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Die fünfte Jahreszeit
ОглавлениеReginas Horoskop: Ihre gute Laune könnte dadurch getrübt werden, dass Sie sich unter Druck gesetzt fühlen. Locker bleiben. Man muss die Feste feiern, wie sie fallen.
Es gibt jemanden in Ihrem Leben, der nur darauf wartet, dass Sie den ersten Schritt wagen. Trauen Sie sich!
Regina hatte für den Fasching so gar keinen Nerv. In diesem Jahr blieb ihr der Hexenrummel und die Weiberfastnacht erspart und dennoch ließ sie sich dazu überreden, wenigstens zu einer dieser Veranstaltungen, am Samstag, zu gehen. Ihre Bekannten versprachen, dass die Party poppiger und knalliger werde als je zuvor. Einen spektakulären Liveact, ein neunziger Revival mit einem abgedrehten DJ Team an den Plattentellern, einem verrückten Science-Fiction Kostümwettbewerb und einer Überraschung, jedesmal, wenn die Konfetti-Kanone explodiert.
„Was ist das denn für ein Kaffeekränzchen?“, fragte Regina zaghaft in die Runde und schüttelte ihren Kopf.
Alle Damen an ihrem Tisch brachen in helles Gelächter aus und machten sich fast in die Hosen. Nur eine ihrer Bekannten gab ihr eine einigermaßen vernünftige Antwort.
„Die Tanzgruppe aus dem blauen Affen inklusive ihrem Funkenmariechen. Ihr Auftritt ist legendär und beendet, wie jedes Jahr, von Veilchendienstag auf Aschermittwoch die Karneval-Saison um Mitternacht.“
„Kenne ich nicht,“ musste Regina gestehen. „Der blaue Affe, ist das ein Kabarett? Führen sie den Tanz der Sieben Schleier auf?“
Sie konnte den Blick von der außergewöhnlichen Aufmachung der Frauen nicht abwenden. „Die sehen so normal aus, elegant, gar nicht verkleidet“, stellte Regina fest.
„Glaub mir Regina, sie sind kostümiert und im normalen Leben würdest auch Du sie keines Blickes würdigen. Sie sind anders. Man meidet ihre Nähe wie die Pest, so als ob sie Lepra hätten“, sagte Reginas Bekannte, lachte wie ein Honigkuchenpferd über Reginas Naivität, nicht im geringsten bemüht, ihr Desinteresse zu verhehlen.
Eine der Frauen stach Regina ganz besonders ins Auge. Ihr Anblick war umwerfend. Sie war genauso groß wie sie, etwas älter, und Regina hätte gerne gewusst, von welchem Friseur ihre modische Frisur stammte. Ihre Figur, in der engen Korsage, einfach traumhaft, beneidenswert. Vom Scheitel bis zur Sohle reine Weiblichkeit, ohne so dick aufzutragen, dass sie die Pferde scheu gemacht hätte oder auf die Modeseite der Boulevardpresse gekommen wäre.
Wie sie da im Sitzungssaal, von rund einem Dutzend Schönheiten, ihrem persönlichen Hofstaat, flankiert wurde, wirkte sie ungemein selbstsicher, kühl und eindrucksvoll. Die Worte aus ihrem Mund klangen beinahe aufregend. Peinlich berührt stellte Regina fest, dass die Frau nach einigen Minuten nur noch sie allein ansah. Regina redete sich ein, dass der ständige Blickkontakt vermutlich zu ihrer Taktik gehörte. Sie kam sich vor wie bei Gericht, wo es zweckmäßig ist, beim Plädoyer einen der Geschworenen zu fixieren. Sicher war das eine plausible Erklärung. Beunruhigender fand Regina allerdings ihre eigene Reaktion auf den beharrlichen Blick dieser blassgrauen Augen, der eine fast hypnotische Wirkung auf sie hatte. Ihre ausgesprochen aristokratische Nase und der großer Mund war im Gegensatz dazu eine Spur zu vulgär, ihre Augenbrauen verrieten Arroganz. Regina fühlte sich geradezu überwältigt von der physischen Anziehungskraft, die diese Frau auf sie ausübte und die im übrigen alle Anwesenden in ihren Bann zu ziehen schien.
Regina war vollkommen verwirrt von ihrer Reaktion, einer Mischung aus unguter Vorahnung und Erregung. Es war ein gänzlich neues Gefühl, das sie nicht einmal ansatzweise begriff. Was um alles in der Welt geschah mit ihr?
Nachdem die Karnevalsredner, die Bütt, ihr Vortragspult verlassen hatten, wurde an der Sektbar geschunkelt, getanzt, gelacht, geküsst und schamlos Händchen gehalten. Chantals Hofstaat war immer noch damit beschäftigt, als ein Mann, verkleidet als Scheich, in Sichtweite kam. Er zog sich nicht diskret zurück, sondern marschierte rücksichtslos auf Chantal zu, wie ein Drache, der sich über ein wehrloses Schaf hermacht. Er überreichte ihr seine Visitenkarte und hatte somit das Gefühl, alles getan zu haben, was der Anstand gebot und er war keineswegs gewillt, herumzulungern, bis sie eine passende Haltung eingenommen hatte, ihn zu empfangen, ihm ihre Gunst zu erweisen.
