall konzentrieren.

Mit einem abschätzigen Zischlaut winkt sie ab. »Leonie ist einfach unfähig, Beziehungen über einen langen Zeitraum zu führen. Sie ist einunddreißig und hat noch immer ihren Kopf in den Wolken. Luisa hingegen wusste schon zeitig, dass sie Psychologin werden will. Sie hat die Highschool mit Bestnoten abgeschlossen und direkt danach mit dem Studium angefangen. Sie war eine ausgezeichnete Studentin und aus ihr wäre eine hervorragende Psychologin geworden, hätte Linda sie nicht umgebracht!«

Ich schüttle den Kopf und starre für einen Moment auf die Wand neben mir. Alles ist mir lieber als der Anblick dieser hochnäsigen Furie vor mir.

Doll führt währenddessen das Verhör weiter. »Welches Motiv könnte Linda denn gehabt haben?«

Aus meinem Augenwinkel sehe ich Mrs. Stones abfällige Gestikulation mit einer Hand. »Linda war schon immer neidisch auf Luisa. Sie selbst hat in ihrem Leben noch nichts erreicht. Seit ihrem sechzehnten Lebensjahr ist sie drogensüchtig. Sie trieb sich nur noch auf Partys herum und wenn sie nach Hause kam, war sie stark alkoholisiert und von Sinnen. Immer wieder ist sie fortgelaufen. Manchmal blieb sie nur wenige Tage und manchmal über Wochen verschwunden. Immer wenn sie zurückkam, hat sie versprochen, mit den Drogen aufzuhören. Ich wusste, dass es nur leere Worte waren und es nicht lange dauern würde, bis sie wieder verschwindet. Mein Mann jedoch ist viel zu leichtgläubig und hat sich jedes Mal wieder von Linda um den Finger wickeln lassen. Hätten wir sie bloß nicht wieder aufgenommen, dann wäre meine Luisa noch am Leben.«

Meine Luisa.

Unfassbar, dass eine Mutter so viel Liebe für eine Tochter empfinden kann und gleichzeitig so kaltherzig über eine andere spricht. Ihre Aussage ist das komplette Gegenteil zu der von Linda. Es wirkt, als würde sie eine völlig andere Person beschreiben.

»Mrs. Stone, Ihre Tochter hat uns erzählt, dass ihr Verhältnis zu Luisa gut war. Sie soll die Einzige gewesen sein, die hinter ihr stand.«

Mrs. Stone streicht den Stoff ihres dunklen Blazers glatt und streckt ihren Rücken. »Wie gesagt, Luisa war ein gutes Mädchen und sie hat auch in jedem Menschen nur das Gute gesehen. Sie hatte Hoffnung, Linda würde eines Tages zur Raison kommen. Aber ich bin mir absolut sicher, dass sie in der Nacht wieder verschwinden wollte. Als sie dafür Geld aus unserem Tresor entwendete, hat Luisa sie dabei erwischt. Um nicht verraten zu werden, hat Linda mein liebes Kind eiskalt erstochen.«

Auch wenn Mrs. Stone ihre jüngste Tochter stark belastet, wird mein Gefühl, dass sie es nicht war, immer stärker. In meinem Kopf spielen sich mehrere Szenarien ab, wie die Tat wirklich abgelaufen sein könnte. Ich lege meine Hände auf den Tisch und spreche daher ein ganz anderes Thema an. »Mrs. Stone, hatte Luisa einen Freund?«

Die Mutter seufzt und tupft sich erneut ihre Tränen weg. »Nicht mehr. Sie hat vor circa zwei Wochen mit ihrem Freund Schluss gemacht.«

Ein verschmähter Exfreund macht mich stets hellhörig. »Wissen Sie den Grund dafür?«

Sofort bekomme ich wieder eine pampige Antwort. »Mein Gott, was sollen denn diese ganzen Fragen?«

»Wie gesagt, wir machen nur unsere Arbeit. Also bitte.«

»Wie Sie wollen. Die beiden haben sich auseinandergelebt. Die Trennung war einvernehmlich. Soweit ich weiß, sind sie dennoch Freunde. Nur geliebt haben sie sich nicht mehr.«

»Wir werden uns trotzdem mal mit ihm unterhalten. Wie ist denn sein Name?«

Mrs. Stone blickt ungläubig drein. »Er hat doch mit der ganzen Sache nichts zu tun. Was machen Sie sich überhaupt solche Mühe? Sie haben doch schon längst die Täterin!«

