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Kapitel 2

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Klopps Zweistundenreise mit dem Gemeinschaftstaxi von der Grenze nach Siem Reap trägt ihm die Bekanntschaft mit einem deutsch sprechenden Frauentrio ein, zwei Frauen stammen aus Niederösterreich, die dritte Frau wohnt im Kanton Zürich. Sie unterschreiten sein Alter, bewirten ihn unaufhörlich mit Paprikachips, Energiedrinks und Reisegeschichten, lobpreisen ihre Unterkunft als Geheimtipp.

Der Wagen stoppt im Halbdunkel eines delligen Platzes, ein Tuk-Tuk-Fahrer wuchtet ungefragt von Klopps Koffer auf die vorderen Plätze eines Gefährts, von Klopp steigt hinzu. Der Linksscheitel teilt das kurze Haar des Fahrers mit Strenge, das karierte Hemd mit angeknöpften Kragenecken und die graue Stoffhose unterstützen den Eindruck des Grundanständigen. Während der Hotelsuche sorgen die Autolichter für mehr Helligkeit als alle anderen Lichtquellen im Miteinander. Das vorab gebuchte Hotel liegt leicht zurückversetzt an der National Road, das unscheinbare Äußere weicht im Inneren einer luxuriösen Ausstattung.

Von Klopp behagt die zurückhaltende Art des Mannes und die Verhältnismäßigkeit des Entgeltes, er regelt mit ihm den kommenden Tag. Ein gertenschlanker Page mit kindlichem Lächeln übernimmt den Koffer, eine unschlagbar lächelnde Frau an der Rezeption regelt das Notwendige im Schnelldurchlauf. Im Zimmer wirft der Page die Klimaanlage an, erklärt wortreich die Arbeitsweise des Minisafes, streift von der Begrüßungsfrüchteschale die Folie. Von Klopps Finger spreizen sich auf die Matratze des Doppelbettes, prüfen kraftvoll den Grad von Härte und Weiche. Die Aussicht auf gutes Schlafenkönnen beschwingt ihn, verführt ihn zu einem guten Trinkgeld.

Der Page streicht die drei Eindollarnoten ein, säuselt im Türrahmen: „Mein Name ist Munny. Wollen nicht allein bleiben? Kenne ein Haus mit Superladys.“

„Ich weiß nicht“, gibt sich von Klopp überrascht.

„Eine Frau schöner als andere.“

„Ich suche kein billiges Vergnügen“, entfährt von Klopp nach einer kleinen Ewigkeit.

„Alles fängt mit erste Nacht an“, versteift sich der Page auf sanftes Zureden. „Oder mit Stunde. Dann vielleicht Liebe teuer. Entschuldigung, teure Liebe.“

„Ich bin total kaputt“, wehrt er verlegen ab. „Vielleicht morgen. Ich bleibe drei Nächte hier.“

„Erste Frau vielleicht nicht Richtige für mehr Liebe“, entgegnet Munny in handzahmer Manier. „Drei Nächte, drei Mal probieren, macht Frau euch Freude und Ehre.“

„Ich nehme Drei auf einen Schlag“, überfällt es von Klopp scherzhaft.

„Gute Idee, Sir. Neun Frauen Auswahl.“

„Ich überlege es mir.“

„In Kambodscha viel Frau für wenig Geld“, drängt der junge Mann mit hastigem Eifer. „Eine Nacht ganz billig. Nur vierzig Dollar. Dreißig Dollar für Lady, zehn Dollar für Hotel. Von zehn Dollar fünf Dollar für mich. Fahre Sir nach Arbeit. Zweiundzwanzig Uhr. Genug Zeit zum Essen, zum Entspannen.“

„Mal sehn.“

„Sir nichts finden, kein Problem. Fahren zurück oder zu anderem Haus von Freude.“

„Gibt es auch Frauen nur zum Reden?“

Munny blickt schamhaft zur Seite, überlegt eine Zeit lang, wahrt sein Gesicht: „Schöne Frauen kennen schöne Worte.“

Von Klopp begutachtet die Minibar, trinkt ein Büchsenbier, studiert den Stadtplan. Auf der Route zur Pubstreet quert er dunkle Gestalten und Hundegebell, die Lichter von Geschäften steigern nicht das Sicherheitsgefühl. Eine Hauptstraße markiert die Bruchlinie ins pralle Leben, sein flaues Gefühl im Magen weicht einem heftigen Magenknurren. Ein wuchtiger Gebäudekasten wirbt mit einem asiatischen Büfett par excellence und Nonstopfolklore der Sonderklasse. Das Tanzsaalgroße des Raumes, bierzeltlange Tischreihen und die Gästearmut mehren den Eindruck einer Zweitwahl, ein vielfältiges kaltes und warmes Büfett wähnt ihn eines Besseren. Eine Bedienstete zapft ihm Bier, eine andere händigt von Klopp eine Suppe aus, die gehaltvolle Zusammensetzung wählt er selbst. Auf einen Riesenteller mischt er Chickenspieße, Pekingente, Schweinefleischstreifen, gedünstetes Gemüse, kandierte Früchte und einen bunten Salat.

