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Seit meiner Schulzeit
lege ich als DJ Musik auf
ОглавлениеIch bin in N. geboren und lebte bis auf die Jahre meines Studiums immer hier. Direkt nach dem Abitur ging ich nach Berlin an die Humboldt-Uni, um Lehrer für Mathe und Physik zu werden. Der Kelch der Armee ging zum Glück an mir vorbei. Anfänglich war ich sehr unsicher, was ich studieren sollte, Lehrer oder etwas Technisches. Dass meine Wahl gut war, merkte ich während meines ersten Praktikums. Ich konnte gut mit Kindern arbeiten und bekam ziemlich schnell ein Vertrauensverhältnis zu ihnen. Nach dem Studium kehrte ich an meine eigene Schule zurück und spürte bereits in der Vorbereitungswoche und im Gespräch mit dem Schulleiter Ablehnung wegen meines Äußeren. Er sagte: »So fangen Sie nicht an zu arbeiten. Die Haare sind zu lang, der Bart muss ab, und Sie ziehen etwas anderes an – keine Westjeans und Parka.« Das kümmerte mich wenig und ich erschien am ersten Schultag unverändert. Meine Auseinandersetzungen mit dem Direktor und später dem Schulrat waren völlig absurd.
Interessant war für mich nach der Wende, dass dieser Schulleiter IM* war. Immer wieder versuchte man, mich zu drangsalieren, und sei es, mich auf »freiwilliger Basis zur sozialistischen Hilfe« zu schicken. So lernte ich in meinen ersten zwei Jahren zehn Schulen im Umland von innen kennen, was eigentlich damals nach dem Absolventengesetz nicht zulässig war. Ich war also ständig zu Feuerwehreinsätzen unterwegs, wenn irgendjemand für längere Zeit erkrankte. Manchmal war ich an meiner Stammschule nur drei Tage in der Woche.
Seit meiner Schulzeit war und bin ich in meiner Freizeit in Sachen Musik unterwegs. In der DDR war ich als DJ staatlich geprüfter Schallplattenunterhalter. Seitdem lege ich fast ohne Unterbrechungen auf. Als Anfang der 1980er Jahre der städtische Jugendklub in unser eigentliches Kulturhaus umziehen sollte, sahen wir, zwei Freunde und ich, die riesige Chance, die Jugendkultur in der Stadt mitzugestalten. Zu dritt erarbeiteten wir eine ausführliche Konzeption für die Gestaltung, die Nutzung der Räumlichkeiten und die Programminhalte. Wir holten sogar Kostenvoranschläge von Firmen für den Umbau ein. Einige Gewerke konnten die später aktiven Jugendlichen nicht selbst erledigen. Völlig außergewöhnlich in der ansonsten zentralistisch durchorganisierten DDR wurde diese privat erstellte Konzeption als Vorlage in die Stadtverordnetenversammlung eingebracht und einstimmig beschlossen.
So erhielten wir drei Privatpersonen den Auftrag, die Konzeption mit Jugendlichen umzusetzen. Völlig ohne die FDJ* begannen wir, Jugendliche zu gewinnen. Bei einer Werbeveranstaltung für das neue Projekt trugen sich fast 100 Jugendliche in Listen ein, um bei der Schaffung eines eigenen Jugendzentrums fernab des verordneten Kulturbetriebes mitzuarbeiten. Es galt, Wände rauszureißen, zu stemmen, diverse Farbschichten zu entfernen, Möbel und Lampen, eine Bühne zu bauen und und und. Nach einem Dreivierteljahr war am 1. Mai 1983 die Schlüsselübergabe. Ab dem Tag begann der Stress. Eine Woche später sollte in dem Kulturhaus eine DDR-weite Tagung zur Sozialistischen Fest- und Feiergestaltung stattfinden. Für diese Großveranstaltung sollten die Jugendlichen, die nun Mitglieder eines FDJ-Jugendclubs waren, Karten abreißen und die Garderobe besetzen. Das fiel aus und sorgte so für den ersten Konflikt.
