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Kapitel 5

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Spanien, Siebzehnter März 2003

Alejandró saß neben Benini und Bertosloni im Haus von Mladen. Dessen Büro war um einiges kleiner als das des Mafiosi, was jedoch nichts an der Hitzigkeit der Verhandlung änderte.

Nach einer Weile sagte Benini: „Es ist nicht leicht, vier Kisten Sprengstoff zu organisieren und das alles in weniger als einer Woche.“

Alejandró nickte zustimmend. Natürlich war es ihm möglich, aber Benini wollte mehr Geld herausschlagen, auch wenn er dafür die zierliche, junge Frau, die Alejandró aufrichtig mochte, überlisten musste. Irgendwas hatte Skylla an sich. Am vergangenen Abend, nachdem sie mit Orlando getanzt hatte, war sie noch stundenlang das Gesprächsthema gewesen. Isabella, die zu diesem Zeitpunkt in der Küche mit dem Catering beschäftigt gewesen war und das Spektakel verpasst hatte, war noch immer empört, dass sie ausgerechnet dann abgelenkt gewesen war, als sie ihre mögliche Schwiegertochter hätte treffen können. Für die Frauen der Familie stand bereits fest, dass Skylla perfekt für Orlando war. Don Alejandró hingegen, hatte sie als Geschäftsfrau kennen gelernt, die von ihm Sprengstoff haben wollte. Dies beunruhigte ihn. Sein Sohn wusste nichts von ihren Geschäften. Er hatte versucht, von seinem Vater Informationen über sie zu kriegen, doch Alejandró hatte diesbezüglich lieber geschwiegen. Er hatte keine Ahnung, wieso sein Sohn ein solches Interesse an Skylla Montalli hatte, aber er hielt es nicht für ratsam einen Auftragsmörder mit einer anderen Kriminellen zusammen zu bringen.

„Entschuldigen Sie, meine Herren, aber wir sprechen hier von vier Kisten Sprengstoff und nicht von Uran.“, sagte Christina lachend. „Wenn Sie mehr Geld für sich herausholen wollen, dann sagen Sie es offen und ich denke vielleicht darüber nach. Über den Tisch ziehen lasse ich mich allerdings nicht und erstrecht ist es ausgeschlossen, dass Sie mich für dumm verkaufen.“

Alejandró musste gegen seinen Willen über ihr Temperament und ihren Scharfsinn lachen, während Benini nicht zu wissen schien, wie er mit so einer entschlossenen Frau umgehen sollte. Bertosloni grinste nur verhalten. Er hielt sich generell aus den Geschäften seines Arbeitgebers heraus und war nur zu dessen Schutz dabei. Benini kratzte sich an seinem Bart. Bei Verhandlungen mit Männern konnte man zur Not mit Schlägen drohen oder ihnen durch Gewalt seinen Willen aufzwingen. Ihr jedoch würde Alejandró keinen einzigen Schlag androhen oder gar ausführen und das wusste Benini.

Christina lächelte aufrichtig. „Sie haben mein Angebot vor sich auf dem Tisch liegen.“, sagte sie, um nach mehr als zwei Stunden, endlich zum Ende der Verhandlung zu kommen. Bisher hatte sie das Reden übernommen und Mladen hatte nur beiläufig genickt oder etwas Zustimmendes gesagt. Ihm war durchaus bewusst geworden, dass seine Partnerin diese Verhandlung besser führen könnte als er. Hinzu kam, dass der Don offensichtlich eine Schwäche für sie hatte, besonders nachdem sein einziger Sohn so angetan von ihr schien. Christina ihrerseits empfand es als ihr gutes Recht, die Verhandlung zu führen. Es ging immerhin um ihr Geld. Sie hatte Überfälle organisiert, damit dieses Geld auf ihr Konto floss und sie entschied, was damit gemacht wurde und in welcher Höhe sie es ausgab. „Alles, was Sie für diese Summe tun müssen, ist, mir vier Kisten Sprengstoff zu organisieren und dafür zu sorgen, dass diese Kisten unbemerkt mit den anderen ausgeflogen werden. Sie haben die Wahl. Entweder Sie gewinnen mich als eine dauerhafte Geschäftspartnerin, oder ich werde mich mit jemand anderem zusammenschließen müssen.“ Sie bluffte nur, denn sie hatte weder die Zeit, noch die Kontakte, um dies zu ermöglichen. Mladen könnte den Sprengstoff von einer anderen Mafia organisieren, aber diese Zeit hatte sie nicht. Allerdings wusste sie, dass Alejandró Santiago de Maliñana in ständiger Konkurrenz zu den Russen stand und ihn eine Feindschaft mit Michél Tripoutêt, dem Mafiaboss der Franzosen, verband. Sie würde weiterhin bluffen müssen, aber sie hatte ihre Hausaufgaben diesbezüglich gemacht.

„Ausgeschlossen.“, sagte Alejandrós Vertrauter mit einem nervösen Lachen. „Wer außer uns würde sich auf ein solches Geschäft einlassen können?“

„Michél Tripoutêt.“, antwortete Christina sogleich. Sie lehnte sich leicht im Stuhl zurück und betrachtete zufrieden, wie ihre Geschäftspartner ins Wanken gerieten. Als die beiden Männer sich einen verschwörerischen Blick zuwarfen, wusste sie, dass ihr Bluff sein Ziel nicht verfehlt hatte. Die Eitelkeit der Männer siegte nur allzu oft über ihre Vernunft. Und auch ein Profi wie Alejandró schien lieber Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, ehe er sich seinem Feind geschlagen geben müsste.

„Wir sind uns einig.“, entschied Alejandró, obwohl sein Vertrauter protestieren wollte. Alejandró würde sich von dem verfluchten Franzosen nicht das Heft aus der Hand nehmen lassen. Gleichzeitig war er auch aus persönlichen Gründen an einer dauerhaften Zusammenarbeit mit dieser Frau interessiert. Schließlich sah seine Bella in ihr die zukünftige Frau ihres Sohnes und Orlando selbst war ebenfalls an ihr interessiert. Also wollte er sich zumindest die Möglichkeit, ihr öfter zu begegnen, offen halten. Würde sie eine dauerhafte Geschäftspartnerin werden, würde sie auch Orlando begegnen müssen und dies erschien Alejandró die Mühe wert zu sein. „Am Ende der Woche stehen die Kisten zwischen den anderen im Flugzeug.“, fuhr Alejandró fort. „Ich kann nur hoffen, dass ich Sie damit wahrhaftig als eine dauerhafte Geschäftspartnerin gewinne, Señorita Skylla?“ Er hatte keine Ahnung, wofür eine Frau wie sie es war, Sprengstoff benötigte und er hatte ebenfalls nicht die leiseste Idee, womit sie ihr Geld verdiente. Sie wendete sich zum ersten Mal an ihn und er war sich sicher, dass auch ihr Partner sich zuvor nicht direkt bei ihm gemeldet hatte.

Christina lächelte. „Ich denke, unter diesen Bedingungen, werde ich häufiger auf sie zurückgreifen, mein lieber Don Alejandró.“, erwiderte sie charmant und ließ sich dennoch auf keine verbindliche Zusage ein. Dann nahm sie sich einen Zettel und schrieb alle Angaben zu einem Schweizer Konto darauf, dass sie für Geschäfte wie dieses eingerichtet hatte. Es war immer das gleiche Prinzip: Sie eröffnete ein anonymes Konto, das mit Geheimzahl zugänglich war. Die Zahlenkombination änderte sie nach jedem abgeschlossenen Geschäft und alle paar Monate schloss sie ein Konto und eröffnete ein neues. Alejandró hatte nun die Geheimzahl dieses Kontos und sie würde ihm auf diesem Wege das Geld zukommen lassen, wenn sie ihre Ware erhielt.

Christina schob Alejandró den Zettel zu. Dieser bemerkte sogleich, dass Skylla ebenso wie er selbst mit den Konten verfuhr. Diese Idee hatte Orlando gehabt und Alejandró hatte sie, weil es ein kluger Ratschlag gewesen war, sogleich umgesetzt. Dass diese Frau die gleiche List und Intelligenz wie sein Sohn besaß, imponierte ihm sehr.

