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Wenn wir uns streiten, streitet sie
und ich höre geduldig zu

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Wir Kinder wuchsen in einer Dreiraumwohnung mit 58 Quadratmetern auf. Ich bin der mittlere von drei Brüdern. Der zwei Jahre ältere ist bereits an Krebs verstorben, der andere ist vier Jahre jünger als ich. Unser Kinderzimmer war so beengt, wie das heute fast nicht mehr vorstellbar scheint. Da wir direkt am Wald wohnten, haben wir natürlich viel draußen gespielt. Ich entstamme einem politisch eher linken, sehr naturverbundenem Elternhaus. Unser Vater hat sich vom Chemiefacharbeiter zum Meister qualifiziert. Später machte er in der Gewerkschaft des Zementwerkes ein bisschen Karriere. Unsere Mutter, ebenfalls Chemiefacharbeiterin, bildete sich ebenfalls weiter und arbeitete als Erzieherin und Lehrerin für Kunsterziehung. Natürlich bin ich in den Kindergarten gegangen, besser gesagt gerollert. Ich bin mit meinem Roller den einen Kilometer langen Weg zum Kindergarten alleine gefahren. Heute unvorstellbar! 1968 wurde ich eingeschult. Die Kinder aus unserer Straße liefen die knapp drei Kilometer zur Schule ohne Begleitung zu Fuß. Bis zur 10. Klasse besuchte ich die POS*. Ich überlegte lange, für welchen Beruf ich mich entscheiden sollte, schwankte zwischen Koch und Gas-Wasser-Installateur. Letztendlich entschied ich mich für den Installateur. Das Kochen ist jedoch meine große Leidenschaft geblieben.

Den Beruf des Installateurs erlernte ich im Zementwerk. Mit 17 Jahren habe ich auf dem Weg zur Berufsschule meine heutige Frau kennengelernt. Bereits mit 19 Jahren haben wir geheiratet und nach dem Motto »jung gefreit hat nie bereut« führen wir bis heute eine glückliche Ehe. Vielleicht haben sich einfach die Richtigen getroffen. Entscheidender als die Jugend wird aber sein, dass wir eine Partnerschaft auf Augenhöhe führen.

1981 wurde ich für anderthalb Jahre als Bau-Pionier zur Armee eingezogen. In dieser Zeit haben wir geheiratet. Nach meiner Armeezeit bin ich vom Radsport zum Handball gewechselt. Ich habe selbst Handball gespielt und dort Übungsleiterausbildungen durchlaufen. 30 Jahre lang habe ich ehrenamtlich als Handballtrainer gewirkt.

Bis 1984 arbeitete ich im Zementwerk als Installateur, wechselte dann als Betriebshandwerker in die Wohnungsbaugenossenschaft in R. Mein weiterer Berufsweg führte mich damals in das Chemiewerk nach R. Dort wurde ich als Brigadier eingesetzt und übernahm bald eine Meisterstelle, zunächst noch ohne die entsprechende Ausbildung. Da der Betriebsleiter aber Wert darauf legte, dass ich eine Meisterausbildung absolviere, begann ich im Frühjahr 1989 die Ausbildung zum Meister für Maschinenbau. Die theoretische Ausbildung gestaltete sich ziemlich schwierig. Durch die Wendewirren 1989/90 galten plötzlich völlig neue Regeln. Die Meisterausbildung habe ich trotzdem erfolgreich beendet. Aber der Betrieb, der mich zur Ausbildung entsandt hatte, stand kurz vor dem Aus. Die Ruinen des Betriebes stehen bis heute noch in der Landschaft und dienen ab und zu als Filmkulissen. Um den technischen Fortschritt nicht zu verpassen, denn in dieser Zeit änderten sich viele Materialien und Techniken, musste ich mir so schnell wie möglich Neues aneignen. Mit dem Meisterabschluss für Maschinenbau konnte man damals überhaupt nichts anfangen, denn die Maschinenbauindustrie der DDR wurde komplett platt gemacht. Ich hätte mit meiner Ausbildung sicherlich in den alten Bundesländern Fuß fassen können, da ich aber in der Region fest verwurzelt bin, habe ich daran keinen Gedanken verschwendet.