Egal, wie emotional aufgewühlt Mrs. Stone gerade ist. Es ist mir absolut schleierhaft, wieso sie partout niemand anderen als Täter in Erwägung ziehen will. Hofft sie denn nicht tief in ihrem Inneren, dass ihre jüngste Tochter nichts mit dem Mord zu tun hat? »Lassen Sie das unsere Sorge sein. Also, wie heißt der Mann?«

»Sein Name ist Tom Baser. Sind wir jetzt fertig?«

»Eine Frage noch«, sagt Doll. »Wie viel Geld war an diesem Abend im Safe?«

Mrs. Stone zuckt mit ihren Schultern. »Das weiß ich nicht. Mein Mann legt stets das Geld in den Safe, da müssen Sie ihn fragen. War es das jetzt?«

Nach einem kurzen Nicken meinerseits erhebt sich Mrs. Stone vom Stuhl und hängt ihre Handtasche um die Schulter. »Wann kann ich eigentlich zurück in mein Haus?«

»Der Tatort ist noch nicht freigegeben«, antworte ich knapp, schlage die Akte zu und erhebe mich ebenfalls.

»Wird das denn noch lange so sein?« Sie deutet mit den Händen auf ihren Blazer. »Ich kann nicht ewig bei meiner Freundin bleiben und ihre Kleidung tragen.«

Wut schnürt mir die Kehle zu. Diese Frau hat verdammt nochmal gerade eine Tochter verloren und macht sich allen Ernstes Gedanken darüber, wann sie wieder ihre eigene Kleidung tragen kann? »Ist das wirklich Ihre größte Sorge?«, frage ich ungehalten. Als ich mein Kind verloren habe, habe ich nur in der Ecke gesessen und geheult. Meine Kleidung hätte mir nicht egaler sein können.

Mrs. Stone antwortet nur mit einem Zischen, macht auf dem Absatz kehrt und stöckelt sichtlich gereizt aus dem Raum.

Ich höre Doll schwer durchatmen, als die Tür ins Schloss fällt. »Was ist los?« Leichte Sorge schwingt in seiner Stimme mit.

»Ich versteh diese Frau einfach nicht.«

»Das ist nicht zu übersehen, aber ich meine den Fall. Du glaubst Linda, nicht wahr?«

Nachdenklich reibe ich mir über die Stirn. »Ich habe ein merkwürdiges Gefühl bei dieser Sache und glaube nicht, dass sie ihre Schwester ermordet hat. Es könnte doch genauso gut ein Einbrecher gewesen sein.«

»Aber dafür gibt es keine Hinweise.«

»Das beweist aber noch nicht, dass Linda die Täterin ist. Ich finde es schon merkwürdig, dass sowohl Luisa als auch ihre Mutter zur Tatzeit eigentlich gar nicht zu Hause sein sollten. Unser Täter könnte davon gewusst und diese Gelegenheit ausgenutzt haben. Allerdings muss es jemand gewesen sein, der den Code für die Alarmanlage kennt.«

Doll hebt seine breiten Schultern und streicht sich mit einer Hand über die Glatze. »Toni, ich bin da zwar anderer Ansicht als du, aber wir verhören ja als Nächstes den Vater des Opfers. Fragen wir ihn, welche Personen den Code kennen.«

Ich nicke ihm zu und laufe vor ihm zurück in unser Büro. Während wir auf Mr. Stone warten, ereilt uns der Bericht des Gerichtsmediziners. Dolls Augen gleiten über die Zeilen.

»Und?«, frage ich neugierig.

»Der Stich durch den Brieföffner war eindeutig die Todesursache.«

»Das wussten wir schon vorher. Was steht da sonst noch?«

»Luisa hatte keine weiteren Verletzungen. Spuren eines Kampfes konnten bei ihr nicht festgestellt werden.«

Sie hat die Gefahr also nicht kommen sehen. »Dann hat der Täter sie womöglich überrascht.«

»Oder sie wandte jemandem, dem sie vertraute, den Rücken zu.«

Ich weiß schon, dass Doll damit auf Linda anspielt. Zeit, um weiter zu diskutieren, haben wir jedoch nicht. Ein Mann in einem schwarzen Nadelstreifenanzug betritt soeben unsere Dienststelle.