Nachdem das Geschäftliche besprochen war, geleiteten Mladen und Christina die drei Männer zur Tür. Als Benini und Bertosloni bereits vorgegangen waren, ergriff der Don noch einmal Christinas Hand und küsste diese schmeichelnd. „Sie sind eine ungemein geschickte Frau, Señorita Montalli.“, sagte er anerkennend. „Ich freue mich, weiterhin mit Ihnen Geschäfte machen zu können.“

Sie lächelte. „Wenn alles gut verläuft und wir beide zufrieden sein können, Don Alejandró, wird die Freude auch auf meiner Seite sein.“, erwiderte sie.

Alejandró lachte, obgleich er wusste, dass hinter ihrer humorvollen Art bitterer Ernst und guter Geschäftssinn steckten. „Kann ich Sie bald wieder in meinem Haus als Gast bei einer meiner Feierlichkeiten begrüßen, Señorita?“, wollte er wissen. Er gab immer wieder große und kleinere Feste und brauchte dazu nicht immer einen bestimmten Anlass. Er liebte es einfach, sich mit vielen Menschen zu umgeben und es kam ihm entgegen, dadurch seinen Einfluss und seine Macht zu zeigen.

„Ich fürchte, vorerst besteht diese Möglichkeit nicht, Don Alejandró, da ich private Dinge in einem anderen Land zu erledigen habe.“, antwortete sie und dachte, dass sie seinem Sohn aus dem Weg gehen wollte. „Dennoch fühle ich mich durch diese neuerliche Einladung geschmeichelt, vielen Dank.“

„Ihnen gebührt alle Ehre, Miss Montalli.“, erwiderte er lächelnd. „Wenn Sie wieder einmal im Lande sind, werden Sie bei mir immer auf Gastfreundschaft stoßen, meine Liebe. Bis dahin verabschiede ich mich in aller Höflichkeit und mit der Anmerkung, dass Sie nach dieser gelungenen Verhandlung auch in geschäftlichen Dingen meinen vollsten Respekt genießen.“ Er reichte ihr beinahe wie ein Freund die Hand, ehe er sich umdrehte und die Treppen hinunter ging. An der Straße warteten seine Vertrauten in einer Limousine auf ihn, die er nun ebenfalls bestieg und davon fuhr.

Mladen schloss die Tür und blickte Christina respektierend an. Obwohl er selbst nichts hatte sagen können, was Beachtung oder Respekt gefordert hätte, war er weder ärgerlich noch unzufrieden. Christina hatte sich auch dem mächtigsten Mann Spaniens gegenüber so eindrucksvoll gegeben, dass er von ihren Qualitäten überzeugt war. Mladen hatte bei seiner ersten Verhandlung mit Skylla ebenso Respekt für sie empfunden, wie Alejandró nun.

„Du lächelst so.“, merkte Christina an. „Also bist du zufrieden mit der endgültigen Abwicklung des Geschäfts?“

Mladen nickte entschieden, während er sie in den Garten begleitete. „Du hättest diesen mächtigen Mann nicht eindrucksvoller in deinen Bann ziehen können.“, sagte er anerkennend. „Nur hast du mir nun die ganze Arbeit abgenommen, denn ich muss mich nun weder um die Beschaffung des Sprengstoffes, noch um den Transport kümmern.“

Sie lächelte. „Du hast schon die Medikamente besorgt, um die ich dich gebeten habe, Mladen. Und deine Leute fliegen das Flugzeug nach Bagdad, was auch unter deiner Verantwortung steht. Ich hab’ dir also nur das Illegale abgenommen, mein Freund.“, sagte sie und grinste ihn charmant an. Dann wurde ihre Miene sogleich wieder geschäftig. „Außerdem kannst du von nun an, wenn ich es wünsche, Verhandlungen in meinem Namen mit der spanischen Mafia führen. Ich bin zu selten hier, um mich um alles alleine zu kümmern.“

„Dann sind wir jetzt richtige Geschäftspartner?“, fragte Mladen, dem diese Vorstellung offensichtlich behagte.

„Bisher hatte ich keinen Grund, dir zu misstrauen.“, sagte sie. „Solange das so bleibt und du in meinem Sinne handelst und nicht ohne meine Zustimmung, werde ich mit dir zusammen arbeiten.“

Mladen war der warnende Unterton in ihrer Stimme nicht entgangen und so blickte er sie mit Sorge an. „Und wenn du mir irgendwann misstraust?“

Christina setzte sich an den Pool, der um einiges kleiner war als der von Don Alejandró, und ließ die Beine ins Wasser gleiten. „Wenn du mich hintergehst und ich davon überzeugt bin, dass du es aus Geldgier tust, werde ich dich umbringen.“, sagte sie und sah ihm an, dass er dem Ernst ihrer Worte die richtige Bedeutung zumaß. „Wenn du unabsichtlich einen Fehler machst und ich dir das glaube, brauchst du nur zu befürchten, dass ich dir nicht mehr ganz freie Hand lasse.“

Mladen nickte verhalten. Er hatte die Gefahr, die von dieser Frau ausging, noch niemals zu unterschätzen gewagt und nun, wo sie ihm direkt und ehrlich geantwortet hatte, wusste er, weshalb er sie nicht unterschätzte. „Das klingt fair.“, sagte er aufrichtig. „Wir sind uns also einig?“ Dass er nun sie darum bitten musste, war ihm nur wenig unangenehm, weil er nicht davon ausgegangen war, dass sie sich ewig über ihn an die Mafia wenden würde. Sie war jung und am Aufsteigen, er wurde älter und ruhiger. Als sie in seinem Haus angekommen war, hatte sie noch um sein Wohlwollen gebeten, damit er sich für sie an die spanische Mafia wenden würde. Als er die dann zu der Feier von Alejandró mitgenommen hatte, hatte sie diese Chance genutzt, um nicht mehr von ihm abhängig zu sein. Er verstand das und war nicht wütend darüber, denn er versprach sich selbst einen Vorteil davon. Schließlich schien sich Don Alejandró außerordentlich für Skylla begeistern zu können. Was jedoch wichtiger war, war die Tatsache, dass er Skylla als ebenbürtig ansah. Mladen hatte er niemals so betrachtet, sondern ihn vielmehr mit einem einfachen Kriminellen verglichen, dem er kaum Beachtung geschenkt hatte. Mit Skylla an seiner Seite würde auch sein Ansehen steigen und er würde dennoch zurückgezogener leben können.

„Ja, wir sind uns einig.“, sagte Christina lächelnd. Nach einer Weile blickte sie zu ihm auf. „Ich brauche noch ein Kleid, was ich bei Stephanies Hochzeit tragen kann.“

Mladen lächelte fröhlich. „Ja, natürlich!“, rief er aus. „Ich bin sicher, Stephanie und du, ihr werdet das Richtige finden und dann könnt ihr auch alles Weitere besprechen, was noch nicht erledigt ist.“ Dann hielt er inne und blickte sie verlegen an. „Du wirst mir diesen Gefallen doch noch immer tun oder?“

Sie lachte und schlug ihm beim Aufstehen freundschaftlich auf die Schulter. „Natürlich, sonst hätte ich es wohl kaum erwähnt.“, sagte sie. „Ich mag deine Tochter, Mladen. Sie soll eine tolle Hochzeit feiern.“ Und ich kann mich dabei vielleicht schon einmal an meine eigene Hochzeit herantasten, dachte sie.

*

Genau eine Woche nach ihrer Ankunft in Spanien betrat sie wieder ein Flugzeug. Dieses Mal würde sie in den Irak fliegen, wo ein neues Leben auf sie wartete. Dieses Mal würde sie zu ihrem Verlobten fliegen. Dieses Mal würde sie sich nicht alleine ein neues Leben aufbauen. Doch wie immer würde sich der größte Teil ihres Lebens im Geheimen abspielen.

