Читать книгу Eine Frau für Mama - Elmar Zinke - Страница 6
Kapitel 4
ОглавлениеVon Klopp befolgt seinen Grundsatz strikter Pünktlichkeit, nimmt den Weg zum Servicecenter erstmalig im Hellen und ohne Munny, die Tagschicht bindet ihn im Hotel, nach kurzem Abwägen zieht von Klopp ein Tuk-Tuk einem Fußmarsch vor. Graue Mauern umzingeln die Gasse beidseitig, auch vernachlässigte Natur im Hinterland bringt Menschenleere zum Vorschein. Von Klopp blinzelt zur uneinsichtigen Wegkrümmung vor ihm, schmunzelt über die Aussicht auf einen Raubüberfall. Die Ahnung tritt hundertmal weniger ein als das Ungeahnte, denkt er. Ach was, tausendmal.
Ladymama empfängt ihn ganz in weiß, eine Fingerkrümmung zitiert ihn zu ihr, er zögert einen Lidschlag. Sie schlingt ihre Hände um seinen Hals, biegt seine Bambussteife in Abdrückhöhe, ein Fingernagel ritzt seine Halsschlagader wie eine Messerspitze.
Sie drückt seinen Körper beiseite, säuselt: „Geschäft?“
„Bisher fehlt die Frau dafür.“
Ladymama erteilt Kommandos durch das Walkie-Talkie, binnen weniger Minuten füllt ein Dutzend blutjunger Frauen den Raum. Ihr Stelldichein geben in von Klopp flüchtig abgespeicherte und wildfremde Gesichter, keine Frau fesselt ihn länger als einen Augenblick.
„Vor zwei Tagen waren zwei Frauen in der engeren Auswahl“, spricht er langsam. „Wo ist die Frau, die nicht ins Hotel kam?“
„Welche Nummer?“
„Darauf achtete ich nicht“, gibt er sich arglos, fügt nach reichlich Bedenkzeit hinzu: „Sie sieht nicht aus wie eine Khmer oder eine Thai. Eher wie eine Japanerin oder eine Chinesin.“
Ladymama grübelt mit regloser Miene, eine Erleuchtung legt etwas Durchtriebenes frei. Sie wählt eine Handynummer, spricht abgehackt einige Sätze.
„Wir haben eine halbe Chinesin, aber sie sieht aus wie eine ganze Chinesin“, erklärt sie.
Sie greift in die Mundwinkel, dehnt die Lippen, redet weiter: „Das Gesicht ist das Gegenteil von lang. Aber nicht kurz. Sie ist nicht hier. Warten wir.“
Sie reicht ihm ungefragt ein kaltes Bier im Glas, von Klopp trinkt mäßig.
„Gehört Dir das Haus?“, kurbelt er eine Unterhaltung an.
„Gekauft vor wenigen Monaten. Ich leiste schwere Arbeit dafür. Zwanzig Jahre, Mein halbes Leben.“
Sie sieht wie Sechzig aus, denkt er amüsiert. Offenkundig bewahrheitet sie das Klischee der doppelten Alterung in dieser Berufssparte.
„Gehen die Geschäfte gut?“
„Gut, ja“, wiegt sie bedächtig den Kopf. „Zu viel Geld zahle ich für Provision. Fünf Dollar. Besser, die Gäste kommen allein.“
„Denk nicht an das Geld, was Du an Dritte abgibst, sondern daran, was Dir Dritte Gutes überbringen.“
Er erntet ungläubige Blicke, wiederholt das Gesagte mit anderen Worten, nimmt das scheinbare Nichtverstandenwerden als gegeben hin.
„Gibt es ein Problem mit Aids?“, setzt er seine Befragung fort.
„Kein Problem“, wiegelt sie ab. „Ich schicke jede Lady alle drei Monate ins Krankenhaus. Test positiv…“
Sie vollendet den Satz durch eine wegwerfende Handbewegung, ihr Gesicht verschießt eine geballte Ladung Wut und Ekel.
„Demnach ist Aids ein Problem“, schlussfolgert er.
Ein kleines Beben erzittert ihre Brust und ihre Hände.