Bis 1986 arbeitete ich als Lehrer. Wegen der vielen Querelen innerhalb der Schule mit Schulleiter, Schulamt, aber auch mit einigen aus dem Kollegium quittierte ich nach sechs Jahren meinen Dienst. Statt einer Kündigung musste ich allerdings eine Formulierung finden, die es mir erlaubte, nach dem Bruch mit der Schule überhaupt noch eine Arbeit zu bekommen und in der Jugendkulturarbeit weiterzumachen. Zur damaligen Zeit waren wir ein anerkannter Kulturträger in der Stadt mit ständig vollem Haus. Unsere diversen Veranstaltungen waren über die Kreis- und Bezirksgrenzen hinaus bekannt. Aufgrund der langjährig guten Erfahrungen in der inhaltlichen Arbeit mit der Jugendkultur wurde ich Mitarbeiter im Kreiskabinett für Kulturarbeit. Dort war ich verantwortlich für die Schulung ehrenamtlicher Jugendklubleiter, organisierte Beispielveranstaltungen und Lehrgänge. Ziemlich viel Kraft investierten ein Vertreter der FDJ-Kreisleitung* und ich in eine Untersuchung über die Durchsetzung des Jugendgesetzes in unserem Landkreis. Wir prüften, ob wirklich, wie es das Jugendgesetz der DDR verlangte, in jeder Gemeinde ein Jugendklub oder ein Jugendzimmer existierte. Das Ergebnis war ernüchternd. Von 72 Gemeinden fanden wir nur in 18 einen Jugendclub. Das Resultat dieser Untersuchung hat mein Vorgesetzter, der vordem mein Schuldirektor war, allerdings radikal verfälscht. Er drehte es einfach um und berichtete, dass nur noch in 18 Gemeinden etwas Nachholbedarf bestünde. Das reichte mir und ich kündigte diesmal – von heute auf morgen.
Es wäre durchaus möglich gewesen, von den Einkünften als Schallplattenunterhalter zu leben, jedoch benötigte man in der DDR als Amateur-DJ noch einen Hauptberuf. Die Hürden, als Diskjockey hauptberuflich arbeiten zu dürfen, waren hoch. Ganz besonders musste man politisch makellos und möglichst Parteimitglied sein. So fand ich als Hauptberuf einen Job als Heizer. In den Monaten von Oktober bis März oder April musste ich morgens in vier Verkaufsstellen des Konsum anheizen, damit die Kunden und die Angestellten es bei Verkaufsbeginn warm hatten.
Als Jugendclub im Stadtgarten waren wir in vielerlei Hinsicht abhängig vom Wohl und Wehe der dort tätigen Angestellten. Ein Rockkonzert musste um 23:45 Uhr beendet sein, sodass die letzten Gäste um Mitternacht raus waren. Bei einem Heavy-Metal-Konzert 1985 konnten wir das nicht durchsetzen. Die Musiker spielten und die Zuschauer forderten Zugaben. Um 23:55 Uhr sagte mir der Mitarbeiter: »Wenn nicht sofort Schluss ist, schraube ich die Sicherung raus.« Und er tat es. 250 bis 300 Leute standen in einem völlig dunklen Saal ohne Ton. Da kam Panik auf. Daraus wurde eine unglaubliche Story gesponnen und unter den Mitarbeitern und in den Parteigremien weitergetragen: In dieser brenzligen Situation wäre ich mit meinem Freund aus Protest auf die Bühne gesprungen, hätte den rechten Arm gehoben und begonnen, das Deutschlandlied zu singen. Absurd. Dennoch erhielten wir aufgrund dieser fingierten Vorwürfe Hausverbot – im eigenen Laden. Im Laufe der Jahre gab es immer wieder Versuche von offizieller Seite, uns als Jugendzentrum zu schaden. So hätten während eines Rockkonzerts bei uns im Saal angeblich Gäste einer anderen Veranstaltung, die räumlich direkt unter dem Saal an einer Bar saßen, sich durch die im Rhythmus unserer Musik schwingende Decke bedroht gefühlt und die Bar fluchtartig verlassen. Man ließ ein Gutachten erstellen, nach dem Einsturzgefahr bestünde. Fortan durfte in unserem Saal nicht mehr getanzt werden. Sämtliche Rockkonzerte und Veranstaltungen, bei denen es zu Bewegungen