Christina schob sich durch den Gang und suchte nach ihrem Fensterplatz. Als sie ihn gefunden hatte, blickte sie auf und sah eine alte Dame, die ihr freundlich zulächelte, ihre Sitznachbarin. Christina lächelte ebenfalls und schob sich dann an der Alten vorbei um ihren Platz einzunehmen. Ihre Handtasche behielt sie auf dem Schoß.

Die Dame neben ihr hielt ihr die Hand entgegen gestreckt. „Mein Name ist Elisabeth Hogfort.“, stellte sie sich kichernd vor. Offensichtlich war sie wegen des Fluges nervös. Sie hatte Christina im britischen Englisch angesprochen.

„Luna Montalli.“, erwiderte sie und lächelte ebenfalls freundlich.

„Warum reist eine junge Frau wie Sie alleine in ein so gefährliches Land?“, wollte die ältere Dame wissen.

„Oh, mein Verlobter wartet dort auf mich.“, antwortete Christina etwas verlegen. Aus irgendeinem Grund erwähnte sie diese Tatsache nur ungern und wenn, hatte sie das Gefühl, als würde sie dafür mitleidig angesehen werden. „Wir werden dort heiraten und wir werden gemeinsam im Irak leben.“, setzte sie hinzu, aber auch dies klang nicht besser in ihren eigenen Ohren. Und dennoch hatte sie sich Mühe gegeben, immer „wir“ gesagt als wäre es selbstverständlich.

Die Frau nickte verstehend. „Ich hatte auch nicht gedacht, dass eine so schöne, junge Frau wie Sie alleinstehend wäre.“

Christina lächelte leicht. „Und warum reisen Sie alleine?“, fragte sie, um von sich abzulenken. „Für Sie dürfte es ebenso gefährlich sein.“

„Oh, nein, nein. Ich reise nicht alleine. Mein Mann ist auch im Flugzeug, zwei Reihen hinter uns.“, antwortete sie kichernd. „Wir wollen unseren Sohn besuchen. Er studiert Militärgeschichte im Irak, wissen Sie.“

Da Christina den Stolz, den die Mutter über ihren Jungen empfand, nicht teilen konnte und sie sich immer unwohl fühlte, wenn jemand Fremdes emotional wurde, beschloss sie auf das Vorherige einzugehen. „Wenn Ihr Mann auch im Flugzeug ist, kann ich ja mit ihm den Platz tauschen. Dann können Sie zusammen sitzen.“

„Das würden Sie tun?“, fragte Elisabeth und legte sich vor Rührung die Hände ans Herz. Dann erhob sie sich sogleich, wandte sich zu den hinteren Sitzreihen um und fing an laut den Namen Jefrey zu rufen, bis dieser reagierte. „Jefrey, komm’ doch her zu mir!“, sagte Elisabeth Hogfort.

„Wie denn, Liebes? Man hat mir eben diesen Platz hier zugewiesen.“, erwiderte er.

„Ja, doch!“, winkte seine Frau ab. „Aber die junge Dame neben mir ist bereit, mit dir den Platz zu tauschen, damit wir nebeneinander sitzen können.“, erklärte sie.

„Welche junge Dame?“, wollte Jefrey wissen.

Christina musste sich das Lachen verkneifen. Die beiden alten Leute hatten sich über ihren Sitzen aufgerichtet und unterhielten sich lautstark über den Köpfen der zwischen ihnen sitzenden Passagiere.

„Kommen Sie, meine Liebe.“, sagte Elisabeth dann an Christina gerichtet. „Sie müssen sich umdrehen, damit mein Mann mir glaubt, dass Sie bereit sind, den Platz mit ihm zu tauschen.“

Christina lachte und kniete sich dann umgekehrt auf ihren Sitz, sodass sie ebenfalls zu Jefrey gucken konnte. „Hallo, Mr. Hogfort.“, sagte sie und winkte einmal. „Wenn Sie möchten, tausche ich gerne mit Ihnen den Platz.“

„Wahrhaftig!“, platzte Jefrey hervor. „Eine sehr nette, junge Dame, Elisabeth.“

Ehe Christina etwas erwidern konnte, erkannte sie, dass Jefrey Hogfort neben Orlando saß. „Sie?!“, brachte sowohl Christina, als auch Orlando beinahe gleichzeitig hervor. Christinas Lächeln war augenblicklich verschwunden und hatte dem Ärger Platz gemacht. Es war doch nicht möglich, dass sie, jedes Mal, wenn sie ein Flugzeug bestieg, auf ihn traf.

Christina blickte ihn verärgert an. „Verfolgen Sie mich? Schon wieder?“, fragte sie bissig.

„Es ist doch eher anders herum.“, erwiderte Orlando amüsiert. „Sie sind es, die sich mir aufdrängt, indem Sie nun unbedingt die Plätze tauschen wollen, um neben mir zu sitzen.“

Obwohl sie wusste, dass er sie absichtlich provozierte, konnte sie nur mit Wut darauf reagieren, weil er so selbstgerecht war. „Sie sind absolut frech, Señore!“, sagte sie und verfiel ins Spanische. „Und glauben Sie ja nicht, dass ich Ihnen den Gefallen tun werde, mich neben Sie zu setzen!“

Wollen Sie dieses liebenswürdige Ehepaar enttäuschen, mi corazón?“, fragte er herausfordernd. „Tun Sie es und beweisen Sie damit, wovon ich seit langem ausgehe: Sie sind eine herzlose Kriminelle.“

Herzlos? Ich soll herzlos sein?“, fragte sie aufbrausend. „Sie sind herzlos, wenn ich bedenke, welche Abenteuer mir von Aden Hall zu Ohren gekommen sind!“

Elisabeth Hogfort tätschelte Christina verlegen am Arm. „Meine Liebe, würden Sie nun den Platz mit meinem Mann tauschen? Wir werden gleich abheben und bis dahin müssen die Plätze eingenommen sein.“

Christinas Wangen waren vor Ärger gerötet, aber sie gab sich Mühe, die alte Damit mit Freundlichkeit anzusehen. „Entschuldigen Sie, aber der Mann, der neben dem Ihren sitzt, ist mir wirklich unausstehlich.“, versuchte sie ihr zu erklären, warum sie mit dem Sitznachbarn ihres Mannes stritt. „Ich kann nicht den Platz tauschen, wenn ich dann gezwungen bin, neben diesem unhöflichen Idioten zu sitzen.“

„Sie finden mich unausstehlich?“, fragte Orlando und lachte amüsiert auf.

„Sie müssen sich irren, junge Dame.“, mischte Jefrey sich ein. „Er scheint mir wirklich ein netter junger Mann zu sein, auch wenn er ein wenig gefährlich aussieht mit den ganzen Tätowierungen und so weiter. Ich glaube wirklich nicht, dass er Sie belästigen wird.“

Orlando blickte ihn grinsend an. „Na ja, ganz so sicher bin ich da nicht. Sie ist doch ungewöhnlich schön, finden Sie nicht, Jefrey? Ich glaube, ich kann nicht garantieren, dass ich es nicht versuchen werde.“

Jefrey lachte, während er gleichzeitig versuchte, Christina einen bittenden Blick zu zuwerfen.

Und dann brach auch sie in Gelächter aus. „Oh Herr Gott, also schön.“, stöhnte sie nachgebend. Sie nahm sich ihre Tasche und schritt unter den Danksagungen von Elisabeth durch den Gang.

„Sie wollen also von mir belästigt werden?“, fragte Orlando neckend als sie neben ihm stand.

Christina öffnete bereits den Mund um ihrer Wut Luft zu machen, als sie, scheinbar unabsichtlich, von Jefrey angerempelt wurde und direkt in Orlandos Arme fiel.

„Verzeihen Sie mir, meine Liebe.“, sagte der ältere Herr. „Ich bin manchmal so ungeschickt.“ Er zwinkerte Orlando verschwörerisch zu und ging dann zu seiner Frau herüber.

