Читать книгу Eine Frau für Mama - Elmar Zinke - Страница 5
Kapitel 3
ОглавлениеEin Traum zeigt von Klopp mit Betty am Pool seines jetzigen Hotels. Er liegt auf dem blanken Gestell einer Liege, Betty führt Kunststücke eines Zirkusakrobaten vor. Ihre Hände werfen und fangen tennisgroße Bälle, mal drei und mal vier. Klingenlange Messer schlagen in eine Palme ein, an einer Holzwand umreißen vier Äxte ein Quadrat. Im Badeanzug springt Betty ins Wasser, speit aus dem Mund eine Stichflamme, ihr Abtauchen löscht das Feuer. Der Traum reißt ihn im Morgengrauen aus dem Schlaf, die Rückholaktion der Traumbilder macht von Klopp hellwach. Wieso diese Betty und nicht Ball?, denkt er. Er versucht sich im Bücherlesen, ermüdet alsbald für die Reststunden bis zur üblichen Frühstückszeit.
Der Helfershelfer von gestern schwingt von Klopp die Ausgangstür auf, sein Gesicht kündet von verschworener Nähe. Vor der Hotelanlage riecht von Klopp den Geruch von frisch gemähtem Rasen, der Tuk-tuk steht im Schatten eines laubreichen Baumes, der Fahrer wienert den Lederbezug der Rückbank. Nach der Handreichung stellt sich von Klopp mit Martin und der Fahrer mit Dschin vor. Von Klopp steigt ein, breitet über seine bedeckten Oberschenkel eine Karte von der weitläufigen Tempelanlage Angkor. Er kennt die Vorzeigeobjekte aus dem Vorjahr, nennt sie Dschin. Dschins skizzierte Streckenführung beugt einer Wiederholung vor, findet ein gesundes Maß zwischen der Entfernung und der Bedeutsamkeit der Sehenswürdigkeit.
„Angkor Wat möchte ich natürlich wieder sehen“, spricht von Klopp in Vorfreude. „Als krönenden Abschluss.“
Geschmeidig ordnet sich Dschin in einen gut fließenden Verkehr ein, zwischendurch lobpreist er den Fußball in Deutschland. Die Namen Schweinsteiger, Klinsmann und Beckenbauer fallen, der Fahrgast quittiert die Namensnennungen mit nickender Zustimmung und denkt kurz über die Generationenabfolge nach.
Dschin breitet sein mittelprächtiges Fußballwissen weiter aus, eine Leerstelle nutzt von Klopp zur Frage: „Tamatei, was bedeutet dieses Wort?“
Der Fahrer bezeugt stumm seine Unwissenheit, ohne Erfolg schiebt von Klopp alle gängigen Betonungsvarianten hinterher. Die Sonne legt an Stärke zu, das multinationale Touristenheer fällt über die Tempelstadt im Urwald her. Sein Kopf speichert Ankors Bilder lupengenau ab, das magische Nimmersatt auf das Kommende bleibt bestehen. Er klettert emsig Tempelgipfel empor, weidet sich am Ausblick ins Malerische. Er schluckt den feinen Staub halbdunkler Gänge, häufig zwingt die Enge zum gebeugten Gehen. Von Klopp fotografiert weniger als die meisten Touristen, die eigene Person spart er grundsätzlich aus, die hundertfache Vielfalt von in Stein gehauenen Figuren erklärt er allesamt zu Studienobjekten. Er betastet die Reliefkunst und denkt, keine Ahnung, warum mich der Direktkontakt genauer an alles erinnert. Aber es ist so.
Während der langen Strecke zu Prasat Sour Prat drängen Luxusreisebusse den Tuk-Tuk durch dröhnendes Hupen auf den unbefestigten Straßenrand, in Folge sieht von Klopp mehrfach eingerüstete Ruinen und Trupps von Restauratoren. Anstatt Unsummen in die Restaurierung zu stecken, täten die Menschen besser, hier alles beim Alten zu lassen, grübelt er. Wiederaufbau bedeutet Nachahmung. Dieses Handeln besiegelt den endgültigen Ruin für die Pracht und Herrlichkeit einer versunkenen Welt.
Angkor Wat verabreicht lähmende Frühnachmittagsglut, im Schatten eines Restaurantsonnenschirmes überwältigen von Klopp die fünf Lotosblumentürme im schillernden Licht. Er dankt einem Halbwüchsigen zwinkernd für den Kaffee, löffelt einen Zuckerwürfel flüssig. Angkor, das Taj Mahal, Machu Picchu, denkt er mit geschlossenen Augen. Das ist ewige Schönheit, ewige Würde, ein ewiger Hauch des Rätselhaften. Nimmt die große Liebe es auf mit diesen Weltwundern? Im Einzigartigen! Träume ich mich immer noch ins Unverbesserliche?
