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Kapitel 4

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Spanien, Sechzehnter März 2003

Orlando erwachte mitten in der Nacht in seinem Elternhaus, da sein Handy klingelte. Er warf die Decke zurück, fuhr sich mit den Fingern über die noch müden Augen und erhob sich, nackt wie er war. In seiner Tasche befanden sich vier Handys und er nahm das heraus, welches in der Dunkelheit leuchtete.

„Ja?“, fragte er nachdem er abgenommen hatte. Er setzte sich auf das Bett und steckte sich eine Zigarette an. Die Handynummer für das Mobiltelefon, welches er nun nutzte, hatten Menschen, die ihn unter Aden Hall kannten und nur die, die er für berechtigt hielt, seine Telefonnummer zu besitzen. Er wäre einfach zu häufig mit Belanglosigkeiten belästigt worden, wäre er freizügiger mit der Nummernvergabe.

„Aden, mein Freund, bist du es?“

„Ja.“, antwortete er ärgerlich. „Wer ist da?“

„Hier spricht James.“, ertönte es leise auf der anderen Seite der Leitung.

Orlando war augenblicklich hellwach. „Was kann ich für dich tun, mein Freund?“, wollte er wissen. James war nur ein Name, den der Iraker am anderen Ende der Leitung nutzte, falls sie abgehört wurden. Sein wahrer Name war Mohhabed al-Santhak. Orlando und Mohhabed halfen Irakern, die vor den Amerikanern fliehen musste, ins Ausland überzusiedeln. Sie gaben den Menschen neue Identitäten und Heimaten.

„Ich habe einen Mann bei mir, der deine Hilfe braucht.“, sagte er, noch immer leise.

„Wo bist du?“, fragte Orlando.

„In Kuwait.“, antwortete Mohhabed sogleich. „Wir warten auf einen Transport zu dir. Sodass wir gegen neun Uhr am nächsten Morgen da wären.“ Das bedeutete, sie warteten auf ein Flugzeug, das sie nach Spanien bringen würde. Mohhabed schwieg einen Moment und fragte dann ängstlich. „Du bist doch da?“

„Ja, du hast Glück.“, antwortete Orlando und musste lächeln. Es war wirklich Glück, denn er hatte bereits am nächsten Morgen in den Irak fliegen wollen. Nun schien es, als müsse er seine Abreise vorerst verschieben. „Ich bin morgen früh am Flughafen.“, sagte er und machte sich nicht die Mühe, auch diese Information zu verschlüsseln. Im Gegenteil zu Mohhabed war ihm klar, dass die Bullen nicht nur die Leitungen abhören konnten, sondern auch Gespräche orten konnten. Es war unsinnig harmlose Orte und Angaben zu verschleiern, wenn sie ohnehin herausgefunden werden könnten.

Mohhabed betete auf Arabisch, leise und ängstlich. „Wir können nicht mit den normalen Fluggesellschaften fliegen.“, erwiderte Mohhabed. „Mein Freund hier, hat Angst vorm Fliegen. Du kennst das ja.“ Auch das entsprach nicht der Wahrheit. Da er befürchtete, dass die Leitung abgehört wurde, traute er sich nicht, einfach drauf los zu reden. Also musste er Aden Hall vorerst verschweigen, dass der Iraker an seiner Seite nur seine originalen Papiere bei sich hatte, die ihn zu einem Feind der Amerikaner machten, welche ihn augenblicklich festnehmen lassen würden, wenn sie eine reguläre Fluggesellschaft aufsuchen würden. Also hatte Mohhabed einen Vertrauten eingeweiht, der den Flug übernehmen würde und sich darum kümmerte, dass sie ohne Schwierigkeiten würden abfliegen und in Spanien landen können. „Hast du etwas zu schreiben? Dann nenne ich dir die Adresse, damit du die Hochzeit meiner Schwester nicht versäumst.“

Orlando nahm einen Stift zur Hand und griff den Block, der auf seinem Nachttisch lag. Aus dem, was sein Gesprächspartner gesagt hatte, schloss er, dass er sich dringend um neue Papiere für den Iraker kümmern müsste. Denn dass dieser noch seine Originalen hatte, war wohl der einzige Grund, warum er nicht einfach ein gewöhnliches Flugzeug besteigen könnte. Das war meistens so, aber nicht immer wurden die Flüchtigen so verstärkt gesucht, dass diese Vorsichtsmaßnahmen unumgänglich waren. Auch war ihm klar, dass sein Freund in Santander nicht ohne Weiteres einen geeigneten Ort zur Landung eines Flugzeuges finden würde. Mit einem Hubschrauber hingegen, wäre es möglich. Dennoch machte er Mohhabed nun nicht darauf aufmerksam, da er so viel Wert auf Geheimhaltung am Telefon legte und es auch seinem irakischen Freund klar sein müsste. Immerhin war es nicht das erste Mal, dass er einen Flüchtigen nach Santander schleuste.

Er ließ sich die Adresse, die Mohhabed aus Vorsicht nur zu Hälfte angab und um einen Hinweis erweiterte, nennen und schrieb sie mit. Da Orlando in Spanien geboren war und es Mohhabed möglich war, den Flüchtling in einem kleinen Küstenort bei Santander abzusetzen, war es für ihn kein Problem den genannten Familiennamen einem gewissen Platz zu zuordnen. Auch gab es direkt am Meer nicht so viele Plätze, wo ein Hubschrauber würde landen können.

„In Ordnung, mein Freund.“, sagte Orlando. „Ich werde die Hochzeit deiner Schwester dieses Mal nicht verpassen. Sag dem Bräutigam, dass ich für die Junggesellennacht bereits ein passendes Hotel gefunden habe.“, sagte er und passte sich der codierten Sprache seines Bekannten an. Er meinte damit, dass er bereits wusste, wo er den Iraker vorerst unterbringen wollte und Mohhabed seinerseits, wusste es nun ebenfalls.

„Das ist gut.“, sagte selbiger nun aufatmend. „Ich danke dir, mein Freund.“, setzte er voller Erleichterung hinzu. Er war froh, wenn er das Problem an Aden Hall weitergereicht hätte. Er vertraute ihm und wusste, dass dieser Mann sich keineswegs so sehr vor der Polizei oder dem Staat fürchtete wie er selbst. „Bis in ein paar Stunden.“

Orlando legte auf und streckte sich neuerlich auf dem Bett aus. Mittlerweile war es drei Uhr am Morgen und er hatte noch immer das Bedürfnis, sich auszuschlafen. Er hasste den Jetlag, der sich, sooft wie er flog, jedoch nicht immer vermeiden ließ. Nun jedoch hatte er keine Zeit zum Schlafen. Er musste einige wichtige Anrufe tätigen, ehe er versuchen konnte, noch ein wenig zu schlafen. Zuerst einmal musste er einen Verbündeten anrufen, der den Flüchtling beherbergen würde, bis dieser andere Papiere hatte. Um an diese Papiere zu gelangen, musste er einen weiteren Anruf tätigen. Allerdings hatte er zu diesem Zweck ein Haus hier in Spanien gekauft, wo drei seiner Freunde lebten und sich um Angelegenheiten wie diese kümmerten. Dennoch würde das Fälschen der Papiere ein paar Tage in Anspruch nehmen, da sie gut genug sein mussten, um dem Iraker ein neues Leben zu ermöglichen.

Als Orlando um halb acht in die Küche seines Elternhauses trat, hatte er es nicht geschafft, noch einmal zu schlafen. Einer seiner Freunde, die für ihn Flüchtlinge aufnahmen und beherbergten, war zurzeit nicht in Spanien und deshalb hatte er länger als erhofft herum telefonieren müssen, ehe er einen Ersatz gefunden hatte. Dafür würde der Iraker noch knapp fünf Stunden Autofahrt hinter sich bringen müssen, weil er erst einmal in Verín, nahe der Grenze zu Portugal, unterkommen würde.

Das Frühstück für die Familie wurde bereits vorbereitet, obgleich keiner in seiner Familie freiwillig vor zehn aufstand. Auch Orlando schlief gerne lange, aber diesen Luxus hatte er sich schon sehr lange nicht mehr leisten können. Jetzt war er als einziger der Bewohner wach.

Die Köchin und deren Gehilfen blickten ihn alle mit Verwunderung an, da auch sie nicht gewohnt waren, ihre Arbeitgeber so früh zu sehen.

„Don Orlando, Sie seien früh wach.“, merkte die griechische Köchin im akzentlastigen Spanisch an. „Wir nicht erwartet haben, so früh zu bedienen.“

Orlando lächelte schräg. „Das müssen Sie auch nicht.“, sagte er und schenkte sich selbst Kaffee ein. „Ich kann mir mein Frühstück selbst nehmen. Danke.“, fügte er hinzu. Er nahm sich einen der Teller, die bereits zum späteren Servieren bereitgestellt worden waren, füllte sich etwas von dem fertigen Rührei auf, nahm sich ein Brötchen und legte eine Scheibe frischen Fleisches darauf. „Wo ist Bertosloni?“, wollte er wissen.

Die Köchin wies ihn zum Wohnzimmer, wo dieser gerade die Nachrichten schaute, während er Staub wischte, was natürlich nicht zu seinen Aufgaben gehörte. Doch so lange sein Boss noch schlief, hatte er nichts weiter zu tun und ehe er sich langweilte, übernahm er lieber einige Aufgaben im Haushalt.

Orlando ging zu ihm herüber und aß bereits im Gehen. Im Türrahmen blieb er stehen und grinste Bertosloni amüsiert an. „Das musst du nicht machen.“, sagte er. „Auch wenn es wirklich bezaubernd aussieht.“, setzte er scherzend hinzu.

Der große Mann ließ den Staubbesen sinken und blickte Orlando mit einem verlegenen Lächeln an. „Vielen Dank.“, sagte er ironisch. „Als du noch nicht so groß und angsteinflössend warst, hast du mir besser gefallen.“, setzte er, ebenfalls im Scherz, hinzu. Er kannte Orlando seit dieser zwölf war und hatte ihm dabei zugesehen, wie er sich von einem rüpelhaften Jungen zu einem beeindruckenden Mann entwickelt hatte. Und obgleich Bertosloni ihm eigentlich unterstand, waren sie eher Freunde und gingen locker miteinander um. Auch dies schätze Bertosloni am Sohn des Dons.