Sie packt ihn derb am Arm, stellt brüllend klar: „Wenn Test positiv, dann Kaution weg. Tausend Dollar. Deshalb ist es kein Problem. Jede Lady ist gute Geschäftsfrau.“
Die Frau im Türrahmen nutzt ihr Haar zu einer stabförmigen Erhebung in der Kopfmitte. Klein und forsch setzt sie ihre Schritte, die fleischigen Wangen nähren den Eindruck eines breiten Gesichtes. Von der Makellosigkeit ihres Äußeren künden ihre vollen Lippen, ihre groß gezogenen Augen, eine blass gepuderte Haut. Das erste Lächeln zeigt gleichmäßige Reihen mäusekleiner Zähne, das Kleid leistet einen Offenbarungseid für einen superschmalen Körper. Er schließt auffällige Rundungen ein, die Brüste wirken schöngebessert.
„Ich lasse euch einen Augenblick allein“, streut Ladymama ein, entschwindet.
„Wie heißt Du?“, fragt er in das kecke Lächeln.
„Nhim.“
„Nimm“, wiederholt er heiter.
Sie kramt aus der Schublade des Schreibtisches ein Blatt Papier und einen Bleistift, schreibt die Großbuchstaben NHIM auf, wiederholt das Wort. Der H-Buchstabe fehlt in der Aussprache, denkt er unverfänglich. Nimm mich. Nimm alles Hab und Gut. Nimm Mama.
„Wie alt bist Du?“
Sie überlächelt die Frage.
„Wenn Du sechzehn oder siebzehn bist, bleiben wir nicht zusammen“, fügt er hinzu.
„Nein“, widerfährt ihr hastig. „Zwanzig, mehr.“
„Wie gut sprichst Du Englisch?“
„Nicht bloß Bumbum“, kichert sie das Gesagte. „Sage viel. Ganzes Buch. Noch mehr verstehen.“
„Wollen wir zusammen eine Reise machen? Eine Woche oder etwas weniger?“
„Ja.“
„Gut, ich kaufe für morgen zwei Tickets nach Phnom Pen.“
Sie nickt eifrig, bis zu Ladymamas Wiedereintreffen strahlt sie in Begeisterung und Reinheit.
„Alles klar?“, fragt Ladymama, blinzelt wie in grelles Licht.
„Reden wir noch über das Finanzielle“, sagt er sachlich.
Sie ballt die Fäuste, stößt sie aneinander.
„Wahre Dein Geld allen Menschen in diesem Raum das Gesicht“, verklärt sie feierlich ihr Geschäftsmodell.
„Für jeden Tag einhundert Dollar“, schlägt er nach kurzem Überlegen vor. „Vierhundert Dollar jetzt, der Rest am Ende. Außerdem eine kleine Erfolgsprämie, wenn wir eine gute Zeit miteinander verbringen.“
Die Hausbesitzerin bläst ihre Wangen wie einen Luftballon auf, übt sich im theatralischen Luftablassen, kräht: „Ihr seid ein echter Gentleman. Mit euch führt junge Lady ein gutes Leben.“
„Nicht gute Reise, nicht wenig Geld“, sprudelt Nhim furchtsam hervor und faltet die Hände in Kinnhöhe.
Er blättert die erste Rate der Kaufsumme überschaubar hin. Ladymama schiebt die Scheine zusammen, nimmt mit angeleckten Fingern jede Banknote zur Hand, grunzt: „Vertrauen ist gut, Zählen ist besser“.
Von Klopp durchströmt ein warmes Grundgefühl.
„Sei bitte pünktlich acht Uhr vor dem Hotel“, wendet er sich an Nhim.
Ihr Kopf senkt sich zur auffälligen Schäglage, die Daumenspitzen ihrer gefalteten Hände tupfen an ihre Nasenspitze.
Von Klopp wirft einen Blick zum Vorplatz des Hotels, Rauchwolken einer Unratverbrennung auf dem Nachbargrundstück mindern die Sicht. Sein Frühstückstisch am offenen Fenster gestattet die Aussicht auf die gepflegten Außenanlagen der Rückseite des Hauses, eine Vielzahl von Bediensteten trifft hier letzte Vorbereitungen einer herrschaftlichen buddhistischen Hochzeitszeremonie.