„Nehmen Sie Ihre Finger von mir.“, fuhr sie Orlando, der ihr beim Aufstehen geholfen hatte und seine Finger dabei über ihren Rücken hatten streichen lassen, ärgerlich an. Als sie auf ihrem Platz saß, stellte sie fest, dass sie ihren Fensterplatz eingebüßt hatte. Sie hasste das Fliegen und das schon, wenn sie am Fenster, ihrem bevorzugten Platz, saß. Nun jedoch schien es ihr unerträglich. „Ich habe einen Fensterplatz gebucht.“, sagte sie, nicht ganz ohne Verlegenheit, zu Orlando. Die beiden unterhielten sich wieder auf Spanisch. „Würden Sie mich also bitte dorthin lassen?“ Es klang mehr nach einer Forderung, denn nach einer Bitte.

„Wegen Ihrer Flugangst?“, fragte er, um sie zusätzlich zu provozieren.

Sie wandte sich zu ihm herum und hielt ihm drohend den Zeigefinger vors Gesicht. „Reizen Sie mich nicht.“, brachte sie ärgerlich hervor. „Ich bin mit Ihrem Vater fertig geworden und ich werde auch nicht an Ihnen verzweifeln.“

Orlando grinste amüsiert. Wenn sie sich aufregte, war sie umwerfend. Ihre Wangen röteten sich dabei ein wenig und ihre Augen funkelten. Er sah sie gerne so. „Bitten Sie mich doch einfach höflich darum, die Plätze zu tauschen, da Sie enorme Flugangst haben und es Ihnen leichter fällt damit umzugehen, wenn Sie am Fenster sitzen.“, forderte er sie auf.

Christina wünschte sich augenblicklich, sie hätte weniger Stolz gehabt. Doch anstelle ihn zu bitten, drehte sie sich im Sitz zurecht und legte sich den Gurt um. Vor ihm würde sie kein bisschen nachgeben, besonders dann nicht, wenn er so selbstgerecht war. „So ein Arschloch.“, murmelte sie ärgerlich auf Deutsch. „Was denkt er, wer er ist? Nur weil er ein Don ist, glaubt er, sich alles herausnehmen zu können.

Orlando musste lachen. „Aus Ihrem Mund klingt sogar eine Beleidigung reizend.“, sagte er, ebenfalls auf Deutsch.

Sie blickte ihn empört an. Hatte er ihr überhaupt je die Wahrheit gesagt? Er hatte behauptet, nur zwei Sprachen zu sprechen und selbst dabei hatte er gelogen! Christina fing an auf seinen Oberkörper einzuschlagen, bis eine Stewardess an sie heran trat und sie aufforderte, sich ruhig zu verhalten und für den Start vorzubereiten.

„Welche Sprachen beherrschen Sie noch, he?“, fragte Christina ihn ärgerlich. Sie war wieder ins Spanische zurück gefallen. „Ich hätte es besser wissen müssen, als ich heraus gefunden habe, was für ein elender Lügner Sie sind.“

„Meine Lügen sind schlimm, aber Ihre weniger?“, fragte er neugierig. „Ich habe mit meinem Namen gelogen und Sie taten dies ebenfalls. Sagen Sie es mir, falls ich mich irre, Miss Montalli.“

„Sie irren sich!“, fuhr sie ihn an. Ihr Atem ging schneller und ihre Wangen waren vor Wut gerötet. „Als Sie mich nach meinem Namen gefragt haben, da habe ich Ihnen die Wahrheit gesagt.“ Im nächsten Moment wurde ihr bewusst, dass sie mit diesem Satz ein Eingeständnis gemacht hatte. Dass sie ihn mochte, war nun kein Geheimnis mehr.

Orlandos amüsiertes Lachen, wurde zu einem sanften Lächeln. Also hieß sie tatsächlich Christina. „Verzeihen Sie mir, Sie haben Recht.“, lenkte er ein. „Ich hätte Ihnen die Wahrheit sagen sollen.“

„Nun ist es zu spät, Orlando.“, erwiderte sie verunsichert und wandte daraufhin den Blick ab.

Er lehnte sich zu ihr herüber. „Als Sie mir Ihren wahren Namen genannt haben, haben Sie das absichtlich getan? Oder haben Sie es danach bereits bereut und sich geärgert, ehrlich gewesen zu sein?“, wollte er wissen.

Sie dachte nur einen kurzen Moment darüber nach und sah ihn dann lächelnd an. „Ich habe mich geärgert, weil ich nicht gelogen habe.“, gestand sie und musste dann lachen.

Orlando öffnete seinen Gurt und erhob sich. „Kommen Sie, setzen Sie sich ans Fenster.“

„Sir, bitte nehmen Sie augenblicklich Ihren Platz wieder ein!“, fuhr die Stewardess sofort dazwischen. „Auf der Stelle!“

„Einen kleinen Moment noch, bitte.“, sagte Orlando, ungeachtet der Hektik in ihrer Stimme.

Christina musste über seine Frechheit grinsen, beeilte sich, ihren eigenen Gurt zu öffnen und erhob sich dann. Einen Moment lang drückte ihr Körper gegen Orlandos, da der Gang in den Platzreihen zu schmal war, als dass sie unberührt aneinander hätten vorbei gehen können. Während er ihr half, sich an ihm vorbei zu schieben, glitt seine Hand neuerlich sanft über ihre Hüfte und einen Moment lang trafen sich ihre Blicke mit einer solchen Intensität, dass keiner von beiden sich weiterhin bewegte.

Die Stewardess drängte sie mit einem erneuten Ausruf, sich zu beeilen und der Moment zwischen ihnen war vergangen. Die Verwirrung blieb jedoch bei beiden gleichermaßen.

Christina schnallte sich an und atmete tief durch. „Danke.“, sagte sie leise.

„Jederzeit.“, erwiderte er lächelnd. Dann blickte er sie verstohlen an, bis sie seinem Blick mit ihrem begegnete. „Soll ich wieder Ihre Hand halten?“

„Macht es Ihnen Spaß, sich über die Ängste anderer zu amüsieren?“, fragte sie, sofort wieder verärgert. Er hatte so eine Art an sich, die sie provozierte.

Orlando lächelte sanft. „Über Sie würde ich mich niemals lustig machen.“, sagte er und meinte es so. „Ich wollte Sie nur daran erinnern, dass ich in Ihren Augen ein Arschloch bin und Sie mich hassen.“

Sie grinste. „Ich hasse Sie nicht.“, entgegnete sie. „Ich mag Sie nur nicht sonderlich.“

Er lachte. „Und hilft es Ihnen über die Flugangst hinweg?“

„Nur ein bisschen.“, antwortete sie lachend. Gleich darauf begannen die Motoren des Flugzeuges aufzuheulen und die Maschine setzte sich langsam in Bewegung.

Orlando hielt ihr seine Hand hin und lächelte ihr aufmunternd zu. Sie betrachtete seine Hand zögerlich, betrachtete sein Gesicht und legte ihre Hand schließlich seufzend in seine. Als sie seinen starken Griff um ihre Hand fühlte, spürte sie, wie sich eine erotische Gänsehaut auf ihrem Rücken ausbreitete und sie verlegen werden ließ. Dennoch wollte und konnte sie ihm ihre Hand nicht entziehen. Stattdessen faltete sie ihre dünnen Finger in seine kräftigen, schloss die Augen und versuchte, ihre Angst zu unterdrücken, indem sie sich auf das Gefühl, das seine Unterstützung ihr gab, konzentrierte.

Orlando war verwundert über ihre plötzliche Zuwendung und überrascht von der Sanftheit dieser kleinen, scheinbar unbedeutenden Berührung. Als er sie ansah, hätte er sie am liebsten auf sich gezogen und sie in den Armen gehalten. Niemals zuvor hatte es eine Frau geschafft, ihn mit einer so harmlosen Berührung so sehr aus der Fassung zu bringen. Vielleicht lag es an ihrer Angst, dass sie ihm nun näher gekommen war, doch in jedem Fall war es das erste Mal, dass sie ihn ihrerseits berührte. Er versteckte nicht, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte, doch sie war bislang immer abweisend gewesen und hatte sich distanziert, wenn er ihr näher gekommen war.