Direkt vor der Bühne nimmt er Platz, eine Trachtengruppe löst die andere ab, die Zahl der Akteure und die Art der Aufführungen weichen voneinander ab. Wildheiten und Zeitlupentempo prägen das Erscheinungsbild, der zeitgleich gemeisterte Luftdoppelschlag zweier Darsteller ringt von Klopp Beifall ab, im Rasseln beinlanger Bambusstangen ertönt das Startsignal für das Finale. Ob Mama diese Auftritte wenigstens mit Stillsitzen quittiert?, denkt er. Im Violinkonzert neulich schreitet sie nach der zweiten Dissonanz des Solisten demonstrativ aus dem Raum und spült ihren Unmut über das vermeintliche Totalversagen mit zwei Champagnerschalen hinunter. Auch der prächtige Blumenstrauß des Dirigenten, der am Vormittag darauf eintrifft, mildert nicht ihr vernichtendes Urteil über den Abend. Andererseits bringt sie es fertig, sich in Begleitung des Doktors den Film Nassgaranten anzuschauen und ihn als Beweismaterial für die Erotik des Ekels zu preisen … Oh Gott, Mama erwartet ein Lebenszeichen! Er sieht erste Aufräumarbeiten und spürt Schamröte, im Freien strauchelt er über die fußbreite Lücke zweier Betonplatten.

Pünktlich um zweiundzwanzig Uhr klingelt das Zimmertelefon. Die weiche Stimme des Pagen verschlüsselt das Bevorstehende, kein Uneingeweihter erlangt eine Deutungshoheit. Von Klopp schwingt sich hinter Munny auf den Motorroller, knattert stadtauswärts, genießt die Streicheleinheiten des lauen Fahrtwindes. Tiefe Senken zwingen Munny zum Fahren im Schritttempo, der Motor würgt seine Geräusche hervor. Mehrfarbiges Glitzerlicht rückt ein unüberschaubares Gelände ins Imaginäre, die Auslastung des Parkplatzes drückt sich in Leere aus, eine Vielzahl inländischer Männer läuft umher. Munny parkt das Fahrzeug neben einem Geländewagen, übernimmt von einer dickleibigen Person eine brennende Zigarette. Im Foyer des Flachbaus herrscht der Hochbetrieb einer fröhlichen und vielstimmigen Damengemeinschaft. Ein halbes Hundert Frauen winken im Stehen und auf Stühlen, von Klopp traut weder seinen Augen noch seinen Ohren.

Am seitlichen Tresen warten drei Männer, der Älteste trägt Würgemale am Hals, eine Brille mit einem rosafarbigen Gestell steigert den Eindruck des Kantigen im Gesicht.

Er bequemt sich zum Aufstehen, fragt: „Nummer?“

Die mit Zahlen versehenen kreisrunden Anstecker an den Frauen in Brusthöhe entdeckt von Klopp erst zu diesem Zeitpunkt.

Er antwortet nicht, sagt stattdessen: „Sie sind klein wie Kinder.“

Der Andere wirbelt mit einer Handbewegung alle Frauen hoch, pickt die vermeintlich fünf größten heraus, lässt sie soldatisch zu einer Reihe antreten. Sie lächeln beherzt, überhören neckische Bemerkungen aus dem Hintergrund. Die Körper zappeln Erregungsformen hervor, zwei der Fünf bedienen durchaus von Klopps Vorstellungen fraulicher Reize. Im Zeitlupentempo pendelt sein Zeigefinger zwischen der einen und der anderen Lieblingsnummer. Die Verschmähten im Showroom treten ohne Anzeichen einer Enttäuschung den ungeordneten Rückzug an, die Auserwählten steuern die Rezeption an. Der Mann mit Brille füllt einen Zettel aus, von Klopp dämmert ein Missverständnis.

„Nur eine Frau“, klärt er schamrot auf.

Zur letzten Sicherheit hebt er einen Zeigefinger empor.