»Guten Tag, mein Name ist Frank Stone. Ich soll hier aussagen.«

Ich gehe einen Schritt auf ihn zu. »Mr. Stone, mein Name ist Detective Verdella, das ist mein Kollege Dollmann. Lassen Sie uns nach nebenan gehen.«

Wir bringen Mr. Stone in denselben Raum wie zuvor seine Frau. Völlig fassungslos fährt er sich mit einer Hand über sein kurzes, graues Haar, als er sich setzt. Seine Augen zeigen deutlich, dass er zuvor viel geweint hat. »Meine Frau hat mir bereits am Telefon erzählt, was passiert ist. Ich kann nicht glauben, dass unsere Tochter ihre eigene Schwester erstochen hat.« In seinem Gesicht sehe ich wahre Zweifel.

»Trauen Sie Ihrer Tochter denn so eine Tat zu?«

Er schüttelt seinen Kopf, während er auf den Tisch sieht. »Linda war schon immer ein schwieriges Kind. Als sie dann anfing, Drogen und Alkohol zu nehmen, ist sie uns total aus den Händen geglitten. Sie ist öfters einfach weggelaufen. Keiner von uns wusste, wo sie ist und wann sie wiederkommen würde. Ich habe mir dabei immer solche Sorgen gemacht, dass ihr etwas zustößt. Wenn sie dann wieder heimkam, hat sie versprochen, mit den Drogen und dem Alkohol aufzuhören. Es war jedes Mal gelogen. Sie kam nur, um sich wieder Geld von uns zu leihen. Allerdings hatte sie uns noch nie bestohlen.« Er hebt seinen Kopf und sieht mir in meine Augen. »Wissen Sie, alle unsere Kinder bekamen zu ihrem sechzehnten Geburtstag wertvolle Aktienpapiere geschenkt. Allein dadurch bekommen sie monatlich einen nicht unbeachtlichen Geldbetrag ausgezahlt. Linda hatte das Geld jedoch viel zu schnell ausgegeben und brauchte ständig mehr. Meine Frau wollte ihr irgendwann keines mehr geben. Ich wollte aber nicht, dass meine Tochter anfängt sich zu verkaufen oder ein Verbrechen begeht, um an Geld zu kommen. Also habe ich ihr heimlich Geld zugesteckt. Meine Frau weiß bis heute nichts davon.«

»Haben Sie Linda in letzter Zeit auch Geld gegeben?«, frage ich.

»Nein. Sie hatte seit Monaten um keins mehr gebeten.«

»Wie lang genau?«

Mr. Stone verzieht nachdenklich die Lippen. »Wenn ich so darüber nachdenke, es müsste jetzt ungefähr ein halbes Jahr sein.«

Endlich ein erster Zuspruch für Linda. »Das könnte daran liegen, dass Ihre Tochter seit einem halben Jahr clean ist.«

Überrascht runzelt er die Stirn. »Hat sie Ihnen das gesagt?«

»Ja, unter anderem«, antwortet Doll wenig begeistert. »Sie hat außerdem gesagt, dass sie nach einer Ausbildungsstelle Ausschau hält.«

Grübelnd streicht sich Mr. Stone über sein glatt rasiertes Kinn. »Hat sie tatsächlich dieses Mal ihr Versprechen gehalten?« Er fragt mehr sich selbst als uns und schaut dabei ziellos durch den Raum. »Wissen Sie, ich bin geschäftlich oft unterwegs. Aber mir ist schon aufgefallen, dass Linda zurzeit wesentlich klarer wirkt als sonst. Aber warum sollte sie Luisa dann getötet haben?«

»Genau das fragen wir uns auch. Wir ziehen bei dieser Tat aber auch einen Einbruch in Betracht.« Oder besser gesagt, ich ziehe einen Einbruch in Betracht. »Es gibt nur keine Spuren, deswegen möchten wir von Ihnen wissen, welche Personen alles den Code für Ihr Alarmsystem kennen.«

Mr. Stone überlegt einen Moment und schaut dabei an die Zimmerdecke. »Nun, natürlich meine Frau und ich und unsere Töchter. Dann wären da auch noch unsere Haushaltshilfe, Hanna Baker, und unser Gärtner, Max Tipper.«

»Wie sieht es mit den Ex-Ehemännern Ihrer Tochter Leonie aus oder dem Exfreund Ihrer Tochter Luisa, Tom Baser?«

Beherzt schüttelt er seinen Kopf. »Nein.«

»Ganz sicher?«, hake ich nach. Es muss noch jemanden geben.