Dschins Tuk-tuk steht inmitten hundert Anderer, der Fahrer nutzt die Wartezeit zu einem Nickerchen. Von Klopps Kameraklicken weckt ihn, die Beine und der Kopf schrecken hoch, in den Augen überwiegt das Eingeständnis einer Bloßstellung.
„Was kannst Du mir noch zeigen?“, fragt von Klopp.
„Es gibt eine Krokodilfarm“, antwortet der Andere eilfertig, schüttelt die letzte Müdigkeit ab.
Die Farm liegt unauffällig in Siem Reaps Stadtmitte, die Tickettverkäuferin wirkt verschlafen wie der Vorplatz. Die Reptilien bevölkern hundertfach im dichten Nebeneinander und Übereinander ein halbes Dutzend Wasserbecken mit Auslaufzone. Von Klopp lehnt sich auf die wackelige Brüstung, schießt eine Reihe Fotos. Sie sehen aus wie tot, denkt er. Angesichts der körperlichen Unversehrtheit stimmt der Vergleich aber nur bedingt. Sie schauen aus wie ausgestopft.
Zwei junge Amerikaner nähern sich von Klopp, der Größere trägt einen Rucksack mit Schlafsack, Isomatte und Kochgarnitur, der Andere trägt ein Huhn vor der Brust. Direkt vor dem Deutschen packt er das Tier an den Flügeln, wirft es in das Becken. Die Reptilien lauern mehr im Wasser als an Land, schlagartig entbrennt ein erbittertes Ringen um das Nahrungsmittel. Das Huhn hüpft lautstark gackernd über mehrere Krokodilrücken, stemmt sich mit hektischem Geflatter gegen das Schicksal. Ein Reptil dreht sich blitzartig, mit weit aufgerissenem Maul schnellt der Kopf hoch, besiegelt das Aus.
Im übertrieben heruntergekühlten Shop locken farbenfroh und ideenreich Taschen aus Krokodilleder zum Kauf. Mittendrin stehen wie Zierrat ausgestopfte Reptilien in den Längenmaßen eines erwachsenen Unterarmes bis zu eines dreijährigen Kindes. Die Amerikaner kaufen ein Präparat in mittlerer Größe, von Klopp erwägt nur kurzzeitig den Erwerb eines Portmonees für seine Mutter.
Am Pool klickt er die Aufnahmen von der Krokodilfarm in der Kamera durch und denkt, was für eine Tierquälerei. Wer aber lädt die größere Schuld bei diesem mörderischen Akt auf sich? Der Verkäufer des Huhnes oder diese beiden Amerikaner, die das Lebendfutter kaufen? Von Klopp setzt die Fotoschau fort. Von Ball habe ich gar kein Bild, stutzt er, schiebt die Sonnenbrille zur Nasenspitze. Er greift sich den Reiseführer vom Kopfende des Liegestuhles, blättert. Die stärkste Regung ruft jenes Bild hervor, das Heimatgefühle weckt, denkt er. Verrichtet sie etwa ihre Arbeit gegen ihren Willen? Oder gar unter Zwang? Im fortgesetzten wahllosen Suchen taucht ein umfangreicher Sprachführer zuzüglich des Khmeralphabets auf. Er denkt an Balls Hinterlassenschaft im Notizbuch, wühlt im Tagesrucksack nach ihm.
„Heute neue Lady?“, hört er hinter sich Munnys gedämpfte Stimme.
Munnys Gesäß findet Halt am Fußende der Liege, von Klopp blickt ihn stumm an, greift zum Wasserglas.
„Weißt du“, sagt der Ältere beinahe wehmütig, „was gestern auch schön war? Die Fahrt mit Deinem Motorroller. Ich besaß in jungen Jahren ein Zweirad und war auf ihm ein glücklicher Mensch. Die letzte Fahrt bleibt leider in unguter Erinnerung. Sie endete im Straßengraben. Ich kam glimpflich davon, mit wenigen Schürfwunden, aber meine Mitfahrerin landete mit zwei Rippenbrüchen im Krankenhaus. Im Krankenbett warf sie mir schrecklichen Leichtsinn vor. Ich durfte sie nicht mehr besuchen und außerhalb der Schule nicht mehr sehen. Sogar Briefe mit eigenen Liebesgedichten änderten nichts mehr. Vorbei war die erste Liebe.“
„Nicht nur eine Frau supersexy“, reagiert Munny mit wippenden Augenbrauen. „Bekommen Liebe von neun Ladys? Oder zehn? Wie Held.“
Von Klopp trinkt etwas, lächelt nachsichtig.