Orlando lachte herzlich. „Kann ich mir denken.“, erwiderte er und setzte dann eine geschäftliche Miene auf. „Ich brauch’ den Schlüssel zum Offroader.“, sagte er dann. Dieser war einer seiner eigenen Wagen, den er jedoch absichtlich in der Garage seines Elternhauses ließ, damit er auch hier stets mobil blieb. „Kannst du irgendwen bitten, mir den Wagen vorzufahren? Dann schaffe ich es vielleicht noch, zu duschen.“

„Natürlich.“, antwortete Bertosloni. „Ich fahr ihn dir vor.“

Orlando nickte zufrieden. „Danke, Samir.“, sagte er. Orlando war der einzige, der Bertosloni hin und wieder beim Vornamen nannte. Er tat es hauptsächlich deshalb, weil er ihn schon als Kind gekannt hatte und ihn damals nur Samir genannt hatte. Dann ging Orlando und kam dem nach, was er seinem Freund gegenüber angekündigt hatte.

Als er in der Nähe des Grundstückes der Familie Sazès ankam, blickte er sich bereits während der Fahrt nach einem geeigneten Ort zur möglichen Hubschrauberlandung um. Er fuhr direkt an der Küste entlang und unterhalb der Klippen verbargen sich die schönsten Strände.

Die Sazès hatten ein großes Haus, was von der Straße aus jedoch nicht zu sehen war, so groß war der Garten. Um dieses Grundstück herum herrschte völlige Abgeschiedenheit. Die Menschen, die hier lebten, hatten vermutlich diesen Ort gewählt, da sie hier keine unmittelbaren Nachbarn hatten. Nur Klippen und Wasser.

Orlando fuhr weiter. Er erinnerte sich an einen von einer breiten Klippe versteckten Strand, wo er, als er noch Zeit für Vergnügungen gehabt hatte, immer gesurft war. Oberhalb des Strandes befand sich eine riesige Grünfläche, die ungenutzt war.

Orlando fuhr dort hin und sah, wenn er den Hügel hinaufblickte, das Haus der Familie Sazès auf einer Erhöhung. Orlando parkte und stieg aus dem Wagen aus. Die Grünfläche wäre ideal zur Ladung geeignet, zumindest ein Hubschrauber hätte hier genug Platz. Je länger er darüber nachdachte, desto sicherer war er, dass Mohhabed mit einem solchen herfliegen würde. Alles andere wäre unmachbar. Santander war eine Küstenstadt mit Häfen und Stränden, aber um ein Flugzeug zu landen brauchten man sehr viel mehr gerade Fläche, als er hier finden würde.

Orlando steckte sich eine Zigarette an und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war neun Uhr. Die freie Hand schob er in die Hosentasche und rauchte, während er sich wartend gegen sein Auto lehnte.

Und dann hörte er ein lautes Motorengeräusch, dass sich, dem ansteigenden Dröhnen nach zu urteilen, auf ihn zu bewegte. Wenige Sekunden später erkannte er den Hubschrauber in der Ferne.

Unmittelbar nachdem der Hubschrauber gelandet war, sprangen zwei männliche Personen heraus. Der Lärm, den der Propeller machte, war ohrenbetäubend. Orlando blieb bei seinem Wagen stehen, denn er erkannte Mohhabed auch aus dieser Entfernung. Der Iraker erkannte ihn ebenfalls, winkte ihm zu und nickte dankbar. Er nahm dem Flüchtigen die Kopfhörer ab und drückte ihm einen Koffer in die Hand. Im nächsten Moment war er wieder in den Hubschrauber gestiegen, welcher unverzüglich wieder abhob.

Der andere Mann machte sich auf den Weg zu Orlando. Während er ging, hielt er sich die Hände ungeschickt über die Ohren, was ihn alles in allem sehr tollpatschig aussehen ließ. Orlando fragte sich augenblicklich, warum dieser unauffällige, harmlos wirkende Mann von der amerikanischen Regierung gesucht wurde.

Als der Iraker vor ihm stand, war der Hubschrauber bereits wieder am Himmel verschwunden. Orlando erkannte die Schweißperlen auf der Stirn seines Gegenübers. Dennoch lächelte der Iraker erleichtert und streckte Orlando die Hand entgegen, die dieser nach kurzem Zögern ergriff und schüttelte.

„Mr. Hall, mein Name ist Khaled…-“

„Sie werden schon bald einen anderen Namen haben.“, unterbrach Orlando ihn sogleich.

Khaled nickte kurz, verunsichert. Er empfand dem Fremden gegenüber sehr viel Respekt und war dennoch von der kühlen, beherrschenden Erscheinung eingeschüchtert. Dass Khaled durch die dunklen Gläser der Sonnenbrille die Augen des Mannes nicht sehen konnte, förderte seine Zuversicht nicht gerade. Der von den Handgelenken bis zum Hals tätowierte Oberkörper des Mannes tat sein Übriges, um Aden Hall gefährlich aussehen zu lassen. Er fühlte sich plötzlich an seine Schulzeit erinnert, wo er von den sportlichen Jungs wegen seiner Intelligenz gehänselt wurde. Er war sich sicher, dass Aden Hall, wären sie einander in der Schulzeit begegnet, ihn verprügelt hätte.

„Folgen Sie mir.“, sagte Orlando und schritt zu seinem Auto zurück. Der kleine Iraker folgte ihm. Orlando wartete bis Khaled zu ihm gestiegen, nahm dann dessen Koffer und überflog schnell den Inhalt. Es wäre zu riskant, hätte dieser Mann eine Wanze oder einen Peilsender in seinen Sachen. Damit würde er nicht nur sich selbst und Orlando, sondern auch seine Freunde, zu denen sie nun fahren würden, in Gefahr bringen.

„Was machen Sie da?“, fragte Khaled verwundert.

Orlando hatte nichts Verdächtiges gefunden und so schloss er den Koffer wieder und reichte ihn ihm zurück. „Ich wollte nur sicher gehen, dass man Sie nicht überwacht.“, erklärte er und fuhr gleich darauf los. Während er fuhr, musterte er den Mann forschend aus dem Augenwinkel. Er fragte sich, warum er gesucht wurde. Er war klein und dicklich und wirkte nicht sonderlich gefährlich. „Warum lassen die Amerikaner Sie suchen?“, fragte er schließlich.

Khaled fühlte sich ein wenig unbehaglich. Über dieses Thema zu sprechen, machte ihn nervös und flösste ihm noch immer Angst ein, wenngleich er davon ausging, dass Aden Hall seine Rettung war. „I..iic…ich hab…habe einige ihrer…ihrer geheimen Militärinformationen abgehört und an die…die Guerilla verraten.“, antwortete er schließlich stotternd. Er atmete tief durch, versuchte sein schnell schlagendes Herz zu beruhigen. „Die Informationen betrafen den Krieg…ähm…also den Krieg, den die Amerikaner planen. Wir…wir sind den ersten Truppen in Kuwait begegnet…und…und ich fürchte, es wird sehr bald ernst werden.“

Orlando nickte verstehend. Der Mann war außer sich vor Angst und Adrenalin. Und doch lag es Orlando nicht, den Tröster zu spielen. Er hoffte, Dana, eine seiner Freundinnen, die Khaled bald kennen lernen würde, könnte das vielleicht übernehmen. „Wie sind die auf Sie gekommen?“, wollte er wissen.

Der Iraker zuckte verständnislos die Achseln. „Ich kann es mir auch nicht erklären!“, räumte er, über diese Tatsache noch immer verstört, ein. „Ich…ich habe keinen Fehler gemacht…das…das habe ich nicht. Ich verstehe meine Arbeit. Alles lief anonym ab.“

Orlando nickte erneut. Wenn das wahr ist, gibt es einen Feind in den eigenen Reihen, dachte er ärgerlich. Mehr Geld, mehr Informationen. So lief das nun einmal. Nahezu jeder Mensch war käuflich, aber sicherlich war jeder Mensch erpressbar.

„Was wird nun mit mir geschehen, Mr. Hall?“, fragte Khaled furchtsam. Er wischte mit zitternden Fingern seine Brillengläser sauber und blickte ihn ausharrend an.

„Sie werden ein neues Leben beginnen.“, antwortete Orlando. „Damit Sie nicht weiter fliegen müssen und aufgrund ihres Teints, werden wir Sie zu einem gebürtigen Spanier machen und Sie werden in Portugal leben. Ich hoffe, Sie sprechen Spanisch?“ Bisher hatten sie sich auf Arabisch unterhalten.

Der Iraker schüttelte verneinend den Kopf. „Nein, das ist ein Problem.“, antwortete er ängstlich. „Bei Allah, was machen wir denn nun?“

„Ganz ruhig.“, sagte Orlando mit einem amüsierten Lächeln, das nicht im Ansatz verriet, dass auch er sich Gedanken um Khaleds Sicherheit machte. Dabei machte er sich weniger Sorgen um die Sprache, als vielmehr um das nervöse, ängstliche Temperament des Irakers. Selbst wenn dieser eine neue Identität hatte, würde er sein Leben selbst meistern müssen und Orlando konnte sich gut vorstellen, dass dieser Mann nach allem, was er erlebt hatte, zu ängstlich wäre, um auch nur das Haus zu verlassen, damit er nicht erst Gefahr lief, jemanden seine gefälschten Papiere vorzeigen zu müssen. „Für dieses Problem habe ich längst eine Lösung.“, sagte er und verschwieg seine eigentliche Besorgnis absichtlich, um den Mann nicht noch mehr zu beunruhigen. „Sie sind nicht der Erste, der bei der Flucht eine andere Sprache lernen muss.“ Orlando erinnerte sich noch genau daran, wie er seinen ersten Flüchtling aufgenommen hatte. Auch dieser hatte nur Arabisch sprechen können, doch Orlando war die Problematik der Sprache erst klar geworden, als er sich damit konfrontiert sah. Also hatte er sich an eine Freundin seiner Schwester Bonita gewandt, von der er wusste, dass sie Lehrerin war. Mittlerweile half sie ihm seit mehreren Jahren, wenngleich sie noch immer hauptberuflich als Lehrerin tätig war. Für ihn kümmerte sie sich darum, dass alle Flüchtigen, die er aufnahm, schon bald auch eine weitere Sprache beherrschten. Dana lebte in Spanien, obwohl sie gebürtige Deutsche war und viele Jahre in Frankreich studiert hatte. Für seine Arbeit war es jedoch wichtig, dass sie immerzu abrufbereit war und dies setzte voraus, dass sie in Spanien lebte, da Orlando die Flüchtlinge immer hier aufnahm, ehe er sie in der Welt verteilte. Dana hatte sich entschieden, in Spanien zu bleiben, schon deshalb, weil sie sich in ihrer Schule sehr wohl fühlte. Dort unterrichtete sie Deutsch und Spanisch, die Flüchtlinge lehrte sie zusätzlich Arabisch, und falls das nötig war, Englisch, Französisch und Italienisch. Sie war Orlando eine große Hilfe und sie war verschwiegen, was er am meisten schätzte. Sie hatte nicht einmal Bonita davon erzählt, obgleich sie in ihrer Freizeit beinahe täglich mit ihrer Freundin zusammen war.