„Nummer?“

Die Gesichter und Körper, denkt er, fallen im Typ unterschiedlich, aber in der Ganzkörperausstrahlung gleichwertig aus. Von Klopps Blick schwenkt in die Tiefe, die Wahl fällt auf die Frau mit den kürzeren Absätzen. Der Mann notiert eine Kurzbemerkung auf ein andersfarbiges Blatt, heftet daran ungeschickt von Klopps drei Zehndollarscheine mit einer Büroklammer, den Gesamtvorgang verfrachtet er in eine abschließbare Holzkassette.

„Ich möchte eine Frau näher kennen lernen“, überwindet sich von Klopp. „Ist das möglich?“

„Achtzig Dollar für jeden Tag. Wie viele Tage? Welche Frau?“

„Ich weiß es nicht“, wiegelt er ab. „Vielleicht diese Frau. Vielleicht eine andere.“

„Kein Problem.“

„Und für immer? Wie viele Dollar?“

Der Mann schaut von Klopp ausdruckslos an, antwortet:

„Zehntausend Dollar.“

Von Klopp schreitet der Auserwählten voran, aufflammendes gleißendes Scheinwerferlicht begleitet sie hinaus. Munny wartet im Dunstkreis Gleichgestellter, auf dem Moped nimmt die Frau die Mittelstellung ein. Von Klopps Gemütslage wechselt in mehrmaliger Folge, ein waghalsiges Ausweichmanöver führt eine Schrecksituation herbei. Das Hotel wahrt die Fassade des Diskreten, ein Angestellter gebietet von Klopp den Alleingang in sein Zimmer, wenige Minuten später ertönen an der Tür fast unhörbare Klopfzeichen. Munny steht neben der jungen Frau, streicht dankbar die vereinbarten Dollar ein, zieht die Tür lautlos ins Schloss. Die Frau legt ihre Lebendigkeit an der Türschwelle ab, ein längerer Badaufenthalt erweckt sie ins wie Neugeborene.

„Kalt“, presst sie im Englischen hervor, schlüpft unter das Bettlaken.

An der Fensterfront zieht er die Vorhänge zusammen. Er schärft die Blicke durch den offenen Spalt und denkt, auf dem Liegestuhl am Pool, ganz hinten, geschehen menschliche Verquickungen.

Im Fernseher stellt er ein Musikprogramm an, fragt:

„Möchtest Du etwas trinken?“

Sie hüpft aus dem Bett, langt in der Minibar zu einer Büchse grünen Tee. Er wählt ein Bier, stellt die Klimaanlage zurück, gesellt sich zu ihr.

„Hast Du eine Frau?“ fragt sie nach einer Ewigkeit.

„Nein.“

„Warum nicht?“

Von Klopp verkürzt den Sachverhalt auf den maßgeblichen Kern, schwächt den Ernst des Gesagten zuweilen durch ein Lächeln ab. Es ist die Wahrheit, denkt er in der Stille. Stärkt sie mein Ansehen ihr gegenüber? Oder schadet sie eher meinem Ansehen? Am besten, ich sage ihr noch etwas anderes. Dass ich eine Frau für Mama suche.

„Wie heißt Du?“

„Martin. Und Du?“

„Ball.“

„Wie der …?“

Er wiederholt das Gehörte nicht wie im Fremdsprachenunterricht, im Begrifferklären gewährt er der Zeichensprache den Vorrang. Ein Finger malt einen Rundkörper in die Luft, sie nickt lächelnd. Ein Missverständnis liegt nahe, denkt er, immerhin deute ich einen Kreis an und der Unterschied zu einem Ball liegt im Nichtvorhandensein des Dreidimensionalen. Von Klopp erwägt die Formung von etwas Ballähnlichem durch das Verknäulen beider Hände. Er verwirft diese Eingebung, schnellt aus dem Bett, deutet im aufrechten Stillstand den Wurf eines Balles an. Er erntet höfliches Lächeln, grübelt nach Steigerungsformen für seinen Anschauungsunterricht, ahmt einen Fußballdribbelkünstler nach. Er kürt zwei Stühle und den Tisch zu Spielern der Gegenmannschaft, führt tänzelndes Kreisklasseniveau vor. Nach der hundertprozentigen Gewinnquote der Zweikämpfe reckt er die Arme nach oben.

