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C Theorie Was ist ein «schwieriger Schüler»? – Versuch einer Definition
ОглавлениеBeim Versuch, den «schwierigen Schüler» zu definieren, stolpert man sogleich über die beiden Tatsachen, dass erstens das «schwierige» Verhalten eines Lernenden nicht für jede Lehrerin, jeden Lehrer ein Problem darstellt und dass sich zweitens dieses Verhalten nicht bei jeder Lehrperson zeigt (auch nicht in allen Gruppenkonstellationen). Gleichwohl wäre es verfehlt, das Verhalten des «schwierigen Schülers» nur als Reaktion auf Umstände, auf eine bestimmte Lehrperson, ein bestimmtes Schulfach, eine Gruppendynamik usw. einzustufen. Dies hiesse zu verkennen, dass hier ein junger Mensch mit einer Geschichte – einer Schulkarriere mit Ecken und Kanten oder einer belasteten Familiengeschichte – beteiligt ist. Plakative Schuldzuweisungen an die Adresse der Eltern oder an die Lehrpersonen sind zumeist Ausdruck der Ohnmacht der Beteiligten, Ausdruck der Not, der schlaflosen Nächte, des Zweifelns, der Hilflosigkeit. Oft fliessen Vereinfachungen in eigene Erklärungsversuche ein. Mal sind sie Trost, weil die Ursache nicht bei einem selbst liegt, mal bestätigen sie das eigene (Vor-)Urteil.
Doch wie könnte man den «schwierigen Schüler» allgemein definieren? Eine erste mögliche Definition liefern Klein und Krey (2001):
«Schwierig ist der Schüler, den wir als schwierig empfinden.» (A. a. O., S. 3)
Die Lehrperson wird hier zur Ursache des Erlebens, unter Umständen zur Ursache der Probleme erklärt. Das «Schwierige» liegt in ihrem persönlichen Erleben begründet. Wäre ihre Empfindung anders, wäre das Problem nicht (mehr) da. Unserer Meinung nach stellt diese Definition für die betroffene Lehrkraft keine grosse Hilfe dar und betrachtet nur eine Seite der Medaille. Diese Sicht verkennt, dass der Lehrperson ein Mensch gegenübersteht, der auch empfindet, wertet, agiert und reagiert. Die Probleme sind oft nicht nur auf einer Seite zu finden. Eventuell könnte eine andere Lehrperson mit einem anderen – allenfalls erweiterten – Handlungsrepertoire mehr Erfolg haben.
Das Erleben der eingeschränkten Selbstwirksamkeit angesichts eines «schwierigen Schülers» kann zu einem gewichtigen Stressfaktor im Lehrberuf werden (→ Kapitel 9, Belastungen im Lehrberuf). Die Folgen können gravierend sein und sich in somatischen und/oder psychosomatischen Beschwerden äussern. Nicht nur die von Burn-out stark betroffenen Lehrpersonen müssen dies erleben. Auch erfahrene und erfolgreiche Lehrpersonen wissen von Klassen oder Schülern zu berichten, die sie in ihrem Glauben an die eigenen persönlichen Fähigkeiten erschüttert haben.
In einem zweiten Versuch könnte man einen Schritt weiter gehen und das Verhalten und dessen Auswirkungen beschreiben:
Ein «schwieriger Schüler» sticht durch sein unangenehmes und auffälliges Verhalten über längere Zeit hervor und stört die Lehrperson, den Unterricht und/oder das Klassenklima ständig auf irgendeine negative Art und Weise.
Diese Definition ist deskriptiv und bezieht das Umfeld (Mitschülerinnen und Mitschüler), den Rahmen und die Lehrperson mit ein. Ebenso wird die Beschreibung ergänzt durch die Faktoren Zeit und Zielgerichtetheit.
Doch was ist die Ursache von schwierigem Verhalten? Nicht jedes solche Verhalten ist stets destruktiv, vielleicht erreicht ein Schüler nur auf diese Art und Weise Beachtung, die andere durch Leistungsbereitschaft erfahren, eine Möglichkeit, die dem störenden Schüler jedoch – aus welchen Gründen auch immer – verschlossen bleiben. Jeder Mensch sucht auf seine Art eine soziale Beziehung. Manchmal ist die Sehnsucht nach Aufmerksamkeit auch übersteigert, oder Eifersucht und Konkurrenz versperren den Blick für die Realität. Eine Lehrperson versucht zumeist auf verschiedene Art und Weise, auf die verhaltensauffälligen Lernenden zu reagieren, und kommt nicht selten an Grenzen des möglichen Repertoires.