Orlando nahm sein Handy vor und wählte Danas Handynummer.

„Sí?“, meldete sie sich sofort.

„Ich bin es.“

„Oh.“

„Ich habe einen Mann bei mir, der deine Hilfe braucht.“, fuhr er fort. „Könntest du, wenn du Feierabend hast, zu Antonio kommen?“

„Sicher.“, antwortete sie ohne zu zögern. „Heute Nachmittag bin ich da.“

„Gut, danke.“

„Orlando?“

„Ja?“

„Sehe ich dich da?“, fragte sie, etwas verlegen.

„Ich glaube, ja.“

„Okay, gut. Bis dann.“

Orlando legte auf. Er fühlte sich jedes Mal, wenn sie seinen wahren Namen sagte, erwischt. Er hätte es gerne verhindert, dass sie es überhaupt erfahren hatte, damit hätte er sich bei weitem wohler gefühlt. Dana jedoch hatte er sich nicht unter einem falschen Namen vorstellen können, da sie seine Familie kannte. Wenn sie jedoch mit ihren anderen Verbündeten zusammen waren, hielt sie sich konsequent an seine Anweisung und nannte ihn Aden.

„Darf ich fragen, was Sie besprochen haben?“, fragte Khaled schüchtern, da er kein Wort von dem Spanischen verstanden hatte.

„Ich habe den Sprachunterricht für Sie angesetzt.“, antwortete Orlando auf Arabisch. „Sie werden heute Nachmittag Ihre erste Unterrichtsstunde haben.“

„Das ist gut. Vielen Dank.“, sagte er ausatmend. „Wie lange werde ich ohne Papiere auskommen müssen?“

„Höchstens eine Woche.“, antwortete Orlando und bog von der Hauptstraße auf einen verborgenen Pfad ab. „Wir müssen noch ein Passfoto von Ihnen machen, wenn wir Ihr Aussehen verändert haben. Ich schlage vor, Sie beginnen jetzt mit der Diät.“

Der Mann blickte ihn sowohl verwundert, als auch gekränkt an. Unwillkürlich berührte er seinen Bauch. „Sie finden, ich bin zu dick?“

„Ich finde, es wäre eine bessere Tarnung, wenn Sie Ihrem jetzigen Aussehen so wenig wie möglich ähneln.“, antwortete Orlando und musste sich das Grinsen verkneifen.

Khaled nickte. „Sie haben Recht.“, gestand er, auch wenn ihn schon jetzt schmerzte, nicht mehr so viel essen zu können wie bisher und dass er vor allem darauf achten musste, was er zu sich nahm. Bisher hatte er nicht eine einzige Diät durchgehalten, nun jedoch ging es um sein Leben und dies würde selbst ihn dazu bringen, dem Essen den Rücken zu kehren. Die Motivation war eine ganz andere.

Orlando führte den Flüchtling in ein unscheinbar wirkendes Haus, welches versteckt in einem Wäldchen lag. Eigentlich gehörte das Haus Orlando, denn er hatte es gekauft, aber er ließ Antonio als Hauptmieter hier wohnen, ohne von ihm Miete zu verlangen. Immerhin arbeitete er für ihn und so glich das obere Stockwerk, das mittlerweile zu einem einzigen riesigen Raum umgebaut war, einem technisch hervorragend ausgestatteten Büro.

Orlando hatte Antonio durch seinen ältesten Freund Wassilij Rizcsac kennen gelernt. Wassilij und er waren damals in demselben Militärcamp gewesen und man hatte sie beide vorzeitig aus dem Programm geworfen, weil sie sich immerzu den Befehlen ihrer Ausbilder widersetzt hatten. Dennoch waren die beiden Freunde geblieben und auch wenn sie einander nicht sehr häufig sahen, Wassilij arbeitete als Auftragsmörder im russischen Untergrund und Orlando im spanischen, war es doch die standhafteste Freundschaft, die beide je eingegangen waren. Und irgendwann vor etwas mehr als zehn Jahren, hatte Wassilij einen Spanier im russischen Gefängnis von Moskau entdeckt. Da Orlando einen zuverlässigen Fälscher gesucht hatte, hatte Wassilij ihm den Gefangenen empfohlen. Antonio war wegen Urkundenfälschung verhaftet worden. Orlando war nach Russland geflogen und hatte sich die Fälschungen von Antonio angesehen, die Wassilij mit hervorragend bewertet hatte. Und auch er hatte nicht widersprechen können. Also hatte er seinem Landsmann ein Angebot unterbreitet, dass dieser in seiner Situation nicht hatte ablehnen können. Orlando hatte die Kaution hinterlegt und Antonio in sein Heimatland zurückgebracht. Danach hatte der Spanier angefangen, für Orlando zu arbeiten. Er war ohnehin ein Krimineller gewesen, aber nun hatte er auch das Gefühl, dass seine illegalen Machenschaften zumindest einigen Menschen eine Hilfe waren. Und Antonio war kein gewalttätiger Krimineller, weshalb er seine Arbeit unter Orlando noch mehr schätzte. Er war nach Santander gezogen und fühlte sich hier wohl. Es gefiel ihm, Flüchtige aufzunehmen, ihnen zu helfen und ihnen ein neues Leben zu ermöglichen. Dank seiner Freunde führte er nun ein angenehmes Leben und hatte eine Aufgabe, die ihn zufrieden stellte.

Als Antonio die Tür öffnete und er Orlando sah, erschien ein breites Lächeln auf seinem Gesicht. „Aden!“, rief er und schloss Orlando kurz in seine Arme. Dabei wusste er sehr genau, wie lächerlich er dabei aussah, weil sein Freund mehr als einen Kopf größer als er war. „Kommt rein. Kommt, Dana ist auch schon da.“

Orlando runzelte fragend die Stirn, weil er angenommen hatte, dass Dana noch arbeitete. Dann zuckte er jedoch die Schultern, weil es ihm eigentlich egal war. Er trat mit Khaled ein.

Als sie in den oberen Stock kamen und das riesige Büro betraten, blickte Khaled sich voller Ehrfurcht um. Überall an den Wänden befanden sich Computermonitore, von denen die meisten eingeschaltet waren und die unterschiedlichsten Bereiche abdeckten. Khaled sah sofort, dass sich viele von ihnen mit dem Abhören von Konten und Gesprächen befassten. Ein junger Mann, der schlank und sportlich aussah, ging die Monitore ab und überprüfte die Aufnahmen routiniert. Des Weiteren befand sich in der Mitte des Raumes ein großer Metalltisch, der von hellen Lampen bestrahlt wurde. Er erkannte Papiere, Lupen und Pinzetten darauf. Im Lichtkegel saß eine Frau, die mit einer Pinzette hantierte und sich dabei ein Papier zur Hand nahm, welches einem Pass sehr ähnlich sah.

Khaled war aufrichtig beeindruckt. Hätte er diese Technik in seiner Heimat besessen, hätten die Amerikaner ihn sicher nicht erwischt.

Dana kam auf Orlando zu und blieb verhalten vor ihm stehen. Ein Lächeln spielte um ihren Mund. „Hi.“, sagte sie. „Ich dachte, es wäre besser, wenn ich schnell her komme, also habe ich Krankheit vorgetäuscht.“, erklärte sie ihr verfrühtes Auftauchen.

„Hi.“, erwiderte er. „Danke, dass du dir die Zeit so spontan nehmen konntest.“

„Gern geschehen.“, erwiderte sie. Orlando nickte und wandte sich dann Antonio zu. Nachdem Orlando ihr seine Aufmerksamkeit so schnell wieder entzogen hatte, wendete sie sich nun an den Flüchtling. Sie schüttelte seine Hand und setzte ein freundliches Lächeln auf. „Mein Name ist Dana und ich werde Ihnen beibringen, perfekt Spanisch zu sprechen.“, sagte sie einleitend und noch in seiner Sprache.

Khaled lächelte und konnte nicht umhin, die hübsche Frau genauer zu betrachten. Sie war von normaler Körpergröße, hatte eine schlanke, wenn auch nicht zu dünne Figur und ein freundliches Lächeln. Sie hatte wohlgeformte Rundungen, sowohl am Busen, als auch am Gesäß. Ihm gefielen Frauen, die Rundungen hatten, wenngleich Dana für seinen persönlichen Geschmack noch zu dünn war. Ihre Haare waren hellbraun und ihre Augen funkelten ihm in Grün entgegen. Als er ihren Blick gegenüber Aden Hall gesehen hatte, war er davon ausgegangen, dass die beiden verliebt waren. Dann war ihm aufgefallen, dass nur sie ihn verliebt ansah, er schien nichts davon zu bemerken und auch nicht unbedingt ähnlich zu fühlen. Khaled fragte sich, wie man einer so süßen Frau wie Dana widerstehen konnte, aber dann nahm er an, dass Männer, die so aussahen wie Aden Hall, sicherlich jede Frau haben konnten.

„Ich danke Ihnen, das ist sehr freundlich.“, erwiderte er endlich.

„Der Mann, dort am Tisch,“, sie deutete in die Mitte des Raumes zu dem Sportler, der Khaled bereits zuvor aufgefallen war, „heißt Lorenzo. Er wird Ihnen alle Papiere anfertigen, die Sie benötigen werden.“ Lorenzo und Zoe waren Geschwister und beide ebenfalls hervorragende Fälscher. Diese Kontakte hatte Antonio aufgetan und die beiden im Namen von Aden Hall angeworben. Sie wohnten nun ebenfalls in diesem Haus. „Antonio hier,“, sie zeigte auf den normalgroßen Spanier, der neben Aden Hall stand und sich unterhielt, „wird Ihnen ein Zimmer in diesem Haus zur Verfügung stellen, bis Sie genug Spanisch gelernt haben, um sich zurecht zu finden und bis Ihre Papiere fertig sind.“, erklärte sie ihm ruhig. „Und Zoe wird dafür sorgen, dass Sie nicht mehr wieder zu erkennen sein werden.“ Zoe war eine kleine, zierliche Frau, deren Ähnlichkeit zu Lorenzo sich vor allem in den blauen Augen und der gleichen kleinen Nase zeigte. Augenblicklich war sie dabei, eine Liste durchzugehen, wobei sie sich absichtlich im Hintergrund zu halten schien. Khaled konnte auch bei ihr die Muskeln in den Armen und im Bauch erkennen. Offensichtlich hielten sie und ihr Bruder viel auf Sport.