Am Büfett bescheidet er sich mit Käse und Marmelade, die schlechte Güte der Brötchen stößt ihm übel auf. Für die Einhaltung der Übereinkunft bürgt allein das gegebene Wort, denkt er während des Frühstücks. Nach guter hanseatischer Sitte. Die Welt stützt sich auf Menschenvertrauen und nicht auf die breit gestreuten Niederungen des Menschengeschlechtes. Mama indes stellt diesem Vertrauensvorschuss seit Urzeiten wasserdichte Kontrakte entgegen. Bei Käthe setzt sie sogar einen Vertrag mit Wortlast über Gebühr auf. Nach so vielen Jahren im Haus.
Von Klopp überprüft die Uhrzeit, holt Nachschub am Kaffeeautomat und denkt entsetzt, oh Gott, ich muss mich endlich bei Mama melden! Aber diese schreckliche Zeitverschiebung. In Hamburg herrscht jetzt Schlafenszeit. Gewissensbisse lindert er durch eine SMS, das Beruhigende im Ausführlichen streut er sicherheitshalber auf zwei Kurzmitteilungen.
Der Zeitvorrat einer halben Stunde führt ihn abermals zum Büfett. Ein Angestellter stellt Früchteteller ab, von Klopp langt übermäßig zu, neben mundfertig geschnittenen Stücken von Ananas, Honigmelone und Zitrusfrüchten bevorzugt er eine dicke Scheibe Wassermelone. Das Fleisch trennt er von der Schale mit seinem rasierklingenscharfen Fischmesser, das Schneidwerkzeug begleitet ihn auf sämtlichen Reisen in einer Tasche am Gürtel. Mitten im Schälvorgang rutscht er ab, über die gesamte Breite der Fingerspitze klafft eine halbzentimetertiefe Wunde.
„Tolpatsch!“, knurrt er halblaut.
Das Blut tupft er mit einer Serviette ab, erst im Zimmer versiegt die Verletzung. Über die Wunde klebt er ein Heftpflaster, wenig später löst es sich unbemerkt. Beim Checkout herrscht im Minibargebrauch Übereinstimmung zwischen seinen Angaben und der Inaugenscheinnahme des Hotelpersonals. Er zahlt mit der Kreditkarte, für das persönliche Abschiednehmen hält er vergeblich nach Munny Ausschau.
Im sich aufklarenden Tageslicht ähnelt Nhims quer gestelltes Rollköfferchen vor dem Tuk-Tuk einem schlafenden Hund, im losen Nebeneinander mit Dschin erliegt Nhim einem gesteigerten Mitteilungsbedürfnis. Von Klopp fällt ihr olivgrüner Rollkragenpullover mit langen Ärmeln auf, ihr herabfallendes Haar und ihr entspanntes Gesicht. Nach einer förmlichen Begrüßung dehnt sich das Schweigen auch an der Bushaltestelle. Rucksacktouristen bevölkern zuhauf die Bürgersteige des Verkehrsknotenpunktes, größtenteils warten Pärchen mit einem Studentenaussehen auf einen fahrbaren Untersatz.
Ein Mann Anfang Sechzig tritt als Single in Erscheinung. Aus dem schmuddeligen Weiß seines Jeansanzuges ragt ein weißes, weit aufgeknöpftes Hemd, ein Gummiband zügelt rücklings die langen widerspenstigen Haare. Zum billig ausschauenden Brillengestell paart er handgefertigte, purpurrote Schuhe, eine unbequeme Sitzhaltung strafft den kleinwüchsigen Körper.
„Fährst Du auch nach Sihanoukville?“, spricht er von Klopp deutsch und freundlich an.
„Nein, nach Phnom Pen. Aber einen Tag oder zwei Tage später kommen wir nach.“
„In Phnom Pen gönnte ich mir einen Monat. Diese Stadt ringt noch um ihre Seele. Spätestens in zehn Jahren geht der Kampf verloren. Dann schaudert die Stadt wie das Einheitsmonster Bangkok.“
Von Klopp nimmt das Gehörte widerspruchslos hin, vergegenwärtigt sich die Reiseroute, schlussfolgert:
„Offensichtlich reist Du ohne klares Ziel.“
„Das tue ich seit Jahren“, widerfährt ihm traurig. „In der ganzen Welt.“
Die Männer stellen einander vor, sogleich hält Antonio Antillo einen Vortrag über die Stadt am Mekong. Er schönt die Prachtbauten am Mekong, durchstreift mit Hingabe jede Ecke und Nische des Königspalastes, trotzt dem klobigen Gebäude des Spielcasinos den Status des Ansehnlichen ab. Den ersten Platz seiner Schönheitshitliste sichert er der schachbrettartig angelegten Altstadt mit ihren beschaulichen Kolonialbauten zu, den schleichenden Verfall stuft er als zart, originär und Zuspitzung des Schönen ein. Antillo schließt die Augen mit der Hingabe eines Weinliebhabers nach dem ersten Schluck seiner Lieblingsrebe, hebt die Lider in Zeitlupe, reißt sie auf.