Sie blickte ihn herablassend an.
„Ich störe doch hoffentlich nicht?“, fragte er weltmännisch leicht eingeschnappt.
„Du liebe Güte“, sagte Chantal, nachdem sie seinen Namen gelesen hatte. „Keineswegs. Trinken Sie doch ein Glas mit uns“, lud sie ihn ein.
„Das ist sehr freundlich von Ihnen“, sagte der Scheich, der niemals zögerte, wenn es darum ging, seine Bedürfnisse anzumelden. „Doch ich fürchte, zunächst müssen wir etwas ziemlich Wichtiges besprechen.“ Sein Lächeln war gewinnend.
„Selbstverständlich.“ Chantal warf ihren Damen einen Blick zu, woraufhin diese sich mit einem aufmunternden Grinsen in den Trubel mischten. Sie ließen ihre Chefin mit dem fragwürdigen Geschäftsanliegen des Scheichs zurück.
Chantal sprach mit jener anrührenden Aufrichtigkeit, die ein ausschließliches Privileg des Alters ist.
Zu gegebener Zeit, lud Chantal Regina für die kommende Woche, zum Mittagessen ein. Ob Regina sich nur Chantals Sympathie sichern wollte, um sie zu bitten, ihr Tanzunterricht zu geben, wusste sie selbst nicht genau. Mit ihrer Art der kunstvollen Verführung, hatte Chantal schon häufiger Erfolg.
Als Regina in dem Restaurant eintraf, hatte Chantal bereits Platz genommen. Sie zeigte nicht das leiseste Befremden über den eleganten, seltsamen Aufzug von ihr. Bunt, schrill, offenherzig.
„Ich habe das Gefühl, zwischen uns könnte sich eine denkwürdige Freundschaft entwickeln“, sagte Chantal, nachdem sie zwei Gläser Champagner bestellt hatte. „Fangen wir doch gleich so an, wie wir später fortsetzen wollen, ja?“ Und nachdem sie auch das Essen und eine Flasche teuren Wein auswählte, behielt sie entschlossen das Heft in der Hand.
Amüsiert beobachtete Regina, wie sich die anwesenden Geschäftsmänner dasselbe Essen bestellten, das sie auch zu Hause bekommen konnten. Offenbar betrachteten sie das berühmte Sterne-Restaurant als ihre Betriebskantine und aßen dort falschen Hasen, Strammen Max, Handkäse mit Musik.
Sie vertieften sich in eine Gespräch. Regina und Chantal tauschten ganz indiskret den üblichen Klatsch aus und erörterten eine Reihe von Themen. Die meisten waren gespickt mit sexuellen Anzüglichkeiten, und bald lachten sie zusammen wie alte Freundinnen. Beide hatten eine recht sprunghafte Denkweise, so, dass sie von einem Thema zum anderen wechselten und trotzdem noch miteinander Schritt halten konnten. Sie fühlten sich wohl miteinander. Regina gefiel die Art, wie Chantal ihr zuhörte. Doch wenn Chantal selbst sprach, spürte sie zwischen den Zeilen etwas, das sie nicht so recht zu entziffern wusste.
Wenn Regina mit ihrem Mann und ihrer Tochter zusammen aßen, kosteten sie oft gegenseitig von ihren Tellern. Aus angeborener Neugier, so behauptete sie, müsste sie eben drei Gerichte von der Speisekarte probieren, statt nur eines. Chantal hatte dieselbe Angewohnheit, doch bei ihr hatte es etwas unerhört Sinnliches.
„Versuchen Sie das mal“, sagte Chantal, „toll, wie das die Speiseröhre runter gleitet.“ Oder: „Ist das nicht der zarteste Spargel, den Sie je im Mund hatten?“
Ständig bot sie Regina etwas auf ihrem eigenen Löffel oder ihrer Gabel an und sie schluckte gehorsam. Schließlich bestellen beide noch einen Nachtisch, nur um das Essen so lange wie möglich auszudehnen. Der Kellner wechselte die Teller und servierte das Dessert. Sie schwiegen beide, bis sie wieder allein waren.
Manchmal berührte Chantal Regina an der Hand oder am Arm, wie um einer Äußerung Nachdruck zu verleihen, doch ließ sie ihre Finger dann einen Moment länger liegen als nötig. Regina konnte kaum fassen, welche Wirkung das bei ihr hervorrief. Wie kam es nur, dass das kleine Stückchen Haut, auf das Chantal ihre Finger gelegt hatte, noch Minuten später zu brennen schien? Und warum konnte sie es kaum erwarten, das noch einmal zu spüren? Ihr selbst kam es jedoch nicht in den Sinn, Chantals Hand auch nur versuchsweise zu berühren.
Später fragte sich Regina, ob diese ganze Episode nicht vielleicht nur ihrer Phantasie entsprungen war. Sie zweifelte nicht an der Realität ihres Treffens an sich, sondern der hypnotischen Wirkung, die Chantal auf sie ausgeübt hatte. Das Herzklopfen wurde langsam unangenehm.