„Folgen Sie mir, ich werde Ihnen Ihr vorläufiges Zimmer zeigen. Dort können Sie Ihre Tasche abstellen, nachdem Aden Sie durchgesehen hat.“, fuhr Dana fort.

Orlando kam zu ihnen herüber. „Das habe ich schon gemacht.“, erklärte er ihr. „Aber von der alten Kleidung werden Sie nicht mehr viel benötigen, Khaled.“, sagte Orlando dann an den Iraker gewandt. „Aber auch darum wird Zoe sich kümmern.“

Dana nickte bestätigend. Dann führte sie Khaled in sein vorläufiges Zimmer.

Orlando ging zu Lorenzo herüber. „Wann kannst du das Passbild machen?“, wollte er wissen.

Lorenzo blickte zu ihm auf und überlegte einen Moment. „Ich brauche es spätestens in drei Tagen.“, antwortete er dann. „Ich hoffe, Zoe hat ihn bis dahin anständig verändert. Ansonsten dauert halt alles ein bisschen länger. Er kommt mir nicht so vor, als wäre er der Staatsfeind Nummer eins.“

Orlando grinste verstehend. „Aber er ist nervös und ich glaube, es würde ihn beruhigen, wenn er seine neuen Papiere eher früher als später bekommt.“

Lorenzo nickte. „Drei Tage.“, wiederholte er.

Nun blickte Zoe von ihren Papieren auf. „In drei Tagen kann ich ihn unmöglich dünn werden lassen.“, sagte sie entschieden. Zwar freute sie sich schon darauf, dem dicken Iraker beim Sport den Schweiß ins Gesicht zu treiben, aber auch damit würde sie keine Wunder bewirken können. „Es sei denn, wir würden eine Fettabsaugung vornehmen und ihm danach den Magen verkleinern, damit er sich nicht wieder fett fressen kann. Ich hab’ mal gelesen, wie diese Eingriffe gemacht werden.“

In ihrer letzten Aussage war eine Frage enthalten, über die Orlando nur den Kopf schütteln konnte. „Auf keinen Fall, schneidest du an ihm herum, Zoe.“, sagte er entschieden. Zoe war ein Genie und traute sich deshalb prinzipiell alles zu. Allerdings wollte Orlando sie nicht immer in diesen Verrücktheiten unterstützen. Dennoch musste er sich nun das Lachen verkneifen, während Lorenzo sich diese Mühe nicht machte. Seine Schwester war immer sehr direkt und machte somit auch kein Geheimnis aus ihrer Abneigung gegen Fettleibigkeit, wenn diese durchs eigene Verschulden entstanden war. Lorenzo und sie waren Zwillinge und auch er war hochbegabt. Sie waren einander sehr ähnlich, mehr noch in ihrem Charakter als in ihrem Aussehen.

„Aber du wirst ihn doch soweit verändern können –ohne chirurgische Maßnahmen-, dass er seinem jetzigen Ich nicht mehr sehr ähnlich sieht, oder?“, fragte Orlando schließlich.

Zoe zuckte die Schultern. „Ich denke schon.“, sagte sie dann. „Wenn diese fürchterliche Brille weg ist, er einen anständigen Haarschnitt hat und drei Tage lang nichts isst und nur Wasser trinkt, könnte ich ihn zumindest etwas anders aussehen lassen, was noch immer weit entfernt von gut wäre. Und was, nebenbei bemerkt, völlig unter meiner Würde ist, Aden. Ich hab’ ’nen scheiß Abschluss aus Berkeley.“

„Na und? Den hab’ ich auch.“, meinte Lorenzo zu seiner Verteidigung. Die beiden wechselten sich in ihren Aufgaben regelmäßig ab. Dieses Mal war er an der Reihe.

Orlando musste grinsen. Er kannte keine Frau, die sooft und so gerne fluchte wie Zoe. Aber vor allem, nahm sie nie ein Blatt vor den Mund. Und das gefiel ihm, sie war immer aufrichtig und man musste nie annehmen, dass sie einen nicht mochte, wenn sie etwas anderes sagte.

Er ging wieder zu Antonio herüber, der geistesabwesend aus dem Fenster schaute.

„Wie lange wirst du hier bleiben, Aden?“, fragte dieser ihn forschend.

„Nicht mehr lange. Freitag geht mein Flug.“, antwortete Orlando. „Ich hoffe doch, ihr kommt, wie sonst auch, ohne mich zurecht.“

Antonio grinste. „Wieso auch nicht? Du bist öfter im Ausland als in Spanien.“

Orlando lächelte. „Irgendwie muss ich das hier ja schließlich finanzieren.“

„Ja, da hast du Recht.“

Am Abend ging Dana mit Orlando in eine Kneipe. Die beiden bestellten sich jeweils ein Bier und setzten sich dann an einen der Tische.

Dana musterte Orlando aufmerksam. Er trug eine lockere Jeans und ein einfaches schwarzes T-Shirt, was jedoch sowohl an den Armen, als auch an der Brust bereits spannte, so muskulös war er. Ihr gefiel das. Sie stellte sich immerzu vor, wie es wäre, wieder in diesen Armen zu liegen und schwelgte in der Erinnerung an die eine Nacht, die er ihr geschenkt hatte. Schon vor dieser gemeinsamen Nacht hatte sie für Bonitas älteren Bruder geschwärmt, doch nachdem er mit ihr geschlafen hatte, war sie in ihn verliebt gewesen. Und doch war ihr natürlich nicht entgangen, dass es ihm nicht annähernd das gleiche bedeutet hatte. Im Gegenteil. Durch ihre Freundschaft zu Bonita hatte sie mit ansehen müssen, wie er immer wieder ausgegangen war und andere Frauen getroffen hatte. Keine von ihnen hatte er je seinen Eltern vorgestellt. Sie alle waren ebenfalls nur Bettgeschichten gewesen. Doch sie konnte ihm nicht vorwerfen, dass er sie nicht liebte. Er war ehrlich zu ihr gewesen, hatte ihr von Anfang an gesagt, dass es eine einmalige Sache wäre. Dass es das für sie nicht war, erkannte er nicht. Sie dachte, ihre Blicke würden ihm die Wahrheit über ihre Gefühle verraten, aber er beachtete sie nicht einmal mehr aufmerksam genug, um es feststellen zu können. Manchmal fragte sie sich, ob er ihre Verliebtheit vielleicht absichtlich ignorierte, denn er war ansonsten so aufmerksam und scharfsinnig. Er durchschaute jeden Menschen und brauchte sich dafür nicht einmal anzustrengen. Es war eigentlich nicht denkbar, dass ihm diese Tatsache verborgen geblieben war.

Orlando nahm sein Bier entgegen und trank einen großen Schluck des kalten Getränks. Er war zufrieden mit der heutigen Arbeit. Der Flüchtling war unbemerkt aufgenommen und versteckt worden und es waren keine Probleme mehr zu erwarten. Was weiterhin mit Khaled geschehen würde, war bereits Routine und schon bald nicht mehr das Problem seiner Leute. Er würde ihn, sobald alles erledigt war, nach Verín zu einem Mann namens Frederik schicken. Dieser würde ihm dann dabei helfen eine Arbeit und eine Wohnung zu finden und sich seiner generell annehmen. Orlando arbeitete eigentlich mit Roger, einem Spanier, zusammen. Da dieser jedoch auf unbestimmte Zeit das Land verlassen hatte, Orlando vermutete, dass die Polizei seinen illegalen Geschäften auf den Fersen war, hatte er sich an Frederik gewandt. Doch eigentlich wäre dessen Aufgabe nicht mehr so schwer und deshalb vertraute Orlando darauf, dass alles gut gehen würde, sofern sich Frederik nicht zu idiotisch benahm.

Als er Danas Blick bemerkte, richtete er den seinen auf sie und lächelte. „Wie stellt sich Khaled an?“, wollte er wissen. „Lernt er schnell?“

Dana war enttäuscht, dass er sogleich wieder über das Geschäftliche sprach, aber sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Immerhin verbrachte er überhaupt Zeit mit ihr. Obgleich nicht zum Vergnügen, genoss sie seine Nähe doch. „Er ist, denke ich, ein ganz kluger Mann. Aber ich fürchte, Sprachkenntnisse hat er nur wenig. Auch scheint er eher der Mathematiker als das Sprachgenie zu sein.“ Sie zuckte mit den Schultern.

Orlando nickte, denn auch er hatte ihn so eingeschätzt.

„Allerdings werde ich ihm dennoch Spanisch beibringen können. Da er weiß, worum es geht, gibt er sich Mühe, alles zu verstehen und nicht wieder zu vergessen. Ob wir seinen Akzent jedoch jemals abtrainieren können, wage ich zu bezweifeln.“

„Manchmal wünschte ich, ich hätte deine Geduld.“, gab er lächelnd zu.

„Dafür hast du andere Stärken.“, sagte sie und errötete über sein Kompliment.

Er lächelte selbstkritisch. „Mag sein.“, sagte er ausweichend. „Wenn sein Akzent zu deutlich wird, dann sag’ ich Antonio besser Bescheid, dass er ihn nicht zu einem gebürtigen Spanier machen soll.“, überlegte er sogleich.

Dana hätte aufschreien mögen. Kaum dass er sich einmal auf sie konzentrierte, sagte sie etwas, womit sie ihn direkt wieder ablenkte. „Ich hab’ schon mit Antonio darüber geredet.“, sagte sie. „Er wird dich deshalb sicher noch ansprechen.“

Nun nickte Orlando zufrieden. Scheinbar musste er sich nicht um alles kümmern, das beruhigte ihn. Wenn er nun wieder in den Irak reisen würde, wusste er nicht, wann er zurückkäme. Es war gut zu wissen, dass seine Leute auch ohne seine Hilfe relativ eigenständig arbeiteten und zurecht kamen.

„Hast du mich nur auf ein Bier eingeladen, um mit mir über Khaled zu sprechen?“, fragte sie schließlich. Sie konnte ihm ansehen, dass er bereits wieder mit den Gedanken woanders war und sie wollte ihren Abend nicht damit zu bringen, ihn anzuhimmeln, während er es nicht einmal bemerkte. Sie war 25 und sie wollte nicht ewig alleine sein.

„Ja.“, antwortete er ehrlich. Sie blickte ihn so enttäuscht an, dass er hinzu fügte: „Und weil ich mich mal wieder mit dir unterhalten wollte. Wie geht es dir, Dana?“

Sie lächelte verliebt. „Es geht mir gut, danke.“

„Hast du endlich einen Mann gefunden, der deiner würdig ist?“, fragte er und lächelte ebenfalls.