„Mein Bus“, ruft er schrill.
Aus dem Minibus der Gegenfahrbahn heult rhythmisch der Motor auf. Antillo wirft den ledernen Rucksatz über die linke Schulter, schnappt den Hartschalenkoffer, stürmt mit einem leicht hinkenden Bein los. In der Straßenmitte büßt er das Gleichgewicht ein, knallt auf den geschotterten Asphalt, liegt wie tot da. Autos vollziehen vor ihm eine Vollbremsung, von Klopp hastet zu ihm, greift beherzt den Körper. Das Stützen im Aufstehen missrät ins Linkische. Von Klopp bemächtigt sich des Koffers, schenkt Antillo Halt bis zur Bustür.
„Danke“, spricht Antillo mitgenommen, drückt eine Träne hervor, schüttelt von Klopp beidhändig die Hand. „Am Meer feiern wir das Wiedersehen. Versprochen? Ich lade Dich und Deine reizende Begleitung zum Essen ein. In zwei Tagen um zwanzig Uhr am Hafen. Er liegt am nördlichen Strandabschnitt. Kommt Ihr später, kein Problem. Mein Freund, ich warte jeden Abend. Ich muss Dir …“
Antillo würgt den Satz ab, steigt ein. Auf seinem Platz presst er die flache Hand gegen die Fensterscheibe, von Klopp gewahrt die großflächig geschrammte Innenfläche. Noch im Stillstand des Busses gleitet von Klopps Blick mechanisch zum Blutverschmierten seiner Hand, gleichzeitig stellt er Nhims Abwesenheit fest.
„Kein Wasser für Blut“, erklärt sie achselzuckend nach ihrer Rückkehr.
Von Klopp nutzt zu diesem Zeitpunkt seinen Koffer als Sitzgelegenheit, schaut betrübt drein. Das fremde Blut und von Klopps aufgerissene Verletzung tupft sie mit geübten Handgriffen, aus der Wunde sickert ununterbrochen Blut nach. Übellaunig schüttelt sie den Kopf, sputet sich, kehrt mit einer Zweiliterflasche Mineralwasser aus einem Minimarkt zurück. Nach dem Reinwaschen nickt sie zufrieden, von Klopp verliert Worte in Dankbarkeit.
Eine geschlagene Stunde kurvt der Bus durch die Stadt, lädt an einem Dutzend Sammelpunkten Reisende auf. Nhim winkelt ihre Beine auf dem Sitz an, schenkt ihm eine Beinfreiheit wie ein unbesetzter Nachbarplatz. Auf dem glatten Asphalt gewinnt der Bus Tempo, auf halber Strecke legt er eine Rast ein. Vor dem Lokal bietet ein Stand Gebratenes an, teigummantelte Vögel in vielerlei Größen, zu Unterarmlänge geschnittene schlangenartige Gebilde, eine Vielzahl einzeln sortierter Insekten. Nhim kauft eine Schale Riesenheuschrecken, am Nachbarstand zwei Beutel Pfefferminzdragees. Im Bus hält sie ihm die toten Tiere hin, er lehnt mit Augenrollen ab, zuerst langt sie nach einem besonders stattlichen Exemplar. Als Vorarbeit kneift sie die Flügel ab, zum Essen fasst sie das Tier am Schwanzteil.
Ihre Fingernägel eignen sich als vortreffliches Werkzeug, hält er schmunzelnd Zwiesprache. Für das Alltagstaugliche fehlt die Beweiskraft. Wenig später ringt sie mit dem Aufreißen der Folie eines Drageebeutels. Die gezackte Außenkante erleichtert das Durchtrennen, sämtliches Bemühen scheitert kläglich. Die Beobachtung des Fruchtlosen amüsiert ihn wie die zuweilen gewagte Garderobe seiner Mutter.
Ihm gegenüber sitzen zwei halbwüchsige Mädchen, sie strahlen um die Wette, knabbern Insekten wie die meisten Menschen Chips, in der Größe und im Aussehen hegen sie unterschiedliche Vorlieben.