Als das Flugzeug ruhig dahin glitt, löste Christina ihre Hand aus seiner und blickte ihn sowohl forschend, als auch verlegen an. „Wieso reisen Sie in den Irak?“, wollte sie wissen.

„Das kann ich Ihnen nicht verraten, es sei denn, Sie ärgern sich nicht über weitere Lügen.“, antwortete er ehrlich.

Sie lächelte leicht. „Werden Sie in Bagdad bleiben oder von dort aus weiter reisen?“

Er wandte sich ihr zu und blickte ihr direkt in die Augen. „Wird das ein Verhör?“, fragte er lächelnd. „Wissen Sie, das schüchtert mich ein wenig ein, da ich Sie, bei unserer ersten Begegnung für eine Agentin gehalten habe.“

Christina lachte amüsiert auf. „Niemals.“, sagte sie entschieden.

Er grinste. „Doch dann wurde mir klar, dass Sie auch nur eine Kriminelle sind.“, fuhr er schulterzuckend fort. „Sie sind mir ähnlicher als Sie ahnen.“

Christina blickte ihn ernst an. „Und Sie sind größenwahnsinnig, wenn Sie annehmen, dass Sie viel über mich wüssten.“, sagte sie. „Sie haben ja keine Ahnung.“

Orlando schwieg einen Moment und betrachtete sie dabei eingehend. Schließlich fragte er: „Wieso reisen Sie in den Irak?“

„Mein Verlobter wartet auf mich. Das war nicht gelogen.“, antwortete sie. „Und meine Arbeit ist dort.“

„Aber nicht beim Roten Kreuz.“, behauptete er.

„Sind Sie sich da sicher, Orlando?“, fragte sie und lächelte geheimnisvoll.

„Werden Sie in Bagdad bleiben?“, fragte er weiter.

„Ja.“, log sie vorsichtshalber.

„Sie lügen.“, erkannte er sogleich und musste darüber lachen. „Und sogar das wirkt bei Ihnen hinreißend.“

Christina wandte sich ihm nun endgültig zu und schnallte sich, überhaupt das erste Mal während eines Fluges, ab, um bequemer sitzen zu können. „Wird das wieder einer Ihrer Versuche, mich zu einem Drink zu überreden?“, zog sie ihn auf.

Orlando lehnte sich zurück und lächelte selbstsicher. „Sie werden mit mir ausgehen, Chris.“, sagte er überzeugt. „Vielleicht nicht heute, aber irgendwann bestimmt.“

Sie blickte ihn lächelnd an und schüttelte leicht, aber verneinend den Kopf.

Er lächelte noch immer. „Sie müssen wissen, dass ich niemals aufgebe, wenn die Sache einen Kampf wert ist.“, sagte er entschieden. Nun beugte auch er sich zu ihr vor, sodass ihre Gesichter dicht beieinander waren. „Und bei Ihnen werde ich nicht aufgeben.“

*

Irak, Neunzehnter März 2003

Orlando und Christina hatten das Flughafengebäude in Bagdad gemeinsam verlassen. In der heißen Sonne standen sie am Straßenrand und blickten einander lächelnd an. Während es in Spanien angenehme 20 Grad Celsius gewesen waren, maß Bagdad zu dieser Stunde 31 Grad.

Orlandos Ziel war Karch, das Zentrum von Bagdad. Er würde das Raschid-Hotel aufsuchen und sich vorerst dort einquartieren, obgleich er auch in Bagdad eine Wohnung unterhielt. Sobald er Nachricht von Ambrose erhielt, wäre er in der Lage seine Freunde aufzusuchen und mit ihnen den Einflug und weiteren Transport der Waffen zu planen.

Christinas eigentliches Ziel war Falludscha, was mit dem Auto beinahe zwei Stunden vom Zentrum von Bagdad entfernt war. Allerdings hatte sie mit Damian besprochen, dass er sie am Flughafen abholte, damit sie gemeinsam in ihr neues Heim fahren könnten, sodass sie den Besuch bei Ali auf einen späteren Zeitpunkt verschieben musste. Christina hätte lieber ein Taxi genommen, um zu Damians Haus zu fahren, aber sie hatte sich von ihm überreden lassen. Als sie das letzte Mal mit ihm telefoniert hatte, hatte er ihr mitgeteilt, dass die Renovierungsarbeiten an ihrem Haus beinahe abgeschlossen waren. Vielleicht würde sie nun schon ein fertig saniertes Haus beziehen können, denn ihr letztes Gespräch lag über eine Woche zurück.

„Leben Sie wohl, Orlando.“, sagte Christina und reichte ihm die Hand.

„Auf Wiedersehen.“, erwiderte er und zog sie an ihrer Hand näher an sich. „Hoffentlich schon bald.“

Sie lächelte. „Sie trauen dem Zufall zu viel zu.“, sagte sie lächelnd.

„Kennen Sie die sechs Glaubensgrundsätze des Islams?“, fragte er.

Sie nickte. „Ja.“

„Wie lautet der sechste Grundsatz?“

Sie überlegte einen Moment, nicht sicher, worauf er hinaus wollte. „Der Glaube an die göttliche Vorsehung.“, erinnerte sie sich. Christina blickte zu ihm auf und in ihrem Blick lag sowohl Verwunderung, als auch Verlegenheit. Sein Blick hingegen war wärmend und drückte neben seiner üblichen Selbstsicherheit eine Sehnsucht aus, die ihr nie zuvor bei ihm aufgefallen war. Doch noch ehe sie etwas darauf erwidern konnte, wurde ihre Hand ergriffen und sie selbst herumgewirbelt. Im nächsten Moment befand sie sich auch schon in einer Umarmung mit Damian.

„Luna, da bist du ja endlich!“, rief er freudig auf Englisch. Er sprach auch Arabisch, aber nicht annähernd so gut wie seine Verlobte. „Ich hatte schon Angst, du würdest es dir anders überlegen.“

„Ja…-“, sagte sie verwirrt. Sie blickte sich suchend nach Orlando um, aber er war schon in der Menschenmenge verschwunden. „Ja, aber ich bin hier.“, sagte sie und sah dann ihn an. Ihre Traurigkeit, aus dem Gespräch mit Orlando gerissen worden zu sein, überwog zu ihrer Schande der Freude, über das Wiedersehen mit ihrem Verlobten. Dennoch zwang sie sich zur Beherrschung und lächelte ihm zu. „Du hast abgenommen.“, bemerkte sie. Damian war ihr von der Körpergröße nur gering überlegen, sodass sie ihm ohne Schwierigkeiten in die grünen Augen sehen konnte. Sein braunes Haar war immer noch so lang wie vor ihrer Abreise nach London, was ein wenig ungepflegt wirkte, wenn gleich sie wusste, dass er das nicht war. Er trug nun eine Brille, wo er vorher, der Eitelkeit wegen, Kontaktlinsen getragen hatte.

Damian legte seine Hände an ihre Taille und blickte sie ebenfalls aufmerksam an. Er war 24 Jahre älter als sie und ihre Anwesenheit schmeichelte auch ihm. „Wer war der Mann, mit dem du dich eben unterhalten hast?“, wollte er wissen. Er fragte es weder misstrauisch, noch eifersüchtig, sondern mit bloßem Interesse. Sie musste sich erst wieder daran gewöhnen, dass es auch Menschen in ihrem Leben gab, die keinerlei Täuschungen versuchten, die anderen prinzipiell vertrauten und auch selbst ehrlich waren.

„Ein Firmenvertreter.“, log sie sogleich ungeniert. „Wir haben im Flugzeug nebeneinander gesessen.“

Damian nickte und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Nach seinem Blick zu urteilen, hätte ich angenommen, dass ihr euch schon länger kennt.“

Sie schüttelte leicht den Kopf und die Locke fiel ihr neuerlich ins Gesicht. „Nein.“, sagte sie lächelnd. Sie nahm ihre Taschen auf und er nahm ihr eine davon ab.