Dana schüttelte enttäuscht den Kopf. Er verstand sie einfach nicht und er sah nicht, was sie ihm zeigte. Du bist meiner würdig! Ich will nur dich, sonst keinen, dachte sie verzweifelt. Doch sie sagte: „Mir geht es auch ohne Mann gut, Orlando.“ Sie hoffte, er hatte den Ärger in ihrer Stimme nicht gehört. „Ich denke, in dieser Sache sind wir einander ähnlich. Du scheinst mir auch keine langjährige Beziehung zu suchen.“

Orlando lächelte geheimnisvoll. „Vielleicht ändert sich das bald.“, sagte er und musste dabei an Christina denken. Wenn er ihr nicht mehr zufällig begegnen würde, so würde er schon einen Weg finden, sie ausfindig zu machen. Sie hatte ihm ihren ganzen Namen gesagt und er hatte nichts davon vergessen. Zuerst würde er sie in London suchen, dann in Spanien. Er hatte nicht vor, aufzugeben. Sobald er die Sache im Irak erledigt hatte, würde er anfangen nach ihr zu suchen. Sollte sie dann noch immer nicht verheiratet sein, würde er ihr einen Antrag machen.

„Wie meinst du das?“, fragte sie geschockt. Sie hatte mit seinen unverbindlichen Weibergeschichten leben können, weil sie gewusst hatte, dass auch von denen keine ihn bekommen würde. Aber sie ertrug die Vorstellung, er habe eine ernsthafte Beziehung, nicht.

„Nur so.“, sagte er lächelnd. „Ich glaube, ich bin bereit für eine ernste Beziehung.“

Dana lachte schrill und ärgerte sich daraufhin erneut über sich selbst, weil es in ihren eigenen Ohren hysterisch geklungen hatte. „Dazu brauchst du aber auch die passende Frau.“, sagte sie und blickte ihn vorwurfsvoll an. „Und wie willst du die finden, wenn du sie nach dem Sex bereits wieder verlässt?“

Orlando blickte sie verwundert an und war sich nicht sicher, ob sie damit auf ihre gemeinsame Nacht anspielte. Er nahm jedoch nicht an, dass sie ihm dies, nach all der Zeit, die seither vergangen war, noch immer nachtrug. Und deshalb nahm er an, dass sie einfach nur aufrichtig gewesen war. Immerhin wusste sie, dass er bisher nicht gerade viel Interesse gezeigt hatte, wenn es um eine feste Bindung ging. „Du hast wahrscheinlich Recht.“, sagte er, denn er empfand keine Lust, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Seiner Ansicht nach, standen sie sich nicht nahe genug. Sie waren Bekannte und sie half ihm in geschäftlichen Dingen, aber deshalb hatte er noch lange nicht vor, Christina mit ihr zu teilen. Es reichte ihm, dass seine Schwester bereits von ihr wusste.

Dana atmete erleichtert auf. Einen Moment lang hatte sie ernsthaft befürchtet, er könne sich verliebt haben. Dann tat sie dies als ihre eigene Unsicherheit ab. Orlando schien Gefühle wie Liebe und Sehnsucht nicht wirklich zu kennen und sie musste sich damit abfinden, dass er so war, wie er war.

Als er an diesem Abend zu seinen Eltern nach Hause fuhr, war Dana mitgekommen, um Bonita zu besuchen. Er selbst wollte eigentlich in sein Haus fahren, aber er musste den Offroader wieder gegen seinen BMW tauschen.

Obwohl es schon spät war, als sie auf die Einfahrt fuhren, war das ganze Haus noch beleuchtet und man konnte deutlich Stimmen und Musik hören.

Dana und Orlando betraten das Haus und sahen unzählige Leute auf der Veranda. Seine Familie gab ein Fest. Vielleicht versuchte sein Vater, neue Geschäftspartner zu gewinnen. Orlando nahm es zumindest an.

Dana blickte ihn grinsend an. „Du hattest keine Ahnung, dass deine Eltern eine Party schmeißen, richtig?“, stellte sie belustigt fest. Dass er sich nicht gewundert hatte, dass sie selbst extra deshalb ein elegantes Kleid trug, weil Bonita sie hierzu eingeladen hatte, zeigte ihr nur, dass er sie nicht wirklich beachtete.

„Ich schätze, ich ziehe mich besser mal um.“, sagte er und musste ebenfalls grinsen. Während Dana nach Bonita suchte, tauschte Orlando seine Alltagskleidung gegen einen Anzug. Er ließ jedoch die Jackettjacke weg und band sich auch keine Krawatte um. Er hasste Krawatten und ließ sie eigentlich immer weg. Nachdem er sich frisch gemacht hatte, ging er zu den Feiernden in den Garten.

Er sah, dass Dana sich seiner Schwester angeschlossen hatte. Bonita unterhielt sich mit einem Geschäftsmann und es war nicht zu verkennen, dass die beiden sich zueinander hingezogen fühlten. Orlando wusste, dass seine Schwester gerne heiraten, aus dem Elternhaus ausziehen und eine eigene Familie gründen wollte. Allerdings musste sie dazu einen Mann finden, der ihr und ihrer Mutter gefiel und genug Vermögen einbringen konnte, damit auch Alejandró der Ehe zustimmte. Bonita erkannte ihn und winkte ihm lächelnd zu.

Er ging zu ihr herüber und wurde ihrem Verehrer, der Konstantin Ockland hieß, vorgestellt.

„Konstantin ist im Vorstand einer großen Pharmagesellschaft.“, erklärte Bonita ihrem Bruder stolz. Ihr gefiel jedoch nicht nur die Tatsache, dass er wohlhabend war. Er war auch gut aussehend, groß und breitschultrig, wenngleich dies im direkten Vergleich mit ihrem Bruder eigentlich nicht mehr auffiel. Und er hatte ein attraktives Gesicht, besonders, wenn er lächelte. Am besten jedoch gefiel ihr, dass er nur Augen für sie hatte.

„Haben Sie auch schon meinen Vater kennen gelernt?“, fragte Orlando und grinste bereits belustigt. Alejandró würde es dem jungen Mann alles andere als leicht machen.

„Noch nicht.“, antwortete Konstantin und wurde etwas verlegen, weil Orlando die Situation sofort richtig eingeschätzt hatte.

„Don Alejandró ist ein netter Mann.“, sagte Dana, um den möglichen Freund ihrer Freundin zu unterstützen.

Während Dana sicht mit Konstantin unterhielt, nahm Orlando Bonita ein wenig zur Seite. „Warum gibt Vater dieses Fest?“, fragte er sie forschend. Orlando nahm an, dass er sich vielleicht die Sympathien der Amerikaner sichern wollte. Bonitas Schwarm war Amerikaner.

Bonita zuckte die Schultern. „Weiß ich nicht genau.“, antwortete sie ehrlich.

„Hat er viele amerikanische Geschäftleute eingeladen?“, fragte Orlando.

Bonita lächelte nickend. Sie setzte das Champagnerglas ab. „Ja, ich denke schon. Mehr als sonst auf jeden Fall.“, antwortete sie ohne jede Skepsis. „Konstantin ist auch Amerikaner.“

„Weiß ich.“, gab er desinteressiert zurück.

„Und gefällt er dir?“, fragte sie und blickte ihn abwartend an. Sie liebte ihren großen Bruder und gab viel auf seine Meinung. Es war ihr wichtig, dass auch er ihn mochte.

Orlando blickte sich forschend um. „Er gefällt dir. Darauf kommt es doch an.“, sagte er und verschaffte sich währenddessen einen Überblick über die Gäste. Er konnte seinen Vater mit ein paar Männern zusammen stehen sehen. Vermutlich unterhielten sie sich nur über Belanglosigkeiten, aber es war durchaus möglich, dass seine Gesprächspartner ebenfalls Amerikaner waren. Offensichtlich versuchte sein Vater, Orlandos Ratschlag so schnell wie möglich umzusetzen.

„Orlando, bitte.“, sagte Bonita drängend. „Würdest du mich bitte ansehen, wenn wir uns unterhalten?“ Es dauerte einen kleinen Moment, aber schließlich kam er ihrer Bitte nach und sah sie an. „Danke.“, sagte sie lächelnd. „Und jetzt sei bitte ehrlich. Findest du ihn gut?“

Orlando beugte sich zu ihr herunter und küsste sie auf die Wange. „Ich halte nichts von Amerikanern, Bonita. Aber ich versuche nett zu sein, wenn du ihn wirklich magst.“

„Und wenn er Spanier wäre und kein Amerikaner?“, wollte sie wissen.

Orlando lachte leicht. „Dann würde ich immer noch sagen, dass er vermutlich nicht gut genug für dich ist, aber ich wäre weniger genervt.“

Sie lachte ebenfalls. „Das sagst du immer.“, behauptete sie. Seiner Meinung nach, war kein Mann gut genug für sie.

„Und ich hab’ immer Recht.“, erwiderte er lächelnd. „Und jetzt kümmere dich wieder um deinen Yankee.“ Damit war das Thema für ihn beendet und er bahnte sich langsam seinen Weg durch die Besucher auf seinen Vater zu, wobei er jedoch immer wieder aufgehalten und in Unterhaltungen verwickelt wurde.

Christina erkannte ihn sofort und wandte ihm sogleich den Rücken zu, damit er nicht auch auf sie aufmerksam wurde. Er sah gut aus, nun da er ein Hemd und eine Anzugshose trug. Sie zog Mladen zu sich heran. „Wer ist der Mann, schräg hinter mir?“, fragte sie ihn leise.

Mladen sah Alejandrós Sohn und lächelte. „Das ist Don Orlando Santiago de Maliñana.“

„Der Sohn des Mafiabosses?“, fragte Christina, die dies noch immer nicht recht glauben konnte. Er hatte sie belogen! Und wenn er ihr schon nicht seinen wahren Namen verraten hatte, war vermutlich auch alles andere, was er je zu ihr gesagt hatte, gelogen gewesen. Wenigstens wusste sie jetzt, dass sie sich auf ihr Gefühl verlassen konnte, denn das hatte ihr von Anfang an gesagt, dass etwas Gefährliches an ihm war.

Mladen nickte bestätigend. „Der einzige Sohn Don Alejandrós und somit sein Erbe.“, erzählte er. „Niemand weiß etwas über ihn, es ist, als würde er nicht wirklich existieren.“

Christina musste grinsen. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, warum niemand etwas mit diesem Namen verbinden konnte. „Verrückt.“, sagte sie und tat, als wolle sie das Thema wechseln. „Kennst du einen gewissen Aden Hall, Mladen?“ Sie drehte ihr Weinglas ruhig in ihrer Hand und sah ihren Freund abwartend an.