„Ist das Deine Frau?“, fragt ihn die Hübschere.
Als Antwort hebt er vielbedeutend die Augenbrauen, im Anschluss einen Daumen. Die Mädchen nicken gläubig, verschanzen ihre Gesichter fortan hinter ihren riesigen Papiertüten.
„Die jungen Frauen denken, dass Du meine Frau bist“, raunt er ihr mit kindlichem Übermut ins Ohr. „Wenn sich das so verhält, so schenke mir ein Kind.“
Ihr Gesicht spiegelt Unverständnis. Vor seinen Bauch malt er einen Riesenbauch, es verleitet sie zum liebenswerten Oberarmzwicken.
„Mit Frauen soll man sich nie unterstehn zu scherzen“, stiftet er weiter Unfug. „Oder etwa doch?“
Er hält ihr den Mund zu, rechnet mit schmerzhaften Bissen oder lautstarkem Protest als Gegenwehr. Nhim stellt ihren Sitz in die maximale Schlaflage, ein leise pfeifendes Schnarchen begleitet ihr alsbaldiges Einschlummern.
Es ist meine erste Bekanntschaft mit einer leibhaftigen Chinesin, denkt er. Vorausgesetzt, ich klammere die Stippvisite in Schanghai aus und zähle jene Chinesin nicht mit, die mich letzte Woche vor der Bürotür um ein Haar über den Haufen rennt. Wer ist sie wohl? Ihre elegante Garderobe spricht für eine Besucherin. Dass sie die Codenummer für den Sicherheitsbereich des Senators kennt, für eine Neueinstellung in seinem Leitungsbereich. Oder etwa …?
Von Klopp hütet sich vor dem Zuendedenken der Frage, schwenkt um auf Nhim. Die Frage der Mädchen war eine gute Frage. Ganz offensichtlich lockt eine Chinesin die Außenwelt auf eine falsche Fährte. Das Aussehen schenkt unserer Zweisamkeit einen seriösen Anstrich. Er mustert Nhim und ihn befällt die Eingebung, im Schlafen wirkt sie älter als im Wachzustand.
Ein Hotel unweit des Mekong überflügelt in der Außenwirkung und im Foyer das Übliche. Von Klopp zahlt für eine Nacht, sieht sich alsbald getäuscht. Im Zimmer mieft stickigwarme Luft, eine Krach schlagende Klimaanlage sagt eine schlafarme Nacht voraus. Das einzige Fenster führt zu einem Schacht im Halbdunkel, er leitet faulige Gerüche von Küchenabfällen ab, das Bad rät zum Tragen von Fußbekleidung. Von Klopp zieht die schwere Tagesdecke vom Bett, legt als Lichtblick frisch gesteifte Bettlaken frei.
Mit geballten Fäusten prüft er den Gütegrad der Grundlage von Nhims Dienstleistung, dichtet der Sachlage eine Ungewissheit zwischen Weiche und Härte an. Er unterliegt seiner Müdigkeit, erwacht ohne Zeitgefühl. Nebenan pustet der Föhn los, später brummt eine elektrische Zahnbürste, in der kleinen Ewigkeit im Lautlosen durchtobt ihn kein Gedankensturm.
Nhim tritt im luftigen, zart gemusterten Unterkleid heraus, das Gesicht schminkt sie zur Maske. Sie sieht aus wie eine Geisha!, denkt er ergriffen. Die Kleinteiligkeit ihres Körpers vergegenwärtigt er sich im ersten direkten Körperkontakt, seine beiden Handflächen bedecken beinahe die Gesamtheit ihres Hinterteils. Nach zeitraubendem Stillstand übertragen ihre Hände eine springlebendige Art auf seine Liegestellung. Sie überlaufen ihn leichtfüßig und kribbelig wie Ameisen. Das Ungestüme und Unberechenbare legen zu, von Klopp atmet schwer, abrupt stoppen die Hände. Sie beugt einem Kuss vor, ihr Körper schnellt zurück, federt wie auf einem Trampolin.
„Kondom?“, haucht sie.