„Ist ja auch nicht wichtig.“, tat er das Thema dann ab. Sie war nicht sonderlich gesprächig und er wusste, sie würde nun auch nichts von seiner Eifersucht hören wollen. Er war nicht eifersüchtig weil die beiden sich unterhalten hatten, sondern weil der Mann, wenn er auch ein wenig einschüchternd wirkte, gut aussah. Damian fürchtete immer wieder, dass er, hauptsächlich aufgrund seines Alters, an Attraktivität verlor. Seine Verlobte hingegen war noch sehr jung, was ihm gefiel, denn er hatte immerzu sehr junge Frauen gehabt, aber er fürchtete doch hin und wieder, dass sie, aufgrund ihrer Naivität, wechselhaft sein konnte und einem attraktiven Fremden vielleicht nachgab. Allerdings tat er diese vorwurfsvollen Gedanken nun ab. Sie war seinetwegen in dieses, seiner Meinung nach, verfluchte, Land gekommen. Sie würde ihn heiraten und mit ihm leben.

„Wie weit sind die Arbeiten an dem Haus vorangeschritten?“, fragte sie und folgte ihm derweil zu einem kleinen Polo, den er sich erst vor kurzem angeschafft hatte. Der Wagen war alt und rostig und sie war sich augenblicklich sicher, dass Damian sich von einem Einheimischen hatte über den Tisch ziehen lassen. Doch das sagte sie ihm nicht, denn er war, als er ihr am Telefon von dem Kauf erzählt hatte, sehr stolz auf seine Verhandlung und auch sein Geschick, Arabisch zu sprechen, gewesen. Wenn sie ehrlich war, schwieg sie jedoch nicht, um seine Gefühle nicht zu verletzen, sondern viel mehr, weil er sie für ein naives Mädchen hielt, was keine Ahnung von der Welt hatte. Sie ließ ihn lieber in diesem Glauben, denn so hinterfragte er ihre Person nicht weiter.

„Es läuft alles hervorragend.“, antwortete er mit einem zufriedenen Lächeln.

Sie hoffte, dass es nicht so hervorragend war wie das Auto, das er sich hatte andrehen lassen und welches er auch hervorragend fand.

Damian verfrachtete ihre Taschen in den Kofferraum und brauchte dann mehrere Versuche, um den Deckel zu schließen, da das Schloss nicht gleich fasste. Er lächelte jedoch noch immer. „Unser Haus ist noch rechtzeitig zu deinem Einzug fertig geworden.“, setzte er hinzu. Sie sagte so gut wie nie „uns“ oder „wir“, also tat er es umso häufiger. Damian glaubte, sie auf diese Weise von ihrer emotionalen Verkrüppelung zu heilen. Doch dass er sie für alles andere als gefühlsbetont hielt, würde er ihr nicht sagen, denn er hasste es zu streiten, wenngleich dies die einzige Form der Gefühlsaussprache war, die sie nicht abzulehnen schien. Er zog es vor, sie unterschwellig zu kurieren.

Damian stieg auf der Fahrerseite ein und sie nahm auf dem Beifahrersitz Platz.

„Hast du hier drinnen keinen Türgriff?“, fragte sie, da ihr dies sofort aufgefallen war.

Damian errötete, jedoch mehr aus Ärger, als weil ihm seine eigene Unachtsamkeit verlegen machte. „Es ist mir nicht aufgefallen, okay?“, brachte er wütend hervor. Immerhin hatte seine Seite einen Türgriff und nur der auf der Beifahrerseite war abgebrochen. Als er den Wagen Probe gefahren hatte, hatte er aussteigen können und deshalb war ihm dieses Detail entgangen.

„Wie kann einem das nicht auffallen?“, fragte sie lachend.

„Das musst du ja fragen, weil du dich natürlich nicht mit Autos auskennst.“, gab er unwillig zurück. Dass sie sich über ihn lustig machte, konnte er kaum ertragen, aber dass es ihr egal war, dass sie damit seine Gefühle verletzte, hasste er. So war sie häufig. Sie merkte nicht einmal, dass sie unsensibel oder taktlos war.

„Dann ist ein Auto ohne Türgriff also besser als eines mit?“, erwiderte sie, unbeeindruckt von seiner Wut. Es war schließlich nicht ihre Schuld gewesen, dass er so einen Wagen gekauft hatte, aber es bestätigte ihre Vermutung, dass er sich hatte über den Tisch ziehen lassen und es noch immer nicht zugeben wollte.

„Ich habe mich auf den Motor und die Technik konzentriert.“, sagte er und maß sie mit einem herablassenden Blick, der ihr verdeutlichen sollte, dass sie von so etwas natürlich keine Ahnung hatte. „Es ist ja klar, dass du dich nur auf das Aussehen des Autos fixierst. Weil du eben keine Ahnung hast, Luna.“ Er startete den Motor und dieser erstarb nach wenigen Sekunden wieder. Damian lief rot an, so peinlich war es ihm.

Er startete noch einmal und dieses Mal krachte es laut und eine rußige Wolke entfloh dem Auspuffrohr. Daraufhin brach sie neuerlich in Gelächter aus.

Damian ignorierte sie voller Zorn und fuhr los.

Eine ganze Weile schwiegen sie, er weil er wütend auf sie war und sie, weil sie ihren Gedanken nachhing. Schließlich, nach mehr als einer halben Stunde, blickte er sie aus dem Augenwinkel an.

„Luna, ich weiß ja, dass du dir nicht viel aus der Religion der Moslems machst…-“

„Es heißt Muslime.“, korrigierte sie ihn, wobei auch sie weiterhin auf die Straße blickte, anstelle ihn anzusehen. Er hatte den Satz schon so angefangen, dass sie sicher war, dass er etwas Unsinniges von ihr verlangen wollte. Sie konnte ihn leicht durchschauen, wenn sie sich die Mühe machte.

„Von mir aus.“, sagte er und schluckte neuerlich seinen Ärger über sie herunter. „Es geht mir darum, dass du zu europäisch aussiehst.“

„Ich bin Europäerin.“, sagte sie und blickte ihn nun doch an.

„Das weiß ich, verdammt.“, brachte er wütend hervor. Dann riss er sich zusammen. „Das weiß ich, aber…-“

„Aber was?“, fuhr sie ihm dazwischen. „Was willst du damit sagen?“ Es ärgerte sie, dass er, kaum dass sie angekommen war, auch schon wieder versuchte, ihr Vorschriften zu machen. Er tat das häufig, weil er der Meinung war, dass sie noch ein Kind war und eine führende Hand bräuchte. Seine Arroganz regte sie immer wieder auf. Manchmal machte es sie so wütend, dass sie sich vorstellte, wie sie ihm die Wahrheit über sich sagte, nur um ihn darüber erzittern zu sehen.

„Sieh dir die Frauen hier an, Luna.“, bat er mit sanfter Stimme. Beinahe so, als würde er auf ein störrisches Kind einreden. „Sie tragen alle diese Schleier…-“

„Abaya.“, sagte sie. Dies war der Name der traditionellen schwarzen Gewänder. Es ärgerte sie, dass er noch nicht einmal das wusste und dennoch hier leben wollte. Gleichzeitig versuchte er ihr etwas zu erklären, von dem er sehr viel weniger Ahnung hatte als sie und auch das schrieb sie seiner Arroganz zu. Sie hatte beinahe vergessen, wie anstrengend er war, doch nun erinnerte er sie perfekt daran.

„Alle Frauen tragen sie oder sie verhüllen zumindest ihr Haar und das Gesicht.“, fuhr Damian ungeachtet ihres Einwandes fort. Dass sie mehr von der Kultur und der Sprache dieses Landes verstand, wusste er und es ärgerte ihn, weil sie ihm damit das Gefühl gab, wichtiger zu sein, als er. Viele der Einheimnischen ließen sich auch medizinisch lieber von ihr versorgen als von ihm, dabei war sie noch nicht einmal eine Krankenschwester und er ein ausgebildeter Arzt.