kommen konnte, wurden gestrichen. Wir machten aus der Not eine Tugend und entwickelten verschiedenste Formate für sogenannte sitzende Veranstaltungen. Wir suchten und fanden später einen Sachverständigen in der Bauakademie der DDR, der das Gutachten überprüfen sollte. Er vermutete spontan, dass das Gutachten falsch sei und wollte dafür den fachlichen Nachweis erbringen. Ihm könne man nichts mehr, er stehe kurz vor der Rente. Das Gutachten kam genau zu diesem Schluss. Demnach war es unbedingt notwendig, dass solche Böden schwingen konnten, das mussten sie sogar. Im Ergebnis konnten wir nach circa drei Jahren wieder tanzen. Das waren nur zwei von vielen Versuchen, uns Knüppel zwischen die Beine zu werfen und unser Jugendzentrum immer wieder an den Rand der Existenz zu bringen. Wir waren eine ziemlich verschworene Gemeinschaft. Ich bin sehr froh und auch stolz, dass der Laden trotz all dieser Versuche heute noch existiert, 30 Jahre nach der Wende – wenn doch mit vielen Höhen und Tiefen. Und sehr stolz sind wir, dass nachwachsende Generationen unseren Staffelstab übernommen haben und vor allem nach der Wende die Überführung eines FDJ-Jugendclubs in einen allseits anerkannten Verein gelang.
Meine Töchter sind 1982 und 1984 geboren. So um 1988/89, meine ältere Tochter ging schon zur Schule, stellten wir fest, dass es nur noch ein paar Lehrer gab, die wirklich Haltung zeigten in diesen mittlerweile aufregenden und von großer Unzufriedenheit und dem Wunsch nach Glasnost und Perestroika in der DDR geprägten Vorwendetagen. Da bekam ich Lust, wieder als Lehrer einzusteigen. Also schrieb ich im Sommer 1989 eine Bewerbung. Aus Zeitgründen schickte ich sie erst während unserer Urlaubsreise in Prag ab. Wir waren auf dem Weg nach Ungarn, wohin viele in diesem Sommer fuhren, um in den Westen zu gehen. Viele unserer Bekannten hatten uns abgeschrieben. Wir wollten jedoch nicht abhauen. Nach meiner Rückkehr war der Termin zu einem Vorstellungsgespräch längst verstrichen. Ich ging hin und man erklärte mir, unter welchen Bedingungen ich als Lehrer anfangen könnte: Erstens müsste ich mein Äußeres dem einer sozialistischen Lehrerpersönlichkeit angleichen, zweitens sollte ich ein klares Bekenntnis zu den Beschlüssen des gerade stattgefundenen IX. Pädagogischen Kongresses der DDR erklären, in dem Margot Honecker u.a. das Ziel festlegte, die Jugend müsse notfalls mit der Waffe in der Hand den Sozialismus verteidigen. Drittens müsse mir klar sein, dass ich wegen der drei Jahre Abstinenz vom Schuldienst Fortbildungen besuchen müsse und keine Zeit mehr für Kulturarbeit hätte, und viertens hätte ich kein Wunschrecht für die Einsatzschule. Meine Antwort: »Wir können über alles reden, aber die Schule möchte ich selbst bestimmen.« So wurde aus dem Neuanfang erst mal nichts.
In dieser Zeit trafen sich das erste Mal ein Dutzend Leute konspirativ in N. in einer Tischlerwerkstatt, um zu beraten, welchen Beitrag wir zu Veränderungen in der DDR leisten könnten. Wir organisierten gemeinsam mit Leuten von der evangelischen Kirche erste Montagsgebete mit anschließenden Demonstrationen. Ausgangspunkt war immer die Klosterkirche. Als DJ begleitete ich mit meiner Tontechnik fast alle diese Demonstrationen. So holten wir quasi das Neue Forum* nach N. Eine Reihe ganz profaner logistischer Probleme waren dabei zu überwinden. Die Mitgliederlisten mussten zum Beispiel von Bärbel Bohley aus Berlin geholt werden. In diese Listen mussten sich während des Montagsgebets bis zu 400 Menschen eintragen. Jeder fühlte sich danach zum Neuen Forum* und damit zur Opposition zugehörig.