Mladen kratzte sich verhalten am Kopf, wirkte alleine bei der Erwähnung dieses Namens unruhig. „Natürlich hab’ ich schon mal von ihm gehört.“, sagte er ausweichend. „Es heißt, dass Aden Hall im Untergrund der Mann ist, den du aufsuchen solltest, wenn du ernsthafte Schwierigkeiten hast. Angeblich hat er für jedes Problem eine Lösung. Soll ein Auftragsmörder sein, aber auch so ein Menschenfreund, der illegale Flüchtlinge rettet.“, erzählte er. „Wenn du mich fragst, gibt es diesen Mann gar nicht. Er ist nur ein Phantom, den sich irgendwer ausgedacht hat, um uns anderen Angst zu machen. Aber ob es ihn nun gibt oder nicht, vor Don Alejandró lässt du diesen Namen besser unerwähnt. Angeblich hat Aden Hall auch schon der Mafia ans Bein gepinkelt.“

„Ja, wenn du das sagst.“, sagte sie und ließ sich nicht anmerken, dass sie irgendetwas mit diesem Namen verband. „Mladen, hör zu, ich muss dich um etwas bitten.“, fuhr sie dann fort. Da Don Orlando und Aden Hall ein und derselbe Mann war, konnte sie es sich nicht leisten, ihn hier anzutreffen. Es würde auch über sie Fragen aufwerfen, auf die sie keine plausible Antwort wüsste. In jedem Fall wäre es eine zusätzliche Schwierigkeit und darauf wollte sie verzichten. Immerhin hatte es einen Grund, warum sie hergekommen war. Sie musste Don Alejandró für sich einnehmen und dabei konnte sie seinen Sohn nicht gebrauchen. Wenn Orlando sie verraten würde, würde sie kein Geschäft abschließen können und hätte nicht nur ihre Zeit verschwendet, sondern ebenfalls verloren, was sie für die Partisanen im Irak dringend brauchte. „Wir müssen die Verhandlungen mit Don Alejandró morgen in deinem Haus führen. Ich bitte dich nur, dem zu zustimmen.“

Mladen blickte sie mit verkniffenen Augenbrauen an. „Bei mir?“, fragte er verwundert. „Darauf wird der Don nicht eingehen, Skylla. Er ist ein Mafiosi. Da kann er es sich doch schon aus Sicherheitsgründen gar nicht leisten, für Verhandlungen in fremder Leute Häuser zu gehen.“

„Wenn ich ihn überzeuge, stimmst du dem dann zu?“, erwiderte Christina uneingeschüchtert. Sie hatte dies alles nicht wochenlang geplant, um dann an einem Mann zu scheitern.

Mladen nickte. „Es wäre mir sogar eine große Ehre.“, antwortete er aufrichtig. „So ein Kontakt würde uns auch in Zukunft eine Menge Arbeit und Aufwand ersparen.“

Christina lächelte erleichtert. „Das sehe ich auch so, mein Freund.“, sagte sie und ließ ihn und Stephanie dann, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, stehen.

Sie ging zielstrebig auf Don Alejandró zu. Dieser befand sich gerade in einem Gespräch über Aktien mit einigen Männern, die auch nach Anlageberatern aussahen.

Als er sie erkannte, erschien ein entzücktes Lächeln auf seinem Gesicht. Sie wurde ihm, zu Beginn des Abends, von einem Mann vorgestellt, der in Spanien im Untergrund tätig war. Hauptsächlich ging es dabei um den Schmuggel von illegalen Medikamenten. Alejandró hätte einem kleinen Licht wie ihm keine Beachtung geschenkt, hätte er ihm nicht diese wunderschöne Frau vorgestellt. „Meine Herren, darf ich Ihnen Señorita Montalli vorstellen? Sie ist die einzige Lady, mit der ich Jedermann zu verhandeln wünsche.“, sagte er und lächelte charmant. Er wusste noch nicht recht, was genau diese Frau mit ihm zu verhandeln gedachte, aber er hatte sich für den nächsten Tag mit ihr verabredet, um sich ihr Angebot anzuhören. Sie war nicht nur wunderschön, sie hatte auch etwas in ihren Augen, dass ihn dazu gebracht hatte, ihr sogleich zu zustimmen. Er war sich sicher, dass sie intelligent war und auch, dass sie gefährlich war, wenngleich sie noch sehr jung war.

Christina lächelte und wirkte aufrichtig geschmeichelt, jedoch keineswegs verlegen. Sie wirkte wie eine Frau, die wusste, dass Männer sie hinreißend fanden und die damit umzugehen wusste, anstelle sich dafür zu schämen. „Meine Herren.“, sagte sie, eher kühl als interessiert. Ihr entging nicht, dass die drei Männer sie hingerissen anstarrten, aber ihr war bewusst, dass keiner von ihnen sie als Geschäftsfrau ernst nehmen würde. Sie schätzte Alejandró weil er es tat. „Don Alejandró ich habe ein Anliegen, dass ich Ihnen dringend unterbreiten möchte.“, sagte sie direkt. Sie blickte ihm ebenso direkt in die Augen. Nun, da sie hochhackige Schuhe trug, war sie sogar etwas größer als er.

Alejandró blickte sie mit steigendem Interesse an. Sie hatte etwas Forderndes in ihrer Stimme, das er nicht ignorieren konnte. Kaum ein Mann hätte sich getraut, so mit ihm zu sprechen und er schätzte es, dass es ihr egal war. „Ich bin sicher, dass ich Ihnen nichts abschlagen kann, meine Liebe.“, erwiderte er charmant.

Christina lächelte. „Daran werde ich Sie bei Zeiten erinnern, Don Alejandró.“, sagte sie und brachte die Männer damit zum Lachen. Auch sie konnte charmant sein. „Nun denn, mein Anliegen beschäftigt sich mit den Verhandlungen, die wir zu führen haben.“ Sie blickte Alejandró herausfordernd an und wartete, dass er sie ernst genug nahm, um die anderen Männer weg zu schicken.

Alejandrós Gesicht wurde von geschäftlichem Ernst gezeichnet und er schien die Männer, die ihn umgaben, gerade freundlich abwimmeln zu wollen.

Christina kam ihm jedoch zuvor. Sie drehte sich den Bankern zu. „Meine Herren, diese Verhandlung dreht sich nicht um imaginäres Geld, also ist es an der Zeit für Sie, die Erwachsenen alleine zu lassen.“, sagte sie und revanchierte sich damit für die anzüglichen und doch herablassenden Blicke.

Alejandró musste lachen, besonders nachdem er die verdutzten Gesichter der Männer sah. „Sie haben die Lady gehört.“, sagte er unterstützend. „Ich werde wieder auf Sie zukommen, wenn ich Interesse habe.“ Die Banker trollten sich auf sein Wort hin und Alejandró wandte sich Christina zu. „Also dann.“, sagte er abwartend. „Ich bin gespannt.“

Sie lächelte und trank einen Schluck des Weines. „Es ist eigentlich keine große Sache, aber ich hörte, für Sie wäre es ein gewisses…nennen wir es Risiko.“, leitete sie ein.

Alejandró breitete galant die Arme aus. „Ich bin ein viel beschäftigter Mann, Señorita Montalli.“, sagte er, als wäre das bereits die Erklärung für ihre Vermutung.

„Da bin ich sicher.“, stimmte sie zu. „Ich wollte Sie dennoch bitten, die Verhandlungen in das Haus meines Cousins zu verlagern. Mladen wäre sehr geehrt, wenn Sie in seinem Haus Gast wären und ich möchte mich ebenfalls für Ihre Gastfreundschaft revanchieren. Glauben Sie, dieses Risiko würden Sie eingehen können?“ Sie hatte Mladen als ihren Cousin ausgegeben, weil sich damit nicht nur ihr Besuch, sondern auch ihr fließendes Spanisch leichter erklären ließe und obgleich zwischen ihnen keinerlei Ähnlichkeit bestand, zweifelte man ihre Behauptung nicht an.

Er beugte sich forschend zu ihr vor. „Weshalb ersuchen Sie mich um dieses Anliegen, Señorita?“, fragte er skeptisch. „Sie wissen, dass ich ein wichtiger Mann in Spanien und dem Rest des Kontinents bin. Dies macht mir einige Feinde und ich bin nicht gewillt, Ihnen so leichtsinnig ins Netz zu gehen. Sie müssen mein Misstrauen entschuldigen, aber ich lebe lieber vorsichtig und ich schätze Sie als gefährlicher ein, als Sie aussehen.“

Christina lächelte aufrichtig. „Ich verstehe Sie, Don Alejandró, und fasse Ihr Misstrauen nicht als Beleidigung auf.“, sagte sie ehrlich. „Und auch wenn Sie mich durchaus nicht falsch einschätzen, so bin ich doch nicht verrückt und mache mir Sie zum Gegner. Womit ich meine Einladung selbstverständlich nicht zurücknehmen möchte.“

„Ist Ihre Gastfreundschaft der einzige Grund für Ihre Einladung, Señorita Montalli?“, fragte er forschend.

Sie lächelte geheimnisvoll. „Nicht nur.“, räumte sie ein. „Ich hoffe, Sie werden meine Ehrlichkeit mit ebenso viel Verständnis betrachten, aber auch ich bin misstrauisch. Ihr Haus, Don Alejandró, ist groß und bietet zwar Ihnen Schutz, meinem Cousin und mir jedoch nicht. Da wir jedoch über mein Geld verhandeln und ich Sie für Ihre Mühen angemessen entlohnen werde, finde ich es nur gerecht, wenn wir uns in meinem Terrain begegnen.“, versuchte sie, ihn zu überzeugen. „Sehen Sie, ich bin auch nicht verrückt genug um mich dem Löwen in dessen Höhle schutzlos auszuliefern.“

Don Alejandró lachte begeistert. Mit ihrer Art konnte sie sicherlich jeden Menschen schnell einnehmen. Zumindest bei Männern würde es ihr ohne weiteres gelingen. „Ich werde morgen am frühen Nachmittag mit meinem Vertrauten und meinem Leibwächter auf Ihrer Schwelle stehen, meine Liebe.“, ging er also auf ihren Vorschlag ein. Er würde Benini und Bertosloni mit sich nehmen, was ihm Schutz genug bieten sollte. „Erlauben Sie mir eine Bemerkung, Skylla?“

Sie nickte lächelnd. „Wie könnte ich sie Ihnen abschlagen, mein lieber Don Alejandró?“