Nach seiner stöhnenden Einwilligung umkurvt sie seinen aufrecht stehenden Penis, mit Wucht trifft ihre Zunge die runzelige Haut seiner Hoden. Das Stoßende wandelt sich ins Leckende, sie führt es aus wie eine Milch oder Wasser schleckende Katze. Im zwingend Folgenden öffnet er ohne Absicht spaltbreit die Augen. Über ihm schimmert ein Zustand wilder Wallungen. Mit zugekniffenen Lidern setzt sie eine halblaute Beschwörung in Szene, befeuert ihn zu prickelnder Wärme.
In Ruhestellung der verwobenen Körper unter dem Bettlaken fragt er: „Kennst Du die Stadt?“
„Ich Kind hier. Ausflug von Schule.“
Er widmet sich ihrer Brust, sein Tastsinn bestätigt ihre Festigkeit. In mehrfacher Weise findet er Gefallen an diesem Körperteil, spürt alsbald ihre Unruhe.
„Gehen wir“, sagt er einsichtig.
Gutsitzende Jeans und ein knallbuntes T-Shirt kleiden sie ins hübsch Anzuschauende, eine Sonnenbrille mit kreisrunden Gläsern überdeckt kaum ihre Augen. Vor dem Hotel postiert sich eine mannshohe Pflanze mit länglichen, tief gespaltenen Blättern wie ein Wachsoldat. Die Früchte wachsen waagerecht aus dem Stamm, ähneln der Form eines Maiskolbens, fühlen sich samtweich an.
„Wie heißt diese Pflanze?“, fragt er staunend.
„Frucht wie guter Teil von Mann.“
Mit ihrem kindhaften Kichern fliegt die Leichtigkeit ihrer Welt in beide Handflächen. Von Klopp spielt fadenscheinig Entrüstung, wiegelt das aufdringliche Angebot eines Tuk-Tuk-Fahrers ab. Im erregenden Nebeneinandergehen schlägt ihnen mildgewordene Luft entgegen, quirliger Verkehr erzwingt Lautwerden im Reden. Von Klopp lichtet die sinkende Sonne über dem Mekong ab, unweit des Königspalastes die Ansammlung von einem Mann und vier Kleinkindern auf der Sitzfläche eines Motorrollers. Ein Integralhelm schützt den Mann, an den Füßen der zur Hälfte splitternackten Kinder baumeln Flipflops.
Mit einem Tuk-Tuk quert das Paar eine Brücke, findet sich in einer überfüllten Disneylandzone wieder, nach Einbruch der Dunkelheit zeichnen die Scheinwerfer der Fahrzeuge den Straßenverlauf im Fernen friedvoll nach. Eine funkelnde Lichterkette umreißt die Architektur eines Tempels, das Spielcasino feiert das Monopol für ein Sammelsurium vielfarbiger Grellheit.
Zum Essen bevorzugt von Klopp einen Tisch im Freien, üppiger Verkehr wirft drei Meter entfernt seine Schadstoffe aus. Nhims Ellbogen ruhen auf gerundeten Tischkanten, ihre Augen auf einer riesigen Speisekarte, in Hochstellung bildet sie eine Sichtbarriere. Ein Mädchen im Schuleinführungsalter zupft an von Klopps Hemdärmel. Mit herzerweichenden Blicken entfaltet es Geschäftssinn für den Verkauf von Zigaretten, Kaugummis und Süßigkeiten. Von Klopp schenkt dem Kind fünf Dollar, streicht über das lange, glänzende Haar und denkt, einem Jungen schenke ich wahrscheinlich nur einen Dollar.
Das Mädchen wendet sich dem Nachbartisch zu, erntet mangelhafte Umgangsformen. In diesem Alter sehe ich Charlotte zum letzten Mal, befällt ihn die Erinnerung. Aber nur, nachdem ich Sophie vorab hoch und heilig, ach, bei der Ehre meiner Mutter schwöre, mich nicht als der Erzeuger zu outen. Charlotte schlingt einen Rieseneisbecher, wirkt zappelig und zugleich frühreif. Irgendwie …
„Du nichts essen?“, fragt Nhim besorgt.
„Doch. Wieso?“
„Schaust nicht in Karte.“
„Bestell bitte für mich mit.“
Sie wählt für beide eine herzhafte Gemüsesuppe, gegrillte Hühnerfleischstreifen mit Pilzen und eine gebackene Banane in Honig. Im Löffeln der Suppe lobt er ihre vortreffliche Wahl, das Chickengericht erinnert ihn an das Essen mit Betty in Schanghai. Den Nachtisch schiebt er Nhim als Extraportion zu, sie nimmt dankend an.