Ihr erneut lächelndes Nichtbegreifen treibt ihn zur Rezeption, ein Mann im weißen Hemd erfüllt seine Bitte nach einem Ball mit der Herausgabe eines Golfballes, von Klopp sichert ihm die Rückgabe zum Frühstück zu. Im Fahrstuhl denkt er, bestimmt vermutet der Nachtportier, dass wir unsere Zeit im Zimmer mit Minigolf totschlagen, anstatt das Übliche zu tun. Im Übrigen wäre ein Mixtum compositum nicht die schlechteste Idee. Als Schläger eignet sich ein geschlossenes Buch, als Loch ein aufgeschlagenes Buch. Als Zielprämie für mich winkt ein anderes Loch außer der Reihe. Von Klopp schüttelt den Kopf über seine Auslassung, im Zimmer hält er den Golfball wie eine Trophäe hoch.

„Ball“, sagt die mädchenhafte Frau, nickt heftig. „Ich Ball.“

Ball rekelt ihren Körper, strampelt ihn nackt. Von welch schöner Welt ich umgeben bin, denkt er. Er mutmaßt das unerschöpfliche Vorhandensein erotischer Energievorräte, beäugt die Übertragungsmöglichkeiten, spürt schon ohne eine Direkteinwirkung körperliche Folgeerscheinungen. Ball legt ihre warmen Hände auf seine Brustwarzen, die Temperatur steigt ohne Bewegungsmerkmale ins Hitzige. Er widersteht der Versuchung einer prompten Umsetzung seiner Überreizung, rollt zur Seite, nach einem Schluck aus der Bierbüchse begibt er sich ans Fenster. Du Frau, ich Mann, denkt er, lächelt verstohlen, kehrt zum Bett zurück.

„Massage“, bittet er.

Im Anblick ihrer Fingernägel verbirgt sie ihre Enttäuschung nur bedingt.

„Massage keine Liebe“, sagt sie.

„Massage ist Spiel vor der Liebe. Vorspiel.“

Von Klopp schiebt den Körper in Bauchlage über das Bett, Ball schwenkt ihren Körper auf seinen in Gesäßhöhe. Sie setzt das Studium ihrer Fingernägel fort, ein sanfter Fauststoß an ihre Oberschenkel ruft sein Anliegen in Erinnerung. Die körperliche Konversation leitet Ball im Sektor Schulter und Nacken ein, erweitert das Pflichtprogramm auf die Rückenzone. Seinen Körper vom Gesäß abwärts spart sie als Tätigkeitsfeld ihres vielfingrigen Kundendienstes aus. Der Liebenummeraufschub findet ein Ende.

Ein schmaler Lichteinfall aus dem Bad führt zu Dämmerlicht, ihre Körper ruhen nebeneinander, ihre Augen begegnen einander.

„Sprichst Du gut Englisch?“ fragt er.

Ihre Hand hebt sich, den Spalt zwischen Daumen und Zeigefinger schätzt er auf drei Millimeter. Wie viele Wörter mögen dazwischen passen?, denkt er. Mehr als drei.

„Ich liebe Dich“, erklingt ihre Stimme in freudiger Munterkeit.

Von Klopp deutscht das Worttrio ein, Ball übersetzt es in ihre Muttersprache.

„Bong slang one“, spricht er ihr nach.

Ball nickt verhalten Einverständnis, sagt: „Baby, gontpai.“

Er wiederholt beide Worte, Ball spreizt rechtshändig Zeigefinger und Mittelfinger zu einem schmalen Victoryzeichen, führt die Hand zu den Lippen.

„Barei“, sagt sie, ihre Stimmlage bekundet Abscheu.

„Smoking“, lächelt er seine Vermutung hinaus, „Rauchen“.

Er klopft eine Fingerspitze an die Brust, vollführt eine beiderseitige Kopfdrehung.

Ball faltet die Hände in Kinnhöhe, sagt: „Tamate“.

Die Körpersprache fördert nicht die Übersetzung, auch das Zeigen auf die gegenständliche Welt im Zimmer dient nicht der Wahrheitsfindung. Von Klopp erklärt das Wort kurzerhand zum unlösbaren Rätsel, küsst ihre aalglatte Wange. Den gesprochenen Worten folgt Geschriebenes in sein leeres Notizheft. Ihre Khmerschriftbild wirkt auf von Klopp uniform, die Buchstabenlängen im Falle von ´Tamate´ ähneln aus seiner Sicht den ungelenken Schreibeigenheiten eines Schulanfängers. Die Schreibweise seines Namens, ihres Namens und des Wortes Baby festigen seine Eindrücke, zugleich entdeckt er in ihren Achselhöhlen mehrere Leberflecken.