Er lächelte und es war offensichtlich, dass er sowohl von ihrem Charme, als auch von ihrem Geist hingerissen war. „Ich will ehrlich sein, da ich bemerke, dass Sie damit gut umzugehen wissen.“, sagte er einleitend. „Wenn man Ihre Schönheit und das zarte Alter betrachtet, wobei ich sicher bin, dass Sie bezüglich Ihres göttlichen Gesichtes andauernd Komplimente hören, glaubt man kaum, dass sich dahinter ein so präziser Verstand und eine so scharfe Intelligenz verbergen.“ Alejandró hielt kurz inne, griff dann ihre Hand und küsste diese. „Sie, Señorita Montalli, beweisen jedoch das Gegenteil. Sie scheinen mir eine selten ebenbürtige Geschäftspartnerin zu sein und Sie wissen offensichtlich stets, was Sie wollen und wie Sie es erreichen können. Dafür möchte ich Ihnen meine Bewunderung aussprechen.“

Christina fühlte sich nach diesem Wortschwall eher verlegen, als geehrt, denn sie hatte niemals so viele schmeichelnde Worte von einem so hochgestellten Mann gehört. „Ich danke Ihnen vielmals, Don Alejandró.“, sagte sie mit einem leichten Lächeln. „Ich muss feststellen, dass Ihr Charme weit über den eines gewöhnlichen Mafiabosses hinausgeht.“

Er lachte amüsiert. „Wissen Sie, woran mich Ihr Humor erinnert?“, fragte er dann rhetorisch. „An meinen Sohn, Don Orlando.“, antwortete er gleich darauf und bemerkte nicht, dass sie daraufhin ein wenig taumelte. „Er ist ebenso humorvoll; aber vor allem hat er Ihre Entschlusskraft. Haben Sie meinen Sohn bereits kennen gelernt?“

Christina musste sich beherrschen, um ihr Lächeln aufrecht zu erhalten. „Nein, ich…nein. Bisher ist mir diese Ehre nicht zuteil geworden.“, antwortete sie und hoffte, er würde ihr Unbehagen nicht bemerken und sie nicht auffordern, ihn zu treffen.

„Dann müssen wir das ändern.“, sagte Alejandró entschieden. Er hatte bereits nach seinem Sohn gewunken, ehe sie sich hatte entschuldigen können. Da er noch immer ihren Arm hielt, war es ihr auch nicht möglich, sich davon zu stehlen. All ihre Versuche, ihm nicht über den Weg zu laufen, scheiterten nun. Während seine große Gestalt sich ihnen näherte, erkannte sie, dass sie ihm immer wieder begegnete, ganz gleich, ob es Zufall war, wie im Flugzeug oder sie es sogar absichtlich zu verhindern versuchte, so wie heute Abend.

Christina hielt ihr Gesicht absichtlich so abgewandt, dass er es nicht direkt sehen konnte und doch wusste sie, dass es absurd war, sich nun noch vor ihm verstecken zu wollen.

„Mein Sohn, ich muss dir eine zauberhafte Señorita vorstellen.“, sagte Alejandró, als sein Sohn beinahe vor ihm stand. „Miss Skylla Montalli.“

Christina strafte ihre Schultern und hob den Kopf. Sie würde sich nicht vor ihm verstecken. Wenn er sich mit ihr anlegen wollte, dann würde sie eben kämpfen. Aufgeben kam für sie nicht in Frage.

Augenblicklich ruhte sein Blick auf ihr und man erkannte deutlich, dass er sowohl überrascht, als auch hingerissen war. Er betrachtete sie beinahe gierig, nachdem er sie nun so viele Tage aus den Augen verloren hatte. Sie trug ein langes schwarzes Seidenkleid und hatte ihre eindrucksvollen Augen passend dazu geschminkt. Auch trug sie viel Goldschmuck, an den Armen, um den Hals und sogar um den Knöchel. Dafür schien sie eine Vorliebe zu haben, denn ihm war dieses Detail bereits im Vorwege aufgefallen. Sie sah in seinen Augen ganz und gar hinreißend aus.

Christina hielt seinem Blick stand und ließ sich nicht anmerken, dass sie ihm bereits zuvor begegnet war.

„Miss Montalli, mein Sohn, Don Orlando Santiago de Maliñana.“, fuhr Alejandró ahnungslos fort.

Er sah sie noch immer hingerissen an und als sie die Augenlider hob und seinen Blick erwiderte, glaubte er erneut, einen Blitz durch seinen Körper schießen zu fühlen. Er griff ihre Hand, die so zierlich war, dass sie in seiner beinahe verschwand und drückte ihr mit einer galanten Verbeugung einen Kuss auf. „Es ist mir eine Ehre, Sie kennen zu lernen.“, sagte er und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Noch immer brachte er es nicht über sich, ihre Hand loszulassen, wenngleich er nun wieder normal vor ihr stand, oder vielleicht stand er sogar ein bisschen zu dicht vor ihr. Er konnte ihr Parfum riechen und fand, dass sie im Flugzeug, als sie kein Parfum getragen hatte, besser gerochen hatte, nach Jasmin und einem ihr eigenen Geruch, den er nicht definieren konnte.

„Mir ebenfalls.“, erwiderte sie und zog dann doch ihre Hand zurück. Wenn er sie so ansah, dann fühlte sie sich beinahe schwindelig. Er sah sie mit einer Leidenschaft in den Augen an, als wolle er von ihr Besitz ergreifen. „Ihr Vater redet sehr stolz von Ihnen.“

Alejandró lächelte verlegen. Kam es ihm nur so vor, oder interessierte sich sein Sohn tatsächlich mehr als gewöhnlich für eine Frau? Er hatte das undefinierte Gefühl, dass Orlando etwas mit seiner Geschäftspartnerin verband.

„Mir scheint es, als wären wir uns schon einmal begegnet.“, sagte Orlando, um sie zu reizen. Er wandte den Blick keine Sekunde von ihr.

„Nein, das denke ich nicht.“, entgegnete sie mit undurchschaubarer Miene.

„Sind Sie sicher?“, fragte er. „Vielleicht sind Sie ebenso heimatlos wie ich?“

Sie hatte das Gefühl, als hätten seine Worte ihr Herz getroffen. Wie konnte er es wagen, ihre eigenen Worte nun gegen sie zu verwenden? „Den Humor, den Ihr Vater Ihnen zugeschrieben hat, kann ich sogleich erkennen.“, sagte sie und ihre Stimme klang zu ihrer eigenen Verwunderung ganz ruhig und beherrscht. „In Taktgefühl und Charme scheinen Sie Ihren ehrenwertem Vater jedoch noch weit zu unterliegen.“

Alejandró lächelte erneut, fühlte sich nun jedoch aufrichtig geschmeichelt. „Nun ja, das gute Aussehen meines Sohnes habe ich allerdings nicht mehr und so ist er es, der alle Frauen für sich einnimmt.“, sagte er und blickte Christina dabei freundlich an.

„Ich bin geneigt, mich eher von Ihrem Scharfsinn, als von dem Aussehen Ihres Sohnes einnehmen zu lassen.“, sagte Christina und zeigte Orlando absichtlich die kalte Schulter. Sie ärgerte sich maßlos über ihn, da er sie bei ihrem ersten Gespräch schamlos belogen hatte und sie ihm, zumindest teilweise, die Wahrheit über sich gesagt hatte. Und nun wagte er es zusätzlich, sie so anzusehen und dabei zu lächeln, als sei er aufrichtig zufrieden.

„Wahrhaftig, Señorita, Sie verstehen es, einen reifen Mann wie mich aus der Fassung zu bringen.“, sagte Alejandró und küsste lächelnd ihre Hand.

Orlando spürte bei dieser Geste eine Wut auf den eigenen Vater in sich aufsteigen, mit der er nie gerechnet hätte. Er wollte nicht, dass er sie anfasste. Er wollte nicht, dass irgendein Mann sie berührte. „Dabei könnte sie dein Kind sein, nicht wahr?“, sagte er bissig.

Alejandró sah seinen Sohn überrascht an. Er wirkte verärgert und Alejandró nahm fälschlicher Weise an, er wolle vielleicht die Ehre seiner Mutter verteidigen. Also trat er einen Schritt zur Seite, um Distanz zwischen sich und Skylla Montalli zu bringen. Er sah seinen Sohn förmlich aufatmen. „Wie dem auch sei, ich werde mich nun wieder mit meinen Aktionären beschäftigen müssen. Bitte entschuldigen Sie mich.“ Er küsste noch einmal ihre Hand. „Ich freue mich bereits jetzt auf Ihre morgige Gesellschaft.“, sagte er verabschiedend.

„Die Freude ist ganz meinerseits.“, erwiderte sie lächelnd. Gleich nachdem er sich umgedreht hatte und einige Schritte entfernt war, blickte sie Orlando zornig an. „Sehr erwachsen.“, kommentierte sie sein Verhalten.

„Flirtest du mit meinem Vater um mich zu ärgern oder hast du tatsächlich eine Vorliebe für ältere Männer?“, fragte er herausfordernd.

Sie stellte ihr Weinglas auf den Tisch neben sich und blickte ihm kampflustig entgegen. „So wie ich das sehe, bist du auch nicht mehr der Jüngste.“, gab sie bissig zurück.

Er lachte und seine Wut war vergessen. „Dann hast du eine Vorliebe für mich?“, fragte er und verdrehte ihr absichtlich die Worte. „Damit kann ich viel besser leben.“ Er trat auf sie zu und drängte sie somit gegen den Tisch. Er wollte sie berühren, ihr näher sein. Seine Finger berührten beinahe ehrfürchtig ihr Gesicht. Einen Moment lang erwiderte sie seinen Blick während er sie berührte. Ihre Atmung beschleunigte sich über seine Berührung, seine Nähe, seinen Geruch. Er betrachtete sie verlangend, während ihre Lippen sich ein wenig über die beschleunigte Atmung öffneten und sie sich weiterhin derartig sehnsüchtig in die Augen blickten. Dann schob sie seine Hand von sich und hatte sich wieder unter Kontrolle.

„Aden Hall, ja?“, fragte sie ihn und senkte, trotz ihrer Wut, die Stimme, damit sie sein Geheimnis nicht vor aller Ohren Preis gab.

„Skylla Montalli?“, fragte er zurück.

Sie drängte ihn ärgerlich von sich und schob sich an ihm vorbei. Dann ließ sie ihn stehen und eilte schnellen Schrittes zu Mladen und Stephanie zurück.

Vor Mladen blieb sie, etwas atemlos, stehen und nahm seiner Tochter ihre Handtasche, die diese unbedingt hatte tragen wollen, ab. „Morgen Nachmittag wird Alejandró mit zwei seiner Vertrauten zu uns kommen.“, eröffnete sie ihm.

„Das hast du wahrhaftig geschafft?“, fragte er beeindruckt. Sein freudiges Lächeln konnte er nicht verhindern.