Die kissengepolsterten Korbstühle mit schräger und rundlicher Lehne laden zum Hineinfläzen ein, sie erschweren das Reden und erleichtern das Schweigen. Schon verloschen sind die Stunden, hingeschwunden Schmerz und Glück, ruft er in sich wach. Fühl es vor! Du wirst gesunden. Traue neuem Tagesblick.
Nhim hält vor ihm Zwiesprache mit ihrem weißen i-phone Vier, in nächster Nachbarschaft tauschen zwei Männer in Französisch mit ausländischer Klangfärbung ihre Vorlieben im Essen und Trinken aus. Im Anschluss schwärmt der Jüngere von seiner Eigentumswohnung am Fluss im Allgemeinen und im Besonderen von der Inneneinrichtung, bis zur letzten Glühbirne stammt sie aus Hongkong. Durch das Gedämpfte der Stimmen schnappt von Klopp allein Wortfetzen auf, in einer Gesprächslücke sieht er aus den Augenwinkeln die schwebende Verbindung einer weißhäutigen mit einer dunkelhäutigen Hand. Im Lauterwerden putschen sich die Männer mit übergenauen Erklärungen über die handwerklichen Feinheiten ihrer Vorlieben von Sexualpraktiken auf. Von Klopp versteht fast jedes Wort, ein Lächeln spielt um seinen Mund. Die beiden Khmerfrauen am Tisch rücken in sein Blickfeld, ihre angejahrten Durchschnittsgesichter entfachen in von Klopp boshafte Freude.
„Wollen wir noch eine Bar aufsuchen?“, wendet er sich Nhim zu.
Dem vollkommenen Mondschein begegnet sie im nachdenklichen Lächeln, von Klopp deutet ihr Schweigen als Zustimmung, winkt den Kellner für die Rechnung herbei. Nhim kramt in ihrem Stoffhandtäschchen.
„Du bist natürlich mein Gast“, sagt er geschwind. „Das gilt bis zum Ende unserer Tage.“
Sie setzt die Suche fort, bringt einen Zettel zum Vorschein, überreicht ihn von Klopp. Er breitet das Papierstück bedächtig auseinander, als erstbeste Lichtquelle fällt ihm sein Handylicht ein. Der blaue Stempel stammt vom Medicincenter in Siem Reap, rote Farbe kringelt ohne Ausnahme die Minuszeichen ein. Mit einer weit ausholenden Unterschrift bestätigt der Unterzeichner dem untersuchten Patienten das Ergebnis HIV-negativ. Als Nächstes präsentiert sie ihm das Foto eines Kleinkindes.
„Dein Kind?“
Ihr Mutterstolz lässt die Augen leuchten, den Kopf heftig nicken.
„Junge oder Mädchen?“
„Ein Junge.“
„Wie schön. Und wer ist der Vater?“, erwacht Neugier in ihm.
„Mann aus Japan. Armer Mann. Student.“
„War er …?“, gerät sein Taktgefühl ins Hintertreffen.
„Kind bei meiner Mutter“, hastet sie hervor. „Schicke Geld. Mutter nicht arbeiten. Nicht möglich. Sehr krank. Großvater tot. Schicke viel Geld.“
In einer Vierundzwanzigstundenbar unterhalten die Bardamen am langen Tresen wenige Männer mit mittelschwerer Schlagseite. Das Gros der Gäste breitet sich über die Tische im Freien aus, die Zuwendungsdienste von Frauen kommen nur im Einzelfall zum Zuge. Von Klopp wirkt müde, trinkt sein Bier wie alle aus der Flasche, Nhim passt sich ihm und der Gepflogenheit an. Unversehens baut sich eine junge Schönheit vor ihm auf, er nickt zum Rauchangebot. Sie steckt ihm eine Zigarette in ihrem Mund an, er pafft seit Jahren den ersten Zug. Nhim entreißt ihm kurzerhand den Glimmstengel, verschluckt sich fürchterlich im Rauchen, wirft der anderen Frau finstere Blicke zu. Die schmucklose Hand dieser Frau beansprucht die Lehne des freien Stuhles am Tisch.
„Willst Du Geschichte hören?“ fragt Nhim überschwänglich, gibt ihm die Zigarette zurück. „Geschichte von mir?“
„Gern“, brummt er, drückt die Zigarette am Tischbein aus.