„Du tust geradezu so, als würde ich wie eine Nutte rum laufen.“, sagte sie kopfschüttelnd. Dabei trug sie eine lange Jeans und ein langärmliges Oberteil, das auch nicht zu viel von ihrem Busen zeigte. Sie wusste, wie man sich als ausländische Frau in diesem Land kleiden sollte und sie wusste, im Gegenteil zu ihm, auch, dass die Iraker es nicht schätzten, wenn eine Touristin sich wie eine Irakerin kleidete oder ein Kopftuch trug. Sie empfanden dies zumeist als eine Respektlosigkeit, weil es, ohne den religiösen Glauben dahinter, mehr eine Verkleidung war als alles andere. Damian hatte davon jedoch keine Ahnung, weil er sich nicht für Menschen interessierte, die anders waren als er. Auch im Irak verbrachte er seine Freizeit nur mit hier stationierten Amerikanern.

„Würdest du bitte nicht immer so vulgär sein.“, ermahnte er sie stöhnend.

Sie rollte genervt die Augen und besann sich dann. Es hatte keinen Sinn mit ihm zu diskutieren, weil er ihre Argumente nicht einmal beachtete. Und sie selbst hatte augenblicklich ebenfalls keine Lust mehr, ihm zu zuhören. Sie wollte ihre Ruhe haben, also sprang sie über ihren Schatten und gab nach. „Aber ich weiß, was du meinst.“, sagte sie einlenkend. „Ich habe andere Kleidung dabei, die vielleicht passender ist. Vielleicht lässt du mich aber erst einmal ankommen, ehe du anfängst, alles an mir auszusetzen.“

Damian lächelte versöhnlich. Jeder kleine Sieg über sie, war für ihn ein wahrer Triumph. Er hatte sie nicht wegen ihrer Stärke ausgesucht, sondern weil sie schön war. Nun wollte er ihr nur noch das, seiner Meinung nach, angemessene Benehmen beibringen. „Selbstverständlich.“, sagte er und gab sich auch dabei mit einer Nachsicht, die er nicht empfand. „Wir haben ja Zeit.“ Er tätschelte ihre Hand, stellte aber schnell fest, dass sie diese Berührung weder genoss, noch sie erwidern würde. Auch was körperlicher Nähe betraf, war sie distanziert. Diese Tatsache war für ihn jedoch schwerer zu ertragen, weil er nun einmal Bedürfnisse hatte. Würden sie endlich verheiratet sein, würde sie sich hoffentlich nicht mehr so abweisend verhalten. Doch würde sie sich ihm auch dann weiter so kühl zeigen, würde er sich eben weiterhin Geliebte halten. Vielleicht konnte er sie sogar zu einer Ehe nach islamischem Recht überreden und seinen Betrug damit legal machen. Er verstand nicht, wie eine so junge und schöne Frau so leidenschaftslos und kalt sein konnte. Sie war immer so merkwürdig verschlossen und sie lachte beinahe nie, obgleich sie, wenn sie lächelte, noch besser aussah. Damian hatte noch keinen Weg gefunden, sich ihr zu nähern, aber er vermutete, dass es auch nicht möglich war, ihr wirklich nahe zu sein. Das war nicht ihre Art und so hatte er angefangen, auch andere Frauen zu treffen. Da sie, zumindest bisher, meistens auf einem anderen Kontinent als er gewesen war, hatte sie diesbezüglich auch keinen Verdacht gegen ihn und es ihm sehr leicht gemacht, sie zu betrügen. Vielleicht würde er nun, da sie mit ihm zusammen leben würde, kein Bedürfnis mehr nach anderen Frauen verspüren. In jedem Fall war er erleichtert, dass er seinen amerikanischen Freunden vom Militär endlich seine schöne Verlobte vorstellen konnte, sodass sie ihn nicht länger für einen Prahler hielten. Sie war so selten bei ihm gewesen, dass seine Bekannten annahmen, er habe sich diese Verlobte entweder nur ausgedacht, oder dass sie wirklich hässlich war, sodass er sich für sie schämen musste. Nun würde er ihnen triumphierend das Gegenteil beweisen können.

„Erzähl mir von London.“, bat er, um den Eindruck zu erwecken, er interessiere sich auch für ihr Leben ohne ihn. „Hat Sally den Abschied gut verkraftet?“

Christina blickte aus dem Fenster. Bei der Erwähnung ihrer Freundin, zog sich ihr der Magen zusammen, so sehr vermisste sie Sally. Aber darüber wollte sie nicht mit ihm reden. Es ging ihn nichts an, wie schwer es für sie beide gewesen war. „Ja, es geht schon.“, antwortete sie verhalten.

Er nickte leicht. Sie wollte nicht darüber reden und wenn sie es nicht wollte, dann unterließ sie es einfach, ganz gleich, wie hartnäckig er es versuchen würde.

„Dann musst du eben hin und wieder zu Besuch nach England.“, erwiderte er. „Allerdings geht das natürlich nicht sooft, wegen den Kosten. Aber vielleicht kann ich dir ein oder zwei Mal im Jahr einen Flug bezahlen.“

Sie musste sich beherrschen, um nicht über ihn zu lachen, denn er meinte es vermutlich nur gut. Sie selbst könnte sich die Flüge leisten, sehr viel häufiger als er auch nur ahnte. „Ich brauche dein Geld nicht, Damian. Ich verdiene mir mein eigenes.“, erinnerte sie ihn.

Er lachte, beinahe mitleidig und klopfte ihr ebenso auf den Oberschenkel. „Aber mit deinem Gehalt wirst du wahrscheinlich Jahre lang dafür sparen müssen, Kleines.“, sagte er und schüttelte den Kopf über sie. „Außerdem werden wir bald heiraten. Ich bin immer noch dafür, dass wir dann ein gemeinsames Konto einrichten. Wirklich, Luna, ich komme gerne für dich auf.“

„Darüber haben wir doch schon gesprochen.“, sagte sie und schrie innerlich vor Wut auf. In Momenten wie diesen, hasste sie ihn beinahe. Wie konnte er es wagen, stets so herablassend mit ihr umzugehen? Selbst wenn sie die wäre, für die er sie hielt, wäre diese Arroganz unangebracht gewesen. Und sie hatte, bereits nach den paar Minuten, die sie mit ihm zusammen war, das Gefühl, seine Selbstverliebtheit habe sich ebenso gesteigert, wie sein lächerliches Bedürfnis, sie zu erziehen. „Ich will kein gemeinsames Konto und ich werde meine Meinung dazu auch nicht ändern.“

Er presste die Lippen aufeinander, um sich einen bissigen Kommentar zu verkneifen. Christina fiel auf, dass seine Lippen wie zwei Striche aussahen, die Grausamkeit ausstrahlten, welche sie bei ihm nie kennen gelernt hatte.

Christina wandte neuerlich den Blick ab. Die Befürchtung, einen riesigen Fehler zu machen, stieg in ihrem Bewusstsein immer deutlicher auf. Sie wollte sich ja bemühen, sich aufrichtig um diese Beziehung und eine Ehe bemühen. Doch nicht nur seine selbstgerechte Art, sondern auch ihre Bindungsangst hielten sie auf Distanz. Selbst wenn sie ihm die Wahrheit über sich würde sagen können…sie wollte nicht.

„Jedenfalls,“, fing er an, nur um etwas zu sagen, „haben wir jetzt ein richtiges Zuhause, Luna. Du hast endlich wieder eine richtige Heimat.“

Sie mochte es nicht, dass er jede Stille mit Gerede füllen musste. Das tat er immerzu. Schweigen war ihm unangenehm. „Die hatte ich immer.“, sagte sie entschieden.

„Du bist doch in den letzten Jahren überall und nirgends gewesen, Kleines.“, erinnerte er sie nachsichtig. Sie hatte in Deutschland mit ihren Eltern gelebt, hatte in Amerika gelebt, wo sie auch ihm begegnet war, danach hatte sie einige Monate in Spanien zugebracht, ehe sie dann nach England gezogen war. Damian selbst hatte nur in Amerika, in seiner Heimat gelebt, ehe er nun in den Irak ausgewandert war. Und für ihn war der Irak nur eine Zwischenstation. Wenn er seine Arbeit hier beendet hätte, was in etwa zwei Jahren der Fall sein würde, würde er wieder nach Atlanta zurückkehren.