„Ja.“, antwortete sie ruhig. „Ich werde jetzt verschwinden, wenn du nichts dagegen hast.“, sagte sie und ging dabei nicht auf die Reaktion ihres Gegenübers ein. Für einen Abend hatte sie genug erlebt.

Dann spürte sie eine Berührung an ihrem Steißbein, die mehr einem Hauch glich als einem Streicheln. Sie wandte sich augenblicklich um und stand vor Orlando.

Er lächelte freundlich. „Guten Abend.“, sagte er an Mladen und dessen Tochter gewandt. Er reichte dem Mädchen die Hand und lächelte ihr zu. „Ich bin Orlando. Und wie heißt du?“

„Stephanie.“, antwortete sie mit einem allzu fröhlichen Grinsen. Sie warf Christina einen Blick zu und erkannte den Groll in ihrer Miene auch als solchen. „Sie sind der Sohn Don Alejandrós, nicht wahr?“

„Ja, der bin ich.“, bejahte er. „Ich wollte mich nur kurz vorstellen und gleichzeitig die Gelegenheit nutzen, Miss Montalli um den nächsten Tanz zu bitten. Natürlich nur, wenn Sie nichts dagegen haben?“

Mladen nickte, während seine Tochter aufgeregt kicherte. „Skylla ist meine Cousine und die Brautjungfer meiner Stephanie.“, erklärte er, um zu versichern, dass er nichts dagegen einzuwenden hatte. Es war offensichtlich, dass er sich über die Aufmerksamkeit eines so bedeutenden Mannes aufrichtig freute.

Orlando stellte fest, dass auch dieser Mann sie Skylla nannte und fragte sich augenblicklich, wie sie nun wirklich hieß. Hatte sie ihm im Flugzeug die Wahrheit gesagt, oder sagte sie nun die Wahrheit? Sie versuchte bereits aus ihrem Namen ein Geheimnis zu machen und dies bedeutete, dass sie Vieles zu verbergen versuchte. Gleichzeitig wurde ihm klar, dass auch dieser Mann nicht wirklich mit ihr verwandt war. Sie hatten keine Ähnlichkeit und auch er schien nicht zu wissen, was sich hinter ihrer Fassade verbarg. Sie war eine Lügnerin und sie hatte mit der Mafia zu tun. Für Orlando machten sie diese Tatsachen noch anziehender.

„Ich will damit sagen, dass es mir selbstverständlich nichts ausmachen würde, wenn Sie mit meiner Cousine tanzten.“, erklärte Mladen lächelnd.

Christina warf ihm einen bösen Blick zu. „Glücklicherweise ist das immer noch meine Entscheidung.“, sagte sie verärgert.

Stephanie nahm ihre Handtasche wieder an sich und lächelte sie unschuldig an.

Orlando seinerseits achtete nicht auf ihren Widerspruch. Stattdessen griff er ihr schmales Handgelenk und führte sie mit sich zur Tanzfläche, die unter einem großen Baldachin aufgebaut worden war. Als sie zwischen den tanzenden Paaren standen, zog er sie dicht an sich, legte eine Hand an ihr Steißbein und hielt ihre rechte Hand in seiner linken.

„Du sprichst fließend Spanisch, Christina, aber kannst du auch wie eine Spanierin tanzen?“, fragte er herausfordernd. Er entschied sich, sie Christina zu nennen, weil er geglaubt hatte, bei diesem Namen eine Reaktion hinter ihrer undurchschaubaren Miene zu erkennen.

Die Musik wurde langsamer, tragischer, passend für einen Tango. „Halt einfach die Klappe und tanz.“, verlangte sie. Als er darüber sein attraktives Lachen aufklingen ließ, musste auch sie lächeln. Sie hasste es, dass er so einnehmend war, so charmant.

Und dann begann er, sie über die Tanzfläche zu führen und stellte sich auch dabei so talentiert an, dass es sie beeindruckte.

Bald hatten sie die Aufmerksamkeit aller anderen Tanzpaare auf sich gezogen und auch die anderen Gäste in ihrer Nähe wandten sich ihnen zu, um ihnen beim Tango zu zusehen.

Dana betrachtete die beiden voller Trauer. Wie er sie berührte und wie er sie an sich zog, war so leidenschaftlich, dass es ihr deutlich vor Augen führte, was er ihr vorenthalten hatte. Und dabei hätte sie alles dafür gegeben, an der Stelle dieser Frau zu sein.

„Wer ist diese Frau?“, fragte sie Bonita, wandte jedoch den Blick nicht von den Tanzenden ab.

Bonita lächelte verstehend. „Ich nehme an, sie ist die Frau, in die er sich verliebt hat.“, antwortete sie aufrichtig.

Dana schüttelte fassungslos den Kopf. „Nur weil er mit ihr tanzt, heißt das noch lange nicht, dass er auch in sie verliebt ist.“, sagte sie, zweifelte allerdings selbst daran. Er sah diese Frau auf eine Art an, die sie noch nie bei ihm gesehen hatte.

„Vielleicht ist sie es ja nicht.“, sagte Bonita schulterzuckend. „Aber verliebt ist er, das hat er mir selbst gesagt.“

Dana wandte sich ab. Sie hatte genug gehört und gesehen.

Orlando zog sie ein letztes Mal an sich und hielt sie so fest, während ihnen die Gäste applaudierten. Er war ganz auf sie konzentriert. Auf ihr Bein, das er am Oberschenkel hielt, sodass sie ihr Knie leichter an seine Hüfte drücken konnte. Auf ihre Brust, die sich unter der angestrengten Atmung verführerisch hob und senkte. Auf ihre Hand, die so auf seiner Schulter lag, dass ihre Fingerspitzen noch seinen Hals erreichten. Ihre Lippen waren so dicht vor seinen, dass es ihm schwer fiel, sie nicht zu küssen.

„Du bist also doch eine Tänzerin.“, sagte er und erinnerte sich, dass sie über seine Vermutung dazu im Flugzeug gelacht hatte.

Christina blickte ihn atemlos an. Er war so leidenschaftlich und gab ihr das Gefühl, dass sie es auch sein könnte, wenn sie mit ihm zusammen war. Doch so sehr sie sich auch nach dieser Freiheit sehnte, es gab einfach zu viel in ihrem Leben, auf das sie rational und beherrscht reagieren musste. „Sie können mein Bein wieder los lassen, Don Orlando.“, sagte sie und distanzierte sich bereits durch die Anrede wieder von ihm. Es war nicht gut, dass sie ihn überhaupt an sich heran gelassen hatte. Er sollte nicht noch mehr in ihrem Inneren durcheinander bringen.

Er grinste schelmisch, gab ihr aber nach. „Wie Sie wünschen, Christina.“, sagte er charmant. „Wir sind jetzt also wieder beim Sie?“, fragte er dennoch.

Sie lächelte leicht. „Allerdings. Das hier war, ganz sicher, eine einmalige Sache.“, sagte sie und ließ ihn dann stehen.

Er blickte ihr nach und erkannte, dass sie sich von ihrem Bekannten verabschiedete. Dann entschied er, ihr zu folgen.

Er lief ihr durch die Halle seines Elternhauses nach und fand sie schließlich draußen an der Straße.

In dem Moment, da er an sie heran trat, ließ sie gerade ihr Handy wieder in der Handtasche verschwinden.

Dann wandte sie sich zu ihm um und überraschte ihn damit. Er hatte nicht angenommen, dass sie ihn bemerkt hatte.

„Warum folgen Sie mir?“, fragte sie ärgerlich. „Ich lege keinen Wert auf Ihre Gesellschaft.“

„Ich möchte nur in Erfahrung bringen, warum Sie meinen Vater –und mich ja ebenfalls- belügen.“, sagte er, doch seine Blicke straften ihn lügen. Sie verrieten, dass es ihm um sie ging, dass er ihre Nähe um seinetwillen suchte.

Christinas Augen funkelten ärgerlich. „Versuchen Sie es nur, von mir werden Sie kein Wort hören, das Ihnen dabei eine Hilfe sein könnte.“, sagte sie.

Er grinste und trat dicht an sie heran. „Was genau ist es, dass Sie verbergen wollen, Christina?“, fragte er leise, forschend.

Sie blickte ihm unverfroren in die Augen. „Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Lügen und Geheimnisse und lassen Sie mich meinem Geschäft nachgehen.“, sagte sie, beinahe drohend. Sie war nicht bereit, seinetwegen alles aufs Spiel zu setzen. „Falls Sie sich tatsächlich um Ihren Vater sorgen, so kann ich Ihnen versichern, dass ich ihn nicht über den Tisch ziehen werde. Er wird von mir bekommen, was er verlangt und ich werde bekommen, was ich verlange. Es wird ein ganz normaler Handel sein.“

„Ein Handel, der unter falschen Angaben und Vorstellungen geschlossen wird.“, merkte er an.

„Wissen Sie, Aden…Orlando, wie auch immer Sie wirklich heißen, ich verstehe mein Geschäft und ich hoffe, Ihrem Vater ergeht es ebenso.“

„Aber was Ihr Geschäft beinhaltet, darüber können Sie nichts sagen?“, fragte er vermutend.

„Es geht Sie nicht das Geringste an.“, erwiderte sie entschieden. „Und nun halten Sie sich daraus, Orlando. Sie können sicher sein, dass Sie sich nicht mit mir anlegen wollen.“

Er lachte, weil er sie, auch wenn sie ihm drohte, hinreißend fand. „Vielleicht lasse ich es darauf ankommen, Christina.“, sagte er und trat noch dichter an sie heran. Er streckte gerade die Hand vor, um ihr Gesicht zu berühren, als sie von zwei Lichtkegeln beleuchtet wurden.

Ein Taxi fuhr vor und hielt vor ihnen an. Sie blickte ihn noch einmal an, dann wandte sie sich um und stieg ins Auto. Und wieder verschwand sie einfach und ließ ihn zurück.

Er blieb einige Momente auf der Treppe stehen und blickte ins Dunkel. Sie hatte Lügen erzählt und dabei so beherrscht und unscheinbar gewirkt, dass er sicher war, dass sie ganz genau wusste, was sie tat. Sie war eine geübte Lügnerin. Das wusste er so sicher, weil er selbst ein geübter Lügner war. Sein Interesse an ihr wuchs mit jedem Atemzug und nun wollte er herausfinden, warum sie auf ihn von Anfang an gefährlich gewirkt hatte. Er musste mit seinem Vater reden und in Erfahrung bringen, womit diese Lady ihr Geld verdiente. Und er wollte versuchen, bei ihrem morgigen Treffen dabei zu sein.

Die Partisanen

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