Womit diene ich uns noch?, denkt er und rutscht vom Bett. Das gesuchte Badetuch findet er feucht auf dem Badfußboden vor. Er schlingt es um seine Hüften, strebt zielbewusst zu einer Wand. Sie liegt dem Bett gegenüber, seine Finger richtet er zum einzigen Bild im Raum. Die lackholzgerahmte Farbfotografie rückt Angkor Wat vor einen verlöschenden Sonnenball, das Nichtvorhandensein von Menschen steigert die besinnliche Grundstimmung.

„Angkor Wat“, strahlt sie.

„Bild“, sagt er. „Das ist ein Bild.“

„Angkor Wat“, wiederholt sie rechthaberisch.

Von Klopp anerkennt den missverständlichen Charakter des Gegenstandes, zeigt in Balls Richtung: „Bett“!

Ihre Hände gleiten über das Metallbettgestell, unsicher entfährt ihr: „Beed“.

„Bett“, wiederholt er ausdrucksstark.

„Bett.“

Von Klopp hebt den Daumen vor Anerkennung, beide steigern ihr Lächeln ins Übertriebene. Das Geschäftspaar bezieht den Stuhl, die Lampe und den Schrank in diese Redeebene ein, im Weiteren dehnt sich der Wunsch zur Verständigung auf das Schreiben in deutsch und in Khmer aus. Die ausgelassene Heiterkeit beflügelt beide zum verbalen Zerlegen des Zimmers bis zu den Nebendingen Bodenvase, Bademantel, Lichtschalter, Kugelschreiber, Menükarte, Klodeckel, Eiswürfel und Zahnbürste. Ball unterbindet das Ausreizen der Idee bis zum letzten Gegenstand. Sie greift vom Nachtschränkchen den Kambodschareiseführer, fortan dienen Fotos als Hilfsmittel zum Reden und Lachen. Von Klopp hört ihr genau zu und denkt, Mama könnte Kuh heißen. Und diese enorm lange Zeit zwischen beiden Silben, hochinteressant. Ball blättert immer neue Bilder auf, sie einigen sich auf die Übersetzung von Tatkru mit Krokodil, von patei meit mit Himmel, von Lok Dschadlei mit Stupa.

Ein Postkartenmotiv zeigt Pfahlbauten am Flussufer. Palmen umgeben sie paradiesisch, in der Flussmitte trägt ein schmales Boot ein Mannweib, Holzkisten, Vogelkäfige und Obstkörbe. Balls Sinne geraten in helle Aufruhr. Ihr Mittelfinger hämmert in die Senke ihrer Brüste, aus ihren Augen quellen Tränen.

„Deine Heimat?“, fragt er ergriffen.

Ihr Gesicht drückt Unverständnis aus, mit gedämpfter Stimme setzt er neu an: „Mama, Papa“?

Sie bejaht die Frage mit ungestümen Regungen, die Klingeltöne ihres Handys schrillen in dieses mitreißende Gefühl. Die andere Seite redet unaufhörlich, von Klopp zieht sich ins Bad zurück, fummelt vor dem Spiegel im Gesicht. Nach seiner Rückkehr zappt die junge Frau durch die Fernsehprogramme, sie wirkt angegriffen und blickleer. Ein Sportsender überträgt Thaiboxen in einer überfüllten Arena, sie stoppt die Suche, von Klopp atmet erleichtert auf,

die unangenehme Luftkühle der Klimaanlage bewegt von Klopp unter das Bettlaken. Du lieber Gott, was so ein Mann nicht alles alles denken kann, redet er mit sich. Beschämt nur steh ich vor ihm da und sag zu allen Sachen ja. Bin doch ein arm unwissend Kind, begreife nicht, was er an mir findt. Ihre kalten Hände wagen einen Annäherungsversuch, das Verinnerlichte in ihm klingt aus, er blickt umher. Ball löst sich aus ihrer Wartestellung, an der Türschwelle zückt er das Portmonee für ein gutes Handgeld.

„Du lieben Mann?“, fragt sie ängstlich.

Er verneint es erschrocken, wie zur Beglaubigung streichelt er ihre vollständig freie Schulter.

„Kein Mann, kein Kind, kein Krankheit“, sagt sie, es fehlt nicht an Gefühlen zwischen Gedrücktheit und Zuversicht.

Wenige Minuten nach ihrem Weggang klingelt das Zimmertelefon.

„Hallo Sir“, meldet sich die Stimme des Nachtportiers. „Ihre Lady will das Hotel verlassen. Ist das in Ihrem Sinne?“

„Das geht in Ordnung“, bestätigt von Klopp.

„Gute Nacht, Sir“, sagt der andere, legt auf.

Eine Frau für Mama

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