Also fing ich im Nachbarort bei einem bereits seit Jahren selbstständigen Installateurmeister an. Wegen des Instandhaltungs- und Modernisierungsrückstaus aus DDR-Zeiten waren das die Boomjahre in dieser Branche. In den fünf Jahren, in denen ich dort arbeitete, brachte ich mich auf den neuesten Stand der Technik. Von dort führte mich mein beruflicher Weg nach Berlin in einen größeren Betrieb. Dort arbeitete ich zwei Jahre wieder als Meister. Meine nächste sehr interessante Berufsstation war eine überbetriebliche Ausbildungsstätte. In dieser Einrichtung wurden Jugendliche in einem berufsvorbereitenden Jahr mit verschiedenen Tätigkeiten vertraut gemacht. Dort qualifizierte ich mich zum Ausbilder für Installateure und für Metallbauer. Die Arbeit mit den Jugendlichen hat mir wirklich sehr viel Spaß gemacht. Gestört hat mich allerdings, dass der Chef der Einrichtung damit eigentlich nur Geld verdienen wollte. Irgendwann merkte ich, dass es ihm völlig egal war, ob und wie die Jugendlichen ausgebildet wurden. Das interessierte ihn nicht im Geringsten. Er äußerte mir gegenüber: »Am liebsten sind mir die Teilnehmer, die nur rumsitzen oder in der Ecke schlafen. Dann verbrauchen sie kein Material, müssen sich nicht so oft die Hände waschen, was wiederum Wasser spart.« Das war nicht mein Ansatz. Ich wollte den Jugendlichen etwas beibringen.

Mir wurde klar, dass ich dort nicht bleiben konnte. Ich dachte darüber nach, mich selbstständig zu machen. Um den Existenzgründerzuschuss vom Arbeitsamt zu erhalten, musste ich jedoch arbeitslos sein. Also ließ ich mich kündigen und ging für zwei Wochen in die Arbeitslosigkeit. In dieser Zeit besuchte ich ein Existenzgründerseminar, verfasste den von mir geforderten Businessplan – und dann ging es los. Ich habe mich als Handwerker »Rund ums Haus« selbstständig gemacht und konnte auf Anhieb von den Einkünften leben.

Im Jahr 2005 suchte im Nachbarort ein Sportstudio Kursleiter für Reha-Sport-Kurse. Da mich das interessierte und ich handwerklich nicht voll ausgelastet war, bewarb ich mich und fing dort mit zwei Kursen pro Woche an. Meine Kurse waren immer gut besucht. So wurde schnell mehr daraus. Weitere Sportstudios in der Umgebung suchten ebenfalls Trainer, und so legte ich meinen Fokus mehr und mehr auf den Reha-Sport. Mittlerweile bin ich nur noch als selbstständiger Trainer in den Bereichen Orthopädie und Innere Medizin tätig. Natürlich muss ich mich ständig weiterbilden und meine Lizenzen erneuern. Da ich meine Dienste für verschiedene Sportstudios und Vereine anbiete, habe ich mehrere Standbeine. Feste Geschäftspartner, feste Kurszeiten und stabile Einnahmen tragen dazu bei, dass ich abends beruhigt einschlafen kann. Letztlich habe ich mein Hobby zum Beruf gemacht. Mit der beruflichen Selbstständigkeit habe ich meine Erfüllung gefunden. Ich konnte meine Potenziale gut entwickeln und bin zufrieden in meinem Job als Trainer. Das Feedback ist unmittelbar. Man spürt sofort, ob der Kurs gut läuft, oder ob man etwas umsteuern muss. Ich erhalte praktisch mit jedem Sportkurs Anerkennung – und wer hat das schon in seinem Job.

Die Corona-Pandemie stoppte für mich alles. Corona bedeutet für mich, wie für viele andere auch, von einem Tag auf den anderen Berufsverbot.

Parallel betätige ich mich weiterhin ehrenamtlich auf unterschiedlichsten Ebenen. Seit 2002 bin ich Vorstand der örtlichen Wohnungsbaugenossenschaft und bereits seit 1990 vertrete ich, damals die PDS*, heute Die Linke in der Gemeindevertretung als Fraktionsvorsitzender. Im Zuge der letzten Kommunalwahl wurde ich zum Ortsvorsteher für unseren Ortsteil mit über 10.000 Einwohnern gewählt. Ich gehörte nie zu denjenigen, die danebenstehen und nur meckern. Eher versuche ich anzupacken, um etwas zu verbessern. Das war zu DDR-Zeiten so und es ist bis heute so geblieben. Was ebenfalls geblieben ist, ist das Gefühl, bei allem Engagement auch heute oft gegen Mauern zu laufen, die sich anscheinend nicht einreißen lassen.