Anfang 1990 wurde ich angesprochen, ob ich für die ersten freien Kommunalwahlen kandidieren würde. Ich war erst einmal überrascht, denn so weit hatten wir anfangs noch gar nicht gedacht. Letztlich bekamen wir unsere Wahllisten voll, um für das Neue Forum* zu kandidieren. Ich hatte nicht ansatzweise damit gerechnet, dass ich gewählt werden würde. Jedoch erreichte ich ein ziemlich gutes Wahlergebnis. Ich wurde als Mitglied des Kreistages und meine Frau zur gleichen Zeit in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. Wir hatten unglaubliche Stapel Akten durchzuarbeiten. Es galt, das gesamte DDR-Verwaltungssystem in das bundesrepublikanische zu überführen und gleichzeitig aktuelle Kommunalpolitik zu machen. Das Verrückte war, dass ich mir damals nur vorstellen konnte, eine Wahlperiode im Kreistag zu sitzen. Danach sollten andere ran. Heute bin ich nach der siebenten Wahlperiode immer noch im Kreistag. Anfangs wollten wir als 89er in keine Partei, sondern unbedingt eine Bürgerbewegung bleiben. Das konnten wir nicht lange durchzuhalten, weil wir ein ganz großes Problem in unserer Region hatten, das in meinen Augen nicht allein mit Bürgerinitiativen zu lösen war. Es ging um den Luft-Boden-Schießplatz in der Kyritz-Ruppiner Heide. Seit 1945 wurde das Gelände von der Roten Armee expandierend genutzt. 1989/90 war es über 144 Quadratkilometer groß. Das Problem war, dass nach dem Abzug der russischen Armee sowohl die Bundeswehr als auch die 14 Anliegergemeinden Interesse an diesem Gelände hatten. Die Anwohner hatten nach 45 Jahren ›Krieg üben‹ vor der Haustür die Nase von donnernden Düsenjets und explodierenden Bomben gestrichen voll. Es lagen Ideen für die Nutzung zum Beispiel als Kiesgruben, für die Landwirtschaft oder den Naturschutz vor. Dem stand die Bundeswehr gegenüber, die die Heide wie bisher nutzen wollte. So formierte sich eine einzigartige ständig wachsende Bürgerinitiative, die Freie Heide. Nach 17 Jahren Kampf für eine nichtmilitärische Nutzung der Region verzichtete der damalige Verteidigungsminister letztlich auf die Pläne des Bundes. Nicht nur wegen des Ergebnisses, sondern auch wegen der vielen fantasievollen gewaltfreien Aktionen war das absolut außergewöhnlich. Die Auseinandersetzungen wurden mit diversen Verteidigungsministern geführt. Dazu bedurfte es einer Partei, die im Bundestag vertreten war. Für mich kam nur eine Partei dafür infrage, die Grünen. Wir haben mit der Freien Heide wirklich was geschafft. Und das auf drei Ebenen: Auf der einen Seite nutzten wir natürlich die Straße mit Demonstrationen und Kundgebungen. Es war imposant, dass anfangs jeden Monat vielleicht 200 bis 300 Leute demonstrierten, was auf Dauer nicht durchzuhalten war. Es gab eine ganze Reihe von Aktionen zivilen Ungehorsams. Um nur eine zu erwähnen: Wir errichteten in einer Nacht- und Nebelaktion mitten auf dem Bundeswehrgelände eine Gedenkstätte für die Opfer der letzten Kriegstage. Hier kreuzten sich nämlich die Wege von versprengten Wehrmachtseinheiten, Flüchtlingen aus den Ostgebieten und ehemaligen KZ-lern. Mitstreiter unserer Bürgerinitiative berichteten, dass sie in den letzten Kriegstagen als 15-Jährige gezwungen wurden, dort Leichen zu verscharren. Neben der Straße war das Parlament eine wichtige zweite Säule unseres Protestes. Über alle Parteien hinweg haben wir es erreicht, dass sich der Bundestag damit beschäftigte, ob die militärische Nutzung gegen sämtliche Anliegergemeinden, Kreistage bis zum Land Mecklenburg-Vorpommern durchgesetzt werden konnte. Die dritte Schiene war die juristische. Wir hatten Unterstützung durch die besten Rechtsanwälte in der Bundesrepublik, die u.a. gegen das Atomkraftwerk Wyhl in den 1970er Jahren erfolgreich geklagt hatten. Von über fünfzehn Prozessen haben wir fast alle uneingeschränkt gewonnen. Die Bundeswehr mit ihrer Sonderstellung in diesem Land hatte bis dahin bei solchen Auseinandersetzungen immer Recht bekommen. Dementsprechend überheblich traten deren Rechtsanwälte vor Gericht auf und wurden immer wieder in die Schranken verwiesen.