»Ganz sicher. Wir haben den Code nach den Trennungen geändert.«

So ein Mist. Ich hatte wirklich gehofft, es gäbe da noch eine Person, die sich hätte Zugang verschaffen können. Aber selbst, wenn dem Vater keine weiteren Personen bekannt sind, er muss ja nicht alles wissen. Vielleicht hat eine seiner Töchter noch jemandem den Code verraten.

»Können Sie uns sagen, wie viel Geld gestern Abend im Safe war?«, fragt Doll.

»Ja, es waren 5.000 Dollar. Fehlt denn etwas?«

»Nein, das ist genau der Betrag, den wir gezählt haben.« Doll wirft mir einen stechenden Blick zu. Es sind keine Worte nötig, um zu erfahren, was er gerade denkt. Meine Theorie mit einem Raubmord wird immer unplausibler. Die Schlinge um Lindas Hals wird immer enger. Aber dieses Gefühl über ihre Unschuld will mich nicht verlassen.

Ungeachtet von Dolls vielsagendem Blick suche ich weiter nach Hinweisen, die meine Theorie unterstützen könnten. »Mr. Stone, an welchen Tagen in der Woche sind Ihre Haushaltshilfe und Ihr Gärtner bei Ihnen?«

»Mrs. Baker kommt immer montags und freitags. Mr. Tipper jeden Mittwoch.«

»Danke, Mr. Stone. Sie können jetzt gehen«, sagt Doll und erhebt sich bereits aus seinem Stuhl. Nachdem der Zeuge den Raum verlassen hat, stellt sich mein Kollege mit verschränkten Armen vor die Tür und sieht mich misstrauisch an. »Es war definitiv kein Einbruch. Siehst du jetzt ein, dass Linda die Täterin ist?«

Meine Brauen wandern reflexartig nach oben. »Warum sollte ich? Nur weil nichts gestohlen wurde, heißt es nicht, dass es keinen Einbruch gab.«

Ächzend kommt Doll auf mich zu. »Unsere Kollegen haben das gesamte Gelände um das Haus durchsucht. Da war niemand sonst.«

Entgegen jeglichem Verstand bleibe ich beharrlich. Ich kann nicht anders. »Mein Gefühl sagt mir, dass es nicht Linda war.«

Leichte Sorgenfalten bilden sich auf Dolls Stirn. »Dein Gefühl täuscht dich.«

»Das glaube ich nicht und ich werde gründlichst ermitteln, um die Wahrheit herauszubekommen.«

»Vielleicht solltest du für heute Feierabend machen und dich etwas entspannen.«

Für einen kurzen Moment denke ich an das wohltuende Bad, welches ich mir gestern habe gönnen wollen. Ich könnte es jetzt nachholen. Doch ein Blick auf meine silberfarbene Armbanduhr stimmt mich um. Es ist kurz vor 19 Uhr und damit noch nicht zu spät für eine weitere Zeugenvernehmung. Kopfschüttelnd schiebe ich mich an Doll vorbei und laufe zur Tür. »Ich konnte die Künstlerin, auf deren Vernissage Mrs. Stone gestern Abend gewesen ist, leider nicht telefonisch erreichen. Ich fahre jetzt zu ihrem Atelier. Wir sehen uns dann morgen.«

»Toni«, ruft mir Doll mit väterlicher Sorge in der Stimme nach.

Ich drücke bereits die Klinke herunter, werfe jedoch einen letzten Blick über die Schulter.

»Verrenn dich da nicht in etwas.«

»Ich weiß, was ich tue. Übrigens habe ich die ältere Schwester der Toten, Leonie Dorler, für morgen früh aufs Revier gebeten.«

Sofort mache ich mich auf den Weg zum Atelier und parke meinen Wagen in einer der nobelsten Gegenden New Yorks. Sündhaft teure Geschäfte zieren die Passage. Ich kann nur mit dem Kopf schütteln, als ich einen Blick durch die Schaufenster werfe. Neben einem silberfarbenen Kleid stehen ein Paar diamantbesetzte High Heels. Sie sind weder besonders schön noch komfortabel und kosten genauso viel wie ein gebrauchter Kleinwagen. Warum zur Hölle ist jemand bereit, so viel Geld für Klamotten auszugeben? Es gibt unzählige Wohltaten, die man mit diesem Geld erreichen könnte: Tierheime unterstützen, ein Jahreseinkauf für eine Großfamilie, den Wiederaufbau des Obdachlosenheims zwei Straßen von meiner Wohnung entfernt unterstützen und und und. Aber viel zu viele Menschen denken keinen Meter weiter, als sie stehen, und wollen die Sorgen anderer gar nicht sehen.