Da ich mit zwei Brüdern aufgewachsen bin, ist Hausarbeit für mich nichts Ungewöhnliches. Backen und Kochen habe ich im Elternhaus gelernt. Ich hatte überlegt, Koch zu werden. Putzen ist für mich kein Problem. Wir organisieren unser Familienleben partnerschaftlich gleichberechtigt, so wie es mir meine Eltern beigebracht haben. Allerdings hat mein Vater das, was er uns predigte, selbst nicht immer so praktiziert. Er hat sich seine Auszeiten gegönnt, sodass die Hauptlast der Arbeit, auch mit uns drei Jungs, auf den Schultern unserer Mutter lag.

Bei uns ist es so geregelt, dass sich meine Frau um die Wäsche kümmert und ich mich um die Küche. Die anderen anfallenden Hausarbeiten teilen wir zwischen uns auf. Unser großes Glück, unser Sohn, wurde 1985 geboren. Mittlerweile arbeitet er als Mediziner an der Uniklinik Heidelberg. Er hat unser Modell des Familienlebens übrigens weitestgehend übernommen. Ab einem gewissen Alter haben wir ihn stets mit einbezogen, sowohl in unsere Gespräche als auch in die tägliche Hausarbeit. Unsere Schwiegertochter, die aus der Nähe von Heidelberg stammt, empfindet das natürlich als angenehm. So richtige Probleme gab es in unserer Ehe noch nie. Meine Frau sagt immer, wenn wir uns mal streiten, streitet sie und ich höre geduldig zu.

Ich kann für mich in Anspruch nehmen, dass ich immer frei meine Meinung gesagt habe. Ich habe dadurch nie Probleme bekommen, fühlte mich nie unterdrückt, oftmals jedoch ohnmächtig und hilflos. Man spürte in den letzten Jahren der DDR, dass so vieles nicht funktionierte, dass so viele unzufrieden waren. Ich habe mir eingebildet, dass die da ›oben‹ nicht wüssten, was ›unten‹ abläuft. In der Wendezeit, als so manches öffentlich wurde, war ich schockiert und konnte es nicht fassen. Trotz allem hatte ich die Hoffnung, dass man die DDR verbessern und verändern könnte. So trat ich in die Partei ein, weil ich dachte, man muss und kann konkret die Probleme vor Ort anpacken. Im Chemiewerk habe ich zum Beispiel vorgeschlagen, einen Meckerkasten anzubringen, in den die Leute ihre Sorgen und Nöte, auch anonym, einstecken können. Aus heutiger Sicht war dieser Vorschlag vermutlich etwas weltfremd und naiv.

Wirkliche Existenzängste hatte ich damals nicht, eher Sorge, wie alles weitergehen wird. Wie viele Leute würden durch die Roste fallen und in dem neuen System nicht bestehen? Unser aller Leben hat sich fast über Nacht völlig verändert. Wenn Birgit Breuel, die Chefin der Treuhand, rückblickend sagt, dass die meisten Westdeutschen diesen Umbruch vermutlich nicht verkraftet hätten, ist das zwar löblich, hilft all den Gestrandeten aber nicht. Diese Gedanken haben mich damals sehr beschäftigt. Meiner Familie ging es früher nicht schlecht und auch heute geht es uns gut. Ich denke, dass alle, die willens und in der Lage sind, sich ständig weiterzubilden, auch heute zurechtkommen. Leider kann das aber nicht jeder, und genau diese Leute bleiben auf der Strecke.

Große Sprünge, wie man so sagt, können eh die Wenigsten machen. Aber ob man wirklich glücklich ist und ein erfülltes Leben führt, hängt nicht allein von der Fülle des Bankkontos ab. Wer sich mal mit dem Easterlin-Paradox befasst hat, weiß, dass ab einem gewissen durchschnittlichen Einkommen pro Kopf die durchschnittliche Zufriedenheit der Menschen nicht mehr ansteigt. Mehr Wohlstand führt also nicht automatisch zu mehr Lebensqualität. Wichtig ist vor allem, dass man gesund bleibt. Im Moment, in Zeiten der Coronapandemie, habe ich nicht so sehr Angst vor dem Virus, sondern vor den wirtschaftlichen und sozialen Folgen, die sich daraus ergeben werden.

Meiner Meinung nach unterscheiden sich Männer aus den alten und den neuen Bundesländern. Verallgemeinerungen möchte ich vermeiden. Die meisten Ossis stellen nur das nach außen, was sie definitiv können – das packen sie an, und damit fertig. Viele Wessis legen immer noch eine Schippe drauf und machen eine riesige Brühe um alles. Wir im Osten haben es nicht gelernt, uns zu vermarkten. Aber vielleicht trägt das zu einem gesünderen Leben bei. Ich denke, dass die Aufschneider stets im Hinterkopf haben, dass sie der Aufgabe eigentlich nicht gewachsen sind, und das kann auf Dauer nicht gesund sein. Die vielen psychischen Erkrankungen in unserem Land sind vermutlich ein Spiegelbild davon. Einer meiner Handballer, der mittlerweile 36 Jahre alt ist, hat mir mal gesagt: »Das Wichtigste in meiner ganzen Schul- und Abiturzeit war eigentlich die Belegung des Fachs Darstellendes Spiel. Dort habe ich gelernt, wie man sich verkauft. Damit komme ich gut durchs Leben.« Diese Aussage bringt es eigentlich auf den Punkt.