Zum absoluten Höhepunkt entwickelten sich unsere Ostermärsche. Beim letzten bestand für mich die Herausforderung, mit meiner Diskotechnik 15.000 Menschen zu beschallen. Wir hatten Teilnehmer aus dem ganzen Bundesgebiet, internationale Presse, bis zur japanischen. Mich beeindruckte am meisten, dass wir so viele Engagierte mit unterschiedlichsten Motiven zusammenbrachten. Dabei waren Anwohner, die 40 Jahre lang russische Tiefflieger und Bombenabwürfe ertragen mussten, Leute, die 1947 unter vorgehaltener Kalaschnikow gezwungen wurden, ihr Land zu verkaufen, Bildungsbürger, Autonome, Pazifisten, Vertreter von Parteien und Kirchen – alle gewaltfrei und fantasievoll, für mich eine unbeschreibliche menschliche Bereicherung, die ich da erleben durfte.
Zurück zur Schule. Als in der Wendezeit in N. die ersten verordneten Dialogveranstaltungen stattfanden, auf denen Verantwortungsträger mit dem Volk reden sollten, klagte ein Vertreter des Schulamtes, dass es wegen der in den Westen gegangenen Lehrer kaum noch möglich wäre, den Unterricht abzusichern. Als ich an meine Bewerbung vom Sommer erinnerte und fragte, wann ich anfangen könne, meinte er: »Am besten vorgestern.« So habe ich am 1. Dezember 1989 wieder im Schuldienst begonnen. Das war die Zeit dramatischer Entwicklungen bei Jugendlichen, aber auch bei Eltern. Man musste genau beobachten, was da eigentlich passierte. Ich habe als ziemlich unbelasteter Lehrer Geschichte und Gesellschaftskunde, heute Politische Bildung, unterrichtet. Wegen Spannungen mit meinem Schulleiter wechselte ich von der Gesamtschule in eine Förderschule. Berufsbegleitend studierte ich Sonderpädagogik an der Potsdamer Uni, was mich noch einmal in eine völlig andere pädagogische Richtung brachte. Ich bin 17 Jahre an der Schule geblieben, überwarf mich dann doch mit der Schulleitung und dem Kollegium, weil ich wirklich von der Inklusion überzeugt bin. So ging ich an eine Regelschule zurück, brachte mich als Sonderpädagoge ein, um vor allem Kinder mit Schwierigkeiten zu fördern. Meine Aufgabe ist es, den Förderbedarf der Kinder zu diagnostizieren und zu versuchen, ihnen so zu helfen, dass sie in ihrer Regelschule bleiben können, auch wenn sie, mit dem altmodischen Begriff bezeichnet, ›lernbehindert‹ sind. Das ist eine Herausforderung. Aber nach meinen Erfahrungen wird durch das Ausgliedern in andere Schulformen ihr möglicher Lebensweg verbaut. Die Schüler verlieren ihren Bezug zu anderen, zur Realität, schmoren im eigenen Saft mit irgendwelchen scheinbar Gleichgesinnten. Besser ist gemeinsames Lernen. Und das sollte bereits im Kindergarten beginnen. Ich bin überzeugt, dass es gelingt, wenn an den Regelschulen mehr sonderpädagogische Kompetenz aufgebaut wird. Ich habe damit eine Reihe von Erfolgen erreicht. Einer der als lernbehindert Diagnostizierten hat sogar nicht nur einen Hauptschulabschluss, sondern einen Realschulabschluss geschafft.