Der Versuch einer eigenen Definition wird immer länger, wenn wir weiter ergänzen:
Ein «schwieriger Schüler» sticht durch sein unangenehmes und auffälliges Verhalten über längere Zeit hervor und stört die Lehrperson, den Unterricht und/oder das Klassenklima ständig auf irgendeine negative Art und Weise. Er lenkt permanent die Aufmerksamkeit der Lehrperson auf sich und neigt dazu, deren Grenzen auszuloten. Die Lehrperson hat oft das Gefühl, nichts ausrichten zu können, weil sie schon alles Mögliche ausprobiert und sich das Verhalten des Lernenden nicht geändert hat.
Auch Klein und Krey (2001) sehen objektive Kriterien, die ein Verhalten als «schwierig» erkennen lassen und eine präzisere Definition erfordern:
«Schwieriges Verhalten ist Ausdruck fehlender sozialer Kompetenzen.» (S. 4)
Dieser Erklärungsversuch ist kurz, weil er das Verhalten mit seinen Mängeln ausdrückt. Die Beschreibung ist personenunabhängig, das heisst, das Erleben der Lehrperson und der Orientierungsrahmen spielen darin keine Rolle. Sie überzeugt durch «Neutralität». Nicht alle Lehrpersonen kennen das Gefühl der Hilflosigkeit bei einem oder mehreren «schwierigen Schülern». Durch das Fehlen einiger wichtiger sozialer Kompetenzen bei einem oder mehreren Lernenden können sich tatsächlich störende Verhaltensweisen und Haltungen ausbreiten, wie zum Beispiel Rücksichtslosigkeit, geringe Frustrationstoleranz, sich über Regeln und Grenzen hinwegsetzen, nicht zuhören usw. Fehlende soziale Kompetenzen müssen jedoch nicht zwingend schwieriges Verhalten auslösen.
In neueren Fachpublikationen findet man Begriffe wie «verhaltensauffällig», «verhaltensoriginell», oder es ist die Rede von «erwartungswidrigem» und «herausforderndem» Verhalten. Im Rahmen der integrativen Schulung ist die Bezeichnung «Kinder mit besonderen Bedürfnissen» am gebräuchlichsten (→ Kapitel 6, ADHS). Dazu ergänzen die psychiatrischen Kürzel POS1 und AD(H)S2 die Bezeichnungen des «schwierigen Schülers» und werden manchmal synonym zum Begriff der Verhaltensauffälligkeiten gebraucht (Göppel 2010, S. 202 f.).
Verständnis und Vorgehensweise gegenüber verhaltensauffälligen Schülerinnen und Schülern haben sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Heute ist es selbstverständlich, dass vertieft die Ursachen eines auffälligen Verhaltens ergründet werden.
Becker bezeichnet den «schwierigen Schüler» in seinem Buch «Lehrer lösen Konflikte» als «Problemschüler». In seiner Umschreibung bringt er unseres Erachtens einen Punkt besonders deutlich zum Ausdruck: Die Problemschüler sind bei der Lektionsvorbereitung der Lehrperson immer präsent (Becker 2006, S. 132). Sie fragt sich bei jedem Planungsschritt, ob das Vorhaben wohl in dieser Form gelingen wird, ob eine bestimmte Methode nicht derart viel Unruhe in den Unterricht bringt, dass ein Arbeiten nur noch schwer möglich ist, usw. Die Lehrperson verliert in dieser täglichen Arbeit den Schwung, braucht bei diesen Abwägungen viel Zeit, und die Motivation sinkt. Dies hat wiederum einen Einfluss auf die Klassenführung und damit direkt auf die Lernenden: ein Teufelskreis.
Wenn dieser Zustand erreicht ist, besteht Handlungsbedarf. Es darf nicht sein, dass ein oder mehrere verhaltensauffällige Kinder in einer Regelklasse das Lernklima derart dominieren, dass viele Heranwachsende in ihren Bedürfnissen zu kurz kommen.