Wir Männer aus den neuen Bundesländern können oft viel mehr, als wir nach außen tragen. Dadurch, dass wir in der DDR so viel improvisieren mussten, spielen wir handwerklich in einer ganz anderen Liga. Da unsere Frauen meistens berufstätig waren, sind Hausarbeit und Kinderbetreuung für uns nichts Ungewohntes. Unsere Freundschaften beruhen auf Ehrlichkeit und gegenseitigem Vertrauen. Man erzählt sich wirklich alles, redet auch über unangenehme Dinge offen. Bei Männerfreundschaften gilt das Gleiche wie in einer Beziehung. Wichtig ist, dass man auf Augenhöhe agiert und ehrlich zueinander ist. Ich brauche Freunde zum Diskutieren und zum Gedankenaustausch. Dabei muss man am Ende nicht immer der gleichen Meinung sein. Eine wirkliche Freundschaft hält sowas aus, egal wo jemand herstammt. Die Männer aus den alten Bundesländern im gleichen Alter sind uns beim Einkommen, beim Eigentum und beim Besetzen der Posten in Wirtschaft und Verwaltung voraus. Auch dadurch kommt bei vielen im Osten ein gewisser Frust auf und bei einigen leidet das Selbstwertgefühl. Unsere Zurückhaltung ist vermutlich ein Hindernis für den beruflichen Aufstieg in der heutigen Zeit.

Die deutsche Wiedervereinigung war für mich keine Vereinigung. Es war nur ein Anschluss. Ich denke, einiges wäre erhaltenswert gewesen. Nur den grünen Pfeil und das Ampelmännchen zu übernehmen, war mit Sicherheit falsch. Auch wenn in der DDR große Fehler begangen wurden und viele Menschen gefrustet waren, so ist für viele trotzdem ihre Heimat verloren gegangen. Diese Pauschalverurteilungen nach der Wende, der Vorwurf, dass wir alle Systemtreue waren und deswegen nun an den Rand gedrängt werden sollten, sitzt bei vielen Betroffenen noch immer tief. Auch dadurch liefen und laufen viele den rechten Rattenfängern hinterher. Wenn ich mir die Führungskräfte der AfD anschaue, die fast alle aus dem Westen stammen und zur Wende 2.0 aufrufen, bekomme ich die Krise.

Die meisten DDR-Bürger hatten gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen. Man las die Zeitung, meistens von hinten, dort war der Sportteil. Man sah die Aktuelle Kamera und anschließend die Tagesschau und daraus bildete man sich sein eigenes Urteil. Bei mir läuft die Meinungsbildung heute ähnlich. Oftmals geht die Warnleuchte an, dann denke ich: Das hatten wir doch schon mal, dass sich die offizielle Darstellung in den Medien von der Realität entfernt. Die Realität, gut recherchiert, erlebt man meiner Meinung nach zum Beispiel in der ZDF- Sendung Die Anstalt. Ich bin froh, dass es die Zeitung Junge Welt gibt. Sie wirbt mit dem Slogan: »Sie lügen wie gedruckt, wir drucken, wie sie lügen.« Der Spruch »Wer die Macht hat, hat die Medien, und wer die Medien hat, hat die Macht« gilt nach wie vor. Schlussendlich muss man sich immer fragen: Wem nutzt diese Art der Berichterstattung?

Es gibt einige Erfahrungen aus dem Arbeitsleben der DDR, die ich gerne in das Heute herübergerettet hätte. Im Betrieb konnte man seine Meinung sagen, Verbesserungsvorschläge einbringen oder sich über den Chef beschweren. Heute kann man sich zwar auf den Marktplatz stellen und jeden Politiker öffentlich kritisiere. Aber in der Firma konkrete Probleme deutlich ansprechen, ist kaum möglich. Als kritischer Geist bin ich vermutlich genau deshalb selbstständig tätig.