Ich selbst bin Vater von mittlerweile zwei erwachsenen Kindern und bereits vierfacher Großvater. Das älteste Enkelkind ist elf Jahre alt, ein tolles Gefühl. Mit Stolz schaue ich auf die Entwicklung der beiden Töchter. Eine ist selbst Lehrerin geworden. Die andere hat ihr Hobby zum Beruf gemacht. Sie ist Konditorin und Konditormeisterin geworden und war danach ein Jahr in Australien. Beide haben gute, kreative Jobs und sind glücklich, beide sind gute Mütter, einfach toll. Eine Tochter hat sich von ihrem Mann getrennt und lebt nun in einer Partnerschaft mit dem neuen Mann sehr harmonisch, auch mit den Kindern. Neudeutsch sagt man Patchwork dazu, denn er hat eine eigene Tochter. Meine zweite Tochter ist mit ihrem Mann, den sie als Konditorin im Bundestag kennengelernt hatte, verheiratet und hat vor kurzem ihr zweites Kind bekommen.
Das Familienleben war in den vielen Jahren eine echte Herausforderung für uns alle. Wenn man wie ich als Ehrenamtlicher auf so vielen verschiedenen Hochzeiten tanzt, als Abgeordneter, bei der Freien Heide oder im Freizeitzentrum im Jugendclub, gelangt die Familie zuweilen ins Hintertreffen. Hinzukam, dass ich nach wie vor seit meiner eigenen Schulzeit bei allen möglichen Veranstaltungen, Familienfeiern und Dorffesten Musik auflegte und moderierte. Und das fast jedes Wochenende, bis heute. Inhaltlich, politisch, von unseren Zielen her haben meine Frau und ich uns allerdings immer wieder an der Sache orientiert und sind im Gleichklang gewesen, haben die anstehenden Aufgaben gemeinsam bewältigt. Ich weiß allerdings auch, dass ich das alles nur leisten konnte, weil mir letztlich die Familie den Rücken freigehalten hat. Wir haben unser Familienleben gemeinsam organisiert. Einige Lasten nahmen uns meine Mutter, die bei uns im Haus lebte, und meine Schwiegereltern ab. Trotzdem, denke ich, haben wir das gemeinsam ganz gut hinbekommen. Im Nachhinein muss man sagen, dass das mit einer großen Belastung für meine Frau verbunden war. Sie war als Buchhalterin berufstätig. Zeitweilig hat sie ihre Arbeitsstunden auf sechs Stunden reduziert, um alles zu schaffen.
Im Moment ist unsere Situation etwas schwierig. Wir haben uns vor vier Jahren getrennt, weil wir uns ziemlich auseinandergelebt hatten. Die Spannungen waren für mich zuweilen unerträglich. Ich bin zu Hause ausgezogen und lebte mit einer anderen Frau zusammen. Jetzt wohne ich in einer größeren Wohngemeinschaft auf einem ehemaligen Bauernhof. Das Verhältnis zu den Kindern ist durch die Trennung natürlich belastet. Aber nach anfänglichen Schwierigkeiten haben wir einen Modus gefunden, damit ganz gut umzugehen.
