Читать книгу Schulalltag konkret - Elsbeth Würzer - Страница 8
B Beispiele
ОглавлениеB1 Im Werkunterricht, der nach sechs Lektionen den Schulalltag beendet, wird die elektrische Säge für eine Arbeit gebraucht. Philipp kam am Morgen das dritte Mal in dieser Woche zu spät in den Unterricht, hat diesen den ganzen Tag, wie so oft, mit lauten Kommentaren, die nichts mit der Schule zu tun haben, gestört und andere Schülerinnen und Schüler abgelenkt. Als Philipp ein ganz kleines Stück Holz schneiden will, sagt ihm die Lehrperson, dies sei zu gefährlich, er solle es von Hand sägen (die Finger könnten verletzt werden). Philipp beginnt mit ihr zu diskutieren und will sein Vorhaben durchsetzen. Die anderen 15 Lernenden sind wie immer abgelenkt und verfolgen die Szene. Daraufhin lässt er die Maschine an und zersägt das kleine Stück vor den Augen der Lehrperson.
B2 Kevin ist in der 5. Klasse sehr auffällig. Jeden Tag gibt es einen Vorfall mit ihm. Ständig klopft er mit einem Stift auf das Pult, während die anderen Lernenden ruhig arbeiten wollen. Er zerkratzt seine Unterlagen, arbeitet nicht mit oder sperrt sich zum Beispiel mit einer Schere in der Toilette ein. Im Fach Musik gab die Musik-Fachlehrperson eine kurze Einführung zur Prüfung. Da ist es so ausgeartet, dass Kevin den Unterricht immer wieder unterbrochen hat mit Sätzen wie: «Ich bin behindert. Ich bin doof. Ich will ficken lernen.»
B3 Die 4. Klasse ist an einer stillen Arbeit. Reto will diese Einzelarbeit nicht machen; er geht deshalb nach vorne zur Lehrperson und sagt ihr das. Diese versucht, ihn zu motivieren, indem sie ihm bei der ersten Aufgabe hilft. Reto geht zurück an seinen Platz und macht die Arbeit selbstständig fertig. Die Lehrperson sieht die gelungene Arbeit und lobt Reto für die gute Arbeit. Kurz darauf radiert Reto alle Antworten aus und ruft: «Gefällt es Ihnen immer noch?»
Die Beispiele stehen stellvertretend für Belastungen, die als Einzelphänomen nicht besonders ins Gewicht fallen würden; aber hinter jeder Situation stehen unzählige Wiederholungen in allen möglichen Schattierungen, das Repertoire an Reaktionsweisen kennt keine Grenzen. Grenzenlos wird mitunter auch die Ohnmacht vieler Lehrpersonen, vor allem auch der Fachlehrpersonen, die nur wenige Lektionen in einer Klasse unterrichten (wie B2 veranschaulicht). Hinter jedem dieser Beispiele stehen persönliche und individuelle (Leidens-) Geschichten. Reihen sich über Tage und Wochen hinweg solche Ereignisse aneinander, so schwindet das Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit, kann der Ärger wachsen, macht sich Ohnmacht breit – und die Arbeit kann im wahrsten Sinne des Wortes immer schwerer lasten.
Ein «schwieriger Schüler» allein, so glauben viele Lehrpersonen, wäre in einer Klasse durchaus tragbar oder ertragbar. Doch in vielen Klassen ist der «schwierige Schüler» kein Einzelfall. Im Zusammenhang mit der Auflösung von Kleinklassen, der Erhöhung der Klassengrössen kumulieren sich in vielen Klassen die «schwierigen Schüler», die Probleme, die Sorgen, der Frust der Lehrperson. Zusätzliche Lehrpersonen, schulische Heilpädagogen, die Schulsozialarbeit sind oft eine Hilfe und Erleichterung, doch viele Schwierigkeiten sind Teil eines grundlegenden Beziehungsmusters des Kindes oder haben tiefere familiäre Wurzeln und lassen sich selten rasch beheben. Schwierige Konstellationen müssen sowohl von Lehrpersonen als auch von Mitschülerinnen und -schülern oft über längere Zeit ausgehalten werden. Manch eine Lehrperson ist froh, in solchen Fällen nur wenige Lektionen in der fraglichen Klasse zu erteilen.