„Diese Zahl, mein Freund, übersteigt meine Fähigkeiten. Und meine Wünsche.“
Munny nickt wie ein Diener, seine Augen bitten um weitere Worte.
„Aber eine Frau, warum nicht“, spricht von Klopp bedächtig, „Ich bin frei. Ich betrüge niemanden. Höchstens mich selbst.“
Munnys Stirnrunzeln bekundet eine Verständnisschwäche.
„Außerdem handle ich im Auftrag der Königin“, spricht von Klopp, spielt ein strenges Gesicht vor.
Der ovale Pool füllt sich mit jungen Paaren und Kindern, eine dunkelhäutige Schönheit vollführt einen mustergültigen Hechtsprung ins Wasser, taucht am Mittelpunkt des Beckens wieder auf.
Munny kichert in die vorgehaltene Hand, sagt: „Verstehe. Königin ist Mama. Mama gibt Geld für schöne Frauen. Zehn Uhr?“
Von Klopp schmäht den Anderen mit einem Blick, nickt ihm als nächstes zu. Der Page streckt den rechten Daumen in die Höhe, den kleinen Finger derselben Hand nach unten, drückt die Spitze des kleinen Fingers derselben Hand gegen die Lippen. In Folge sieht von Klopp den Pagen leere Gläser aufsammeln und längere Zeit mit einem älteren weiblichen Hotelgast reden.
Munny spricht über seine Herkunft. Er wächst mit vier Geschwistern im Grenzgebiet zu Laos in bescheidenen Verhältnissen auf, der Vater arbeitet als Reisbauer, die Mutter versorgt die Kinder und beide Elternpaare. Von Munnys Arbeit im Hotel weiß jeder im Dorf, er schickt einen Großteil seiner Einkünfte nach Hause. Die Höhe der Zuwendungen trägt der Familie im Dorf einen überaus tadellosen Ruf ein, er nähert sich dem Ruf des Dorfältesten. Die Frau mit wabernden Elementen steckt ihm fünf Dollar zu, nach einer Verbeugung setzt er seine Arbeit für einen Hungerlohn im Foyer fort.
Verstohlen mustert von Klopp die Damengesellschaft auf der gegenüber liegenden Poolseite. Sie liefert gehäuft Beispiele für Dickleibigkeit und Magersucht. Im Handumdrehen ärgern ihn die Bauchringe oberhalb seiner Badehose und sein Fußpilz. Er schwärzt mittlerweile den zweiten großen Zeh. Von Klopp wirft ein Handtuch über die Füße und gelobt Besserung im Umgang mit den Übeln. Anstoßklänge von Rotweingläsern tönen von Klopp entgegen, mit regloser Miene greift er zur Wasserflasche.
Von Klopp fühlt sich auf Munnys Motorroller wiederum um Jahre verjüngt, die Strecke kommt ihm kürzer vor als am gestrigen Tag. Der Vorhof des Servicecenters und die Eingangshalle gähnen vor Leere. Gestern war Dienstag, heute ist Mittwoch, denkt er. Worin besteht der Unterschied? Das Herumstehen und Alleinbleiben stacheln ihn zu einem Rundgang an. In mehreren Räumen schlafen Zimmerfrauen, nach mehreren Frauenzimmern gewinnt er den Eindruck des Klinischsauberen. Er geht entfernten Geräuschen nach, findet sich in einer Überwachungszentrale wieder. Aus dem Flachbildfernseher lärmen Kungfukampfszenen, auf den Monitoren flackern in mehreren Perspektiven die Außenbereiche der Anlage, die Mitarbeiterinnentoiletten und die Flure.
„Hallo Sir.“
Die tiefe Stimme hinter ihm gehört Ladymama. Ein olivgrünes Kostüm umspannt ihren Körper, es nähert sich dem Zerplatzen. Das runde Gesicht mit auffällig kurzen Wimpern kündet von Strenge und Kälte, die Gesichtshaut ähnelt gehärtetem Teig, Ringe übersäen dickfleischige Finger.
„Hallo.“
„Gehen wir in mein Office“, kommandiert sie im guten Englisch.
Ihre Schritte hallen auf den Terracottafliesen, in ihrem Besprechungsort setzt er sich ohne ihr Geheiß auf eine plüschige Couch. Sie streckt sich über die Gesamtheit der Längsseite, seitlich prunkt ein Mahagonischreibtisch mit Einlegearbeiten und vergoldeten Löwenfüßen.