Unterschiede gibt es meiner Meinung nach nicht so sehr zwischen Ost- und Westmännern, eher zwischen Typen von Menschen und ihren Charakteren. In der DDR hatte es erst einmal mit der Sozialisation, mit der Erziehung zur Doppelzüngigkeit zu tun. In der Schule durfte nicht alles erzählt werden, was zu Hause passierte oder gesprochen wurde, dass man Westfernsehen schaute. Und dies hat etwas mit der Entmündigung in der DDR zu tun. Lebensentscheidungen wurden den Menschen abgenommen. Man fühlte sich wohl oder hatte ein gutes Leben, solange man nicht selbst aktiv werden wollte. Alles war in Ordnung, man konnte sich entwickeln, alles war vorbestimmt. Ich war sicherlich nicht der einzige, den diese Vorherbestimmtheit störte. Aber ich wollte nicht gehen, sondern hier in diesem Land etwas verändern. Und so sehe ich auch den Aufruf des Neuen Forums*, der eigentlich nur sagte: »Lasst uns darüber reden, was nicht stimmt.« Wir mussten erst die freie Rede erlernen, Argumente zu liefern und Argumenten zuzuhören, miteinander in ein Streitgespräch zu kommen, um Kompromisse zu finden. Ich glaube, dass diese Fähigkeit in der DDR nicht gewollt war. Der Lehrplan in der Schule sah das nicht vor. Jede Diskussion sollte durch den Lehrer in eine bestimmte ideologische Richtung gelenkt werden.
Ich habe nach der Wende einige westliche Glücksritter kennengelernt, die Karriere machen wollten und dazu im Osten ihre große Chance witterten. Viele sind kurze Zeit später gescheitert. Ich selbst aber habe sehr viel mehr Leute kennengelernt, die mich politisch stark beeinflussten. So sind nicht nur Lehrerinnen und Lehrer meine Freunde geworden. Viele haben mich mit ihrem Engagement innerhalb der Schule, in pädagogischen Gremien, in Gewerkschaften, aber auch darüber hinaus durch ihr politisches Engagement stark beeindruckt und beeinflusst.
Das betrifft auch seit fast 30 Jahren unser Engagement in N. gegen rechts, für Demokratie, gegen Antisemitismus und Gewalt. Unser Ort war seit den 1990er Jahren immer wieder Aufmarschgebiet für rechte Parteien und Vereine. Für mich sind engagierte Leute wichtig, egal ob sie aus dem Westen, dem Osten oder dem Ausland kommen. Nach meinen Erfahrungen sind solche Charaktereigenschaften, wie Haltung beziehen und sich aktiv einbringen, das Entscheidende. Dieses Engagement ist unheimlich wichtig, und ich wünschte mir viel mehr solcher Aktivitäten für und von den einheimischen Leuten. Viele haben das nie gelernt, sie sahen aber auch früher nie die Notwendigkeit oder die Möglichkeit, sich irgendwo kritisch einzubringen. Man zog sich stärker ins Private zurück oder hatte Sorge, dass es gefährlich werden könnte. Da war die Wendezeit zwischen Oktober 1989 und Januar 1990 so ganz anders. Die Leute gingen aus sich heraus, ergriffen ein Mikrofon und sprachen offen ihre Träume, Ängste, Sorgen und Hoffnungen aus. Das waren Menschen, von denen man das niemals erwartet hätte. Leider hat das nicht lange angehalten. Und das hat meiner Meinung mit der Art und Weise der Wiedervereinigung zu tun. Wir haben damals als Bündnis 90 wirklich dafür gekämpft, dass wir nicht nach Artikel 23 die Vereinigung durchziehen und angeschlossen werden. Wir wollten die Deutsche Einheit nach Artikel 146 erreichen. Es sollten auf Augenhöhe zwei gleichberechtigte Staaten miteinander vereinigt werden. Die Wahlen sprachen eine andere Sprache und so wurde die DDR doch nach Artikel 23 angeschlossen. Dies führte letztlich bis heute zu riesengroßen Enttäuschungen mit allen Deformierungen wirtschaftlicher Art, mit Arbeitslosigkeit und sozialem Absturz. Dass dies eintreten würde, war absehbar. Vor allem die CDU unter Kohl und seine Unterstützer in der Ost-CDU, der DSU und beim Demokratischen Aufbruch hier in der DDR, verhinderten letztlich eine neue gemeinsame Verfassung.