Innerlich tobend laufe ich weiter zu dem Atelier. Hinter einer riesigen Glasfront hängen zwei wunderschöne Ölgemälde mit der Skyline New Yorks an einer weißen Wand. Mrs. Fray ist wirklich eine ausgesprochen talentierte Künstlerin, aber leider nicht da. Ein breites Aushängeschild hängt von innen an der Tür.

Das Atelier bleibt dieses Wochenende geschlossen.

Am Montag bin ich wieder für Sie da.

»So ein Mist«, schimpfe ich vor mich hin. Keine Ahnung, wieso mich die Tatsache, dass das Atelier geschlossen ist, gerade so aufregt. Momentan bin ich wirklich viel zu dünnhäutig. Aber die Geschehnisse der letzten Zeit machen es mir wirklich nicht leicht.

Ich atme einmal tief durch, zähle in Gedanken bis drei und laufe zurück zu meinem Auto. Vielleicht sollte ich für heute wirklich Feierabend machen.

Die Schlüssel klirren, als ich sie in die kleine Glasschale auf der Kommode neben der Tür werfe. Der Duftspender daneben verteilt einen leichten Zitrusduft im Flur. Eigentlich mag ich diese Dinger gar nicht. Nach der Trennung von Andrew habe ich aber etwas gebraucht, um seinen Geruch aus meiner Nase zu bekommen. So viele Jahre haben wir hier gemeinsam gelebt. Es gibt keinen einzigen Raum in dieser Dreizimmerwohnung, in dem wir nicht miteinander geschlafen haben. Wir haben ständig und überall Sex gehabt. Sogar auf dem Fußboden im Bad. Egal, wo ich auch hingegangen bin, alles hat mich an die leidenschaftliche Art erinnert, in der wir uns geliebt haben.

Ich laufe ins Bad, drehe das heiße Wasser auf und lege mir ein Handtuch zurecht. Während die Wanne vollläuft, gehe ich ins Wohnzimmer, um ein paar Kerzen zu holen. Heute werde ich es mir so richtig gemütlich machen. Vor dem dunklen Sideboard bleibe ich stehen und werfe seufzend einen Blick auf die beiden eingerahmten Fotos. Eines ist ein altes Familienbild, welches noch in meiner Heimat aufgenommen wurde. Meine Eltern strahlen vor einer Weinplantage mit meiner Schwester und mir um die Wette. Gerade einmal fünf Jahre alt ist meine Schwester damals gewesen. Kurz danach sind wir ausgewandert.

Schmunzelnd streiche ich über das Glas des zweiten Bildes, welches ebenfalls auf der Weinplantage aufgenommen worden ist. Meine Eltern haben direkt daneben ein kleines Haus besessen und beide auf der Plantage gearbeitet. Giulias wilde Locken fallen ihr ins Gesicht. Sie lacht breit und präsentiert damit ihre süße Zahnlücke. Erst kurz zuvor ist ihr ein Milchzahn ausgefallen. Damals ist noch alles in Ordnung gewesen.

Schweren Herzens stelle ich das Bild zurück an seinen Platz. Fünfzehn Jahre lang ist Giulia nun schon verschwunden. An keinem Tag wollen die Erinnerungen an ihre Entführung verblassen. Ich sehe sie noch so klar vor mir wie damals. Wieder und wieder frage ich mich, warum ausgerechnet sie? Und warum habe ich ihr nicht helfen können?

Die Polizei hat damals Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, meine kleine Schwester aber ist spurlos verschwunden geblieben. Sie ist wie vom Erdboden verschluckt.

Wieder atme ich durch und zähle bis drei. Dieses Mal laut und deutlich. Natürlich kann ich meine Sorgen nicht einfach wegzählen, aber es hilft, zumindest ein bisschen.

Ich stelle die Kerzen am Badewannenrand ab und zünde sie an. Dann lasse ich meine Klamotten zu Boden fallen und steige in das heiße Wasser. Mit geschlossenen Augen lehne ich mich gegen das Wannenkissen und lasse die Welt um mich herum einmal nicht meine Sorge sein.

Between Love and Law

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