Nhims Vater stammt aus einem Provinznest nahe der Grenze zu Vietnam. In der Suche nach einem Broterwerb übertritt er die Grenze, landet in Hongkong. Ein reicher Chinese stellt ihn gegen einen Hungerlohn als Gärtner und Chauffeur ein. Nhims Vater fährt die Tochter seines Arbeitgebers zum Reiten und zum Tanzunterricht. Die Liebe zu den Blumen und dem Gefieder in den weitläufigen Teichanlagen auf dem Grundstück teilen die Tochter und der Khmer im Besonderen. Der Schwangerschaft der Tochter begegnet der Chinese mit eisiger Bestimmtheit. Er fordert von ihr eine Abtreibung, händigt ihr eine Telefonnummer aus, verstößt den Khmer. Das junge Paar flieht nach Kambodscha, in das Heimatdorf des Khmers. Nhim wächst mit drei jüngeren Schwestern auf, sie erblicken im Jahresabstand die Welt. Die Mutter leistet auf den Feldern schwere Arbeit, die Familie lebt mit Kühen und Ziegen unter einem Dach. Die Schwestern klettern in der Hierarchie ins Sorgenfreie, sie heiraten einen Polizeioffizier, den Inhaber mehrerer Restaurants und einen Geschäftsmann in einem anrüchigen Gewerbe. Keine Schwester unterhält Kontakt zu Nhim, nach dem Tod des Vaters unterstützt allein Nhim ihre Mutter.
„Warum hilft keine Schwester Eurer Mutter?“, erwacht seine Neugier.
„Schwestern leben in Zorn auf Mutter“, erklärt sie erregt. „Keine Verbindung zu reichem Großvater. Denken, Aufwachsen mit Großvater ohne Hunger und Armut. Schon in Kinderjahren schönes Leben.“
„Vielleicht unternahm Deine Mutter Versuche, aber Dein Großvater lehnte eine Versöhnung ab.“
Nhim holt tief Luft, sagt: „Mutter nicht getan. Aus Liebe zu Mann. Schwestern wissen es aus Mund von Großvater. Besuchen ihn vor Jahren auf eigene Faust. Vielleicht Freude im alten Mann. Sehen alle aus wie Mutter, nicht wie Vater.“
„Woran starb Dein Vater?“, hakt er wissbegierig nach.
Jäh ändert sich ihr Gesicht ins Furchtsame und Hassende.
„Nicht genau wissen“, flüstert sie. „Aber! Vor drei Jahren fährt jüngste Schwester, Frau von Geschäftsmann, zu Großvater. Kommt zurück. Vater fährt auf Baustelle nach Vietnam. Tot.“
„Du glaubst“, schlussfolgert er verblüfft, „Dein Großvater steht in einer Verbindung mit dem Tod Deines Vaters?“
„Rechen Du Eins und Eins und Eins und Eins zusammen“, fordert sie mit hoher Stimme. „Schwester kennt Ort, wo Vater Arbeit nachgeht. Mann dieser Schwester tut alles für Geld und Großvater lebt bei Vater Gefühl von Hass. Nach Vatertod fährt Schwester mit Mann für drei Monate nach Amerika, nach Las Vegas. Wirft Geld in die Wüste.“
Von Klopp leert sein Bier, bohrt weiter: „Der Ehemann einer anderen Schwester ist ein hoher Polizeibeamter. Fand er wenigstens Näheres über die Umstände des Todes heraus?“
„Arbeit mit halbem Herz“, beteuert sie. „Banditen wollen sein Geld. Vater sagt nein, sagt Polizist. Vater ruft Hilfe. Erschießen ihn wie Hund. Ist Quatsch. Vater sieht arm aus wie Bettler, ist arm wie Bettler. Polizist sagt, Mörder flieht huschhusch über Siebenberge.“
Für den Nachhauseweg misstraut von Klopp seiner Orientierung, ein Tuk-Tuk setzt sie zweihundert Meter weiter vor dem Hotel ab. Sein nachhaltiger Aufholbedarf im Geschlechtsverkehr regt sich im Beisein des Getöses der Klimaanlage und im Durchzug frischer Nachtluft. Im Supermarkt neben dem Hotel kauft er eine Flasche trockenen Rotwein, dem stummen Kundenwunsch entspricht sie mit sanftmütigen Hingabeelementen im Auserwählten.