„Möchtest Du ein Bier trinken?“, fragt sie, die Stimme klingt hörbar freundlicher.
Er entdeckt ihren Ohrknopf, am Hinterteil zwei Handys, sagt: „Ja, gern.“
Im strammen Dastehen schickt sie kurze abgehackte Sätze durch ein Walkie-Talki. Sie öffnet eine kühlschrankkalte Flasche Heineckenbier, füllt einen Wasserkocher, brüht sich grünen Tee mit einem Teeei auf. Nach dem behäbigen Umrühren von Kandiszucker schneit eine Handvoll junger Frauen herein, in kurzen, schnellen Schritten eilen sie dem Freier entgegen. Zur Erhöhung der Gunstchancen schaben lanzenspitzenförmige Fingernägel über seine Handrücken, ein Fuß wirft klobigen Ballast weg, erobert friedfertig von Klopps Waden. Von einem Kopf fällt hochgestecktes Haar herab, an einer anderen Stelle zaubert heftiges Kopfschütteln eine vollkommen neue Frisur herbei.
„Frauen müssen arbeiten“, wirft die Chefin ein. „Welche Frau willst du? Oder alle Fünf?“
In von Klopp mischt sich das Unentschlossene, Ablehnende und Forsche ins Durcheinander, Ladymamas Teeschlürfen unterbricht die Grabesstille. Nach einem unsicheren Augenaufschlag tritt ein Augenkontakt ohne Absicht ein, flugs wähnt sich die Angeschaute als Siegerin, drückt dieses Gefühl aus. Ihre kleine Hand gedenkt seine Hand zu verschlingen wie eine Schlange ein übergroß erscheinendes Beutetier.
„Ihr Name ist Sovann“, mischt sich Ladymama ein. „Ein Geschenk als Kostprobe für eine Nacht.“
„Das ist sehr freundlich“, reagiert von Klopp geradezu betreten.
„Komm morgen um Fünf“, gehen ihre Worte schnörkellos über die Lippen, „Wie ich höre, willst Du eine Frau für längere Zeit kaufen. Oder ganz lange. Bring genug Dollar mit. Vielleicht ist Sovann die Richtige. Oder eine andere.“
Sovann tritt mit Ladymama in einen kurzen Wortwechsel, kneift im Gehen seinen Unterarm. Im Eingangsbereich ruft eine Minibusladung japanischer Krawattenmänner wildes Geschrei hervor, die Gruppe drückt den Altersdurchschnitt der mittlerweile anwesenden Kundenschar. Munny begrüßt von Klopp und seine Begleitung mit einem strahlenden Gesicht, im Hotel dankt er dem Gast die Zwanzigdollarnote mit einem ehrerbietigen Gruß.
„Was bedeutet Dein Name?“, will von Klopp im Zimmer ein nettes Gespräch ankurbeln.
„Kondom?“, nimmt sie ruppig einen Themenwechsel vor.
Von Klopp klärt sie über das Schubfach des Nachtschränkchens als Platz des Erfragten auf, sie vergewissert sich, lächelt zufrieden. Das Ausziehen des Wenigen übernimmt sie zügig und selbständig, in Splitternacktheit sinkt sie in eine steife Schneidersitzpose. Sie legt ihre gefalteten Hände über ihren gekreuzten Beinen ab, ihm fällt der Vergleich mit einer Buddhafigur ein. Ohne äußere Einwirkung bringt sie sich in die Stellung einer horizontalen Erscheinungsform, unverzüglich trifft sie die Sicherheitsvorkehrung, wartet in ihrer Kernkompetenz mit hochgradig zielführenden Liebetechnologien auf.
Im körperlichen Auseinander trällert Sovann volkstümlichen Singsang los. In andächtiger Ergriffenheit bringt sie nicht die melodische Weite einer ganzen Liedstrophe zu Gehör, unentwegt wiederholt sie die Kurzform einer Liedzeile. Im Nachgang kommt zuerst die Zigarette und dann Lady in black, übermannt ihn die Erinnerung. Zuerst die einführenden Instrumentenklänge mit variantenreichen Wiederholungen wie bei einem Livekonzert, dann der Text und diese rauchige Stimme.
Sovanns Abgang entgeht von Klopp, die Spülung der Toilette klärt ihren Aufenthaltsort. An der Zimmertür verabreicht sie ihm Wangenhauchen, er entlässt sie mit einer unzureichenden Dollarnote. Er denkt weiter an Sophie zurück, bezieht die gemeinsame Tochter Charlotte ein. Viel Gin und wenig Tonic wehren die zeitlos lauernde Selbstanklage ab.