„Das bedeutet nicht, dass ich keine Heimat hatte.“, sagte sie. „Sally ist meine Heimat, meine Eltern sind meine Heimat.“

Er lächelte sein nachsichtiges Lächeln. „Und bald sind wir ein Ehepaar.“, sagte er, da er erwartete, Teil ihrer Aufzählung zu sein. „Dann bin ich dein Mann und der Irak ist unsere Heimat, auch wenn wir natürlich früher oder später nach Amerika zurückkehren werden.“

Christina schwieg. Sie hatte keine Lust mehr darüber zu diskutieren. Er verstand offensichtlich nicht, wovon sie redete und er verstand sie nicht. Orlando hingegen hatte von Anfang an begriffen, was sie mit dem Begriff „heimatlos“ gemeint hatte. Vermutlich weil auch er sich so fühlte. Damian kannte dieses Gefühl nicht und sie war nicht daran interessiert, es ihm zu erklären. „Ich bin müde, Damian.“, sagte sie abwehrend. „Kannst du bitte einfach fahren und nichts weiter sagen?“

„Wie du willst.“, sagte er, doch seine Miene zeigte deutlich, dass er beleidigt war.

Orlando legte sich auf das gemütliche Hotelbett und rauchte eine Zigarette. Nun, da er Christinas Verlobten gesehen hatte, wunderte er sich einmal mehr, dass sie bei ihm blieb. Sie erschien ihm nicht der Typ Frau für eine feste Bindung zu sein. Immerhin hatte sie gefährliche Geheimnisse und er war sich sicher, dass dieser Amerikaner keines davon kannte. Von Anfang an war er überzeugt gewesen, dass der Mann ihr nicht gewachsen war, nun war er sich dessen ganz sicher. Er ärgerte sich, dass ihr Verlobter ihre Verabschiedung unterbrochen hatte, denn er hatte geglaubt, sie dieses Mal zu einem Umtrunk überreden zu können. Dabei hatte er nicht einmal Hintergedanken verfolgt. Er hatte nur mit ihr zusammen sein wollen, um sich zu unterhalten und sie ansehen zu können. Er redete gerne mit ihr. Sie war humorvoll und schlagfertig und obwohl sie beide viel zu verschweigen hatten, fanden sie doch immer ein Thema, über das sie sich unterhalten konnten. Sie hatte ihm erzählt, dass sie diesen Damian im Irak heiraten würde und dass sie vorhatten, hier zu leben, weil er in Bagdad als Arzt arbeitete. Orlando hatte noch mehr über sie und ihren Verlobten wissen wollen, aber sie war ihm weitgehend ausgewichen. Als er sie gefragt hatte, ob sie diesen Amerikaner liebte, hatte sie ihm nicht geantwortet. Sie hatte gesagt, dass es ihn nichts anginge. Dann hatte er sie gefragt, ob sie weiterhin nach Spanien zu seinem Vater reisen würde, geschäftlich natürlich, und auch darauf hatte sie nicht antworten wollen. Nun fragte er sich, ob er sie je wieder sehen würde. Wenn sie erst einmal im Irak leben würde, würde er ihr vermutlich nicht mehr so häufig im Flugzeug begegnen. Und wenn sie ihre Geschäfte mit Alejandró nicht persönlich verhandeln würde, dann würde er sie vielleicht gar nicht wieder sehen. Dieser Gedanke brachte ihn beinahe um den Verstand, weil er nichts dagegen tun konnte. Offensichtlich hatte sie eine Entscheidung getroffen, wollte einen anderen Mann heiraten. Orlando nahm nicht an, dass sie all ihre Pläne umwerfen würde, nur weil er leidenschaftlich von ihr hingerissen war.

Er erhob sich und schenkte sich ein Glas mit Dattelschnaps ein, der hier in jedem Hotelzimmer bereit stand. Seine Nerven konnten die beruhigende Wirkung des Alkohols vertragen. Während er trank, stellte er sich ans Fenster und blickte auf die Stadt hinunter. Obwohl Bagdad so lebhaft wie immer war und die Menschen dicht aneinander vorbeigingen, glaubte er, bei ihnen die nervöse Hektik zu erkennen, die der Gedanke an einen baldigen Krieg auslöste. Orlando war sich ganz sicher, dass die Amerikaner angreifen würden und er rechnete damit, dass es noch diesen Monat geschehen würde. Nachdem er von Khaled erfahren hatte, dass die ersten amerikanischen Soldaten sich in Kuwait sammelten, war er fest davon überzeugt, dass der Irak schon bald ein einziges Kriegsgebiet sein würde.

Orlando fürchtete sich nicht vor dem Krieg, im Gegenteil, er wollte den Amerikanern persönlich in den Arsch treten, wenn sie kämen um dieses Land zu unterwerfen. Dennoch ärgerte es ihn maßlos, dass diese Weltmacht sich auf den Irak stürzte und das unter Vorwänden, die nicht einmal einleuchtend genug wären, um auch nur einen einzigen Schuss abzufeuern. Dass sein Vater mit diesen Leuten Geschäfte machen wollte, empfand Orlando als eine Art Schande. Auch wenn es sein eigener Rat gewesen war, so war es doch die Entscheidung Alejandrós. Er selbst hätte dies niemals getan, nur um sich eine vorteilhafte Verbindung oder mehr Geld anzueignen. Seiner Meinung nach, war es mehr eine Frage der Ehre und des Stolzes, die sich aus seinem persönlichen Hass ergab. Die Amerikaner hatten ihm eigentlich nie etwas zuleide getan und doch verachtete er sie im Allgemeinen. Sicherlich war nicht jeder Amerikaner selbstgerecht und hielt sich für das Maß der Dinge, aber sie alle lebten unter einem Präsidenten, den Orlando zutiefst verachtete. Und da er selbst viele irakische Freunde hatte, fühlte er sich ihnen zugehörig und musste die Verachtung für Bush und Amerika nicht vortäuschen.

Orlando fragte sich, ob sein Vater die Verhandlungen mit den Amerikanern bereits aufgenommen und das Geschäft abgemacht hatte. Seine letzte Party hatte er gegeben, um die Amerikaner zu beeindrucken. Es war allerdings nicht sicher, ob sie sich deshalb für ihn und die spanische Mafia entschieden. Die russische Mafia hatte zwar Ristova verloren, aber Vostinov schien das Geschäft seines Bruders nicht untergehen lassen zu wollen.

Er versuchte, sich in die Lage der Russen zu versetzen. Sie würden unter allen Umständen Rache nehmen, die Frage war nur, an wem. Er konnte sich kaum vorstellen, dass Wladimir Vostinov den einfachen Manipulationen Alejandrós so ohne weiteres erliegen würde. Allerdings war nicht auszuschließen, dass die Russen ein ebenso großes Interesse daran hatten, den Franzosen im Untergrund die Macht zu nehmen. Für seinen Vater wünschte er es sich. Auch wenn dies nicht augenblicklich bedeutete, dass Alejandró und somit auch dessen Sohn und Familie, nichts mehr von den Russen zu befürchten hatten.

Orlandos größten Sorgen galten allerdings vorerst dem bevorstehenden Krieg und seinen Aufgaben in der Widerstandsbewegung. Wenn sich Edgar Ambrose endlich meldete und die Waffen beschafft hatte, dann konnte Orlando diese endlich in den Irak schaffen lassen. Dazu musste er sich jedoch mit einem Iraker namens Raheem Dschaafari treffen, damit dieser die Waffenladung für den Rebellenanführer Ali Imam al-Moktada unbemerkt in das Versteck der Partisanen schaffen konnte. Orlando würde Raheem in Bagdad aufsuchen und konnte nur hoffen, dass keine weiteren Probleme auftauchen würden.

Die Partisanen

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