In der Wendezeit wurde auch ich, obwohl ich selbst noch keine 30 Jahre alt war, für 40 Jahre DDR verantwortlich gemacht. Das waren manchmal sehr skurrile Situationen, mit denen ich erst mal schwer umgehen konnte. Heute ist es anders. Meine Stimme hat ein anderes Gewicht als direkt nach der Wende. Die Bürger wissen, dass sie mich jederzeit ansprechen können und dass ich mich für sie einsetze. Vermutlich trug das bei den Kommunalwahlen immer dazu bei, dass ich viele Stimmen erhalten habe. Ambitionen, mich politisch auf höherer Ebene zu engagieren, habe ich nicht. Egal in welcher Partei man sich engagiert, wer Karriere machen will, muss sich letztendlich verbiegen, teilweise die eigene Meinung verleugnen. Das ist nicht mein Ding.

Zu DDR-Zeiten wurde körperlich schwerer gearbeitet. Es fehlte oft die notwendige Technik. Die Umwelt-Sauereien waren deutlich gravierender. Allerdings gibt es heute auch noch genügend Umwelt- und Lebensmittelbelastungen. Wir versuchen als Familie gesund zu leben. In der Freizeit sind wir viel im Wald und am Wasser unterwegs, mal zu Fuß und mal mit den Rädern. Mehr und mehr bin ich ein Grüner geworden. Ich sammle Wildkräuter und bereite daraus Smoothies, Salate und Suppen zu. Das macht mir Spaß und hält uns fit und gesund. Mittlerweile essen wir deutlich weniger Fleisch, dafür aber qualitativ hochwertigeres. Leider gibt es in der näheren Umgebung keinen Bauernhof, auf dem man sich sein Stück quasi schon am lebenden Tier aussuchen kann. Auch wenn es anfangs lange Zähne gab, machen mittlerweile alle in der Familie bei der grünen Ernährung mit.

Kulturell sind wir vielseitig interessiert. Wir gehen ins Theater, in die Oper und gelegentlich zu Konzerten. Ins Kino eher selten. Da ich nicht so der Fernsehgucker bin, liegt das vermutlich an mir. Ich habe nie an einen Vaterschaftstest gedacht. Über so etwas habe ich mir, wie vermutlich die meisten, damals nie Gedanken gemacht. Unserem Sohn sieht man ohnehin an, dass er von mir ist. Ich habe ein sehr enges Verhältnis zu ihm, meistens reicht ein Blick, und wir wissen genau, was der andere meint. Sicherlich liegt es daran, dass wir immer Zeit für ihn hatten und sie uns genommen haben. Die ersten Jahre sind doch die entscheidenden in der Erziehung. Und du erziehst durch dein Vorleben. Ich wäre zum Beispiel nie auf die Idee gekommen, am Wochenende als Installateur zusätzlich arbeiten zu gehen. Lieber bin ich mit ihm, oft auch mit seinen Freunden, im Wald oder am Wasser unterwegs gewesen. Viele Jahre war ich sein Trainer beim Handball. Das war bestimmt nicht immer leicht für ihn, da man an den eigenen Sprössling meist höhere Ansprüche stellt als an den Rest der Mannschaft. Auf sein Lernen haben wir, zumindest wissentlich, nie Druck ausgeübt. Auch dadurch ist er ein lockerer und offener Typ geworden, der bei den meisten gut ankommt. Kurz gesagt, der Junge ist uns gut geraten, und wir sind wahnsinnig stolz auf ihn.

Ich hoffe, dass es für die Generationen, die nach uns kommen, keine Rolle mehr spielt, ob sie im Osten oder im Westen des Landes geboren wurden. Bei unserem Sohn ist das bereits jetzt der Fall. Da er so weit weg wohnt, kann man sich leider nicht einfach mal auf die Schnelle besuchen. Das ist zwar schmerzlich für uns, aber wichtiger ist, dass er glücklich ist.

Bei Familientreffen mit seinen Schwiegereltern ist es für uns manchmal etwas schwierig. Wir wollen den Familienfrieden wahren und die Kinder nicht in einen Zwiespalt bringen. In den Unterhaltungen merkt man manchmal, dass sie sich als Sieger der Geschichte fühlen. Zum Teil ist das verständlich, haben sich doch die Bilder verfestigt, dass in der DDR alles grau und kaputt war. Auch wenn wir in den Gesprächen versuchen, einiges vom Kopf auf die Füße zu stellen, geraten wir dabei in eine Verteidigungs- bzw. Rechtfertigungsposition. Wir wollen keine Ostalgie betreiben, wenn wir darauf hinweisen, dass das eine oder andere aus unserer Sicht besser geregelt war als heute. Es kann doch nicht richtig sein, wenn einem andere erzählen wollen, wie man selbst gelebt hat.

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